Deus ex Machina

Deus ex Machina

Über Gott und die WWWelt

26. Okt. 2017
von Don Alphonso

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Medien, Kunst, Sex: Die Weinsteins im Kulturdorf lassen

Es gibt da einen bemerkenswerten Beitrag im Guardian. Der Guardian ist vom Weinstein-Skandal selbst betroffen, zwei frühere Mitarbeiter der linken, britischen Tageszeitung gehören zu denen, die bislang wegen Anschuldigungen des sexuellen Fehlverhaltens ihre Arbeit verloren. Der Guardian weiss also, dass er auf der einen Seite zwar Feministinnen wie Jessica Valenti schreiben lässt, aber auf der anderen Seite Leute beschäftigt hat, deren Verhalten im krassen Gegensatz zur Blattlinie und den von ihnen verfassten Artikeln stand. Es erinnert ein wenig an Harvey Weinstein, der selbst ein liberales, feministische Anliegen unterstützendes Aushängeschild Hollywoods darbot, aber sein eigenes Verhalten war den Anwürfen zufolge ganz anders. Der Guardian jedenfalls beschäftigt sich mit der sogenannten “Shitty Media Men”-Liste, auf der 70 Namen von problematischen Vertretern der Branche vor allem aus New York zusammen mit ihren Verfehlungen aufgeführt werden.

Wer gedacht hätte, dass der nach weiteren Informationen gierende Guardian als Aufklärer die Namen veröffentlicht, sieht sich allerdings getäuscht. Es gibt zwar inzwischen mit dem Publizisten Leon Wieseltier einen Fall, der auch auf der Liste stand, seinen Job verlor und sich veranlasst sah, sich für sein Verhalten zu entschuldigen – insofern ist es zumindest plausibel, dass die Liste kein Hoax rechtsextremer Kreise ist, die linke Journalisten beschädigen wollen. Die Guardian-Autorin Helen Gould beschreibt die Liste als eine Zusammenstellung der Notwehr, um Betroffene vorab still über Problemfälle zu informieren. Sie fordert dann eine kulturelle Änderung der Gesamtsituation, damit Fälle wie jene 70 nicht mehr vorkommen. Es geht also nicht primär darum, 70 vermutete Skandalpersonen in den Medien für ihre Taten haftbar zu machen, sondern um alles und jeden. Um die gesellschaftliche Realität, die geändert werden soll, um die Machtverhältnisse, um den Siegeszug des Feminismus.

Darüber kann man nur lächeln, wenn man selbst in linken Projekten mit feministischen Ansprüchen tätig war und Fälle kennt, sei nun in fortschrittlichen Medien oder in sozialen Kontexten, in denen mittelalte Frauen mit Minderjährigen für die Männerseite reichlich frühe sexuelle Erfahrungen teilten. Die Geschichten sind in diesem Kontext wie immer, es gibt eine von den 68ern herrührende, eher distanzlose Feierkultur, die Einnahme von Drogen ist nicht wirklich atypisch, und rückblickend würden die beteiligten Frauen heute vermutlich auch das sagen, was Harvey Weinstein zu seiner Verteidigung angebracht hat: Dass sie eben aus einer anderen Zeit stammen. Diese Verteidigungslinie gab es auch beim Skandal um den sexuellen Missbrauch von Kindern im Umfeld der damals noch jungen grünen Partei, oder bei anderen Vertretern der Öffentlichkeit, die sich in Folge der sexuellen Revolution provokant gaben, und derartige Aussagen heute nicht mehr treffen würden. Ich will das hier nicht bewerten – kaum zu bestreiten ist jedenfalls, dass die westlichen Gesellschaften bis in die 60er bis 80er Jahre von rigiden Sexualnormen dominiert waren, und bei deren Durchbrechung tatsächlich bisweilen wenig zimperlich argumentiert, mit fragwürdigen Gruppen koaliert und gehandelt wurde. Ich habe mal ein Interview mit einem Starphotographen gemacht – heute ein alter Mann, verheiratet, Kinder – und der meinte, man könnte das nicht vergleichen, damals seien die Drogen viel weicher gewesen, und der Sex wurde als gewünscht vorausgesetzt – das wusste jeder, deshalb wurde man Teil der Bewegung, und wer das nicht wollte, war einfach nicht in diesen Kreisen unterwegs, nach deren Details nun lüstern im Guardian gefragt wird.

Der Photograph, der früher wüste Backstage-Orgien abgelichtet hat, macht heute Portraits bekannter Künstler und Politiker, und ist, wie so viele aus dieser Generation, im Mainstream angekommen. Andere haben sich totgefixt oder umgebracht, vielen Heroen war kein langes Leben beschieden, 2016 hat uns das noch einmal deutlich vor Augen geführt. Die Gesellschaft jedoch hat sich mit dem Erbe der sexuellen Revolution in Form einer allgemeinen Sexualisierung arrangiert – was man am Aufschrei merkt, wenn plötzlich eine junge Muslima meint, im schwarzen Burkini ihre Runden zwischen der Rentnerinnenschwimmgruppe in bunten, freizügigen Badeanzügen drehen zu können. Pornographie ist leicht verfügbar, und statt Perversionen der Vergangenheit gibt es heute einfach Kategorien von Wunschdarstellungen. Bei Elitepartner findet man das erwartete Vermögen des Anderen, bei den diversen Seiten für düstere Leidenschaften kann man sich die nächste Traumorgie zusammenklicken. Wer in den Medien heute homosexuelle Praktiken verurteilen würde, bekäme schnell den Ärger der Lobby zu spüren. Wir leben in einer Gesellschaft, die Wagenladungen von Halbnackten inzwischen auch von konservativen Parteien auffahren lässt, und die gleichzeitig selbstgerecht und mit Medienunterstützung Gruppen blockiert, die für ein traditionelles Familienbild stehen.

Um das klar zu sagen: Ich war mit schwulen Freunden auf dem Hans-Sachs-Strassenfest, als das noch kein Mainstream war, und empfinde Abtreibungen als Ausdruck des gesellschaftlichen Fortschritts, der mit Zähnen und Klauen verteidigt werden muss – ich weiss nämlich noch, was für ein Drama das im Bayern der 90er Jahre war. Sex hat diese Gesellschaft zum Guten verändert und ihre Fundamente komplett neu organisiert, und vor allem wurde Sex demokratisiert: Der Markt, vor allem im Internet, macht möglich, was früher in kleinen Kreisen machbar war. Ich könnte rückblickend auch #metoo twittern, einfach, weil eine bekannte amerikanische Schriftstellerin das Morizz in München schätzte, und ich eine Stunde dort auf sie wartete: Das, was heute als “unwanted advances” Karrieren beenden kann, war in diesem Raum gegenüber allein herumsitzenden Männern völlig normal. Allein die Anwesenheit galt als Zeichen der Verfügbarkeit. Ich habe das aber nicht als Belästigung empfunden. Und wenn ich auf der Strasse gewartet hätte, wäre es schlagartig vorbei gewesen.

Feministinnen im Guardian und in anderen Medien wollen nicht an die Shitty Media Men in ihrem eigenen Morizz heran, sondern lieber das gesamte System vor der Tür ändern. Sie gehen von einer Rape Culture aus, aber ich, als Wanderer zwischen den Welten, sehe darin die Liste der vor allem betroffenen Medien: Darunter sind auch Vice, Mother Jones und Buzzfeed, die sich den Feminismus auf die Stirn gemalt haben. Kunst, Kultur, Theater, Medien, Film, diese Szenen sind durchsetzt mit den Bunten, den Kreativen, den Säufern, den Anderen, den Freaks und generell denen, die im engen Korsett einer reaktionären Gesellschaft keine Chance hätten. Die gesellschaftliche Veränderung zur Dienstleistungsgesellschaft bringt es aber mit sich, dass in diesem Bereich nicht mehr jeder ein Caravaggio, eine Lee Miller, ein Hendrix, eine Sackville-West, ein Cohn-Bendit oder eine Kiki de Montparnasse ist. Die Folge ist, dass nun die Trennschärfe verloren geht: Metoo ist aus Sicht der Betroffenen oder sich betroffen Fühlenden undifferenziert alles von den widerwärtigsten Erscheinungen der Pädophilie bis Verhaltensweisen der Annäherungen oder Komplimente, die nur Lieschen Müller-Chebli aus dem HU Genderseminar wirklich schockieren. Aber nicht diejenigen, die zur eigenen Freude und Erholung die Clubvorhöfe der Kreativbranche besucht haben. Für die Nachgeborenen reicht es, wenn sie einmal eine alte Ausgabe der Tempo um 1990 herum lesen. Da findet man freizügige Texte, die heute von keinem Medium mehr abgenommen würden, das auf der anderen kein Problem hat, Antifagewalt zu fördern.

Das weiss jeder, der damals dabei war. Es gab zwei Sphären, die einen tanzten am Montag morgen im Springbrunnen vor dem Parkcafe und die anderen fuhren von der Familie aus daran vorbei zur Arbeit. Wir sangen in Zegna und Moschino höhnisch “Holzfällerhemd und Samenstau, er studiert Maschinenbau”. Extrempositionen, Abgrenzung vom Normalen, Hedonismus und hemmungsloses Überschreiten von Grenzen gehörten zum Prinzip der Selbstdefinition. Wir hatten damals in den späten 80er Jahren das Glück, dass wir die Hippies schon abstoßend finden konnten, und uns nicht sexuell, sondern luxuriös revolutionär geben durften. Aber das, was wir damals alle, gleich welches Geschlecht oder welche sexuelle Orientierung, als Befreiung vom restriktiven Druck der Kleinstädte empfanden, wäre nach den strengeren Massstäben der #Metoo-Bewegung höchst fragwürdig. Es trifft nicht die Maschinenbauer, die wir ausgelacht haben, und die mit zwei Kindern und Frau glücklich wurden. Es trifft nicht Alt Right, wo man in einer männerbündischen Szene die Vergangenheit beschwört. Es betrifft vor allem den Bereich der Lebens- und Arbeitswelt, der die Anderen, die Schrägen, die nicht Passenden magnetisch anzieht.

Die Shitty Media Men gehören vermutlich in diese Kategorie, und man darf davon ausgehen, dass es wirklich eine Vielzahl von Problemfällen gibt. Für manche macht diese Halbwelt auch den Reiz aus – ich möchte in diesem Kontext an den taz-Journalisten mit der Keylogger-Software erinnern, der sich um die jungen Mädchen bemühte. Der Guardian und andere Medien sitzen auf einer brisanten Liste, und es wäre wirklich spannend, sie durchzugehen und zu schauen, was diese Leute angetrieben hat, und wie sie an ihre Machtpositionen gelangten. Es ist anzunehmen, dass Leute die wirtschaftliche und publizistische Macht, die sie hatten – und dank des Schweigens über die Liste immer noch haben – hemmungslos benutzten. Meine Bekanntschaft mit Maschinenbauern sagt mir gefühlsmäßig: Die Branchen, bei denen Kreativität, Enthemmung und Egomanie zwingende Teile des beruflichen Erfolgs sind, sind dafür anfällig. Speziell, wenn die Abhängigkeitsverhältnisse so ausgeprägt wie im Bereich von Kunst und Kreativität sind, und das Leben derartig prekär ist. Das Erpressungspotenzial muss übrigens noch nicht mal sexuell sein: Man hört böse Geschichten über von Journalistinnen betreute Jugendportale, bei denen andere Journalistinnen zu möglichst krassen Texten gedrängt werden, die sie mit Sicherheit später bedauern werden. Auf einen wie mich, der die Aufmerksamkeitsmaschinerie des Netzes reiten kann, kommen viele Abgenutzte der Klickzuhälterei mit Burnout und sozialer Traumatisierung.

Und linkskreative Kreise leiden hier unter dem Umstand, dass momentan der 3.-Welle-Feminismus mit seinen Rape-Culture-Verschwörungstheorien zugeführt wird, der unbedingt seine Weltsicht durchsetzen will. Da liegt es natürlich nahe, den Inquisitorinnen, die im Morizz keine 10 Minuten ohne Herzinfarkt überstanden hätten, den Weg zur allgemeinen Gesellschaft zu weisen, zu den Spiessern, zu den Normalos, und zu den weissen, heterosexuellen Männern, die bitte auch twittern sollen, wie schlimm sie das finden. Spätestens seitdem es aber auch um Schwule und Pädophilie auf der Besetzungscouch geht, seitdem eine Liste, die vermutlich inzwischen jeder hat, unterdrückt werden muss, und dort eine Vorsicht im Umgang angeraten wird, die dem alten, weissen, heterosexuellen Mann als Hauptschuldigem nicht gegönnt wird – seitdem würde ich fast annehmen, dass hier ein spezielles Problem einer speziellen Schicht zur Kollektivschuld verallgemeinert werden soll.

Sie haben die hochbrisante Liste. Sie kennen die Namen. Sie würden aber lieber über alle anderen reden. Auch das erinnert mich an Harvey Weinstein, der beim Women’s March mitgegangen ist, um es allen draußen zu zeigen – aber das Problem in sich selbst trug. Ich kann vollkommen verstehen, dass niemand in der kreativen Szene jetzt selbst mit dem Strafkatalog der Genderreligionspolizei von Stokowski, Butler und Aufschreierinnen beurteilt werden möchte, die man so lange gehätschelt hat und die lustig waren, solange ihre extreme Empfindlichkeit mit ihren Gendersternchen nur andere traf. Die Anklägerinnen werden selbst vermutlich nicht beurteilen wollen, was die 50-Jährige damals in der linken Szene mit dem Joint und dem Nachwuchsdemonstranten gemacht hat, ganz zu schweigen von dem, was die famose Melisa Erkurt über Flüchtlinge und Frauen recherchiert hat. Mein Vorschlag wäre wirklich, Vergehen als das zu sehen, was sie sind: Etwas, das einem Schuldigen unter Berücksichtigung der Umstände nach klaren Kriterien nachgewiesen werden sollte.

Alles andere sorgt nur für einen Generalverdacht, in dem die Täter dann wieder untertauchen können, weil angeblich “alle” so sind. Wir sind nicht alle, und wir sind in einem Bereich, in dem alle individuell sein wollen. So leben wir. So sollten wir auch beurteilt werden.

26. Okt. 2017
von Don Alphonso

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17. Okt. 2017
von Don Alphonso

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Mit grüner Selfiepolitik gegen Erfahrung und Substanz

Eigentlich ist in Österreich gar nicht so viel passiert: Die bisherige Kanzlerpartei SPÖ und das Lager der in Deutschland gefürchteten Freiheitlichen haben ihre bisherigen Ergebnisse in etwa behalten – die Freiheitlichen profitierten dabei von der Aufgabe der eigenen Abspaltung BZÖ. Die ÖVP hat unter dem Jungpolitiker und Balkanroutenschliesser Sebastian Kurz dagegen über 7% dazu gewonnen – also fast so viel, wie seine politische Widersacherin Angela Merkel mit CDU und CSU jüngst verloren hat. Allerdings relativiert sich dieser Sieg, wenn man die Aufgabe der Partei des Autoindustriellen Frank Stronach berücksichtigt, die 2013 noch mit 5,7% erfolgreich war: Das Team Stronach hatte sich schon während der letzten vier Jahre zerlegt, und trat wie das BZÖ nicht mehr an. Kurz ist es offensichtlich gelungen, dessen liberal-konservativ-populistische Wähler an sich zu binden.

Eine relevante Wählerwanderung gab es trotzdem: Die SPÖ verlor einen Teil ihrer Wähler an die FPÖ und ÖVP, und glich diese Verluste durch massive Zugewinne von den Grünen aus. Die Grünen sind die eigentlichen Wahlverlierer – sie verloren über 8 Prozentpunkte und kommen aller Wahrscheinlichkeit mit 3,9% nicht mehr in den Nationalrat. Der Umstand, dass eine Oppositionspartei 2 von 3 Wählern verliert, während eine unbeliebte grosse Koalition herrscht, ist ebenso erklärungsbedürftig wie interessant. Denn die Katastrophe ist selbst verschuldet und kennt einen weiteren Sieger: Die Liste des grünen Urgesteins und Skandalaufdeckers Peter Pilz, der die Grünen kur vor der Wahl verlassen hat, weil diese bei der Listenaufstellung dem Jungpolitiker Julian Schmid den Vorzug gaben. Die Grünen scheiterten an der 4%-Hürde, die Liste Pilz dagegen nahm sie mit minimaler Vorbereitung und wenig Geld ohne Probleme im ersten Anlauf.

Es lohnt sich, den zugrunde liegenden Konflikt zwischen dem Politsenior Pilz und dem Nachwuchsstar Schmid etwas genauer anzuschauen, weil ähnliche Entwicklungen auch bei deutschen Parteien des linken Lagers erkennbar sind. Pilz hat in der Migrations- und Heimatpolitik deutlich vertretene Ansichten, die von den Grünen als rechts und populistisch kritisiert wurden. Er ähnelt dabei grünen Parteirebellen wie Winfried Kretschmann und Boris Palmer, deren politische Vorstellungen ebenfalls von den migration- und integrationspolitischen Vorgaben der grünen Parteibasis abweichen. Auch die Partei Die Linke erlebt momentan einen derartigen Konflikt, weil das Lager rund um die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht bei der klassisch sozialistischen Parteiführung rund um Katja Kipping in Verdacht steht, offen für rechte Thesen zu sein. Ähnlich wie die Grünen in Österreich tobt in den linken, deutschen Parteien ein Konflikt um die Ausrichtung der Politik aud die Interessen der jungen, gebildeten, urbanen Wähler, während klassische Protestwählergruppen und sozial Benachteiligte, speziell auf dem flachen Land, eher zu Rechtspopulisten abwandern. Die Liste Pilz hat sich dagegen – ähnlich wie Wagenknecht, Oskar Lafontaine und Boris Palmer – nicht radikal gegen die kritische Hinterfragung von Migration und deren soziale Folgen abgesetzt.

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Nun haben die Grünen in Österreich mit ihrem Dogmatismus – eines der Wahlplakate lautete “Sei ein Mann – wähl eine Frau. Das ist Grün.” – sicher viele Fehler gemacht, weshalb sie in ihren Hochburgen in den Städten ebenso wie in der Provinz verloren haben. Es gab einen abrupten Wechsel an der Parteispitze, Gerüchte über fragwürdige Kandidatenwahlen und die Abspaltung der Parteijugend. Aber trotzdem sind sie die Partei, die hinter dem auch in Deutschland gefeierten Sieg des Bundespräsidenten van der Bellen gegen den Vertreter der FPÖ steht, und diesen Absturz von der Mehrheitspartei zur ausserparlamentarischen Opposition muss man erklären. Und das ist gar nicht so schwer, wenn man sich einmal anschaut, wie die Grünen sich um die junge, urbane, netzaffine Zielgruppe gekümmert hat.

„Hey! Ich bin Grüner Abgeordneter im Nationalrat, vertrete die Jungen & will mit euch die Welt retten“ schreibt Pilz-Bezwinger Julian Schmid und Platz vier auf der Liste für die Wahl bei Twitter über sich. Dahinter steht gleich seine Whatsapp-Nummer, über die er für jeden erreichbar ist. Als er nach seinem Sieg über Pilz nach seiner Bekanntheit und seinen Methoden in der öffentlichen Darstellung gefragt wurde, sagte er dem Standard:

„Meine Generation kommuniziert anders. Nennen Sie es Augenzwinkern oder Optimismus. Viele Vertreter älterer Generationen können das nicht nachvollziehen, auch in den Medien. Dazu kommt, dass junge Menschen andere Medienkanäle als die klassischen Zeitungen nutzen. Ich habe immer darauf geschaut, dass ich zeitgemäß kommuniziere. Dass das manchmal poppig ist, ist mir klar.“

Damit wurde Julian Schmid schon bei der letzten Wahl in Wien 2015 bekannt, als er sich als “Öffi für alles” mit Lippenstiftküsschen auf einem Wahlplakat zeigte – in einer Zeit, da sich Peter Pilz mit dem NSA-Umtrieben und dem Skandal rund um den Verkauf des Eurofighters an Österreich beschäftigte. Diese Methode hat Schmid in den letzten Jahren perfektioniert: Bei Twitter, Instagram und Facebook präsentiert er sich als Selfie-Politiker, zumeist in einer Schar glücklich lächelnder junger Leute.

Peter Pilz, dessen Blick unbestätigten Gerüchten zufolge bei schlechter Laune Wasser zu Eis verwandeln kann, schrieb dagegen detailliert auf seiner eigenen Seite im Internet über seine Arbeit in Untersuchungsausschüssen und beim Studium staubtrockener Akten. Seine Pressearbeit – oft auch an der eigenen Partei und am Parlamentsklub vorbei – zeigte sich in einer Flut an Pressemitteilungen und Interviews zu schwerer und komplizierter Materie. Pilz hat den Anspruch, die Unregelmäßigkeiten von Politik und Wirtschaft aufzudecken, während bei Schmid mit seinem Bekenntnis zur Klimapolitik im Ungefähren bleibt, wie er mit Facebook und Selfies das hohe Ziel der Weltenrettung erreichen will.

Das ist fraglos poppig, jung, offen und anpassbar, so wie es in den Empfehlungen der modernen Politik-PR steht. Die Weltenrettung ist da keine harte Arbeit und kein Kampf, sondern ein nettes Treffen unter jungen, gut aussehenden Menschen, die auch für Zahnpasta oder Almdudler werben könnten. Keine Demonstration, kein Aufstand, sondern ein Event mit einem Promi, den man liken, retweeten oder folgen kann. Schmid hat den immer gleichen, immer jungen Gesichtsausdruck des Lächelns, es sieht immer so aus, als stünde die Jugend hinter ihm, egal ob in Schulen, bei Lehrlingen oder auf der Strasse beim Wahlkampf. Schmid gibt sich als Mann und Stimme des Jungvolks. Er ist ein Multiplikator und eine Marke.

Und er hat sein Mandat damit verloren, während sein alter, weisses, nicht gekussmundeter und menschlich nicht ganz einfacher Gegner Pilz mit Sicherheit im neuen Nationalrat sitzen wird. Es zeigte sich, dass 64.000 Wähler der Grünen überhaupt kein Problem mit der Islamkritik haben, und auch gut damit leben können, wenn ein Grüner seine Bewegung für Vertreter nichtgrüner Überzeugungen öffnet, solange sie ehrlich und nicht skandalbelastet sind. Die Grünen haben versucht, Schmid gegen den Nimbus des unbestechlichen Pilz zu setzen. Schmid sei “0% dirty, 100% Grün.”

Sachmid sei der “sexy Posterboy” der Grünen, jubelte das Jugendmagazin Vice. Schmid verwendete in seiner Kommunikation modische Emojis und sprach mit Worten, die jeder urbane, junge Buchstabierer von Bento und Buzzfeed verstehen kann: “Wer Grün im Parlament will, muss auch Grün wählen!” Schmid schrieb nicht wie Pilz detailreiche Bücher über Machenschaften, sondern so epische Sätze wie: “Gemeinsam mit Cem Özdemir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN  #dasistgrün #Klimaschutz #Europa #Bildung #Solidarität #Respekt” Darunter lächelnde Politiker. Was daran Respekt, Klimaschutz, Europa, Bildung, Solidarität und Respekt sein soll, und was das in der konkreten Umsetzung bedeutet – egal. Rother, Anna Yesilyurt, Magdalena Elkmann und 49 anderen gefällt das.

Von solcher Zustimmung in sozialen Netzwerken können andere Politiker nur träumen, aber es ist wie bei den Piraten in Deutschland: Die Zustimmung in der eigenen politischen Filterblase im Netz deckt nicht die Realität ab. Von der Realität hatte Pilz offensichtlich mehr Verständnis als das Spitzenpersonal seiner früheren Partei. Die hat immer noch den sexy Posterboy Schmid, und Vice ist sicher nicht das Netzmedium, das jetzt freundlich über die Liste von Pilz und deren islamkritische Töne schreiben wird.

Schmid flogen nur die Sympathien und Herzen derer zu, die sich für ein Selfie mit ihm zeigten. Schmid kommt bei Facebook gut an und weiss, wie man sich dort inszeniert. Damit ähnelt er den Resten der Piraten, die inzwischen bei Grünen, SPD und Linken angedockt haben, und dort im Bereich Netzpolitik aktiv sind – und inzwischen auch bei Debatten helfen, um Personen wie Wagenknecht, Lafontaine, Palmer und Kretschmann zu isolieren. Auch sie haben Freunde bei Vice und Bento, die sie als Stimme der Jugend, speziell der gut ausgebildeten und trotzdem unzufriedenen, linken, urbanen Millenials präsentieren können.

Man muss das fatale Ergebnis dieser Bemühungen nicht mögen, aber in Österreich hat sich gezeigt, dass die Wähler solcher Parteien nicht im Mindesten ein ideologisch gleichgeschalteter Block sind, der genau das will, was im Parteiprogramm und in bildungsreduzierter Form und leichter Sprache bei Facebook steht. Ein erheblicher Teil der früher grünen Wähler stimmte für die Liste eines Kritikers des politiuschen Islams. Und was geblieben ist, zwingt den sexy Posterboy zum Abtritt von der Karriere als jener grüne Weltenretter, der immer lächelt. Es ist nicht so, dass diverse Medien die Grünen in Östereich nicht deutlich vor diesem Kurs gewarnt hätten. Sie haben sich trotzdem für den Netzprotagonisten und die lächelnde, ideologisch zuverlässige, urbane, junge Filterblase entschieden. Schmid schweigt seit der Wahl auf seinen Netzkanälen, sieht aber im Interview nicht die Schuld für das Debakel bei sich selbst.

Wieviele Prozente die Linke und die Grünen wohl ohne Wagenknecht und Kretschmann noch bekämen?

17. Okt. 2017
von Don Alphonso

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11. Okt. 2017
von Don Alphonso

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Wie der Weinstein-Skandal Trump an der Macht hält

Das erste Jahr seit der für viele überraschenden Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten neigt sich dem Ende zu, und zwei Aspekte kann man zumindest jetzt schon festhalten. 1. Es war nicht langweilig. 2. Es gab noch keinen Atomkrieg (Stand heute 10.15 Uhr). Bleiben also noch 7 Jahre, die hoffentlich genau so bleiben, aber sollte sich in der zweiten Amtszeit etwas am zweiten Aspekt ändern, so werden sich die Überlebenden vielleicht am Lagerfeuer fragen, wie es so weit kommen konnte. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach: Schuld sind die Feministinnen, die Trump eine zweite Amtszeit ermöglichten.

Denn Trump ist fraglos ein in vielerlei Hinsicht schlechter, schrecklicher, unbeherrschter und peinlicher Präsident, und jetzt geht es eigentlich nur noch darum, seine unbestreitbar schlechten Seiten so auszuleuchten, dass eine Mehrheit der Wahlmänner für seinen Gegner der demokratischen Partei durch die Stimmen des Volkes zustande kommt. Die Kräfte der Ausleuchtung sollten sich zusammen tun, und erklären, belegen und aufzeigen, nüchtern natürlich und beherrscht, dass es auch anders geht. Möglicherweise finden die Demokraten auch eine Person, die das Volk mehr als Frau Clinton überzeugen kann. Senator Sanders, dem die Herzen der Jugend zuflogen, ist dann vermutlich zu alt, und privat denke ich, dass Frau Obama beispielsweise eine phantastische Präsidentin wäre. Aber wer auch immer es ist – er müsste erst einmal gewinnen. Und dass es nicht klappen wird, liegt nicht nur am traurigen Zustand der Demokraten, sondern auch am Feminismus und Harvey Weinstein.

Denn der Filmproduzent Weinstein soll laut den Veröffentlichungen der New York Times auch ein schlechter, schrecklicher, unbeherrschter und peinlicher Schürzenjäger sein. Trump tätigte bei eingeschaltetem Mikrophon den Satz über das Pussy grabben, der ihm beinahe zum Verhängnis geworden wäre. Glaubt man der New York Times und weiteren Frauen, die Weinstein inzwischen belasten, könnte Weinstein Frauen gegenüber real in etwa so aufgetreten sein, wie Trump das verbal ausgedrückt hat. Bei Trump wissen wir, dass er es wirklich gesagt hat. Für Weinstein dagegen sollte trotz der schwierigen Lage und der allgemeinen Empörung gelten, dass er als unschuldig zu gelten hat, bis die Schuld erwiesen ist.

Denn die New York Times zitiert Fälle, die sehr unterschiedlich sind, und mitunter mit dem Makel von Zahlungen für Schweigeabkommen versehen sind. Manche Angreiferin ist eine erklärte Aktivistin mit einer Agenda, nicht alle haben einen guten Leumund, und es wäre nun an einem Richter oder an einer wie auch immer gearteten Jury herauszufinden, was denn nun wirklich stimmt. Die Fälle von sexueller Belästigung liegen teilweise Jahrzehnte zurück, eine Vergewaltigung konnte die New York Times zuerst nicht beibringen – erst jetzt gibt es Anklagen, die in diese Richtung gehen. Vieles, was da aufgelistet wird, wäre menschlich äußerst unangenehm und durch das Machtgefälle zwischen Produzent und Untergebenen moralisch hässlich – aber nicht zwingend strafbar. Gäbe es so etwas wie ein unabhängiges Gericht, könnte man sich ein umfassendes Bild machen, Fakten von Hörensagen trennen, und zu einer Gesamtbewertung kommen. Vermutlich würde die Bewertung in diesem Fall dann kein gutes Bild von Weinstein zeigen. Vielleicht wäre er gar nicht das zynische Monster, als das er momentan dargestellt wird, sondern auch ein Typ, dem mit dem Aufstieg das Verhältnis zu seiner Umwelt verloren gegangen ist. Vielleicht gab es auch Menschen, die er nicht lange nach Sex fragen musste. Vielleicht ergäbe sich ein vielschichtiges, präzises Bild von den Abgründen und strahlenden Momenten Hollywoods.

Dazu wird es aber nicht kommen, denn es gibt den Empörungsfeminismus, und der kennt keine Gnade. Der Feminismus sieht die Gelegenheit, jetzt eine Welle zu reiten, und generell mit dem System Hollywood aufzuräumen: Mit der schlechten Bezahlung der Schauspielerinnen und der männlichen Dominanz der Regisseure, mit den alten, weissen Männernetzwerken in den Studios und bei der Verwertung, wo das grosse Geld verdient wird. Dafür stehen schon Denunziationsseiten im Netz. Mit Weinstein fällt ein Titan des Geschäfts, und sein Fall muss als Drohung verstanden werden: Wenn es Weinstein erwischt, kann es jeden erwischen. Und es hilft Weinstein auch nichts dass seine Frauenfiguren in den Filmen fortschrittlich waren, dass er den Film “The Hunting Ground” über sexuelle Übergriffe an Universitäten trotz aller Kritik in die Kinos brachte, und persönlich gegen Trump demonstrierte. Er war ´der beste Freund der Demokraten, er requirierte Millionen für Wahlkämpfe, und seine Filme zeigten Gesellschaftsmodelle, die ganz anders als das sind, was sich die Trumps und Penns und Huckabees wünschen: Es hat ihm nicht geholfen.

Es ist ein Megaskandal, und das Urteil wurde schon gefällt. Wer schweigt, wird öffentlich vorgeführt. Wer es dennoch wagt, sich vorsichtig für Weinstein auszusprechen, gerät im voll entflammten Internet in Verdacht, entweder auf Weinsteins Gehaltsliste zu stehen, oder gar selbst Dreck am Stecken und daher Angst vor dem anstehenden Purgatorium zu haben. Die Heldinnen sind die Frauen, die jetzt den Mund aufmachen und erzählen, wie mies sie behandelt wurden, und die früheren Täter benennen. Die Verdammten sind jene, deren Namen nun durch die Gazetten und sozialen Netzwerke getrieben werden, und es ist klar, dass Hollywood dabei als mieser, sexistischer, verkommener Sündenpfuhl gebrandmarkt wird, mit Nebenstellen im Journalismus und der das alles deckenden Unterhaltungsindustrie an beiden Küsten.

Es sollte einen stutzig machen, dass sowohl das feministische Portal Jezebel als auch das alt-right-Portal Breitbart eine stetig erweiterte Sammlung zu den Vorwürfen haben, und die Debatte gegen Hollywood von den gegenüber liegenden Rändern des politischen Spektrums gemeinsam anheizen. Ich weiss, es ist verpönt, Breitbart zu lesen und Alt-Right-Aktivisten zu folgen. Aber diese Leute haben eine gewisse Durststrecke hinter sich. Breitbart hat viele Werbekunden verloren, Alt-Right machte sich mit Verschwörungstheorien zur Pädophilie in einer Pizzeria und dem Naziaufmarsch in Charlottesville unmöglich. Die Szene war auf dem absteigenden Ast, Buzzfeed wartete mit einem Kassiber an interner Kommunikation von Breitbart auf.

Und nun kommt dieses Gottesgeschenk für diese Szene, die hier nur gewinnen kann. Mit jedem Vorwurf, mit jeder Anschuldigung wird genau jenes liberale Küstenamerika vorgeführt, das dazwischen in seiner angeblich arroganten Haltung so gehasst wird. Die Kultureliten, die alle geschlossen hinter Clinton standen, sind bei dieser Darstellung schlimmer, zynischer und korrupter als Trumps Lager . Neben dem egomanen Weinstein, den Feministinnen vorführen, ist Trump moralisch gar nicht so schlimm. Und je weiter die Kreise sind, die der Skandal zieht, desto euphorischer werden die Kommentare bei Fox und Breitbart. Das liberale Amerika misst seine Protagonisten an schärfsten Kriterien und erlaubt keine Revision. Trumps Lager muss nur zuschauen, wie CNN fordert, dass sich endlich auch Clinton und Obama öffentlich – und natürlich im Sinne des Schuldspruchs – von Weinstein distanzieren. Was sie bislang, abgesehen von kurzen Statements, nicht getan haben.

Das ist für Trump eine herrliche Gelegenheit. Ausgerechnet Clinton, die die Frauenrechte in den Mittelpunkt ihres Wahlkampfes stellte und sich mit Feministinnen aller Art zeigte, und die als Hoffnung für ein weibliches und besseres Amerika galt – diese Clinton bekommt bei Veranstaltungen den Mund nicht auf, wenn so ein Fall in ihrem eigenen Umfeld passiert. Es kann bei seinen Anhängern als der Beleg für Trumps Wahlkampf gegen “crooked Hilary” gelten, der man nicht trauen kann, und die als Teil des Establishments – oder des Swamps – nie auf die Idee käme, gegen ihre eigenen Verbündeten und Interessen vorzugehen. Clinton könnte hier mit einer harschen Reaktion beweisen, wie ernst es ihr mit den Versprechungen im Wahlkampf ist. Hier wäre ein Fall, in dem sie den Stab brechen könnte. CNN würde das gern vermelden und liefert die Demokraten ans Messer. Es kommt nichts. Clinton und Obama, der betonte, eine von fünf Frauen an den Colleges werde Opfer sexueller Gewalt – vermeiden öffentliche Einlassungen.

Völlig zurecht übrigens, wenn man das alte System von Schuld und Nachweis anwenden würde. In einem System der massvollen Betrachtung wäre der Rückzug auf das Beschweigen kein Akt der Feigheit oder des Verrats an den eigenen Idealen, sondern ein Zeichen des Respekts vor der Wahrheitsfindung. Aber wir haben alle Internet und eine gut eingefahrene Empörungsindustrie, und Weinstein ist schon am Ende: In dieser Neuinszenierung der chinesischen Kulturrevolution muss nur noch der Parteichef zeigen, dass er sofort bereit ist, seinen alten Freund hinzurichten. Freundschaft, Verdienst und Zuneigung – ist es nicht denkbar, dass Weinstein neben ein den mutmasslichen Vergehen auch ein netter Kerl ist, den man aus einer subjektiven Betrachtung heraus mögen kann? – gelten nichts mehr. In diesem liberalen Amerika kann jeder der nächste sein. Rücksichten gibt es keine, dafür jede Menge neue Beschuldigungen gegen Abweichler von der reinen Lehre. Angesichts des Umstandes, dass die realen Bedingungen in Hollywood keinem feministischen Streichelzoo entsprechen, kann das noch lange dauern, und viele werden sich noch in Selbstkritik von anderen öffentlich distanzieren müssen.

Wie so ein moralisch fragwürdiges und skandalerschüttertes Lager dann den Amerikaner erzählen will, sie hätten eine bessere Alternative zum unmoralischen Trump, und man sollte doch zu ihnen rüber kommen, wo es doch so menschlich und liebevoll zugeht, so offen und rein und frei von allem Bösen – nun, das wird sicher eine gewisse Herausforderung, kaum kleiner als der Skandal um die Nominierung Clintons durch die Partei, die Bernie Sanders mit schmutzigen Methoden verhindern wollte. Trump hat fraglos seine Fehler, aber seine Wähler empfinden das als kantig, authentisch und kraftvoll. Sie mögen es, wenn er dem republikanischen Establishment Druck macht. Die Gegenseite ist dabei, das ohnehin schon nach den Wahlen beschädigte Ansehen der Medien und Kulturbranche weiter zu ruinieren. Jezebel erkennt das Problem sogar, macht aber einfach weiter, auch wenn die Demokraten dabei frontal angegriffen werden. Aktivistinnen dieser Sorte kümmern sich nicht um langfristige strategische Ziele, sondern um maximalen Schaden für jeden, den sie für einen Gegner halten. Das Lager der Trumpgegner zerfällt in moralischen Tugendterror und genüsslich inszenierte Autodafes, während die Anhänger Trumps noch eine Dose Bier aufmachen und Magazin der AR-15 verballern, und ihre Frauen am Grill stehen, Fleischbrocken braten und dem Radioprediger zuhören.

Noch 7 Jahre.

Mindestens.

11. Okt. 2017
von Don Alphonso

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28. Sep. 2017
von Don Alphonso

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87% Entgrenzer, die sich wie 12,6% AfD benehmen

Eine mutmassliche, 4 Jahre alte E-Mail von Alice Weidel mit negativen Einlassungen zu Migranten, die Ankündigung von Alexander Gauland, man werde Merkel “jagen”: Die Entgrenzung der Sprache ist eine der Verhaltensweisen, die der AfD besonders angekreidet werden. Es müssten noch nicht einmal die unerträgliche Wortwahl des früheren mecklenburgischen Landtagsmitglieds Holger Arppe sein, die antisemitischen Thesen von Wolfgang Gedeon oder die Fehlleistungen der Partei in der Provinz. Die Erfahrung, dass der Gewalt der Tat die Gewalt der Worte voraus geht, ist eine Grunderkenntnis im Umgang mit radikalen und extremistischen Strömungen, egal welcher ideologischen Prägung. Es ist kein Wunder, dass Medien genau hinschauen, ob sich bei der AfD die typischen Denk- und Sprachmuster der Menschenfeindlichkeit finden. Man kennt das aus der Geschichte: Ethnisch motivierter Geschichtsrevisionismus, um anderen die historische Legitimation zu entziehen, gefolgt von genereller Abwertung von Gruppen aufgrund ihrer Herkunft und ihres sozialen Status. Diese Menschen werden verbal entmenschlicht, jeder Wert wird ihnen pauschal aufgrund ihrer Herkunft abgesprochen, und sie werden mit Müll gleichgesetzt. Das mündet dann von der Gewalt der Sprache in die Gewalt der Tat, und besonders gefährlich wird das – wir wissen es aus der Geschichte des Nationalsozialismus – wenn Bewegungen zu diesem Zweck auch noch ihre eigenen Hasspostillen betreiben, deren Zweck die Verfolgung der politischen Gegner ist.

Über die AfD wird viel gestritten, aber ich denke, bei diesen Punkten kann man sich einig sein: Es wird gefährlich, wenn es nicht mehr um politische Argumente und Lösungen für das Land geht, sondern um die verbale Ausgrenzung der Feinde, die Verleumdung ihrer Geschichte, Herkunft und ihres sozialen Umfelds, das in Kollektivhaftung genommen wird. Nur ein Bruchteil der Anhänger des Islam in Deutschland hängt islamitischen Thesen an, nur ein Teil der hier lebenden Türken, weit weniger als die Hälfte hat für Erdogan gestimmt, so wie auch nur ein geringer Teil der in Deutschland lebenden Polen überwiegend Sozialleistungen bezieht. Wir passen als Journalisten genau auf, dass aus Einzelfällen von Vergewaltigung und Terror kein ungerechtfertigter Generalverdacht gegen Flüchtlinge entsteht. Das deutsche Bemühen um Ehrlichkeit vor der eigenen Geschichte sorgt, wenn schon nicht für Reparationen, so doch für die Umbenennungen von Kasernen und Strassen mit schönen und kostenneutralen Worten, um zu zeigen, dass wir aus der Vergangenheit gelernt haben und das mit dem “Nie wieder” ernst meinen. Kein Wunder also, wenn aus dem Wahlerfolg der AfD nun die Bewegung 87% erwächst, die die Reihen fest im Kampfe gegen rechts schliessen möchte.

Formal, von meiner Wahlentscheidung her, gehöre ich auch zu diesen 87%, aber mir fällt dann immer der Satz von Frederick Douglass ein “Freedom is a road seldom traveled by the multitude”. Ausserdem wurde in Deutschland früher schon oft geschlossen marschiert, und wenn ich mich nicht ganz täusche, ging das öfters eher schlecht aus, so schlecht, dass heute öfters “Nie wieder” gesagt wird. Zumindest würde ich schon gern wissen, mit wem ich da marschieren soll, und daher habe ich mich einmal bei internetaffinen Vordenkern dieser Marschrichtung aus Medien, Politik und Gesellschaft umgeschaut. Die frühere taz- und jetzige Zeit-Autorin Mely Kiyak etwa schreibt einen Beitrag mit dem Titel “Nie wieder “Nie wieder””, der sich wütend mit dem Einzug der AfD und ihrem deutschen Wählerpotenzial auseinander setzt, und behauptet dabei über die BRD und ihre frühere Migrationspolitik [https://www.zeit.de/kultur/2017-09/afd-bundestagswahl-rassismus-deutschland-deutschstunde/komplettansicht]:

Da bin ich offen gesagt gestolpert, denn wenn man recherchiert, ist Frau Kiyak mit dieser Einschätzung der Gastarbeiter und der politischen Hintergründe doch recht einsam. Der Wiederaufbau war Anfang der 60er Jahre weitestgehend abgeschlossen, als die Deutschen Verträge über Gastarbeiter eingingen. Im Hintergrund standen neben einem gewissen Mangel an Hilfsarbeitern einerseits NATO-Bündnisverpflichtungen und andererseits die Erwartung, man könnte so die Löhne niedrig halten. Ausserdem wollte man die Wanderungsbewegungen, die sich damals schon in einigen ärmeren Regionen der Herkunftsstaaten selbst gebildet hatten, formal kontrollieren. Bei anderen Autoren könnte man noch vermuten, dass sie ihre Bildungsferne zu solchen Einschätzungen bringt. Aber bei Frau Kiyak muss man wohl davon ausgehen, dass es eine Form der Delegitimierung der deutschen Vorfahren ist, die man auch von biedermännischen Brandstiftern in die andere Richtung kennt.

So steht es in einem deutschen Leitmedium, das Frau Kiyak nun schon seit Jahren jede Möglichkeit lässt, ihre Kritik an den Deutschen – und hier durchaus pauschal und undifferenziert – vorzutragen. Das ist übrigens – meines Erachtens – das Schöne an diesem Land: Trotz Heiko Maas und dem Wirken der Stiftung der Ex-Stasi-IM Anetta Kahane ist es dank Meinungsfreiheit auch möglich, Geschichtsklitterung mit gruppenbezogener Menschenverachtung zu veröffentlichen. Aber neben Frau Kiyak marschieren? Vielleicht gibt es auch noch freundlichere Vertreter der 87%-Bewegung. Ein anderes Leitmedium, hier der “freies, tolerantes Deutschland”-SPON-Leitartikler Hasnain Kazim bei Twitter:

Das kann man insofern über Ostdeutsche leicht sagen, als Ostdeutsche damals tatsächlich, sofern verfügbar, einen Trabant fuhren. In meiner Geburtsstadt im tiefen Westen dagegen dagegen hat man 1990 so Autos wie den Audi Quattro S1 gebaut, ein Monster mit 650 PS, und heute ist hier die AfD nicht viel hinter dem ostdeutschen Schnitt: Es würde sich aus Sachgründen vermutlich verbietet, Kazims despektierliche Äusserung über den Trabant bei uns anzuwenden. Kazim würdigt “die Ostdeutschen” mit dem Trabbi herab, obwohl die Ostdeutschen schon damals Gefangene einer alternativlosen Politik waren. Es wählen aber nicht “die Ostdeutschen” AfD, sondern nur 21,5%. Herr Kazim nimmt für sich in Anspruch, “das Volk” und die “87%” zu sein. Dem ostdeutschen Volk gesteht er dagegen nicht zu, dass es dort auch eine überwältigende Mehrheit von 78,5% gegeben hat, die so wenig AfD wie seine 87% gewählt haben. Der Glaube, dass man andere Menschen aufgrund ihres Automobils beurteilen kann, ist eher eine unfeine Einstellung von Spiessern, und die Ablehnung von Menschen aufgrund ihres Geburtsortes heisst gemeinhin “Rassismus”.

Und die Kollektivhaftung von Menschen einer bestimmten Herkunft für etwas, das andere getan haben, ist auch eher ein Zeichen ethnisch geprägten Hasses. Auch hier muss man sagen: Es ist in Deutschland legal, ganze Landstriche abzulehnen, nur weil dort eine Minderheit in einer freien, demokratischen Wahl sich für eine Partei entschieden haben, die nach gängigen Kriterien des Verfassungsschutzes weder rechtsextrem noch staatsfeindlich oder gar antidemokratisch ist. Man kann das trotzdem dank Meinungsfreiheit tun, genauso, wie bei der AfD viele ähnliche konstruierte Vorurteile gegen Muslime, Araber, Afrikaner und andere Gruppen haben, die pauschal für das Fehlverhalten einiger weniger verantwortlich gemacht werden. Aber warum sollte ich bei 87% mitmarschieren, deren Mitglieder auch nicht anders als 12,6% argumentieren? Es wäre in diesem Kontext erbaulich, könnte man in solchen Formationen auch Partner finden, die einen gemässigten Zugang haben, aber auch da wurde ich in Form des Kommunikationschefs des Erzbistums Köln enttäuscht:

Sie sehen, die 87% können auch noch weiter gehen, und bieten Land und Leute im Tausch gegen Atommüll an. Scherzhaft natürlich. Satire darf bekanntlich alles. Vor ein paar Wochen wurde Gauland noch vorgeführt, weil er das Wort “entsorgen” benutzte – jetzt sind wir bereits so weit, dass man lieber Atommüll als unliebsame Menschen möchte, die übrigens auch in Sachsen in ihrer Mehrheit nicht die AfD gewählt haben. Und schon vor der Wahl schrieb der von den Piraten zur SPD gewechselte Nachwuchs-Politiker Christopher Lauer bei Twitter:

Also, die deutschen Väter waren unfähig, und die gegenwärtigen Deutschen, speziell im Osten, muss man wegen ihrer Herkunft nicht ernst nehmen, man kann manche für Atommüll eintauschen und die britische Luftwaffe wären hier auch keine schlechte Sache. Beim weiteren Rundgang durch die Truppen der besseren 87% des Volkes, in dem solche Meinungen heimisch sind, fand ich auch noch das Verlangen, dass Antifaschismus Alltag werden müsste. Margarete Stokowski schreibt dazu im Leitmedium Spiegel Online einen Spruch, den ich persönlich nur aus dem Kontext militanter Linksextremisten kenne [https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/afd-im-bundestag-antifaschismus-muss-jetzt-alltag-werden-kolumne-a-1169921.html]:

“Antifa bleibt Handarbeit”, das weiss jeder, der sich schon einmal mit dem Thema, und sei es nur mit einer Googleabfrage beschäftigt hat, ist gemeinhin eine verklausulierte Aufforderung, es nicht bei Worten zu belassen, sondern gewalttätig zu werden. In der Hinsicht hat SPON bereits eine gewisse, traurige Bento-Tradition. Nun steht ein Aufruf gegen konkrete Personen – unter ihnen 94 durch die Immunität geschützte Parlamentarier und demokratisch gewählte und legitimierte Volksvertreter – ganz offen im Netz. Es liegt in der Natur der Demokratie, dass man nicht alle Abgeordnete schätzt. Aber die Autorin, die auch schon mal darüber spekulierte, ob man politische Gegner mut Falschanzeigen zur Strecke bringen könnte, begrenzt die Absicht der Debatte nur auf die AfD-Wähler. Den Partei- und Volksvertretern will sie mit “Handarbeit” “nachhaltig auf die Nerven” gehen. Wie das aussehen kann, sah man schon bei den angeblich spontanen Demonstrationen am Wahlabend, die schon vor mehreren Wochen überhaupt nicht spontan vom militant-autonomen Bündnis NIKA unter dem Motto “Die AfD Wahlparties crashen” angekündigt wurden.

Antidemokratisch, staatfeindlich, rassistisch, menschenverachtend, Kollektivhaftung, “Handarbeit”aufruf, geschichtsrevisionistisch, hasserfüllt, was fehlt noch? Ach so, eine Presse, die sich zweckgebunden verpflichtet sieht, den Gegner fertig zu machen. Neben den grossen Playern in diesem Feld kann man solche Dienstleistungen des publizistischen Charaktermordes auch als Angehöriger der 87% gezielt mitfinanzieren: Das Netzwerk Correctiv, das früher schon durch fragwürdige Methoden aufgefallen ist, bettelt um Spenden, damit man “Rechtsextremisten” entlarven könnte:

Das sind also diese 87%. Nicht alle natürlich, man darf das nicht verallgemeinern, manche machen sicher nur aus edelsten Motiven mit, es sind sicher viele besorgte Bürger dabei, und es wäre auch nicht fair zu fragen, ob es angesichts der Beispiele nicht auch so eine Art migrantischen Rassismus gegen Deutsche gibt: Die Aussagen kommen so von Deutschen jeder Herkunft, wie auch bei der AfD Deutsche und Menschen mit Migrationshintergrund sprachliche Entgrenzung betreiben. Das ist alles nicht schön, das ist doch alles sehr ähnlich, und auch, wenn es überall viele andere geben mag: Diese Lauten und Drastischen – sie sind bei beiden Bewegungen die Wort-, Meinungs- und Entgrenzungsführer.

Ich habe eine Aversion gegen Führer. Ich bin keine Prozentzahl, ich bin Zivilist. Marschieren Sie bitte ohne mich.

28. Sep. 2017
von Don Alphonso

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23. Sep. 2017
von Don Alphonso

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Der Nazivorwurf und sein Beitrag zum Sieg der Rechtspopulisten

Es gibt Geschichte, die keinen stört, egal wie grausam sie ist. Wer seinen Tee aus einer massiv silbernen Kanne des Empire trinkt, kann davon ausgehen, dass das Basismaterial unter menschenmordenden Bedingungen in Mittelamerika in Potosi und anderen Gruben gewonnen wurde. Die Menschen wurden da auf übelste Weise verheizt, und nachdem man die indigene Gesellschaft ausgerottet hatte, importierte man für diesen Zweck Sklaven. Wer seinen Tee aus einer massiv silbernen Kanne des edwardianischen Zeitalters, also vom Beginn des 20. Jahrhunderts trinkt, hat gute Chancen, dass das Silber immer noch aus Potosi kam, aber für den Handel mit China verwendet und später durch den Einfuhr von Opium und anderer Güter des britischen Imperiums auf hässliche Art zurück geholt wurde. Man kann diese Geschichten überzeugten Linken über diese Teekannen hinweg erzählen, ohne dass sie fordern, man möchte doch bitte den Tee aus einer Rosenthalkanne servieren.

Das Empire ist historisch betrachtet weit weg, Potosi ist weit weg, das edwardianische Zeitalter hat kein heute noch lebender Mensch bewusst erlebt, und so ist es auch nicht erstaunlich, dass niemand den Abriss meines Hauses fordert, von dem aus der Katholizismus nach der Lutherketzerei erneut im Boden des Deutschen Reiches mit Wort und Krieg verankert wurde. Denn auch der 30-jährige Krieg und die Theologie der Jesuiten ist lange her, und niemand geht davon aus, dass die Bücher der Gesellschaft, die ich hier sammle, mich irgendwie beeinflussen würden. Hin und wieder übe ich mein Latein daran, aber das bringt mich nicht dazu, mich auf offener Strasse zu geisseln, wie das Bürger der Stadt hier vor 250 Jahren zum grösserem Ruhme Gottes und zur Ergötzung der Jesuiten noch taten. Auch der Gebrauch von Silberkannen bedeutet nicht, dass ich deshalb die Wiedereinrichtung von Kolonien fordern würde – selbst wenn eine dieser Kannen laut Inschrift in einem Kolonialregiment verschenkt wurde.

Und ich kann das hier auch ganz offen schreiben – niemand bei einem Konkurrenzblatt wird auf diesem Bekenntnis einen Skandalartikel über mich verfassen. Es ist zu lange her, es hat vielleicht noch eine historische, aber keine aktuelle, moralische Dimension mehr. Ich schreibe diese Geschichten an gebraucht gekauften, veralteten EEEPCs, währen die Geschíchten vieler Autoren heute an brandneuer Markenware von Apple entstehen, mit denen Zeitgenossen in China wie im Kolonialismus ausgebeutet werden. Wenn ich darüber schreibe, dass sie es tun, regt sich auch keiner auf – denn alle tun es. Wir haben uns mit gewissen Formen des Unrechts arrangiert und uns auf andere, beklagenswerte Formen des Unrechts geeinigt. Der Muslim bewirft einen Felsbrocken bei Mekka mit Steinen, der Deutsche findet das ultimativ Böse, mit gutem Recht, in der Zeit des Nationalsozialismus. Von 1933 bis 1945.

Wenn meine Grossmtter, die sich in der Stadt blendend auskannte, über jemanden sagte “Des is a Nazi”, dann meinte sie, das ist ein früheres Mitglied der NSDAP, das heute immer noch revisionistischen Gedanken nachhängt. Wenn sie sagte “Der war bei der Partei”, war es auch nicht schön, weil derjenige eben bei der Partei war, aber eben nur bis 45 und danach nicht mehr. Bei der Partei und ihren Unterorganisationen waren viele, und sie starben im Laufe der Jahrzehnte alle weg. Wer 1944 noch Mitglied der Partei werden wollte und über 18 war – was man als Jugendsünde in einer verblendeten und verhetzten Epoche sehen kann – ist heute mindestens 91 Jahre alt.

Echte Nazis im Sinne der NSDAP-Weiterführung gibt es nicht mehr, wie es auch keine echten Nazijäger mehr gibt. In den 40ern gab es die Nürnberger Prozesse der Alliierten, in den 60ern wurde Auschwitz gegen den Widerstand vieler Deutscher juristisch halbwegs aufgearbeitet, in den 80ern beschäftigte man sich unter Protesten und nicht freiwillig mit der Rolle der Wehrmacht, und in diesem Jahrzehnt kann es jemanden passieren, dass er wegen einer subalternen Rolle am Rande des Grabes noch einmal für Taten zur Rechenschaft gezogen wird, die er nach heutigem Verständnis unter Jugendstrafrecht begangen hat. Rückblickend muss man beim Blick auf die Karrieren deren, die Nazis oder bei der Partei waren, leider sagen: Man hat viele, viel zu viele laufen und wieder nach oben kommen lassen. Aber die sind zumeist tot, wie auch jene, die ihren Wiederaufstieg zugelassen haben. Und weil sie alle tot sind, geht man auch kein Risiko mehr ein, wenn man sie kritisiert. Das macht die Nazijagd 72 Jahre nach Ende des Krieges auch so beliebt.

Die letzte grosse, überregionale Jagd auf Nazi fand letzte Woche bei der SZ mit hohem Belastungseifer auf kleinem Anlass statt. Da hatten es zwei Kapellen aus Tirol gewagt, beim Trachtenzug in München beim Oktoberfest einen Marsch des Komponisten Sepp Tanzer zu spielen. Der hatte den “Standschützen-Marsch” 1942 auf Basis eines alten Volkslieds der k.u.k.-Monarchie komponiert und dem damaligen Gauleiter in Tirol gewidmet. Auch sonst findet man zu Tanzer bei Wikipedia einiges Unschönes, was vermutlich die Basis des Beitrags in der Süddeutschen Zeitung ist. Man liest bei Wikipedia, dass Tanzer einmal für Hitler dessen Lieblingsmarsch dirigierte, und es gibt den Verdacht, dass er auch nach 1945 Codes der Nazis in seiner Musik versteckte. Beschäftigt man sich tiefer mit der Person, kommt freilich heraus, dass er auch schon bis 1938 den Austrofaschisten diente, und am 1. Mai 1946 dann hinter der rotkommunistischen Fahne marschierte. Natürlich ist der Standschützenmarsch belastet, denn die Tiroler Schützen wurden von den Nationalsozialisten vereinnahmt und mit derartigem Liedgut propagandistisch benutzt. Das betraf aber nicht nur Sepp Tanzer, sondern auch alle Blasmusikkapellen und Trachtenvereine. Und nicht nur in Tirol, sondern im ganzen Reichsgebiet.

Tirol ist da ein Sonderfall, weil diese Form des Brauchtums immer einen hohen Stellenwert im Land hatte, und bis heute eine Stütze der dort regierenden ÖVP ist. Deshalb hat man sich lange, sehr lange nicht mit der Geschichte befasst. Tanzer und ähnlich engagierte Parteimitglieder stiegen nach dem Krieg wieder auf, komponierten fleißig weiter, und würde man heute jedes Musikstück aussortieren, das von einem dieser Herren komponiert würde, bliebe nicht viel übrig, was bei Schützenaufmärschen noch spielbar wäre. Das Vertuschen ist übrigens keine Tiroler Spezialität – in München zum Beispiel verliert die SZ auch kein Wort darüber, dass der Einmarsch der Festwirte auf dem Oktoberfest in seiner heutigen Form auf das Jahr 1935 und Parteirepräsentation zurückgeht. Die Zillertaler Musikanten, die Tanzer gespielt haben, hatten nur das Pech, dass gerade an diesem Stück und diesem Komponisten eine innertiroler Debatte um die NS-Zeit geführt wird – auch, weil manche ein Interesse daran haben, die im Land verankerte ÖVP und die angeschlossenen Gruppierungen schlecht aussehen zu lassen. Und was im Zillertal beim Fest eines Jubilars noch möglich ist, oder bestenfalls kritisch gesehen wird, wird in München unter den strengen Vorgaben und Netzrecherchekünsten der SZ zum Naziskandal. Auch wenn der Marsch nicht verboten ist. Sollte beim Trachtenmarsch oder auf dem Fest übrigens der höchst beliebte Marsch “Gruss an Oberbayern” gespielt worden sein – der hiess früher “Gruss an den Obersalzberg“.

Diese auch in Österreich gepflegte Form der undifferenzierten Auseinandersetzung an symbolischen Beispielen hat mit ihrer teilweise extrem verbissenen Form übrigens nicht dazu geführt, dass sich die FPÖ als Nachfolger der Nazis oder die ÖVP als Nachfolger der Austrofaschisten unter die 5%-Marke drücken ließen. Diese Marke droht momentan eher den dortigen Grünen, die verdienstvoll Jahrzehntelang am Lack des angeblich ersten Opfers der Nazis gekratzt und all die hässlichen Geschichten von den wilden “Arisierungen” über die “Aktion T4” mit Beteiligung eines späteren SPÖ-Mitglieds bis zu den Kriegsendverbrechen  in der Debatte gehalten haben. ÖVP und FPÖ haben gemeinsam den Eurofighterskandal zu verantworten, Haiders BZÖ hat das Land mit der Hype-Alpe-Adria an den Rand der Insolvenz gebracht – und trotzdem stehen die beiden Parteien mitsamt ihrer Vorgeschichte vor Wahlsiegen. Man könnte also durchaus zum Schluss kommen, dass fast schon rituell vorgetragene Nazivorwürfe aus dem roten Wien ins schwarze Tirol und in andere ländliche Regionen allein nicht ausreichen, um Gegner wirksam zu bekämpfen: Sie nützen sich ab, und die andere Seite spielt vielleicht ab und zu einen belasteten Marsch, gewinnt aber die Wahlen.

In Österreich kennt man das, in Deutschland wird man das System auch morgen vielleicht verstehen lernen. Wenn die Beschimpfung einer Partei mit großzügig historisch ausgeweiteten und belasteten Begriffen etwas bringen würde, dürfte die AfD morgen auf keinen Fall mehr als 5% erhalten. Wenn sie es doch tut – und dafür spricht momentan alles – muss man davon ausgehen, dass diese Zuschreibung nicht mehr funktioniert. Es ist auch nicht sonderlich überraschend, wenn “Nazi” schon bei einem Musikstück beginnt, das weder “Bomben auf Engelland” fordert, noch davon erzählt, dass der Panzer ein eisernes Grab werde, sondern in seiner Blasmusikform wie jedes andere ein austauschbare Stück kitschige Pseudoheimatmusik klingt. Niemand wird heute beim Anhören des schmissigen Gedudels rechts indoktriniert. Nicht einmal im Forum des linksliberalen Standard gibt es für die deutsche Einschätzung ungeteilte Zustimmung. Aber der Beitrag “Zillertaler Musikanten spielen von einem bestenfalls mittelprominenten Anpasser mit allenfalls regionaler Bedeutung, der hinter jeder Fahne lief, solange es ihm half, blöderweise gerade den einen einzigen Marsch, der in einer innertiroler Debatte aufgearbeitet und jetzt kritisch gesehen wurde, aber bis vor 10 Jahren kaum einen gejuckt hat, und der vermutlich schon hundertmal auch in München gespielt wurde, nur hat es damals keiner gemerkt, und unsere eigenen braunen Seppl haben wir auch noch nicht voll aufgearbeitet” würde wohl kaum geklickt werden. Nazi muss sein, um moralische Relevanz und Aufmerksamkeit zu erreichen. Rechtspopulistisch zieht nicht mehr, Rechtsradikal zieht nicht mehr, “Nazi-Schlampe” ist auch durch den NDR schon verbraucht, also muss es jetzt der Nazi-Marsch sein, damit noch Aufmerksamkeit erzeugt wird. Moralische Überlegenheit wird nicht mehr durch historisch-kritische Analyse und Differenzierung erreicht, sondern durch maximal belastete Vorwürfe.

Es ist wenig überraschend, wenn das auf der anderen Seite nicht mehr ernst genommen wird. Und es hilft der anderen Seite, weil mit der Aufbauschung von Lappalien zum Nazi jeder andere, der sich ernsthaft mit Fragen von Rechtspopulismus auseinander setzen will, bei dem Gebrüll in maximaler Lautstärke nicht mehr durchdringt. In Bayern plakatiert die AfD möglicherweise durchaus zutreffend, dass Franz Josef Strauss die AfD und nicht die CSU gewählt hätte. Die 80er unter Strauss, die ich selbst noch erlebt habe, waren schlimm und bedrückend genug. Es ist eine Epoche, in die auch die CSU aus guten Gründen nicht zurück möchte: Bigott, brutal, zynisch und bis ins Mark korrupt. Damals war die CSU noch eine Staatspartei, die sich alles leisten konnte. Da müsste, da könnte man ansetzen, da gibt es genug, was man dieser neuen Partei und ihren Zielen vorhalten könnte – selbst wenn man in dem ein oder anderen Punkt zugestehen müsste, dass nicht jeder Aspekt dieser Epoche grundfalsch war und differenziert betrachtet werden muss. Das würde aber bedeuten, dass man auf eine Sachebene zurück kehrt und sich einer Diskussion stellt, die keine absolute Moral mehr kennt.

Wir schaffen das durchaus sachlich bei Teekannen aus Mördersilber, bei Produkten von Apple, bei der katholischen Kirche und beim Raubbau in der Dritten Welt, und ziehen ohne demonstrative Empörung die richtigen Schlüsse. Aber bei der AfD ist es den Medien gelungen, diese Wahl durch den moralischen Anspruch auch zu einem Plebiszit über ihre eigene Glaubwürdigkeit zu machen, und ich fürchte, wir werden dieses Plebiszit am Sonntag krachend und nicht ohne eigene Schuld verlieren.

23. Sep. 2017
von Don Alphonso

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18. Sep. 2017
von Don Alphonso

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Der neueste Oktoberfestlügenhit

Die Zeiten für Menschen ohne eindeutige parteipolitische Haltung sind hart: Ist man in sozialen Netzwerken etwas bekannter, und sagt man recht offen, dass man Gauland und seine Aussagen zur Wehrmacht wie auch seine ganze Partei massiv ablehnt, kommt einer daher und nennt einen Volksverräter, weil man sich für die AfD zu fein sei: In meinem Fall hat das der inzwischen gesperrte Account @felixaustria97 gemacht. Ist man aber auch regierungskritisch, und auf dem Höhepunkt der Debatte um das NetzDG und die damit verbundene Zensur durch die Regierung von Heiko Maas und Angela Merkel froh, dass man leicht nach Österreich radeln kann, meldet sich ein @littlewisehen und unterstellt mir gleich, ich hätte Probleme, in einem Rechtsstaat zu leben.

Nun ist littlewisehen kein gesperrter Nutzer, obwohl er mittlerweile schon länger damit auffällt, Andersdenkenden Sprachvorschriften zu machen, ihnen schlechte Eigenschaften nachzusagen oder ganz generell vieles anzugreifen, was seiner klar linken Haltung nicht ins Konzept passt. Hinter dem Kürzel steckt angeblich ein Wirtschaftsblogger und Anwalt, dessen Namen leicht festzustellen ist, aber wer weiss das schon? littlewisehen hat seinen Nutzern auch schon mal ein phantastisches Bild vom Tegernsee gezeigt und behauptet, er werde sein Wochenende hier verlängern:

Als Einheimischer wundert man sich über die frappierende Ähnlichkeit mit einem Bild aus dem Archiv der bekannten Webcam des Wallbergkircherls. Fast könnte man denken, die obere Leiste mit den Herkunftsangaben wurde für Twitter einfach abgeschnitten. Eine gewisse Vorsicht ist also angesagt, egal ob @felixaustria97 vor seiner Löschung den Grünen kinderschänderische Neigungen nachsagte, oder littlewisehens Thesen im Netz massiv verbreitet werden. Gestern war es mal wieder so weit: Er hat mit seiner Behauptung, die AfD würde in Sachen Oktoberfest lügen, einen Viralhit gelandet. Hintergrund ist ein AfD-Plakat, das behauptet “Oktoberfest: Gähnende Leere”. Littlewisehen setzt eine Pressemeldung vom ersten Wiesnwochenende dagegen und schreibt: Und wieder lügt die #AfD. Am ersten Wochenende kamen rund 100.000 mehr (!) als im Vorjahr, trotz ekelhaftem Wetter.

Auf der Welle reitet auch die BILD-Politik-Redakteurin Miriam Hollstein, die zur AfD “Weg mit den Fakten” sagt

Da kann das öffentlich-rechtliche Fernsehen in Form von Quer/BRmit einer Fake News Behauptung natürlich auch nicht zurückstehen:

“Unfassbar, wie die AfD lügt”, titelt ein weiterer Internetaktivist:

Und auch der SPD-nahe Twitter-Account Deine SPD behauptet, es sei der erfolgreichste Oktoberfeststart seit Jahren gewesen, und bezichtigt die AfD der Wiesn-Lüge:

Nun ist nicht von der Hand zu weisen, dass 2016 tatsächlich am ersten Wochenende beim strömendem Regen rund 500.000 Besucher den Weg zum Fest fanden, und dieses Jahr rund 100.000 mehr gezählt wurden. Aber die Frage ist: Was bedeutet das wirklich für die Wiesn?

2016 war für das Fest ein Jahr des drastischen Rückgangs der Besucherzahlen am ersten Wochenende. So schlecht war es in den ganzen letzten 10 Jahren nicht mehr, und tatsächlich wurde die Situation damals wörtlich mit “gähnender Leere” im Focus und bei der Welt umschrieben. Das einzig vergleichbar schlechte Jahr seit 2000 war 2001 – direkt nach den Anschlägen auf das World Trade Center. So gesehen sind 100.000 Besucher natürlich etwas mehr, und wenn letztes Jahr unter anderem wegen der Furcht vor Terror, sexuellen Übergriffen und massiven Sicherheitsvorkehrungen tatsächlich noch weniger los war, bedeutet der Anstieg noch lange nicht, dass das Fest gut oder auch nur ausreichend besucht wäre.

Das zeigt sich, wenn man nicht nur das absolute Horrorjahr 2016 mit der leichten Verbesserung 2017 vergleicht, sondern das ganze letzte Jahrzehnt. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, das zu tun, was littlewisehen, Miriam “Weg mit den Fakten ” Hollstein, Quer “Fake News” vom BR und Deine “der erfolgreichste Oktoberfeststart seit Jahren” SPD entweder nicht verstehen oder bewusst verschweigen.

2017: 600.000
2016: 500.000
2015 1.000.000 trotz durchwachsenem Wetter
2014: 1.000.000 trotz miserablem Wetter
2013: knapp 1.000.000
2012: 850.000 bei einem völlig verregneten Wochenende
2011: etwas unter 1.000.000 bei miserablem Wetter
2010: 900.000 bei kalter Witterung
2009: 1.000.000 bei schönem Wetter
2008: 1.000.000 bei einer richtigen Regenwiesn
2007: über 1.000.000 bei schönstem Wetter

Soviel zu “der erfolgreichste Oktoberfeststart seit Jahren”, den Deine SPD ins Internet lügt.

Betrachtet man also nicht nur den Extremwert vom letzten Jahr, sondern die tatsächliche Entwicklung und das Mittel der letzten 10 Jahre, und stellt man in Rechnung, dass für das erste Wochenende in den Medien nun Wörter wie “ruhig” und “entspannt” benutzt wurden, ist eigentlich klar, dass die Liebe zur Wiesn im Gegensatz zur zitierten SZ-Behauptung allenfalls sehr langsam wiederkommt. Die Zahlen sind ein Schlag ins Kontor – 300.000 bis 400.000 weniger Besucher am ersten Wochenende sind in der langfristigen Perspektive, und auf die gesamte Wiesn mit teilweise über 6 Millionen Bersucher bezogen, allein schon 5% weniger Besucher. Auf das Wochenende berechnet bleibt die Zahl 30-40% hinter den langfristigen Erwartungen zurück.

Möglicherweise hat es auch etwas damit zu tun, dass in Bayern wegen der Terrorangst und unlösbarer Sicherheitsprobleme die Sandkerwa in Bamberg abgesagt werden musste, und die Kirchweih in Hirschaid bei Bamberg letzte Woche kurz vor dem Abbruch stand, weil eine grössere Gruppe von Migranten Streit und sexuelle Übergriffe verursachten.

Die gähnende Leere, die die AfD erkennen will, ist Ansichtssache im Rahmen der Meinungsfreiheit – nicht mehr ganz so gähnend wie 2016, aber auch unabhängig vom Wetter immer noch zu wenig Besucher. Die 100.000 mehr, die Aktivisten, Medienvertreter und Parteienunterstützer im Chor als Argument gegen angebliche Lüge und Fake News vorbringen, reichen aber kaum aus, den massiven Rückgang zu erklären, der das Oktoberfest nach der Migrationskrise und der Offensive des islamistischen Terrors in Europa nun zum zweiten Mal trifft – zur Erinnerung: Der Wiesnauftakt wurde von einem Anschlag in London und einer Messerattacke in Paris überschattet. Egal ob der Lügenvorwurf durch die SPD-Freunde oder die “weg mit den Fakten”-Faktenfreiheit der BILD-Redakteurin oder die Fake News Phrase der Öffentlich-Rechtlichen: Im Wahlkampf zählt die ganze Wahrheit nicht besonders. Für Hunderte von Nutzern reicht in der Endphase eine Behauptung ohne jede tiefere Recherche durch einen Netzaktivisten völlig aus, um sie ungeprüft zu verbreiten – Hauptsache, die AfD kommt dabei als unglaubwürdig rüber. Das ist auch nicht besser als das ungeprüfte Verbreiten von AfD-Plakaten.

An der Erkenntnis, dass 600.000 Besucher am ersten Wiesenwochenende auch nach dem letzten Jahr immer noch eine äußerst schlechte Auslastung eines Festes sind, das spielend leicht mehr als 1 Million Besucher aufnehmen kann, führt kein Weg vorbei. Würde man sich ernsthaft nach den Gründen fragen, und etwaige Sorgen der Menschen ernst nehmen, statt sie mit Hinweis auf das geringe Allgemeinrisiko und ein paar Besucher mehr abzuwimmeln, hätte es die AfD mit derartigen Plakaten vielleicht weniger leicht, die Wähler anzusprechen. Es mag neben der Angst auch weitere Gründe geben: Die hohen Preise auf dem Fest oder ein generelles Ende des Wiesn-Hypes. Mit der die Realität negierenden Methode von littlewisehen überzeugt man vielleicht andere Twitteraktivisten. Aber kaum jemand, der sich wirklich Sorgen macht, fühlt sich vermutlich von diesem gleichtönenden Netzkonglomerat aus Medien, Parteien und Aktivisten ernst genommen. Und die AfD kann sich dank der fragwürdigen Zahlentrickserei mal wieder als Opfer einer Verschwörung der Medien präsentieren.

Nach der Wahl werden viele dann fordern, man müsste den Menschen endlich wieder besser zuhören, und Schuldige am Debakel suchen. Fake News, russische Hacker, nicht linientreue Journalisten – aber auf keinen Fall das eigene Versagen.

18. Sep. 2017
von Don Alphonso

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14. Sep. 2017
von Don Alphonso

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Wie der NDR die Medienkritik der AfD bestätigt

„Das Schlagwort »Lügenpresse« und seine Varianten »Lückenpresse«, »Pinocchiopresse«, »Regierungspresse« verweisen auf die Erzählung, die etablierten Medien würden nicht die Wahrheit über Geschehnisse im In- und Ausland berichten. Hinter diesem Schlagwort steht auch die Annahme, dass die Presse durch die Politik gesteuert sei, um die Bevölkerung zu manipulieren.“

So steht es in der neuesten Broschüre der Stiftung der Ex-Stasi-IM Anetta Kahane, die sich mit “toxischen Narrativen” der “rechts-alternativen Akteure” beschäftigt. Die Autoren der Broschüre erklären, dass es noch nicht illegal ist, kritische Erzählungsstrukturen über Medien, Politik und Migration zu verbreiten, und kritisieren, dass einige mehr oder weniger rechte Akteure konsequent relevante thematische Schwerpunkte setzen und dauerhaft Kritik vortragen. Gleichzeitig macht die Stiftung erneut das, was beim “Neue Rechte”-Wiki aus dem gleichen Haus krachend gescheitert ist: Unter dem Überbegriff Alternative Rechte, abgeleitet von Alt Right, wirft sie die altnationalistische und rechtsextreme NPD mit diversen Blogs, Podcasts und Projekten bis hin zu KEN FM zusammen, die erst in den letzten Jahren entstanden. Und natürlich darf dabei auch die AfD bei “Rechts-Alternativ” nicht fehlen. Nach dem kurzen Wutausbruch im Netz – Hate Speech – sieht die staatlich massiv geförderte Stiftung das Problem also bei dem, was man gemeinhin als “zusammenhängende Argumentation” bezeichnen würde – und das alles sei zwar nicht illegal, aber doch “toxisch”. Dazu hat die Stiftung die besagten Akteure und ihre Social Media Tätigkeiten beobachtet und aufgeschlüsselt, welche Themenfelder für wen wichtig sind – übrigens mit einem Vokabular, das selbst Hate Speech ist.

Dass “die Medien” dabei nicht gut wegkommen und durchgehend scharf kritisiert werden, dürfte keinen Journalisten mehr überraschen. AfD-Anhänger sind in höchstem Masse medienkritisch, und belegen ihre Haltung gern mit Beispielen des Fehleinschätzungen der Presse während der Migrationskrise. Kritisiert wird auch eine gewisse Regierungsnähe und der Einfluss der Regierung bzw. der Parteien auf Medien – seien des die Rundfunkräte, die in roten und schwarzen Kreisen organisiert sind, sei es der Einfluss der SPD über ihre Medienholding, seien es die Vorgaben der Kanzlerin für das TV-Duell. Sie sehen die Versuche, den Attentäter von Hamburg für geistesgestört zu erklären, die medial verbreitete Oktoberfestlüge und die Folgeaktion Ausnahmslos, die mit Unterstützung von Heiko Maas und Manuela Schwesig Zurückhaltung bei der Darstellung von Problemen in den Medien forderte. Sie sind argwöhnisch, wenn alte Mails und Fragen zur Putzhilfe von Alice Weidel auftauchen – und insofern sollte man eigentlich aufpassen, und ihnen nicht neues Futter für diese Narrative liefern.

So wie es der NDR mit seiner Mediensendung Zapp und Mitarbeiter der Stiftung von Frau Kahane tun, in einer Art, die Gift für das Ansehen des Senders ist.

Es gibt da nämlich auf dem Onlineportal von Zapp einen Beitrag über die Broschüre der Stiftung. Die Autorin Carla Reveland hat sie nicht nur gelesen und für gut so gut befunden, dass sie und der NDR die Behauptung der Stiftung, das Internet sei die grösste Propagandaplattform für Rechtsextremismus und Rechtspopulismus, voran stellten. Die Möglichkeit, dass in den Narrativen nicht auch der ein oder andere kleine Kern Wahrheit stecken könnte, wird erst gar nicht in Betracht gezogen. Carla Reveland spricht darüber nur mit einem “Datenanalysten” namens Miro Dittrich, der für die Stiftung die Webpräsenzen der Gruppen und Parteien ausgewertet hat. Carla Reveland macht sich dabei die Narrative der Stiftung zu eigen und schreibt:

„Geschichten darüber, dass die etablierten Medien nicht wahrheitsgemäß berichten, von “oben” gesteuert seien und die Bevölkerung manipulieren, funktionieren im Netz nach wie vor äußerst gut.“

Dafür gibt es jetzt einen weiteren guten Grund, denn die AfD in Hamburg hat auch so einen Twitterkanal, und wies vorgestern dortselbst auf eine gewisse Nähe zwischen der NDR-Mitarbeiterin Carla Reveland und der Stiftung hin. Im Cafe Knallhart – eine Art linksradikaler Versammlungsort in einem besetzten Hörsaal in Hamburg – trat eine Carla Reveland auch ale „freie Referentin (Amadeu Antonio Stiftung)“ auf.

Ich habe, wie man das so macht, deshalb einmal nachgeschaut, und tatsächlich: Frau Reveland ist nicht nur ARD-Mitarbeiterin und studiert in Hamburg an der Hamburg Media School mit Stipendium des Senders – also auf Kosten der Gebührenzahler – sie

„setzt sich ehrenamtlich bei der Amadeu Antonio Stiftung gegen Hate Speech im Netz ein.“ [Edit: Das ging schnell. Wie von Geisterhand wurde die Vita inzwischen bereinigt, aber wir haben ja den Screenshot]

Zapp ist ein erklärtes Medienmagazin, hat aber ganz offensichtlich vergessen, dass man solche massiven Interessenskonflikte offenlegen sollte. Denn Frau Reveland trat im Juni 2016 auch bei einem von der Stiftung initiierten Kongress namens Betavision auf, und berichtete dort über die Identitäre Bewegung

Der Name Betavision leitet sich von der Aktivistenvereinigung Beta Gruppe ab, die das Projekt nonazi der Stiftung ins Leben gerufen hatte. Die Zielsetzung ist klar: “Lasst uns gemeinsam das Internet zurückerobern“, titelt Betavision, und mit Clara Reveland lässt jetzt eine dieser Rückeroberinnen bei Zapp Anetta Kahane im Internet zu Wort kommen. Der Fall ist auch aus einem anderen Grund interessant: Der „Neue Rechte“-Pranger, der nach einem Sturm der Entrüstung seitens der CDU vom Netz genommen wurde, wurde bei diesem Kongress beworben.

Auch ein projekt das in der betagruppe entstanden ist, wird auf der Betavision von Victoria Schulte vorgestellt: „Das Wiki der Neuen Rechten“. Das Wiki „Neue Rechte“ dient dem Zweck, Verbindungen zwischen den Akteur*innen und das Netzwerk hinter den „Neuen Rechten“ offenzulegen, um einen Überblick zu geben und Zusammenhänge besser erkennbar zu machen. Der Vortrag gibt einen Einblick in die Entstehung des Wiki, seine Funktionsweise und die wenig begeisterten Reaktionen der Rechten.

Und auch der NDR-Zapp-Gesprächspartner und Datenanalyst Miro Dittrich trat dort als Redner auf. Miro Dittrich und Carla Reveland sind allerdings nicht nur durch die Kahanestiftung miteinander verbunden, Der Beitrag über die Broschüre ist beim NDR am 7. September erschienen. Drei Tage davor, am 4. September, erschien beim traditionell AfD-kritischen und vor allem durch politisch aktive Stiftungen finanzierten Portal correctiv ein Beitrag über rechte Narrative während des TV-Duells zwischen Bundeskanzlerin Merkel und ihrem Herausforderer Schulz. Die Autoren des Beitrags: Die NDR-Zapp-Autorin Clara Reveland und Miro Dittrich.

Es ist nicht mein Narrativ, aber Clara Reveland und Miro Dittrich sind lange für die Stiftung von Frau Kahane als Referenten und Aktivisten aktiv, und arbeiten zusammen für die „Schwarzbuch AfD“-Herausgeber von correctiv – aber beim NDR-Medienmagazin Zapp treten sie ohne Offenlegung der Interessenskonflikte als Journalistin und Interviewpartner auf.

Und Frau Reveland mit dem Stipendium des NDR beklagt sich in diesem NDR-Beitrag, dass „Geschichten darüber, dass die etablierten Medien nicht wahrheitsgemäß berichten, von “oben” gesteuert seien und die Bevölkerung manipulieren“, im Netz gut funktionieren.

Wer noch etwas tiefer gräbt, findet unter anderem noch bei Vocer noch ein älteres Interview von Carla Reveland mit dem NDR-Mitarbeiter Patrick Gensing, den sie als ihr journalistisches Vorbild bezeichnet – das antifafreundliche und Rechte überwachende Blog „publikative“, das Gensing gegründet hat, war laut Impressum wiederum bei der Amadeu Antonio Stiftung. Verschwörungstheoretiker haben also genug wahre Kerne, um darauf ihre eigene Weltsicht der Verbindungen zwischen der Stiftung und ihren Freunden und Unterstützern in Politik und Medien zu gründen.

Es kann sein, dass der ganze Fall nur ein Ausrutscher einer unachtsamen Redaktion und einer übereifrigen und unerfahrenen Mitarbeiterin ist. Einer dieser dummen und überflüssigen Fehler, die so offensichtlich sind, dass jeder, der Google bedienen kann, die Hintergründe findet. Der NDR und die Redaktion von Zapp können völlig ahnungslos gewesen sein. Aber der Beitrag ist nun mal dort veröffentlicht worden, und die Interessenskollisionen wurden mit keinem Wort erwähnt. Wenn der NDR dazu nichts sagt, und die AfD die Zusammenhänge findet, muss man damit leben, dass die AfD ungehindert auf den nachweisbaren Fakten ihr eigenes Narrativ entwirft. Nach der Bundestagswahl hat sie mit einer eigenen Fraktion weitaus bessere Möglichkeiten dazu, und sie wird auch Journalisten fragen, ob sie nicht als Fraktionsmitarbeiter für sie tätig werden wollen. “NDR-Stipendiatin hetzt zusammen mit Nebenjobkollegen gegen die AfD bei ARD.de – und beide sind Aktivisten der mit Steuergeldern finanzierten Stiftung“ – so könnten Interessierte das, was man in einer Stunde über einen läppischen PR-Beitrag zusammenklauben kann, auch aufarbeiten. Momentan betreibt die AfD vor allem die klassischen Strategien „Preaching to the converted“ und „Painting lipstick on a pig“: Sie wendet sich mit der Medienkritik an ihre eigenen Anhänger und versucht, die eigenen Tabubrüche und Skandale zu beschönigen. Aber es ist absehbar, dass sie vier Jahre bleiben und Kritik auf sich ziehen wird. Und wenn die Kritik so wie bei Zapp gemacht ist, wird es der Partei leicht fallen, die Angriffe abzuwehren, gegen ihre Verursacher zu wenden, und sich den eigenen Anhängern als Opfer einer Verschwörung zu präsentieren.

14. Sep. 2017
von Don Alphonso

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10. Sep. 2017
von Don Alphonso

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Wie Clintons schlechte Verlierer Trump weiterhin great machen

Es wäre das Ereignis der Woche gewesen – aber Hillary Clinton ist einfach vom Pech verfolgt. Am Dienstag wird ihr Buch “What happened” über ihren verlorenen Wahlkampf erscheinen, und nach allem, was bislang bekannt ist, wird es bei der Demokratischen Partei nur langsam verheilte Wunden wieder aufreissen. Nicht wenige befürchten, dass sich Clinton in ihrem Selbstmitleid im Ton vergriffen haben könnte, und die Passagen, die sich mit ihrem parteiinternen Konkurrenten Bernie Sanders beschäftigen, machen schon in Auszügen die Runde: Sanders habe massiv dazu beigetragen, dass sie als unsympathisch dargestellt wurde. Er hätte es gar nicht auf das Präsidentenamt abgesehen, sondern nur nur beabsichtigt, die Demokratische Partei zu erschüttern, Das ist eine, vorsichtig gesagt, sehr eigenwillige Interpretation der Ereignisse, die als DNCLeaks in die Geschichte eingingen und erkennen ließen, mit welchen Tricks und Absprachen Clintons Team, koalierende Presse und die Parteiführung Sanders bekämpften.

Aber jetzt rollt Hurrikan Irma auf Florida und die Ostküste der USA mit Flut und Zerstörung zu, und da gibt es für die Medien wichtigere Themen als eine fast 500 Seiten lange Bilanz des Scheiterns einer immer noch sehr unbeliebten Politikerin. Es kommt nie gut an, wenn das Land in einer Krise zusammen stehen sollte, und eine dann anfängt, anderen in den Rücken zu fallen, und das Land wie schon im Wahlkampf in Kräfte des Lichts und der Finsternis zu spalten. Entsprechend kühl fallen bislang viele Reaktionen auf das Buch aus, das letztlich zu erklären versucht, warum ein grosser, zu grosser Teil der Wähler die falsche Wahl getroffen hat und nicht bei der neuen Demokratenplattform Verrit mitspielen darf.

Diese Wähler – Clinton nannte sie die “Deplorables” – gelten weiterhin vielen als völlig irrationale Wesen, die nicht verstanden haben, was gut für sie und ihr Land ist. Besonders schockiert waren Beobachter vom Wahlverhalten der weissen Männer mit höherer Schulbildung: Diese Gruppe galt eigentlich als sicherer Posten für Clinton, und hatte bei den letzten Wahlen auch ihren Anteil an den Wahlsiegen von Obama. Diesmal war es anders, und nicht wenige sind der Meinung, dass es Clintons Neigung für die Forderungen radikaler Gruppen war, die diese privilegierte Gruppe verschreckte. So hatte sich Clinton beispielsweise für die Wünsche von Feministinnen stark gemacht. Das ist eine Gruppe, die mehrfach auch bei nachweislichen Falschbeschuldigungen gefordert hat, man sollte trotzdem dem Opfer glauben. Obama war diesen Aktivistinnen schon entgegen gekommen, indem die Schulaufsicht unter Title IX der Bürgerrechte von den Universitäten verlangte, rigoros gegen mutmassliches Sexualfehlverhalten vorzugehen, und Täter von den Universitäten in fragwürdigen Verfahren zu entfernen – sonst müssten sie befürchten, keine staatlichen Zuschüsse mehr zu bekommen.

In den letzten Monaten zeigte sich aber, wie riskant dieses rechtsstaatlich fragwürdige Verfahren sein kann. Betroffene verklagten ihre Universitäten und gewannen die Prozesse. Hochschulen mussten teilweise demütigende Erklärungen zu ihrem eigenen Fehlverhalten abgeben. Und nun hat die Erziehungsministerin Betsy DeVos ernst gemacht und eine Wahlkampfforderung vieler junger Trumpanhänger umgesetzt: Title IX soll reformiert werden, damit die Angeklagten ein faires Verfahren bekommen, ohne dass deshalb der Schutz der Opfer verschlechtert wird. Das ist ein schwerer Schlag für Feministinnen, die im Kern fordern, dass das Opfer selbst entscheiden kann, was es als sexuellen Übergriff wahrgenommen haben will. Und das erklärt möglicherweise auch die harschen Reaktionen bei Twitter, wie etwa von diesem Anwalt, der es in den letzten 2 Tagen mit diesen Worten zu einer gewissen Berühmtheit brachte:

“When they go low, we go high” lautete ein Versprechen des Clintonlagers vor der Wahl: Man werde sich nicht auf eine Schlammschlacht mit Trumps Trollen einlassen, sondern für die eigenen Ideale stehen und ein Vorbild sein. Die Ausschreitungen der Antifa, die ideologischen Konflikte an den Universitäten und nicht zuletzt die Einlassungen in den sozialen Medien zeigen aber ein ganz anderes Bild. Ich konnte meine eigenen Bedenken gegenüber Clinton und ihren Fans nie richtig in Worte fassen. Trumps Anhänger haben aus ihren teilweise abstossenden Absichten nie einen Hehl gemacht, aber bei Clintons Anhängern war immer der Verdacht, dass sie ganz anders denken, als sie reden. Trump stand für Klientelpolitik und wütende, weisse Männer, denen er versprach, den Sumpf auszutrocknen. Clinton stand für Ausgleich und eine menschlichte Politik. Ihr Buch mag da einiges relativieren, aber eines hat es bereits vermocht: Eine junge, schwarze, urbane Anhängerin aus dem Kreise der sozial bewegten Millenials hat einen ebenso wütenden wie offenen Rant geschrieben. Wäre das hier Spiegel Online, wäre nun ein Teaser fällig, dass GothamGirlBlue im Internet für ihre deutlichen Worte “gefeiert wird“. Tatsächlich erfreut sich der Rant grosser Beliebtheit, und ist ein viraler Erfolg. Nicht zu unrecht, denn so, wie Trump bein Pussygrabben vermutlich ehrlich war, ist es GothamGirlBlue auch bei ihrem Hass auf die Trumpwähler und die Medien. Hier spricht kein aalglatter Kampagnenmanager, der alle mitnehmen möchte, sondern das tief getroffene Herz, und es ist so obszön laut wie all die Bilder, mit denen sich Trumpanhänger bestätigten. Ich möchte das, weil es so schön ist, im Ganzen zitieren:

I’ve been seething all day about the response to Hillary’s book, and I feel like I’ve finally channeled it into a coherent thread. Every last thing we’re experiencing now was predicted by Hillary during the campaign. And like Cassandra, we refused to believe her. I shouldn’t use the word “we” because I was a member of her coalition. I believed her and I believed in her. She represented her coalition ably, if not perfectly. She talked about issues that mattered to us. She made sure to express empathy. For that, she was heckled, harassed, attacked, dismissed, ignored and mocked by the very people who were supposed to inform us. And every time someone wrote about how unlikeable she was, or how she didn’t talk about what really mattered, or how it’s her fault… They were really saying it about our coalition. *We* were unlikeable. *We* didn’t really matter. It’s *our* fault that Trump won.

Es ist nur fair zu sagen, dass die Medien vor der Wahl fast durchgehend für Clinton waren, und Kritik an der Identitätspolitik und der Einbindung von Minderheiten nur von ein paar Rechtsauslegern kam. Die hatten aber offensichtlich das richtige Verständnis und erkannten, dass sich diese unter Obama erprobte Strategie mit PC-Zwang, Black Lifes Matter und Transtoiletten etwas abgenutzt hatte. Erst nach der Wahl gab es dann auch von anderen Medien Kritik an einer Ausrichtung, die zu viele Normalbürger aussen vor lässt. Ironischerweise versteht GothamGirlBlue das auch:

This backlash is really about the idea that neither Hillary as a person nor the coalition she represented has any right to public life. She was supposed to stan for white supremacy and patriarchy. She was supposed to put the priorities of white rural voters above all. She was supposed to back down when shouted at. She was supposed to mold herself into something likeable. It goes without saying that white men determine what is likeable. They say it’s voters, but they mean white male voters.

Diese Leute, die nun mal als Wählergruppe einen vergleichweise grossen Einfluss haben. Das kann man bedauern – oder ihnen sagen, wie doof sie sind:

And we are seeing the backlash of not placating those who want our silence, our submission, our obeisance in their presence. Y’all get distracted when a GOP presidential candidate retweets white supremacists, but you can find all the time to harass Hillary. Trump is out here weaponizing the ICE into the goddamn Gestapo, but you can find time to tell Hillary her voice isn’t wanted. You ignored Cassandra as she begged and pleaded with you to listen, but she carries all the blame for your closed hearts and minds.

Das ist perfektes Filterblasendenken. Nur weil GothamGirlBlue die einen Aspekte sieht, müssen andere noch lang nicht zustimmen. Eine überwältigende Mehrheit der Amerikaner ist gegen den Abriss von Denkmälern für die Südstaaten des Bürgerkriegs und gegen die Entfernung von Statuen der Sklavenhalter. Die Bekämpfung der Kriminalität war eines der zentralen Wahlkampfversprechen von Trump. Was Gruppe A als Problem sieht, kann Gruppe B durchaus gut finden:

And us, those who shared in her warnings and now feel the brunt of the brutality, we’re told that we had our shot and we wasted it. White men can make a president from a treasonous sexual predator who dreams of being a half-wit, and we ask what they want and need. But POC, women, urban voters who are responsible for 2/3 of the American economy? We should shut up and go home. No one wants us here. It’s very clear that the storytellers of this age are interested in protecting the narrative of white-dominated Americana. That it’s a myth, a cruel one devised to obscure crimes of blood and death that cannot be absolved, is precisely why it’s so beloved. And anything that would puncture that myth, or their gutless, cretinous protection of it, must be assaulted and destroyed.

Hier wird es etwas verschwörungstheoretisch. Dunkle, weisse, männliche Mächte haben sich also zusammengetan, um die Vertreterin des anderen Amerika fertig zu machen. Es mag der Perspektive geschuldet sein, aber nach meiner Erinnerung waren die meisten Redaktionen schon in Feierlaune angesichts des herbei geschriebenen und gewünschten Sieges von Präsidentin Hillary.

Hillary is speaking about what it felt to be on the ramming end of that myth. She’s speaking *our* truth, the one of her coalition. She’s taking on the very narratives that people are using to shield themselves from their ignorance and poor judgment. And she’s reminding us that likeability is a damn lie. You never would have liked her no matter what she did because she challenged you. Just as we, the coalition, challenge what priorities should be at the forefront of politics and what America looks and sounds like. You want us to go away. You want us to internalize her loss as our inferiority. You want our silence, our return to the back. We will not return. Neither will she.

Bleibt die Frage: Wenn nicht mit Likability – wie soll das andere politische Lager überzeugt werden? Die Antwort ist ein “Mund halten“.

We deserved to win that election; we deserve her Presidency; we deserve *your* silence. You, who downplayed white supremacists. You, who accepted Trump’s lies and stupidity. You, who would accept our debasement. And maybe, mercifully, there will be the self-awareness to accept your portion of culpability and double your portion of silence. /fin

Das kann man so sehen, oder auch nicht. Die Frage ist nur: Wählt man eine Koalition der Minderheiten , die der Meinung ist, sie hätte den Sieg und das Recht zum Agendasetting verdient, und alle, die abweichende Meinungen haben, sollten gefälligst in sich gehen, die Schuld übernehmen und schweigen – so, wie es die anderen verdienen. Die Autorin bekommt bis zu 10000 Likes, wenn sie white Supremacy ablehnt, und gleichzeitig deutlich macht, wie überlegen sie sich selbst und ihre Koalition sieht. Das ist im Vergleich zur gemässigten Darstellung in den Medien eine ganz andere Koalition und eine andere Hillary Clinton. Es geht um eine Unterwerfung unter die Ideologie der Minderheiten., hier beispielhaft vertreten durch die Chefin von Planned Parenthood. All jene, die den Ausbruch bejubeln und einer jungen Frau eine enorme Öffentlichkeit geben, sehen das auch so.

Das demokratische System der USA bringt es mit sich, dass man sich zwischen zwei Alternativen für eine Art Volkskönig entscheiden muss. GothamGirlBlue zeigt auf, welche Haltungen und Einstellungen Clinton nach dem Wahlsieg hätte bedienen müssen: Radikal, desinteressiert an Balance und Ausgleich, hart und unversöhnlich – eine Art “Drain tue Swamp“ gegen weisse Männer. Vielleicht sind die Deplorables doch nicht so dumm und indolent, wie man sie darstellt, sondern durchaus mit einem Gefühl ausgestattet, was bei der Abwägung aller Vor- und Nachteile für sie die weniger schlechte Lösung ist. Clintons Buch wird trotzdem ein Bestseller, GothamBlueGirl gewinnt natürlich bei Twitter, und der Hashtag #StopBetsy ist ein voller Erfolg im Netz. Aber in der Realität sind es solche Texte, die den Job für die Bannons und Trumps dieser Welt erledigen.

10. Sep. 2017
von Don Alphonso

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02. Sep. 2017
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Die versteckte linke Politikerin beim öffentlich-rechtlichen MDR

Der Wahlkampf für die Partei Die Linke läuft prächtig im Wahlkreis Leipzig I. Die bisherige Direktkandidatin war die umstrittene Bettina Kudla von der CDU, die nach Kritik an der Armenienresolution des Bundestages und Merkels Migrationsentscheidungen von ihrer eigenen Partei nicht mehr nominiert wurde. Die Linke hat mit Franziska Riekewald, der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Stadtrat, ein frisches Gesicht für die Direktkandidatur gefunden, und in den letzten Jahren lag die Linke im Wahlkreis stets aussichtsreich an zweiter Stelle, Franziska Riekewald punktet mit sozialen Themen wie Mieten und Gentrifizierung, und steht als 36-jährige Mutter zweier Kinder nicht nur auf Platz 9 der Landesliste, sondern auch für eine neue politische Generation, ganz ohne Verbindung zu SED und DDR.

Ihre politischen Anliegen werden auch vom Mitteldeutschen Rundfunk MDR thematisiert: Die Magazinsendung “Umschau”, die seit 1961 zuerst die Bürger der DDR und seit 1990 dann die Ostdeutschen über soziale und gesellschaftliche Themen der Region informiert, brachte am 22. August einen siebeneinhalb Minuten langen Beitrag über die Mietenentwicklung in Leipzig. Der MDR titelt dazu: “Der Wohnungsmarkt in Mitteldeutschland verschärft sich. Besonders spürbar ist das in der stark wachsenden Stadt Leipzig, wo die Mieten förmlich explodieren. In der DDR waren solche Preise nicht vorstellbar.”

Gezeigt wird dann im Gegensatz zu dieser DDR der günstigen Mieten einer der der wenigen bezahlbaren Mietwohnung im Leipzig der BRD – mit vielen Interessenten. Danach informiert die Umschau über das Schicksal einer jungen Familie rund um eine sorgenvoll wirkende, 36-jährige Frau, die dem MDR zufolge mit ihrem Mann zu den Normalverdienern gehört, und nun schon seit vier Jahren eine grössere Wohnung sucht – vergeblich. Bie Betroffene im roten Kleid erklärt im Duett mit der Moderation ihr Problem. Die bisherige Wohnung mit 90m² reicht nicht mehr aus, die Tochter fände in ihrem weniger als 9m² grossen Zimmer zu wenig Platz. Die Not werde natürlich immer größer, je größer die Kinder werden.

Die Frau, die momentan noch im angesagten Waldstrassenviertel lebt, beschreibt sorgenvoll die Herausforderung auf dem Mietmarkt für die junge Familie so: „Wenn wir jetzt so eine Vierraumwohnung nehmen, es ist ja nicht so dass es keine gibt, dann sind die von Quadratmetergrößen immer relativ groß und damit ist natürlich die Miete relativ hoch, weil, zehn Euro kalt, also das ist das, was wir uns nun wirklich nicht leisten können. Wir müssten im Prinzip auf den Urlaub verzichten, und dazu sind wir wirklich nicht bereit.“ Dazu wird der Name der Normalverdienerin eingeblendet Anja Riekewald. Anja Riekewald bestätigt zusammen mit dem MDR eindrucksvoll, dass die Mieten in Leipzig zu hoch sind – und bestätigt damit die politischen Forderungen der linken Bundestagskandidatin Franziska Riekewald.

Diese Ähnlichkeit zwischen der notleidenden, 36-jähriger Mutter von zwei Kindern mit der Bundestagskandidatin, 36 Jahre alt und mit zwei Kindern, ist dem Autor des Blogs „Scheidende Geister“ aufgefallen. Er stellte in einem Beitrag die frappierend ähnlichen Bilder von Anja Riekewald aus dem MDR neben Franziska Riekewald von die Linke und fragte: „Lässt der MDR eine Politikerin der Partei DIE LINKE unter falschem Namen über Mieten im Osten jammern?“

Der Verdacht liegt nahe: Offensichtlich wusste die Linke in Leipzig vorab von den kommenden Dreharbeiten zum Thema Mieten. Denn am 18. August, vier Tage vor der Sendung, machte sich die Linke mit Nennung des Senders und Angabe seiner Emailadresse bei Twitter auf die Suche nach politisch passenden Interviewpartnern für die öffentlich-rechtliche und laut Verfassung unabhängige Anstalt: “.@mdrde sucht eine Familie, die über ihre Wohnungssuche in #Leipzig berichtet. Wir unterstützen das! Meldet euch: recherche-umschau@mdr.de“ Dazu hat die Linke sogar eine eigene Graphik gebaut, auf der steht: „Ihr sucht eine Wohnung in Leipzig? Und alle Angebote sind unbezahlbar! Der MDR sucht dringend eine Familie, die über ihre Odyssee bei der Wohnungssuche berichtet. Meldet Euch & zeigt, was auf dem Leipziger Wohnungsmarkt gerade passiert.“

Aber nicht nur die Partei forderte ihre Follower auf, sich dem MDR zur Verfügung zu stellen. Auch Franziska Riekewald verbreitete den Aufruf ihrer Partei und schrieb dazu am 18. August (Der Tweet wurde inzwischen gelöscht, hier ist er im Archiv): „Sucht ihr auch, wie ich, schon seid längeren eine größere Wohnung und findet keine, weil unbezahlbar? Dann meldet euch. #Leipzig #Wohnen“

Spätestens jetzt hätte dem MDR klar sein müssen, dass die Linke einen Gesprächspartner sucht, dessen Vorstellungen und Erfahrungen auf dem Wohnungsmarkt sich mit der politischen Agenda der Partei decken. Trotzdem ist dann 4 Tage später eine Anja Riekewald zur besten Sendezeit zu sehen, die nicht als örtlich führendes Parteimitglied der Linken, sondern als „Normalverdiener“ in Wohnungsnot vorgestellt wird. Eine Anfrage beim MDR Sachsen und MDR Presse erbrachte den Hinweis, dass sich die Redaktion schon für den Fehler entschuldigt habe. Tatsächlich hat der MDR den Beitrag inzwischen mit dem richtigen Namen „Franziska Riekewald“ untertitelt und eine Korrektur veröffentlicht: „In der Umschau vom 22.08. wurde in dem Beitrag “Was Mieten steigen lässt” der Vorname von Frau Riekewald falsch eingeblendet. Dafür entschuldigt sich die Redaktion. Bei der Produktion des Beitrages, an der mehrere Journalisten beteiligt waren, wurde der Vorname intern falsch übermittelt.“

Über den Umstand, dass der MDR vier Wochen ´vor der Bundestagswahl den Interessenskonflikt zwischen Mieterin und Politikerin in ihrem eigenen Wahlkreis vergessen hat, äußert man sich nicht weiter. Auch Franziska Riekewald ist sich keiner besonderen Schuld bewusst: „Ja, das bin ich mit meiner Familie. Der Fehler wurde inzwischen behoben und der Name rausgenommen.“ gibt sie bei Twitter auf Anfrage zu, und weiter: „Mdr hat öffentlich Familien in dieser Notlage gesucht. Hab mich gemeldet. Die Parteizugehörigkeit spielt bei der Wohnungssuche keine Rolle.“ Auf die Frage, ob sie ihre Kandidatur dem Sender verschweigen habe, antwortet Riekewald mit einem entschiedenen „Natürlich nicht“. Wer den Beitrag in der Mediathek des MDR sieht, erfährt jetzt den richtigen Namen der Normalverdienerin – und nichts darüber, dass der MDR hier mit einer lokal einflussreichen Politikerin spricht, die Bundestagsabgeordnete jener Stadt werden will, in der der MDR seine Sendezentrale betreibt.

Schon letzte Woche war der Linken eine erstaunliche Platzierung beim Gipfel der kleinen Parteien auf Sat1 gelungen: Dort trat eine Krankenschwester auf, die über die Pflegemisere berichtete und sich nach 30-sekündigen Statements von Grünen, Liberalen, AfD und Linken für die Meinung der Linken-Vorsitzenden Katja Kipping entschied. Erst später wurde bekannt, dass die Bürgerin Mitglied der Linken ist – ein offensichtliches Versagen der Sat1-Redaktion bei der Auswahl. Allerdings fanden Internetnutzer auch ein Bild, das Katja Kipping neben dieser Krankenschwester beim gemeinsamen Protest zeigt. Die Vermutung, dass Kipping keiner Unbekannten gegenüber stand und trotzdem mitspielte, liegt nahe.

Das Verhalten des MDR ist allerdings deutlich problematischer, wenn seinen Mitarbeitern wirklich bekannt war, wer da als Gesprächspartner auftrat. Öffentlich-rechtliche Sender sind zur Neutralität verpflichtet und eigentlich gehalten, Interessenskonflikte offen zu legen. Man kann der Linken und Frau Riekewald nicht vorwerfen, dass sie die Suche nach einem passenden Gesprächspartner verdeckt unternommen hätten. Aber statt angesichts der Internetkampagne kritisch zu werden und aufzupassen, wer sich zur Verfügung stellt, griffen die Mitarbeiter des MDR zu. Es lief also wirklich gut für den Wahlkampf der Linken im Wahlkreis Leipzig I.

Offen bleibt die Frage, ob es in Mitteldeutschland, wie vom MDR behauptet und von der Hauptzeugin Riekewald unterstützt, die Verschärfung des Wohnungsmarktes gibt. Gerade Leipzig verdankt seine Veränderung zum „Hypezig“ den günstigen Mieten. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass der Raum Mitteldeutschland immer noch sehr günstige Preise hat, egal ob absolut oder relativ zum Einkommen betrachtet. Ein Viertel des Nettoaushaltseinkommen ist für die Miete in der grösseren Region Mitteldeutschland üblich, in Leipzig – immerhin eine florierende Großstadt – liegen die Kosten insgesamt bei 1//3 des Einkommens, die Stadt ist bei den Mieten auf Platz 62 von 79 Großstädten. Nur in den begehrten Lagen der Stadt muss etwas mehr bezahlt werden. In den Randlagen ist das Wohnen dagegen immer noch billig. Insgesamt liegt Lipzig auf dem Niveau der durchschnittlichen Mietaufwendungen der Deutschen, und weit unter dem, was in anderen Städten vergleichbarer Grösse bezahlt wird. Eine 90m²-Wohnung in einem guten Viertel wie jene, auf der sich die Frau Riekewald mit Mann und zwei Kindern über ihr Schicksal bei der Wohnungssuche beklagt, wäre in München, Düsseldorf oder Hamburg für Normalverdiener unbezahlbarer Luxus. Mag sein, dass es in der DDR mit Klo auf dem Gang und dem Wohnkomfort der Honeckerära billiger war. Da ist es für Nostalgiker sicher tröstlich, dass sich der Zwangsgebührenzahler zumindest bei der Umschau des MDR noch an die Zeit vor 1989 erinnert fühlen kann.

02. Sep. 2017
von Don Alphonso

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23. Aug. 2017
von Don Alphonso

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Die Autonomen und wie sie die G20-Straftaten sehen

Mit den islamistischen Anschlägen von Barcelona, Hamburg und Turku gerät in Vergessenheit, dass Gewalt und Zerstörung nicht zwingend mit der Anrufung Allahs einher geht. Das ist angenehm für die Bewohner der Roten Flora in Hamburg und ihre lokalen und überregionalen Freunde, die vor sechs Wochen die Bilder des G20-Gipfels von Hamburg mit Ausschreitungen, Vandalismus und Terror dominierten. Hatte es kurz danach noch Überlegungen gegeben, die Autonomen aus der Roten Flora zu werfen und im Kampf gegen Linksextremismus härter durchzugreifen, fühlt sich die Szene inzwischen wieder so frei, ihren gewohnten Tätigkeiten nachzugehen. Das bedeutet neben weiteren Anschlägen auf den Staat auch eine Debatte über das Erlebte aus Sicht der Beteiligten, die vor allem auf dem Portal Indymedia ausgetragen wird.

Denn dortselbst sind nach eigenem Bekunden diejenigen zugegen, von denen die an den Protesten beteiligten Gruppen des Centro Sociale Hamburg nach eigenen Angaben nur einen diffusen Eindruck haben wollen:

Wer wann was gemacht hat und woher die alle kamen wird sich letztlich nie genau klären lassen. Einige hundert Menschen bevorzugten offenbar eine Eskalation, um überhaupt etwas Aufmerksamkeit von Politik und Gesellschaft zu erlangen und eine Antwort auf die staatliche Repression in welcher Form auch immer zu geben. Es ist jedoch entschieden zu kurz gedacht, die Folgen des behördlichen Versagens ominösen “gewalttätigen Ausländern” in die Schuhe zu schieben. Wer auch immer einen Grund hatte im Schanzenviertel zu agieren – die Geschehnisse zeigen klar, dass etwas gewaltig falsch läuft.

Irgendwelche Leute haben da irgendwas gemacht, das man nicht klären kann, vermutlich waren sie wütend und die Polizei war schuld. Dieser These folgt auch die in Hamburg ansässige Vorbereitungsgruppe des Antikapitalistischen Camps, das erst auf Betreiben der Stadt untersagt werden sollte, und dann mit Auflagen genehmigt und mit Hilfe von Bürgern und Kirchen umgesetzt wurde. Trotzdem war es nach deren Eigenaussage nicht ganz leicht, die erhofften Ziele zu erreichen:

Trotz geringerer Anzahl an Teilnehmer*innen als geplant konnte dank Privatpersonen und Projekten ein finanzielles Desaster verhindert werden.

Das ist für die Organisatoren problematisch. Sie geben ganz offen zu, dass ihre Projekte in Hamburg staatliche Mittel erhalten, die nun im Folge der Krawalle zu versickern drohen. So offen wird in der Szene selten darüber gesprochen, dass die Gegner der bestehenden Ordnung die Mittel derselben nötig haben, und auch bekommen:

Wieder andere, Projekte müssen derzeit um öffentliche Gelder fürchten – öffentlich gemacht wurde es bereits vom Gängeviertel, dem offen mit dem Entzug von Förderungen gedroht wird, sollten sie sich nicht von Gewalt distanzieren, aber wer weiß, was noch folgen wird.

Das mag zu einigen selbstkritischen Tönen in Richtung der Ausschreitungen im Schanzenviertel geführt haben – nicht gemeint sich hier aber die Angriffe auf die Polizei und die Bevölkerung in Folge der autonomen “Welcome to Hell“-Demonstration.

Auch wir glauben, dass es eine Debatte darüber geben muss, was bei diesen Auseinandersetzungen Freitagnacht taktisch sinnvoll war und was der autonomen und linksradikalen Bewegung eher geschadet hat oder Menschen unnötig in Gefahr gebracht hat. Aber diese Debatte werden wir selbstbestimmt führen und uns dabei weder von der Boullevard-Presse noch von Distanzierungsaufforderungen treiben lassen.

Denn auf die Presse und den Staat sind die Organisatoren des Protestcamps nicht gut zu sprechen. Medien wird vorgeworfen, die Verhältnisse falsch einzuschätzen und die Straftaten in Hamburg im Vergleich zum Rechtsradikalismus falsch zu betonen.

Wenn Journalist*innen den Unterschied zwischen brennenden Autos und Bürgerkrieg sowie den zwischen Aggression gegenüber gepanzerten Cops und rechtsradikalem Terror nicht begreifen oder verschweigen, während ihnen nicht auffällt, dass jetzt fast 45mal soviel Geld für die Opfer der Sachbeschädigungen bereitgestellt wird, als es den Opfern des NSU-Terrors ausgezahlt wurde, wollen wir gar nicht wissen, wohin das noch führen wird.

Das sieht dann auch die Perspektive Kommunismus, ein Zusammenschluss verschiedener linksautonomer Gruppen, ganz ähnlich. Zu dem “Event“ und den Straftaten als solchen führen sie aus:

demolierte Straßenzüge sind ein umgefallener Sack Reis im Vergleich zur unerträglichen täglichen Gewalt der G20-Staaten. Es ist sicher nicht unsere Aufgabe, uns empört in Distanzierungen zu verstricken, wo es doch eigentlich darum gehen muss, nach den Ursachen der Gewalt zu fragen und die Organisierung des Widerstands voranzubringen. Ja, es war richtig, dass die Bullen am Eindringen in das Stadtviertel gehindert werden konnten.

Diese Selbstbezichtigung der aktiv an den Geschehnissen Beteiligten ist insofern interessant, als es bei der Nachbetrachtung Vermutungen gab, die Polizei sei absichtlich bei den Plünderungen am Schulterblatt nicht eingeschritten und hätte zu lange gewartet. Die Personen, bei denen das Centro Sociale noch rätselte, wer sie gewesen sein könnten und was sie warum taten, erklären ihre Ziele bei der Zerstörung ganz offen:

Allerdings sehen wir es als wichtig an, zu differenzieren zwischen bewussten und sinnvollen politischen Aktionen und Randale, die unserem Anliegen in einigen Fällen zuwider gelaufen ist. Die Zerstörung als Selbstzweck, als angeblicher Akt der Befreiung, ist ganz einfach kein Teil eines revolutionären Prozesses, der es verstehen soll, Menschen für den bewussten Aufbau einer neuen Gesellschaft zu gewinnen. Brennende Kleinwägen und beliebig zerstörte Kleingewerbe können durchaus ein diffuser Ausdruck von aufgestauter Wut sein. In einem System, das tagtäglich Ausgrenzung und Erniedrigung produziert, ist es nicht verwunderlich, dass es irgendwann knallt – nur ist das weder einfach gutzuheißen, noch zu verwechseln mit gezielten und vermittelbaren Aktionen, die an gesellschaftlichen Widersprüche und Perspektiven ihrer Aufhebung anknüpfen.

Dankenswerterweise liefert die gleiche Gruppe neben ihrer Vorstellung vom Aufbau einer neuen Gesellschaft auch Einblicke in die Zielsetzung, zumindest für kurze Zeit eine von der Staatsmacht befreite Zone zu schaffen.

Leider sind die organisierten linken Strukturen aber nicht stark genug gewesen, das Bild der Auseinandersetzungen vor allem zu späterer Stunde maßgeblich zu bestimmen. Dennoch: Dass die Bullen über mehrere Stunden hinweg die Kontrolle über ein Stadtviertel verloren haben, dass sie den Riot nicht verhindern, sondern lediglich auf einen Teil der Stadt beschränken, konnten, ist ein Ausdruck ihrer organisatorischen Schwäche und den zumindest zeitweise starken Barrikaden an den richtigen Stellen.

Der früher beim Blog Störungsmelder schreibende und nach den Krawallen ausgeschlossene Journalist Sören Kohlhuber wird, so ist bei Indymedia zu lesen, trotzdem bei seinem Auftritt bei einer Antifaveranstaltung das Verhalten von Staat und Polizei in den Mittelpunkt stellen:

Der freie Journalist, Sören Kohlhuber, wird dabei in seinem Vortrag darauf eingehen, wie sich Hamburger Senat und Polizei über demokratische Standards hinwegsetzten

Die Anarchistische Zeitung sieht das in ihrem Beitrag „Für ein Ende der Gewalt“ ähnlich – mit Gewalt ist hier die Gewalt des Staates und die Polizei gemeint, auf die die militante Szene lediglich reagiert haben will:

Auf diese Gewalt gab es Reaktionen, ebenfalls mit Gewalt. Diese Gewalt war oft gezielt gegen die Polizei, den Staat oder kapitalistische Institutionen gerichtet. In einigen Fällen zerstörten Menschen aber auch die Autos und Geschäfte von jenen, die selbst massiv Betroffene kapitalistischer Ausbeutung sind. Das sollte vermieden werden. Verletzte, die keine Polizist*innen waren, gab es aber fast keine.

Aber nicht jeder ist so verständnisvoll, dass er Ladenbesitzer und Autoeigentümer als Mitunterdrückte des Systems bedauert und erleichtert ist, dass man fast nur Polizist*Innen, ganz korrekt mit Gendersternchen, denn ein guter Autonomer prügelt nicht geschlechterungerecht, verletzt hat. Bei Indymedia meldet sich dagegen ein genervter Johnny zu Wort und führt aus, dass man nur das ausgeführt hat, was die Organisatoren vorher angekündigt haben. Für Distanzierungen hat er kein Verständnis:

Nachdem in der Schanze einige Barrikaden gebrannt, einige Läden geplündert und die Bullen für ein paar Stunden einige überschaubare Strassenzüge aufgegeben hatten, irrlichtert ein Chor von Distanzierungen durch die Welt der selbsternannten antagonistischen Gegenspieler des Schweinesystems. Verkündet im diffusen Netz oder klar offen denunziatorisch gesprochen in die vor das Gesicht gehaltene Microphone der ortansässigen Medien. Sodass mensch sich fragt, wer denn nun eigentlich zu den “Tagen der Hölle” eingeladen war, bzw. wer sich denn angesprochen fühlen durfte, die verbalradikalen Bekentnisse im Vorfeld  ernst zu nehmen und zu versuchen, diese auch mit einem bisschen Realitätsgehalt zu füllen. Wie auch immer, die “Auswärtigen”, die “unpolitischen Krawallmacher”, die “Alkoholierten”, wer auch immer, Schuldige müssen her, wo die Volksssele kocht, sind nun also Schuld, dass die “Militanz aus dem Ruder gelaufen”, der “eigene Kiez” zerlegt wurde.

Die Autonome Antifa Freiburg war ebenfalls vor Ort, sieht es bei Indymedia ähnlich, und deutet Gewalt und Zerstörung als Akte der politischen Auseinandersetzung

Doch der subversive Charme der Bilder des Widerstands widersetzt sich der Entpolitisierung. Die Plünderung eines Ladens ist der kollektive Bruch mit dem Recht auf Eigentum. Kein Steinwurf auf die Polizei war jemals unpolitisch. Nüchtern betrachtet ist die mediale Empörung über die abgefackelten Autos an der Waterkant ein Spezifikum deutscher Spießigkeit. Wenige Tage nach dem „Bürgerkrieg“ in Hamburg wurden an einem ganz normalen Nationalfeiertag in Frankreich 900 Autos angezündet. Statt des hanseatisch kleinkrämerischen „Ganz Hamburg hasst die Polizei!” heißt es dort sympathisch kosmopolitisch: Tout le monde déteste la police !

In den Medien wurde viel über Ursachen der Ausschreitungen geschrieben – gemeinhin die Unzufriedenheit mit dem politischen System. Auch der Hamburger Bürgermeister wurde angegriffen, weil eine derartige Veranstaltung in der Stadt die Autonomen provoziert hätte. Ein Anonymus bei Indymedia liefert eine ganz andere Innenansicht der Gewalt, die weder Hamburg noch die G20 gebraucht hätte. Ihm geht es um das ganze System und die Menschen, die darin leben. Hier sind die Betroffenen der Ausschreitungen keine unvermeidlichen Opfer mehr, sondern Teile eines abgelehnten und militant bekämpften Gesamtsystems. Manche Medien bezweifelten, ob der Begriff Terror angebracht ist – der Text, dessen Kernaussagen hier wiedergegeben werden, belegt die Natur der Exzesse und ihre Innensicht eindrucksvoll.

In der Nacht auf den Freitag nahmen sich bereits viele Menschen einen Teil der Würde, die uns diese beschissenen Verhältnisse Tag für Tag rauben zurück und griffen an etlichen Orten die Cops an, errichteten Barrikaden und verursachten mit Hämmern, Steinen und Flammen  an vielen Stellen der Stadt Risse in der Fassade einer Gesellschaft, in der nur Platz für diejenigen ist, die funktionieren, konsumieren und sich anpassen. Kaum waren die Barrikaden der Nacht gelöscht, gingen am frühen Morgen des Freitags die ersten Autos in Flammen auf. An verschiedenen Orten der Stadt machten sich Gruppen auf den Weg um zu zeigen, dass es an diesen Tagen um mehr gehen sollte als um den Angriff auf ein Treffen von Staatsoberhäuptern. Unter anderem Immobilienbüros, Luxusautos, die Jugendgerichtshilfe, Banken und die glitzernden Fassaden der Einkaufshöllen wurden Ziel von Angriffen und auch die ersten Cops mussten unter Angriffen die Beine in die Hand nehmen.

Freitag wurde sich ein Stück des Raumes, den die Autoritäten im Interesse ihrer Herrschaftsinszenierung den Menschen in dieser Stadt mit aller Gewalt abgetrotzt haben, für einige Stunden zurückerkämpft. Mittels brennender Barrikaden und beständigen Angriffen auf die Bullen wurde ein Raum geschaffen, in dem Menschen sich für einige Stunden unabhängig von der Macht des Staates entscheiden konnten, was sie tun wollen. Es wurde geplündert, Menschen nahmen sich, was sie brauchten oder wollten, andere wiederum zerstörten Symbole der jeden Sinn für ein wildes, freies Leben abtötenenden Welt des Konsums und machten sie zum Raub der Flammen. Es zeigte sich eine beeindruckende Vielfalt von Menschen, die sich an diesem Tag die Straße teilten, plünderten, Barrikaden errichteten und die Cops angriffen –  viele von ihnen vermutlich nicht Teil irgendeines Protestmilieus.

Nun ist so ein Anonymus nicht zweifelsfrei zuweisbar – bei Indymedia kann jeder schreiben, und nur der Umstand, dass der Text stehen bleibt, weist auf die Authentizität hin. Indymedia löscht durchaus Bekennerschreiben, wenn die namenlose und verdeckt agierende Redaktion den Eindruck hat, dass jemand die Plattform für Falschdarstellungen missbraucht. Die Interventionistische Linke dagegen hat sich verifizierbar selbst geäußert. Sie vermeidet eine Distanzierung und sucht wie einige Medien die Schuld bei der Polizei:

Zu den Bildern des Widerstands gehören auch jene, bei denen Menschen der Kragen geplatzt ist, bei denen sie sich gewehrt haben – und bei denen diese Gegenwehr umschlug in Aktionen, die sich nicht mehr gegen den Gipfel oder die Staatsmacht, sondern auch gegen Anwohner_innen und Geschäfte richtete. Es waren nicht unsere Aktionen. Die IL stand und steht für den Alternativgipfel, für Block G20 und für die Großdemonstration. Hier haben wir gesagt, was wir tun – und getan, was wir gesagt haben. Aber wir können und wollen die Feuer der Freitagnacht nicht aus dem Ausnahmezustand lösen, in dem sie stattfanden. Wenn die Polizei über Tage hinweg Menschen drangsaliert, schlägt und verletzt, sich wie eine Besatzungsarmee aufführt, die von Deeskalation noch nie etwas gehört zu haben scheint, dann bleibt irgendwann die spontane Antwort nicht aus.

Dem widerspricht bei Indymedia ein Autor mit dem Namen „expect resistance“, der nicht jede Form der Ausschreitung so haben möchte und dafür eintritt, Militanz besser zu organisieren. Das ist eine bei derartigen Ereignissen nicht seltene Einstellung: Manche Teilnehmer stören sich an der fehlenden Organisation und Planung und fordern wohldurchdachte Zielsetzungen mit Gewalt an der “richtigen“ Stelle. Das ist eigentlich der Punkt, an dem aus einer Krawalle geplanter Terror wird:

Es ist klar, dass die Ereignisse von Hamburg nicht spurlos an uns vorübergehen. Wir brauchen Diskussionen. Und ja, wir werden auch über Gewalt reden und streiten müssen. Und wir müssen tiefer gehen als „Wie kann Militanz zielgerichteter werden? Wie kann sie besser vermittelt werden?“ Um klar zu machen, was wir meinen, wollen wir unsere Gefühle in der Schanze beschreiben:  Es fühlte sich irgendwie alles irreal an. Es war ein Rausch, inmitten der Polizeifestung einen Raum der Freiheit zu erschaffen. Doch bald kamen auch Zweifel. Wie Mogli im Dschungelbuch starrten wir auf die Schlange Ka, auf die Plünderungen und die brennenden Barrikaden. Wir haben für ein paar Stunden ein Utopia geschaffen, und es war wieder bestimmt von Gewalt. In diese Stunden wurde unsere Vorstellung einer befreiten Gesellschaft real. Aber es hätte noch viel mehr Befreiung und viel weniger Gewalt sein können.

Medien – speziell solche, die kritisch berichteten – wird ihre Einseitigkeit vorgeworfen, weil es an differenzierter Darstellung der Riots fehlte. Der Autor beklagt, dass man sich zu sehr auf den Schwarzen Block und die Zerstörungswut und zu wenig auf die anders und bewusster militant agierenden Gruppen konzentriert hätte. Darauf führt er den Stimmungsumschwung vom Verständnis zur Ablehnung und die letztendlich schlechte Presse für die Aktivisten zurück:

Für unsere Sichtweise, dass die Riots notwendig und erfolgreich waren, blieb da kein Platz mehr. Plötzlich saßen wir in der Falle: Nehmen wir die Schikanen der Polizei passiv hin, so wird unsere Freiheit Schritt für Schritt eingeschränkt und ausgehebelt, im Gegenzug gibt es für diese Jesus-Posse aber viel Unterstützung und Solidarität. Setzen wir uns aber aktiv zur Wehr, werden wir zu einer Bedrohung hochgespielt, und liefern so eine Steilvorlage für neuere noch schärfere Gesetze. Für die Bevölkerung werden wir so der Gott-Sei-Bei-Uns, auf den sie alles Mögliche projizieren können.

Dieses Projizieren ist allerdings dank Indymedia gar nicht notwendig; Die dortige Redaktion veröffentlicht in Übersetzung Beiträge für die italienischen Freunde, die von Folgeanschlägen nach G20 handeln, und bei Indymedia melden sich jetzt noch Beteiligte zu Wort, die aus ihrer Intention keinen Hehl machen. Trotz der klar militanten Ausrichtung ist diese Debatte möglich: Der rechtsfreie Raum, den Heiko Maas bei Facebook und Twitter bekämpft sehen möchte, ist für jene gegeben, die autonom Gewalt offen leben. Echtes Bedauern findet man nur, wenn staatliche Mittel gestrichen werden sollen. Distanzierung oder eine echte Hinterfragung der Ereignisse sucht man bei Indymedia vergeblich. Das Weltbild steht fest, man ist sich nur nicht ganz einig, ob man sich vom Staat und der Polizei provoziert fühlen möchte, oder das alles bewusst und geplant angerichtet hat. Ausserdem fühlt man sich kollektiv von den Medien nicht angemessen gut dargestellt. Dass die Rote Flora trotz ungenügender Linientreue nicht aufgelöst werden darf, gilt dagegen als ausgemacht – entsprechende Drohungen mit Anschlägen an die Politik, die vor allem den Kampf gegen “rechts” und “Hate Speech” fördert, und Linksextremismus in Person von Manuela Schwesig für ein “aufgebauschtes Problem” hielt, finden sich auch in der neuen Netzgesellschaft der Autonomen.

23. Aug. 2017
von Don Alphonso

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16. Aug. 2017
von Anna Müllner

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Methadon, Krebs und das Spiel mit der Hoffnung

Wer Krebs hat, sucht Heilung. Je schlimmer die Krebsart, desto drastischer werden teilweise die Maßnahmen. Viele Krebspatienten und ihre Familien klammern sich an jeden Strohhalm. Jeder Tag, jede Minute, die der Erkrankung abgeluchst werden kann, ist viel wert.

Die Erkenntnis haben auch diverse Quacksalber gemacht. Sie bieten ungeprüfte, nicht zugelassene, Medikamente oder “Naturheilmittel” an – gegen viel Geld, dass privat gezahlt werden muss. Durch die Verbreitung falscher Informationen und Zweifel an der evidenzbasierten Medizin schaffen Sie es, teilweise sogar heilbare Patienten von zugelassenen Therapien abzubringen.

Ein besonderer Fall ist es, wenn es neue Ideen, neue Ansätze zur Behandlung von Krebs gibt, die falsch kommuniziert sowie übertrieben und polemisch dargestellt werden. So geschieht es gerade im Fall Methadon, bei der die Studien einer Chemikerin als von der “Pharmalobby” verschmähte Therapie gehypt wird. Einschlägige Tweets und Diskussionen im Internet beherrschen die Debatte. Kann Methadon wirklich Krebs heilen? Wird Methadon gar Patienten vorenthalten – aus niederen finanziellen Beweggründen?

In Laboratorien weltweit forschen Menschen daran, wirksame Therapien gegen den Krebs zu entwickeln. Unter anderem tat dies auch die Chemikerin Claudia Friesen in Ulm. Sie forschte daran, dass Krebszellen, die mit Methadon behandelt wurden, besser auf eine Chemotherapie mit Doxorubicin ansprachen. Neu ist der Zusammenhang zwischen Opiaten und Krebszellen nicht, jedoch gab bislang es keine eindeutigen Ergebnisse. Friesen zeigte, dass sowohl bestimmte Blutkrebszellen (Akute Lymphatische Leukämie) als auch aggressive Gehirnkrebszellen (Gliom, derzeit nicht heilbar) starben, wenn sie sie mit einer Kombination aus Methadon und Doxorubicin behandelte. Resultate, die in Zellen außerhalb des Körpers, also in vitro (außerhalb des lebenden Organismus) gewonnen werden, sind jedoch wenig aussagekräftig. Sie eignen sich vor allem dafür, Mechanismen isoliert zu betrachten. Für klinische Aussagen eignen sie sich aber überhaupt nicht. Es fehlt ganz einfach der Körper drumherum.

Eine etablierte Methode ist es daher, Krebszellen in Mäuse zu transplantieren und diese dann zu therapieren. Auch hier gelang der Versuch, das Wachstum der Tumoren durch eine Kombination aus Methadon und Doxorubicin zu begrenzen. Nicht jedoch, das Tumorwachstum  aufzuhalten. Auch hier ist Vorsicht geboten. Bei diesen in vivo (im lebendigen Wesen) handelt es sich um „Modelltiere“ mit künstlichen Tumoren. Zudem bekamen die Mäuse eine Dosis von 20 bis 120 Milligramm pro Kilogramm Methadon pro Tag. Auf den Menschen übertragen können bereits 20 Milligramm pro Kilogramm eine Überdosis sein.

Daher sind also mehrere Kriterien und Einschränkungen zu beachten:

  1. Die Antikrebswirkung von Methadon konnte bisher nur bei wenigen Zell- und Tiermodellen gezeigt werden.
  2. In diesen Studien wirkte Methadon nur zusammen mit einem bestimmten Chemotherapie-Medikament (Doxorubicin), andere Wirkstoffe wurden nicht untersucht.
  3. Die Studien geben keine Aussagen darüber, wie gut verträglich eine Kombinationstherapie mit Methadon ist.
  4. Es gab zwar einen großen Teil an sterbenden Krebszellen, jedoch wurden nicht alle Krebszellen getötet.
  5. Die Mäuse erhielten eine sehr hohe Dosis an Methadon.
  6. Diese Hinweise stammen nicht aus klinischen Studien und sind damit nicht am Patienten getestet.

Nichtsdestotrotz, die alten Studien von 2008 und 2014 reichten auf einmal, eine Reportage zu drehen. Ihr Narrativ war deutlich: Mit Methadon sei für die Pharmaindustrie kein Geld zu verdienen, daher seien weitere Studien daran nicht lukrativ. Das Fernsehmagazin plusminus deutete sogar an, ein Krebsforscher würde aus persönlichem finanziellem Interesse eine Forschung an Methadon ablehnen. Kann man Menschen wirklich für so abgebrüht halten, unheilbar erkrankten Menschen die Forschung an einer potentiellen Therapie absichtlich vorzuenthalten, um den weiteren Verkauf eines teuren Medikamentes zu gewährleisten?

Es gebe doch nun Hinweise, eine Behandlung mit Methadon zu versuchen. Mit Methadon könne man nur gewinnen. Das ist aber nicht so einfach. Wir haben in der EU aus gutem Grund eine sehr strenge Regulierung bei der Zulassung von Arzneimitteln. Wir wollen wissen, wie etwas wirkt, wie stark es wirkt und was die Nebenwirkungen sind, damit Patienten eine sichere Behandlung gewährleistet werden kann. Bei Methadon als Ersatzmedikament kennen wir schon die Nebenwirkungen: Atemlähmung und Herzrhythmusstörungen sind dabei die wichtigsten. Beides kann unbehandelt zum Tod führen. Eine Gefahr der Überdosierung ist aufgrund der langen Verweildauer von Methadon im Körper  sehr hoch. Ob sich bei einer gleichzeitigen Krebsbehandlung die Nebenwirkungen verschlimmern oder weitere auftreten könnten, ist derzeit nicht klar.

In einer kleinen, rückwirkend durchgeführten Studie an Patienten, an der Friesen beteiligt war, fand sich zunächst einmal, dass Methadon zusammen mit einer Chemotherapie gegeben werden kann. Das ist nicht überraschend, denn Methadon wird wie andere Schmerzmittel in Palliativmedizin eingesetzt. Über eine Wirksamkeit ließen sich in der Friesen-Studie jedoch keine Rückschlüsse ziehen: In der Analyse waren nur 27 Patienten mit unterschiedlichen Gehirntumoren in unterschiedlichen Stadien eingeschlossen. Dies ist keine gute Ausgangsbasis für solide und statistisch aussagefähige Resultate. Es müsste also eine breit angelegte klinische Studie nach internationalen Zulassungsstandards  durchgeführt werden, und jene, die Friesen glauben, sammeln bereits Geld dafür.

Allerdings gibt es von anderen Forschern des MD Anderson Cancer Centers eine klinische Studie, diesmal mit über 900 Patienten, die keine Vorteile mit Methadon gegenüber anderen Schmerzmitteln zeigt. Ebenso gibt es auch eine prä-klinische Studie, die den Anti-Krebs-Effekt von Methadon in mehreren Zelllinien als deutlich geringer einschätzt als den anderer Opioide und auf diverse Mängel der vorhergehenden Studien hinweist.

Zusätzlich gibt es natürlich zahlreiche Anwendungsstudien  zu Methadon als reines Schmerzmittel  in der Krebstherapie. Spontane, außergewöhnliche Heilungen oder Besserungen hätte man hier sicherlich bemerkt.

Methadon wirkt nicht, nur weil man daran glaubt. Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie warnt vor unrealistischen Erwartungen und möglichen Gefahren: Bei Menschen in Suchttherapie war bei Methadon das Risiko zu versterben 46 % höher als unter Morphin. Groß ist auch die Gefahr des illegalen Erwerbs und Einsatzes von Methadon. Dies ist nun ein gefundenes Fressen für Wunderheiler und Scharlatane, die den Menschen mit falscher Hoffnung das Geld aus der Tasche ziehen wollen.

Warum hält Friesen dennoch so an ihrer Idee fest? Ein möglicher Grund ist, dass sie zusammen mit zwei Kollegen ein Patent auf die Anwendung von Methadon bei Krebserkrankungen hält (Methadon als Krebsmedikament war also sehr wohl patentierbar). Dieses wurde 2008, also bereits vor 9 Jahren, angemeldet und wird voraussichtlich 2028 auslaufen. Das Patent wurde außer in Europa auch in mehreren Ländern angemeldet und die Gebühren hierfür werden mit der Zeit immer höher. Insgesamt können dies höhere 5-stellige Beträge pro Jahr werden. Nach nunmehr 9 Jahren befindet sich das Patent nun in einem Alter in welchem  Patentgebühren exponentiell ansteigen. Denn nicht kommerziell genutzte Schutzrechte sollen die Innovation nicht blockieren.

Das Patent auf Methadon in der Krebstherapie ist für die Erfinder und Besitzer  derzeit ein Verlustgeschäft. Damit sich

ein Patent lohnt muss es entweder auslizensiert oder aber gewinnbringend verkauft werden. Das ist im Fall Methadon jedoch gar nicht nötig, da zugelassene Medikamente Off-Label genutzt werden können.

In einem gewissen Sinne hat Friesen also recht: Für ein Pharmaunternehmen wäre es nicht lohnend, Methadon als Krebstherapie zu erforschen und zuzulassen. Der potentielle Käufer oder Lizenznehmer müsste eine komplette klinische Entwicklung und Zulassungsstudie finanzieren, die zwischen 500 und 800 Millionen Euro kosten und 5-10 Jahre dauern kann. Ein Rückfluss dieses immensen Investments ist allerdings mehr als unsicher, selbst wenn die Therapie mit Methadon wirklich funktionieren würde. Zusätzlich wäre das Patent von Friesen und Kollegen bis zur Neuzulassung von Methadon als Krebsmedikament eventuell schon ausgelaufen oder die verbleibende Laufzeit wäre zu gering, um zumindest noch das investierte Geld zurück zu bekommen. Auch Generika-Hersteller würden schon im Markt warten.

Die emotional geführte Debatte um Methadon mit ihren Vorwürfen von Profitgier und Menschenverachtung fördert aber vor allem eines: Sie untergräbt das Vertrauen in Ärzte, die Arzneimittelhersteller und damit in die evidenzbasierte Medizin. Sie treibt Patienten geradezu in die Arme der Quacksalber, welche medizinische  Ergebnisse nach ihren Gunsten auslegen und sich falsche oder falsch interpretierte Informationen zunutze machen. So ist der Fall Methadon nah an einer Verschwörungstheorie, nicht zuletzt gefördert durch die einseitige und unkritische Berichterstattung.

16. Aug. 2017
von Anna Müllner

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11. Aug. 2017
von Don Alphonso

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Mit feministischer Ignoranz vom Googlememo zum Goolag

Ein junger Mann von einer Eliteuniversität heuert bei Google an, und erlebt dort die Firmenkultur mit ihrem lockeren Flair – zumindest an der Oberfläche. Er steigt in die mittlere Ebene der Firma auf, und sieht Treffen und Veranstaltungen, bei denen es um Diversity geht – um das Ziel, die Firma für Menschen jeder Herkunft, jeder Religion und jeder sexuellen Orientierung offen zu halten. Die Theorien besagen, dass eine Firma mit Diversity eher in der Lage ist, sich auf die Kunden einzustellen und passende Produkte zu entwickeln. Das bezweifelt der junge Mann auch nicht, als er sich während einer Geschäftsreise nach China an den Rechner setzt und schreibt:

I value diversity and inclusion, am not denying that sexism exists, and don’t endorse using stereotypes.

Er schätzt Diversität und Inklusion, er erkennt die Existenz von Sexismus an; und er lehnt die Verwendung von Stereotypen ab. Das ist gut – eigentlich. Und dann schreibt er weiter:

When addressing the gap in representation in the population, we need to look at population level differences in distributions. If we can’t have an honest discussion about this,then we can never truly solve the problem

Es geht ihm um die Frage der angemessenen Vertretung der verschiedenen Gruppen in der Firma, und er denkt, dass man über Unterschiede bei diesen Gruppen reden muss – würde man das nicht tun, gäbe es keine echte Lösung. Kurz, er findet auch, dass die aktuelle Repräsentation der Geschlechter nicht richtig ist. Er unterstützt die Ziele von Diversity und findet, dass man sich die beteiligten Gruppen daher genauer anschauen und offen darüber reden sollte, um zu einem besseren Ergebnis zu kommen.

Das tut er dann auch. Er sagt nicht, dass Frauen nicht programmieren können, aber er führt aus, dass Frauen im Durchschnitt als Gruppe mehr Interesse an sozialer Interaktion haben, während Männer als Gruppe im Durchschnitt den Umgang mit Dingen bevorzugen, und begieriger nach Status sind. Frauen hätten mehr Probleme, sich bei Gehaltsverhandlungen durchzusetzen. Bei der aktuell geübten Form der Arbeit bei Google führe das zu einer Bevorzugung der Männer, also müsste die Firma den Kompetenzen der Frauen entgegen kommen –

und nicht die Unterdrückung der Frau als alleinige Ursache betrachten, und alle anderen möglichen Gründe vorab ausschliessen. Das würde bei Google aber geschehen, weil dort andere Sichtweisen unterdrückt, behindert und ausgegrenzt werden. Statt dessen versuche man sich bei Google an einer Förderpraxis, die an den realen Problemen vorbei geht. Diversity sei ein primäres Ziel, dem sich die Firma mit ihren Geschäften unterzuordnen habe, und das werde durch den sozialen Druck in der Echokammer immer wieder neu bestätigt, ohne Diskussion und Hinterfragung. Der Mann schreibt seinen Vorschlag nieder, belegt seine Thesen mit Graphiken und Zitaten, schreibt deutlich, dass er keine Pauschalisierung möchte, lädt zur Diskussion ein, und gibt dem ganzen den aufrüttelnden Titel:

Google’s Ideological Echo Chamber
How bias clouds our thinking about diversity and inclusion

Um das mal auf ein griffiges Beispiel herunter zu brechen: Es wird kaum möglich sein, eine Frau dafür zu begeistern, herzhaft in eine ölige Fahrradkette zu greifen. Die Frage ist nun, ob man die ölige Fahrradkette als Diskriminierung der Frau begreift und versucht, das Prinzip der öligen Kette so zu ändern, dass der Anteil der hineingreifenden Frauen auf das Niveau der Männer steigt – bei denen übrigens auch viele vor solchen Arbeiten zurück schrecken. Oder sagt man sich, dass sich Frauen nun mal weniger gern die Hände schmutzig machen, und man dieser Einstellung entgegen kommt, indem man ihnen Gummihandschuhe anbietet. Das ist noch immer keine Garantie dafür, dass Frauen es tun werden, aber es kommt auf jeden Fall den kleinen Unterschieden zwischen den Geschlechtern entgegen. Und natürlich gibt es auch Frauen, die ebenfalls herzhaft in die Kette greifen. Nur, dem Durchschnitt der Frauen sollte man eben sinnvolle Lösungen anbieten..

Man kann das übrigens auch für Bereiche erzählen, bei denen Männer aus Ignoranz oder Widerwillen oder anderen Interessen unterrepräsentiert sind: Kochen ist nicht zwingend eine männliche Domäne – solange man Männern keinen Grill hinstellt (im Durchschnitt, mich kann man mit Grillen verjagen, ich mag Tafelsilber). Oder: Intuitive Bedienbarkeit kommt den traditionell bedienungsbeschreibungsfeindlichen Männern auch entgegen (im Durchschnitt, ich kann alles, ich bin ein Genie) (wie durchschnittlich alle Männer glauben).

Das Betrachten dieses Durchschnittes nennt man aber in Amerika, wenn man böswillig ist, advancing harmful gender stereotypes – wie die obige Darstellung einer Nerdwohnung bei Google. Der Autor des 10-seitigen Textes James Damore hat sich zwar von Stereotypen distanziert. Aber er hatte das Pech, dass sein Text im Google Intranet erst mal nicht beachtet wurde. Doch langsam wurde er wegen seiner Kritik an den bestehenden Zuständen diskutiert, es gab empörte Reaktionen, das Memo wurde an die Klatsch- und Schundseite Gizmodo weitergeleitet, wo man eine um Zitate und Graphiken verkürzte Version erstellte, und diese Version als Sexismus brandmarkte. Damit war das #Googlememo geboren, und weil der erste “Sexismus” schrie, schrien es alle, die Medien brüllten mit und behaupten, im Memo werde behauptet, Frauen könnten nicht programmieren und kämen deshalb bei Google nicht voran.

Und das, obwohl das Memo im Internet steht und, wie oben erklärt, sich für neue, bessere und gleichzeitig alle Mitarbeiter akzeptable Wege zu mehr Diversity bei Programmierjobs einsetzt. Es bestreitet nur, dass Diskriminierung der einzige Grund für die bisherige Entwicklung ist, und führt es auch auf im Durchschnitt andere Einstellungen der Geschlechter zurück. Aber das ging letztlich völlig unter, und so konnte man erleben, wie der Autor von der Presse auf beiden Seiten des Atlantiks gehetzt wurde, mit Unterstellungen, die er gar nicht getätigt hat – und letztlich von Google entlassen wurde. Wegen “advancing harmful gender stereotypes”. Nach seiner Entlassung schreibt dann Nina Bovensiepen, eine führende Mitarbeiterin der Süddeutschen Zeitung das hier:

Sie hat vermutlich das nicht antifeministische, nicht machohafte, nicht männerrechtliche, nicht rechtsextreme, inklusive, Diversität fordernde Memo, das auch kein Manifest ist und auch nie so gedacht war, nicht in seinen Zielen verstanden, und verbreitet mit dem Begriff der “weissen Männer” genau das, was Damore unterstellt wurde: Pauschale Geschlechtsstereotypen, versehen mit Rassismus und Sexismus. Ausserdem: Wer als alter, weisser Mann wirklich keine Veränderung will, feiert kein Memo, das mehr Veränderung fordert. Allenfalls können sich weisse Männer von Damores keinesfalls dummer Einschätzung bestätigt sehen, dass moderne Firmen unter Gender- und Diversityideologie tatsächlich intolerant sind, Andersdenkende zum Schweigen bringen und sie, wenn der Mob im Internet nur laut genug lügt, auch sofort feuern. Sogar wegen eines internen Textes, der sich für Diversity ausspricht. Ausserdem versprachen Googlemitarbeiter im veränderten “Arbeitsumfeld” nachweislich, Unterstützer von Damores Thesen zu bestrafen. Die gibt es tatsächlich: Bei einer Umfrage sprach sich eine Mehrheit gegen seine Entlassung aus.

Nun hat die Empörung im Netz für James Damore und Google eine Vorgeschichte: Damore hat nach eigene Angaben Diversitytrainings erlebt, die an sektenartige Rituale erinnern und arbeitsrechtlich wegen der möglichen Benachteiligung von Männern problematisch sind. Breitbart hat dazu gleich eine ganze Serie über genervte männliche Googlemitarbeiter gemacht, weil der Fall Amerikas alternativen Konservativen in ihren Konflikten mit der regressiven Linken entgegen kommt. Google selbst ist wie das ganze Silicon Valley wegen Ermittlungen staatlicher Behörden, Klagen und Berichten über Sexismus unter Druck. Bei James Damore konnte Google mit geringem Aufwand zeigen, dass es gegen Sexismus vorgeht, und schuf damit einen klagefreudigen Märtyrer. Es folgt eine vergleichweise offene Debatte, die im Gegensatz zu den ersten Reaktionen und zur uniformen deutschen Verdammung vielschichtig, interessant und nicht verständnislos ist. Die New York Times stellte sich in einem Meinungsstück hinter Damore, unterstützte seine Thesen – und forderte den Rücktritt des Google-CEOs.

Schliesslich hatte sich Damore bemüht, seine Thesen wissenschaftlich zu unterfüttern. Das linientreu progressive Magazin Slate beantwortete das Bemühen mit dem Text einer Feministin, die sich dafür aussprach, Wissenschaft nicht mehr mit Wahrheit gleichzusetzen.

Bei dieser Dominanz der regressiven Linken ist Damore in der gleichen Hexenjagd angekommen, die auch schon Richard Dawkins, Tim Hunt, die Opfer amerikanischer Rape Hoaxes, Jörg Kachelmann und Jacob Appelbaum erleben mussten: Eine Empörungswelle, die sich nicht im Mindesten für die Meinung der Beschuldigten interessiert und das auch nicht tun muss. Minister können sich angesichts einer Kampagne für eine später verurteilte Gina Lisa verwenden, sich zu ihrem Team erklären, und müssen nicht zurücktreten. Vertreter der Medien haben auch bei groben Falschdarstellung keine beruflichen Konsequenzen zu befürchten: Es geht schliesslich um die gute Sache, wenn man mit Oktoberfestlügen hausieren ging. Damore hat in diesem Klima der Ignoranz gegenüber Andersdenkenden längst seinen Stempel als Sexist, Frauenhasser und Neuer Rechter – weil er, wohlgemerkt, über andere und bessere Wege zu mehr Diversity reden wollte, und dabei genau die Prozesse kritisierte, die an ihm exekutiert wurden. Hier einmal ein Beispiel von der ZEIT mit der Manifest-Fake-News:

Möglicherweise denken die Bovensiepens, Valentis und Agentinnen dieser Welt, dass sie damit gezeigt haben, wie wenig man die Realität braucht, wenn es um die Durchsetzung der richtigen Ziele geht. Für mich als das, was man gemeinhin als alten, weissen Mann bezeichnet, ist die Lektion dagegen eine andere: Es bringt überhaupt nichts, wenn man sich zwar für das hehre Ziel einsetzt, aber auch nur minimal bei Weg dorthin abweichen möchte. Wer das tut, wird genau so verdammt und geschmäht wie jemand, der der kein Binnen-I setzt und breitbeinig U-Bahn fährt. Es ist wie beim gescheiterten Wiki Agentin: Alle Abweichler kommen in einen Topf, alle werden auf die gleiche Art und Weise beschimpft – und alle, die es tun, hassen Trump und wollen lieber Clinton. Die Google-Vizepräsidentin für Diversity und Governance, die Damore frühzeitig schärfstens verurteilte, half Clinton im Wahlkampf.

Ein Wahlkampf, nach dem viele schockiert waren, warum so viele Männer, auch gut ausgebildete Männer, für Trump gestimmt hatten. Und so viele weisse, privilegierte Frauen. Warum Clinton vor allem auf Frauen aus Minorities zählen konnte – die Hauptgeförderten der Diversitypolitik. Kommentatoren schimpften damals über die Falschwähler, wie sie heute über die Damoreversteher schimpfen: Sie würden nicht begreifen, dass der richtige Weg ein anderer ist, und nur aus egoistischen Gründen nicht das tun, was Clinton und die meisten Medien wollten: Eine bessere Welt. Eine Welt wie der Mountain View Campus von Google, dem Inbegriff des anderen, besseren, liberalen Amerikas. Die Zukunft.

Wie diese Zukunft von den Redaktionsbüros von Gizmodo mit ihren Fälschern bis zur Perpetuierung von Stereotypen und Feindbildern – die Nerds, die weissen Männer – in Deutschland aussieht, hat man eindrucksvoll gesehen. Die Zukunft war nicht eben übervoll mit den von Damore so gelobten sozialen Kompetenzen der Frauen, sofern sie sich Feministinnen nennen. Mag sein, dass Trump fragwürdige politische Entscheidungen trifft, von Politik nichts versteht, und sich gegenüber dem Iran und Nordkorea im Ton vergreift. Das sind problematische Staaten mit atomarer Rüstung. Damore ist nur ein Mitarbeiter, der für den internen Gebrauch in einem Diskussionspapier aufgeschrieben hat, was er so denkt, und so denkt er sicher nicht allein. Für diese denkenden, aber medial kaum repräsentierten Personen ist die Trump Administration möglicherweise auch nur die viertschlechteste aller möglichen Welten – aber noch weit vor den Mullahs, Kim Jong Un und der schönen, neuen Welt des Diversityzwangs mit Volkstribunal und öffentlicher sozialer Hinrichtung der Konterrevolutionäre, von der sich inzwischen auch die New York Times merklich absetzt.

11. Aug. 2017
von Don Alphonso

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04. Aug. 2017
von Don Alphonso

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Datenreichtum und Kritik: Böll-Stiftung nimmt Onlinepranger Agentin vom Netz

Kritik gab es genug: Selbst feministische Kommentatorinnen von Spiegel Online über SZ bis zur Zeit beschlich beim Betrachten des Onlineprangers “Agentin.org” ein mulmiges Gefühl. Unter Leitung einer dreiköpfigen Redaktion hatte das Gunda Werner Institut der grünennahen Böll-Stiftung ein Wiki erstellt, in dem von ihr identifizierte Gegner der Genderideologie denunziert und in einem Kontext bis hin zu eindeutigen Rechtsextremisten dargestellt wurden. Dabei traf es nicht nur knallharte Reaktionäre oder Lebensschützer, sondern auch den liberalen Journalisten Harald Martenstein, den stets diskussionsfreudigen Blogger Hadmut Danisch, und auch absolute Randfiguren von regionalen Vereinen, die eine abweichende Meinung zur Familienpolitik vertraten. Für bekannte Journalisten wie Jan Fleischhauer (Spiegel), Volker Zastrow (FAZ) und Ulf Poschardt (Welt) waren schon leere Seiten angelegt. Ungeachtet dessen versuchte der Projektteilnehmer Andreas Kemper, das Projekt vom Verdacht des Prangers freizusprechen.

Da hatte sich aber schon gezeigt, dass die Mitarbeit beim Wiki bei weitem nicht so anonym und sicher war, wie es seitens der Verantwortlichen eigentlich geplant war: Der Autor dieser Zeilen konnte zeigen, dass man mit einer einfachen Suchabfrage, deren Funktion das Team der Böll-Stiftung offensichtlich nicht durchdacht hatte, eine Liste von Autoren des Systems ausspielen kann. Der Verfasser warnte nach einer Diskussion mit Fachleuten den Projektleiter Henning von Bargen umgehend in einer Mail und öffentlich bei Twitter davor, das Wiki in der aktuellen Form weiter zu betreiben: Die Sicherheitsexperten hatten sich den Quellcode angeschaut und nach wenigen Minuten weitere schwere Lücken im System erkannt. Ein “Hack” des Wikis war dazu gar nicht nötig – schon mit einer für Wikipedianer einfachen Spielerei bei den URLs war es möglich, auf fast alle Informationen zur Entstehung des Wikis zuzugreifen, die lediglich schlecht versteckt, aber dennoch sperrangelweit offen im Internet standen. Sogar ein (nicht freigeschalteter) Kommentar dieses Blogs hatten die grösste und fatale Lücke erkannt und benannt.

Zuerst blieb eine Reaktion seitens der vorab gewarnten Betreiber aus. In dieser Zeit herrschte dem Vernehmen nach auf dem Server der Stiftung Hochbetrieb: Mehrere Betroffene des Wikis sollen sich nach vorliegenden Informationen ihre eigenen “Akten” beschafft haben, und denken jetzt über eine juristische Verwendung gegen Kemper und den Verantwortlichen nach. Das Problem für die Stiftung: In den früheren Versionen der Beiträge wurden unter dem Nutzernamen ”Andreas Kemper” Versionen erstellt, die eindeutige und wenig freundliche Tatsachenbehauptungen enthielten.

Teilweise wurden prominente Beiträge wie über den Schweizer Journalisten Roger Köppel von weiteren Autoren verschärft – Autoren, deren Name bislang auch durch den FAZ-Bericht noch nicht bekannt war. Offensichtlich hatte sich ein Spezialist unter dem Namen “Schopenhauer” mindestens zwei von Kemper Anfang 2016 erstellte Beiträge über Schweizer, darunter den von Köppel, im Frühjahr 2016 noch einmal vorgenommen, und sie zusätzlich angespitzt.

Erst etwa im März 2017 setzte dann eine Phase des grossen Umdenkens und der Korrekturen ein. Umfangreiches, vorliegendes Material zeigt deutlich, wie ein Autor “Gruen” sprachliche Unzulänglichkeiten verbesserte, während “Gruen”zusammen mit “Anna Berlin” und “Agentin2” Kempers anfänglich klare Zuweisungen der Betroffenen zu rechten Ideologien abschwächten. Formulierungen wie etwa “ist ein nationalkonservativer, antifeministischer Autor” wurden hin zu “scheint dem Nationalkonservatismus und Antifeminismus nahe zu stehen” geändert.

Ausserdem bemüht man sich um einen sachlicheren Ton in den Fällen, in denen Kemper seiner privaten Sicht zu sehr freien Lauf gelassen hat.

Diese Korrekturen betreffen viele Beiträge und dauerten bis kurz vor der Veröffentlichung des Wikis an – offensichtlich haben das Institut und seine Aktivisten viele Arbeitstage investiert, um das Wiki zu füllen und juristisch schwerer angreifbar zu machen, auch wenn die Zielrichtung der Gesinnungsdatenbank erhalten blieb. Aus Tatsachenbehauptungen machten die Redakteure Verdächtigungen, Meinungen und Vermutungen – ihr Pech, dass die früheren Versionen trotzdem frei auf dem Server unter ihrer presserechtlichen Verantwortung lagen.

Gestern Abend hat dieser Autor mit der Veröffentlichung erster Details aus der angeblich geschützten Versionsgeschichte bei Twitter begonnen, und auf das Leak hingewiesen. Heute setzte bei Agentin ein Umdenken ein: Kurz und bündig erklärte Agentin.org bei Twitter, das Projekt ginge vorübergehend offline. Damit folgt es dem “Neue Rechte”-Prangerwiki der Amadeu-Antonio-Stiftung, das nach einer Veröffentlichung und folgenden Problemen mit den darin Genannten ebenfalls vom Netz genommen wurde, und nie wieder kam.

Allerdings ist das Projekt der Böll-Stiftung ungleich größer: Dem Verfasser vorliegende Seiten zeigen nicht nur, dass die Hauptseite des Wikis schon am 15. Dezember 2015 erstellt wurde, sondern “Andreas Kemper” in langer und weit über tausend Änderungen umfassender Arbeit zwischen dem 4. Januar und Mitte April 2016 fast alle Kategorien und Beiträge des Wikis anlegte.

Das alles entstand in so kurzer Zeit und in teilweise alphabetischer Reihenfolge, so dass umfangreiche Vorarbeiten in den aufgeführten Bereichen existiert haben müssen.

Weiterhin belegen vorliegende Materialen, wie Kemper nach getaner Anfangsarbeit viele Artikel zu Stubs erklärte, deren fertige Ausarbeitung mit Links und Verweisen weitgehend von einem kleinen Kreis anderer Personen übernommen wurde.

Die angeblich 180 “ehrenamtlich arbeitenden” Mitglieder von Agentin, die auf der Website die vorläufige Schliessung mitteilen und versprechen, erweitert und verständlicher wieder zu kommen, sind zumindest im Datenreichtum nicht erkennbar – dort dominiert klar Andreas Kemper.


Ausserdem wurde bei der Sichtung des erstaunlichen Datenreichtums deutlich, dass der zentrale Bereich mit der Vorstellung der Ziele und Zwecke weniger von Kemper als von “Heinrich Alpin” gestaltet wurde. Nun erklärt Agentin.org: “Für uns bleibt die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung dazu eine Aufgabe, der wir uns stellen.”. Sicherheitsexperten sehen das allerdings kritisch: Dem Vernehmen nach gibt es mindestens einen weiteren schweren Fehler, der jedoch nicht so leicht zu erkennen ist. Aufgrund der bekannten Benutzernamen und der ebenfalls bekannten Login-Seiten betrachten sie das Projekt wörtlich als “total verantwortungslos, unzureichend gesichert und leicht überwindbar” – sogar jetzt kann noch die Login-Maske aufgerufen werden, wenn man eine frühere URL des Wikis im Browser aufruft. Auch mehrten sich in den letzten Tagen diskrete Wortmeldungen von Grünen-Politikern, die für das Projekt als solches und die erneute schlechte Presse im Wahlkampf wenig Verständnis zeigen. Das Gunda Werner Institut zieht sich laut taz auf den Standpunkt zurück, dass es keine grüne Liste sei, “sondern ein unabhängiges Projekt, das von der Stiftung unterstützt wurde“

Das nährt mit der Agentin-Behauptung der angeblich 180 Mitarbeiter den Verdacht, dass der Pranger an sich eine weitaus längere Vorgesichte mit Vernetzungen hat, die je nach weiteren Ungeschicklichkeiten der Verantwortlichen noch aufzuzeigen sind. Gleichzeitig wäre zu prüfen, auf welcher Basis ein vor allem vom Staat finanzierter Verein geldwerte Mittel und Leistungen für ein vollkommen anonym agierendes Projekt unter seiner presserechtlichen Verantwortung weiterleitet – die rechtlichen Aspekte sind hier mindestens so interessant wie die technischen Möglichkeiten des Wikis. Aber selbst eine überarbeitete Version des Wikis würde nichts daran ändern, dass die Vorgeschichte mit über 7000 Beiträgen, Ergänzungen und Änderungen tagelang offen im Netz stand. Sie ist daher nicht nur jenem verschworenen Kreis hinter Agentin.org bekannt, der Aktivistinnen angeboten hat, dort in Anonymität und Sicherheit mitzuarbeiten. Und Datenschutzbeschwerden und  etwaige Abmahnungen wegen eines fehlenden Impressums machen das Denunziantenleben auch nicht schöner.

04. Aug. 2017
von Don Alphonso

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31. Jul. 2017
von Don Alphonso

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Die schwarzen Listen der Mitarbeiter des Böll-Prangers “Agentin”

Am 18. Dezember 2015 verabschiedete sich die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen mit einem Email unter der Überschrift “Feministischer Denkstoff zum Jahresausklang“ in die Weihnachtsferien. 2016 werde man sich dem Thema “Feministische Öffentlichkeiten stärken – Strategien gegen Anti-Feminismus und Rechtspopulismus” widmen, und wie das mit einer damals noch offen eingestandenen Gesinnungsdatenbank über Gegner gehen soll, erklärte die Stiftung auch gleich:

Europaskepsis, Islamfeindlichkeit, Homophobie und Ablehnung von “Gender-Ideologie“ verbinden Rechtsaußenparteien, Gruppierungen und fundamentalistischen Bewegungen in Europa. Wir werden eine Datenbank erstellen, die die Vernetzungen dieser Szenen und Akteur_innen transparent macht…

Damit ist eigentlich schon alles über das Projekt Agentin.org gesagt, das erst 19 Monate später freigeschaltet wurde. Der Böll Stiftung sowie dem ausführenden „Gunda Werner Institut“ geht es nach öffentlichem Bekenntnis nicht mehr um einen Pranger  – und trotzdem erstellen sie eine Datenbank, die einen klaren Auftrag hat: Sie soll zeigen, wie die Feinde Europas, des Islams, von Homosexuellen und der sogenannten „Genderforschung “ zusammenarbeiten und sich gegenseitig vernetzen. Das ist nicht ganz unüblich – Akademiker dieser Denkschule versuchen seit längerem, Kritik an ihrer Ideologie in eine Reihe mit Rassismus, Faschismus, Judenhass und generell gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu stellen. Es ist die pauschale Delegitimierung von anderen Ansichten als “rechts“ und die Eigendarstellung als verfolgte „Damsell in distress“ – ein Vorwurf, den sich Genderistinnen der sogenannten 3. Welle auch von Feministinnen wie Christina H.Sommers oder Camille Paglia anhören müssen.

Damit ist übrigens ein Grundproblem von Agentin.org schon beschrieben: Das Wiki soll sich mit allen beschäftigen, die antifeministisch oder antigenderistisch eingestellt sind. Die Definition von Andreas Kemper, einem 53 Jahre alten Doktoranden aus Münster mit Vita in linken Kreisen und Teil der Agentin-Redaktion, formuliert das jedenfalls so eindeutig, wie es in der Realität nicht ist: Die unter dem Schlagwort “Puff für Alle” bekannt gewordene Sexualerziehung, wie sie von seiner Redaktionskollegin bei Agentin Elisabeth Tuider  mit herausgegeben wird, wird von vielen selbstbewussten Frauen massivst abgelehnt, wenn sie gelesen haben, welche Skandalperson bei Tuiders Wikipediabeitrag als ihre Tradition angegeben wird. Da ist es folgerichtig, dass bei Agentin vom Nazi bis zum Kritiker von radikaler Experimente zur Sexualerziehung  alles landen kann, was der Ideologie und ihren Sexualvorstellungen der “Vielfalt” nicht entspricht. In ihren eigenen Worten:

Egal, ob es sich um die Thematisierung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Gesellschaft, in Schulen oder in den Gender Studies handelt oder um Familien- und Rollenvorstellungen – der Protest richtet sich stets gegen Sexualitäts- und Genderkonzepte, die von sogenannten „traditionellen“ Rollen- und Familienbildern abweichen. Antifeministische Akteur*innen wollen verhindern, dass eigene Lebensentwürfe unabhängig von normierenden sozialen Zuschreibungen und Leitbildern frei gestaltet werden können, gleichberechtigt mit – und nicht gegen – sogenannte traditionelle Rollen-/Familienbilder.

Nun könnte man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass diese Feindbilddefinition nicht nur von den Erfahrungen der “Puff für Alle-Debatte”, sondern auch von  Vorstellungen von Gendervordenkerin Judith Butler beeinflusst ist, die selbst wiederum das schönste Beispiel ist, wie gut Gender und antizionistische Thesen zusammenpassen – und Judith Butler auch nicht die einzige Feministin war und ist, die diesen Weg zur Querfront Richtung klar frauenfeindlicher Hamas und Hass auf Juden geht.  Genauso finden sich im modernen Feminismus Anhänger der „critical whiteness“-Theorie, die weissen Feministinnen vorwerfen, als Rassistinnen nur an ihre eigenen Interessen zu denken und andere zu benachteiligen. Es ist schwer, in derartig radikalen und zerstrittenen Kreisen zu ergründen, wer denn nun wirklich zu den Guten gehört.

Agentin entledigt sich des Problems durch eine dreiköpfige Redaktion, bestehend aus Henning von Bargen, Elisabeth Tuider und dem 53 Jahre alten Doktoranden Andreas Kemper, der mit viel Erfahrung aus profeministischen Editierungsschlachten bei Wikipedia zum Projekt gestossen ist – entsprechend angenervt reagierte auch die Wikipedia-Community bei seinem Versuch, das Projekt der Böll-Stiftung ohne Hinweis auf die parteipolitische Orientierung dort zu bewerben. Andere Mitarbeiter werden nach Eigenaussage zu ihrem eigenen Schutz nicht genannt. Wer bei Agentin welchen Beitrag geschrieben hat, und wie die Diskussion und Bearbeitungsgeschichte dazu aussieht, ist von Aussen nicht zu erkennen. Das Wiki, das dank Wikipedia einen guten Ruf geniesst, wird von der Böll-Stiftung zu einer intransparenten schwarzen Liste, die Freunde bei Medien wie dem Neuen Deutschland und einer Website der Stiftung der früheren Stasi-IM Anetta Kahane findet. Es ist völlig unklar, wer bei Agentin mit welcher Intention wen diskreditiert. Nur Andreas Kemper twittert offen, dass er mitverantwortlich für den inzwischen viel kritisierten Beitrag über den liberalen Journalisten Harald Martenstein ist, der mit einem Zitat seines Intimfeindes Stefan Niggemeier vorgeführt wird.

Wobei.

Es ist halt immer so eine Sache: Die beste Software nutzt nichts, wenn sie von Inkompetenten benutzt wird, und so ist es möglich, Seiten aufzurufen, die andere besser auf gar keinen Fall sehen sollten. Agentin.org stand wochenlang sperrangelweit offen. Hier ist zum Beispiel die Liste der bislang angemeldeten Benutzer, die die Böll-Stiftung schützen möchte – aber trotzdem öffentlich einsehbar gewesen ist, wenn man die richtige Seite fand:

Wie man sieht: Es gibt ein paar Accounts mit nicht zuweisbaren Namen wie „Anna Berlin“ und „Gruen“, einen Testaccount eines mutmasslichen Technikers, und 6 von den bislang existierenden 13 Accounts gehören Andreas Kemper, der sich auch bislang als einziger als Autor zu erkennen gegeben hat. Ohne einen echten Hack des Systems, von dem mir Experten sagen, dass es völlig unzureichend geschützt ist, kann man tatsächlich nicht die Diskussionen über Beiträge lesen. Man kann sich aber dank eines schweren Einstellungsfehlers seitens der Stiftung anschauen, dass es nur zu einer kleinen Minderheit der Beiträge überhaupt Diskussionen gibt:

Das bedeutet, über die meisten Beiträge gibt es auch keinerlei Diskussionen – und daher wohl auch kaum Änderungen. Sie wurden von einem Autor erstellt und sind seitdem meistens unverändert. Das belegt auch die Liste der letzten Änderungen der Beiträge:

Es wird deutlich, dass es bei Agentin keine kontinuierliche Arbeit gibt, wie sie geschehen würde, wenn dort die von der Stiftung behaupteten Wissenschaftler und Aktivisten tatsächlich daran arbeiten würden. Statt dessen wurden über Monate alle paar Tage fertige Beiträge in zeitlich klar erkennbaren Arbeitsphasen über mehrere Stunden eingestellt, bis dann wieder ein paar Tage Ruhe einkehrte.

Sollte es doch andere Mitarbeiterinnen an der Datenbank geben, bekommen sie es mit einer Anleitungsseite zu tun, die vom Februar 2016 datiert und noch nicht einmal den endgültigen Namen trägt, sondern auf den Projektnamen antifemwatch verlinkt.

Was also ist Agentin? Ein unsicheres und von den Funktionen her kastriertes Wiki, das als schwarze Liste genutzt wird, und bei dem die Hälfte der Autoren jene Person sind, die mit ihrer Tätigkeit bei Twitter hausieren geht. Eine Person, die offensichtlich viel Zeit für Diskussionen in eigener Sache hat, und sich in früheren Veröffentlichungen in der linken Szene mit eben jenen Adligen, Katholiken und Vermögenden auseinander gesetzt hat, die ihren Namen nun in der Gesinnungsdatenbank finden, während offensichtliche Kritiker der Denkschule – mein Fehlen in der Liste wurde bereits bemerkt und kritisch kommentiert – nicht auftauchen. Ich muss offen zugeben, dass ich von den dort aufgeführten Personen vielleicht ein Dutzend zuordnen konnte. Es sieht aus, als hätte Andreas Kemper einfach seine bisherigen Arbeitsschwerpunkte zur linksradikalen Theorie des „Klassismus“ in ein Wiki zum Feminismus gesteckt, weshalb dort auch Kategorien wie “Adel” auftauchen. Und seine eigenen Gründe klingen ganz anders als die Beschwichtigungen, mit denen Agentin.org abstreitet, ein Pranger zu sein.

„Deshalb führte mich mein Weg Ende der 1980er Jahre in die profeministische Männerbewegung. Das ist ein persönlicher Grund, mich gegen die Maskulisten zu stellen. Und ich erlebe den Feminismus nicht als „Hass-Bewegung“. Als ich vor ein paar Jahren in Wikipedia den Artikel zu „Maskulismus“ im Sinne von Wikipedia neutraler gestalten wollte, schlug mir der geballte Hass der Maskulistenbewegung, die ich bis dahin noch gar nicht kannte, entgegen. Arne Hoffmann rief dazu auf, mein Pseudonym in Wikipedia aufzudecken, was mit Hilfe der Jungen Freiheit auch gelang. Auf diversen Maskulisten-Blogs wurden Fotos von mir veröffentlicht mit Kommentaren wie: „Dieser Typ ist weniger wert als ein Stück Scheiße.“ Seither bekämpfe ich den Maskulismus.

Die staatlich finanzierte Böll-Stiftung lässt einen Aktivisten eine Datenbank über jene machen, die er offen „bekämpft“ – und diese Datenbank soll kein Pranger, sondern informativ und sachlich sein. In den letzten zwei Wochen blieben Kemper und die Stiftung ziemlich einsam mit der Verteidigung des Projekts. Distanzierungen von Grünen sind im Internet bislang kaum zu vernehmen und wenn, dann als „Non-Mention“, aber wie der Zufall so will: Einer der Gründe, warum mein Name trotz genderkritischer Haltung nicht im Wiki steht, sind meine Kontakte ins grüne Lager. Die meisten Namen aus dem Wiki sagen mir nichts, weil ich mit diesen “rechten“ Kreisen weder privat noch beruflich zu tun habe – 1 einzige genannte Person habe ich mal persönlich kennengelernt, und die ist nach normaler Auffassung selbst Feministin. In einem Beitrag über mich als Antifeminist könnte man keine Verbindungen zur rechten Szene, sehr wohl aber zur Böll-Stiftung aufzeigen. Und aus diesen Kreisen wird mir zugeraunt, dass man mit dem Projekt nicht zufrieden ist. Außerdem fühlen sich manche belogen und überrumpelt – die Dimension und die inzwischen fatale Aussenwirkung des Projekts waren bei der Vorstellung noch nicht einmal für das entscheidende Gremium ersichtlich.

Obendrein verdrehte man dort die Augen, als ich auf andere Tätigkeiten von Kemper hingewiesen habe. Im Netz findet sich nämlich ein ominöses “Institut für Klassismusforschung“  ohne jedes Impressum, an dem Kemper als Anbieter von Seminaren beteiligt ist.

Allerdings hat dieses angebliche “Institut” eine Seite mit Kontakt – und eine Möglichkeit, Geld zu spenden.

Empfänger der Mittel für die linke Institutsarbeit ist der Verein zum Abbau von Bildungsbarrieren e.V., dessen eine Website nicht erreichbar ist  und dessen Blog ebenfalls keinerlei Hinweis auf die Verantwortlichen enthält.  Allerdings findet man eine Projektwebsite mit der Bitte um weitere Spenden für den Verein bei Betterplace – und die wiederum hat Andreas Kemper erstellt

Die angegebene Adresse ist sehr nobel und lautet Schlossplatz 1, 48149 Münster, wo der AStA der Universität beheimatet ist. Andreas Kemper trat mehrfach für den Verein auf, andere Mitglieder habe ich bislang nicht gefunden. Ein Institut für Klassismusforschung ohne Impressum will Spenden über einen Verein ohne Impressum und erkennbare Struktur, und überall ist Andreas Kemper dabei – ein linker Aktivist, der bei Wikipedia seit 2005 zuerst unter Pseudonym und nach Enttarnung unter Klarnamen einen erbitterten Editierungskrieg zugunsten seiner profeministischen Thesen führte. Und dieser Mann macht jetzt für die weitgehend mit Steuergeldern finanzierte Böll-Stiftung die nach aussen erkennbare Arbeit für einen Pranger im Internet, der sich ausgiebig mit den persönlichen und anderen Feinden von Andreas Kemper und seiner Ideologien beschäftigt.

Ich habe bei der Böll-Stiftung in der Hoffmung auf Transparenz gefragt, was das Projekt kostet und wie Herr Kemper als Mitarbeiter der Stiftung entlohnt wird. Die Antwort darf ich hier hoffentlich zitieren:

Sie sehen es uns sicherlich nach, dass wir grundsätzlich nicht über die Finanzierung von Einzelprojekten sprechen. An das ehrenamtlich arbeitende Netzwerk der Agentin fließt kein Geld und Andreas Kemper ist auch kein Mitarbeiter.

Presserechtlich verantwortlich für Kemper und seinen sich nun ungehemmt entfaltenden Aktivismus, der kein Pranger zur Verunglimpfung anderer sein will, zeichnet trotzdem die Stiftung in Person des Leiters des Gunda Werner Instituts. Kemper, Tuider und von Bargen suchen trotz aller Kritik weiterhin Freiwillige für die “ehrenamtliche Arbeit” in Anonymität – soweit sie von der Stiftung technisch umgesetzt werden kann.

31. Jul. 2017
von Don Alphonso

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24. Jul. 2017
von Don Alphonso

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Eine erfundene Vergewaltigung zu viel

Sie ist für viele eine Heldin. Hillary Clinton hat gesagt, man sollte sich anschauen, was sie tut – das Bild sollte alle verfolgen. Senatorin Kirsten Gillibrand lud sie ein, um bei Obamas Ansprache an das Volk auf einem prominenten Platz zu lauschen, was der Präsident zu sexueller Gewalt sagen würde. Sie konnte im Time Magazine ein gross präsentiertes Editorial schreiben. New York Times, Guardian, CNN und Washington Post berichteten über sie und ihr Kunstprojekt, das sie so lange fortsetzen wollte, bis der Mann, der sie nach ihrer Behauptung vergewaltigt haben sollte, die gemeinsame Universität verlassen hätte. Sie trug dazu eine Matratze über den Campus, um den Beschuldigten unter Druck zu setzen, und bekam dafür den Susan B. Anthony Award der National Organization for Women. Der Beschuldigte wurde auf dem Campus bedrängt, verfolgt, und in den Medien von – auch deutschen – Aktivistinnen, denen man dafür Platz einräumte, als “mutmasslicher Vergewaltiger“ diffamiert. Und das, obwohl die Untersuchungen der Universität als auch der Polizei kein Fehlverhalten feststellen konnten. Sie heisst Emma Sulkowicz und galt bislang als bekanntestes Opfer einer Campus Rape Serie, die die Demokraten in den USA zu bekämpfen versprachen.

Ihr Opfer wurde schikaniert, durch die Medien gehetzt, und letztlich klagte er gegen die Universität aufgrund von Title IX der amerikanischen Bürgerrechte, weil seine Rechte und sein Leben durch die “Kunst“ massiv beeinträchtigt wurde. Nach längerem Hin und Her und dem peinlichen Versuch der Universität, aus formalen Gründen die Hände in Unschuld zu wachen, kam es schließlich zu einer aussergerichtlichen Einigung, und die Columbia University veröffentlichte ein gewundenes Statemaent als Entschuldigung, dass sie sie Aktion und den dazu gehörenden Mob zugelassen hat:

Columbia recognizes that after the conclusion of the investigation, P.’s remaining time at Columbia became very difficult for him and not what Columbia would want any of its students to experience. Columbia will continue to review and update its policies toward ensuring that every student — accuser and accused, including those like P. who are found not responsible — is treated respectfully and as a full member of the Columbia community.

Clinton, Obama, Gillibrand, fast die gesamte feministische Szene, der hasserfüllte Mob, die amerikanischen Medien und die Deutschen, die kritiklos abgeschrieben haben, was dort stand, und die weitgehend ignorierten, dass der Betroffene von den Vorwürfen freigesprochen wurde, obwohl die Universitäten scharf gegen jeden Vergewaltigungsverdacht vorgehen müssen, weil ihnen von der Obama-Administration unter Verweis auf Title IX der Entzug staatlicher Gelder angedroht wurde: Sie alle sind bis auf die Knochen blamiert. Die gefeierte feministische Kunstaktion ist nun etwas, das sich nicht wiederholen wird, und die frühere Heldin Emma Súlkowicz verweigert auf Medienanfragen bislang jeden Kommentar.

Dafür steht sie in einer Reihe mit den anderen beiden ebenso prominenten wie falschen Vergewaltigungsbehauptungen: Zuerst hatte der Fall von “Jackie” Furore gemacht, die bei einer Verbindungsfeier Opfer einer Gruppenvergewaltigung geworden sein wollte. Es dauerte eine Weile, bis sich herausstellte, dass Jackie sich das alles nur ausgedacht hat – mit verheerenden Folgen für die Universität und die Zeitschrift Rolling Stone, die mit einem schockierenden Fall Aufmerksamkeit erzeugen wollte, und mehr davon bekam, als ihr lieb sein konnte. Kurz danach flog die Schauspielerin und Feministin Lena Dunham auf, die in ihrer Autobiographie von einer Vergewaltigung durch einen Republikaner berichtet hatte: In einer demütigenden Stellungnahme war der Verlag gezwungen, die Angaben von Dunham zu korrigieren, die ungeachtet dessen weiterhin die feministische Sache an der Seite von Hillary Clinton befördern wollte. Sobald Clinton Präsidentin wurde.

Allerdings blieb – entgegen der Erwartungen eben jener Medien, die schon Emma Sulkowicz glaubten – der erdrutschartige Sieg Clintons aus, und Donald Trump wurde Präsident. An seiner Seite zog der berüchtigte Steve Bannon ins Weisse Haus als Berater ein. Bannons viel gescholtenes Onlineportal Breitbart hatte in den Fällen von Jackie, ´Dunham und Sulkowicz die eher kurze Liste der kritischen Medien angeführt, und Gruppen breiten Raum eingeräumt, die sich um jene kümmerten, die von den rigiden und wenig rechtsstaatlichen Ermittlungen der Universitäten betroffen waren. Die Journalistin Asche Show schrieb auf dem trumpfreundlichen Portal “Washington Examiner” und später im Observer eine ganze Serie über teilweise haarsträubende Verfahren gegen Beschuldigte an Universitäten.

Die Gegenseite konzentrierte sich dann voll auf den wasserdichten Fall von Brock Turner, einem jungen Studenten und Sportler, der sich in Kalifornien nach einer Verbindungsparty an einer Frau vergangen hatte. Täter und Opfer waren wie oft in derartigen Fällen stark betrunken, das Opfer befand sich schon in einer Art alkoholbedingtem Koma. Turner wurde von zwei Studenten über seinem wehrlosen Opfer in flagranti ertappt und angeklagt, wobei sich der Vorwurf der vollzogenen Vergewaltigung allerdings nicht bestätigte: Turner war mit seinem Genital nicht in die Frau eingedrungen. Der Richter hätte Turner für bis zu 14 Jahre Gefängnis verurteilen können, berücksichtigte aber das Gutachten der Bewährungshelfer, und beließ es bei sechs Monaten Haft und drei Jahren Bewährung, sowie einem lebenslangen Eintrag als “Sexual Offender”. Berücksichtigt wurde die Jugend und das bis zur Tat straffreie Leben des Täters. Für die Aktivistinnen war der Fall das beste Beispiel für die Zustände auf dem Campus: Ein reicher Sohn, eine exzessive Party, Alkohol, Verbrechen, und dann ein Richter, der ein viel zu mildes Urteil spricht. Das Opfer veröffentlichte einen empörten Brief, der von allen grossen amerikanischen Medien verbreitet, von Abgeordneten vorgelesen und vom Vizepräsidenten gelobt wurde. Vor dem Haus von Turners Eltern gab es eine Demonstration, bei der gefordert wurde, den “örtlichen Vergewaltiger” zu erschiessen.

Ein glasklarer Fall ändert aber wie eine erfundene Vergewaltigung nichts am Umstand, dass die Universitäten von allen Seiten unter massivem Druck stehen. Auf der einen Seite war der “Dear Colleagues”-Brief der staatlichen Bürgerrechts-Kontrolleure von 2011, der eine harte Gangart seitens der Regierung ankündigte:: Hochschulen mussten bei nachsichtigem Umgang mit Vergewaltigungsbeschuldigungen damit rechnen, durch die Streichung von Bundesmitteln an den Rand des Ruins bringen konnte. Zudem wurden, wenn sich Betroffene mit dem uniinternen Ablauf ihrer Verfahren gegen mutmassliche Täter unzufrieden zeigten, Untersuchungen gegen die Hochschulen eingeleitet und veröffentlicht – in der aufgeheizten Debatte eine Art Pranger und ein schwerer Schlag für den Ruf der Institutionen. Schutz vor staatlichen Massnahmen boten schnelle, harte und rechtsstaatlich fragwürdige Verfahren, bei denen es nicht mehr auf die zweifelsfrei erwiesene Schuld der Täter ankam – mit der Folge, dass es inzwischen Dutzende von bekannten Fällen gibt, in denen zu Unrecht Verurteilte wiederum mit Erfolg die Universitäten verklagten. Berichte über die als unfair und Männer benachteiligend empfundene Praxis trugen maßgeblich zum Erfolg des Portals Breitbart bei. Aktivistinnen der Gegenseite warnten, ein Sieg des wegen seiner Ausfälle berüchtigten Donald Trump könnten das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen lassen.

Daher kam die Entschuldigung der Columbia University für sie zum schlechtesten Moment: Gerade weil sich der Kläger selbst auf jenen Title IX berufen hatte, über den die Obama-Administration und Aktivistinnen rechtlichen Druck aufbauten, zeigte sich das Problem der schwammig formulierten Regelung. Auf sie kann sich jede Frau berufen, die sich sexuell belästigt fühlt, was nach Ansicht der Aktivistinnen schon bei Blicken beginnen kann, oder bei der Behandlung von Themen, die sie traumatisieren könnten, wie beispielsweise Texte von Shakespeare. Aber auch jeder Student, der von derartigen Aktivistinnen verfolgt, beschuldigt oder in seiner Entfaltung behindert sieht. Die Obama-Administration wollte, dass Title IX für Frauen möglichst weitgehend ausgelegt wurde – im Ergebnis ist es für die Universitäten unmöglich, in diesem Konflikt zwischen überzogenen Erwartungen, Radikalfeminismus und Partyexzessen einen Standpunkt einzunehmen, der echte Gerechtigkeit verspricht.

In der Folge gibt es die bemerkenswerte Entwicklung, dass die New York Times ein Editorial der gemässigten Feministin und Title-IX-Kritikerin Cathy Young zulässt, das Trumps Bildungsministerin Betsy DeVos und ihrem Versuch, das Problem zu lösen, weitgehend recht gibt. Während die trumpkritische Washington Post noch ebenso geschlossen wie erfolglos den Rücktritt der verantwortlichen Beamtin fordert, die sich etwas salopp zu den akoholschwangeren und feministischen Hintergründen der Campus Rape Empörung äußerte, hat man beim früher führenden Medium der Opfer mittlerweile ein gewisses Einsehen für die Strategie von DeVos, mit allen Beteiligten und Betroffenen ins Gespräch zu kommen. Für Feministinnen ist allein das ein unerträglicher Skandal: Nach dem Motto “Believe tue Victim” sollte erst gar nicht mit den möglichen Tätern, Männerrechtsorganisationen und sonstigen Vertretern abweichender Meinungen gesprochen werden. Eine der radikalsten Organisationen liess es sich nicht nehmen, DeVos vorab Anweisungen zu erteilen, wie sie zu verfahren hätte – und wurde prompt von den Gesprächen ausgeladen.

Der Guardian, Teen Vogue und die Washington Post werden vermutlich auch weiterhin ein Ohr für radikale Forderungen haben, während College Fix, Observer und Breitbart über den täglich neuen Wahnsinn an Universitäten berichten, dem gerade wieder ein Vortrag des Atheisten Richard Dawkins zum Opfer gefallen ist. DeVos hat sich derweil zu ihren Absichten geäußert und die schlimmsten Befürchtungen zerstreut: Sie wolle auf gar keinen Fall zurück in die Zeit, als Verfahren von Frauen weggewischt wurden, und sie erkennt an, dass die Universitäten für alle ein sicherer Ort sein müssen. Wichtig seien vor allem verlässliche und vertrauenswürdige Verfahren. Wie wenig bislang davon die Rede sein kann, zeigt ein weiterer, aktueller Fall, in dem ein Universitätsvertreter einer Klägerin geholfen haben sollen, massive Unstimmigkeiten ihrer Anklage zu bereinigen.

Der staatliche Druck auf die Hochschulen wurde schon jetzt reduziert, indem nicht mehr veröffentlicht wird, wo gerade Ermittlungen der Bundesbehörden laufen. Und Aktivistinnen befürchten wohl nicht ganz zu Unrecht, dass Universitäten die Klage des Opfers von Emma Sulkowicz zum Anlass nehmen, radikale Formen des Protests zumindest gegen Einzelpersonen nicht mehr auf dem Campus zu dulden.

24. Jul. 2017
von Don Alphonso

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18. Jul. 2017
von Don Alphonso

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Videoüberwachung: Einen Tod müssen Datenschützer sterben

Früher sah politischer Aktivismus so aus: Die eine Seite, meist rechts, konservativ, wirtschaftsfreundlich und vernarrt in die innere Sicherheit, hatte eine Idee wie anlasslose Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren, oder einfach nur Ärger wegen frecher Wortmeldungen im Internet, das deshalb auf die eine oder andere Art zensiert werden sollte, während die Daten der Nutzer der Industrie vorgeworfen wurden. Wir – und dazu darf ich mich auch zählen – demonstrierten vor den Toren des BND in Bad Aibling, schrieben Beiträge über die Nebenwirkungen von TTIP und die Auswüchse des NSA-Skandals. Wir unterstützen Initiativen wie den CCC oder Digital Courage und spendeten, wenn Ämter mauerten, oder erfolgreiche Prozesse gegen Überwachung geführt wurden. Wir erklärten, warum das Prostitutionsschutzgesetz datenschutzrechtlich wahnwitzig ist, dass die Franzosen trotz Totalüberwachung Terroristen unbehelligt lassen, und warum Videoüberwachung nachweislich sogar in London wenig bringt.

Datenschützer sehen sich in einem Ruf, ähnlich gut wie Robbenbabyschützer, und tun auch viel dafür, dass die andere Seite ungefähr den Ruf eines Robbenbabytotschlägers bekommt, und ich bedaure da auch nichts. Daten werden für uns alle noch immens wichtig, und wenn wir heute noch über dummes Targeting der Werbung lachen, werden wir möglicherweise bald vor einem Netz stehen, in dem ein angeblicher Bug in einem Algorithmus darüber entscheidet, ob wir eine Seite wie G20-Doku bei Twitter verlinken können, oder nicht. Anonyme Konzerne entscheiden nach Druck von Ministern, wer sichtbar bleibt, oder unsichtbar wird. Wir sind in einer umfassenden Transformation, und wenn wir heute nicht schreien, stopfen sie uns vielleicht morgen schon den Mund. Wir sind die Guten, und es dürfte eigentlich gar nicht sein, dass es Bürgerinitiativen gegen unsere Anliegen gibt. Es gibt sie aber. Eine wird aus dem Umfeld der Berliner CDU gestaltet. Da geht es um mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum.

Und wie in solchen Fällen üblich, agiert die Initiative mit spektakulären und empörenden Einzelfällen – wie schon von der Leyen bei den Netzsperren: U-Bahn-Schubsen ist das neue Kinderporno. Das Problem ist, dass diese Einzelfälle auf den Videos in ihrer Gesamtheit durchaus geeignet sind, das Sicherheitsgefühl in den Berliner Verkehrsmitteln zu beeinträchtigen: Videoermittlungen brachten die Polizei auf die Spur des bulgarischen und aktuell russischen U-Bahn-Treters, und setzten die syrischen Migranten, die einen Obdachlosen anzündeten, unter Druck, sich zu stellen. Es gibt Videoaufnahmen aus dem Geschäft, in dem ein türkischer Straftäter das Handy verkaufen wollte, das er einem Raubopfer angenommen hat. Jüngst wurden nach der Veröffentlichung von Videobildern sechs Syrer ermittelt, die zwei Männer an der Janowitz-Brücke verprügelt haben. Es gibt fünf Videoaufnahmen des Iraners, der eine Frau vor eine einfahrende U-Bahn schubste und damit tötete. Es gibt Aufnahmen des psychisch kranken Kosovaren, der mit einer Axt ein Massaker im Düsseldorfer Bahnhof anrichtete. In München sorgte das Video von Übergriffen durch Afghanen in der U-Bahn für Empörung. Auch bei der Ermittlung des mutmasslichen Mörders der Freiburger Studentin spielte eine Videoaufzeichnung aus einer Strassenbahn eine wichtige Rolle.

Es ist – ähnlich wie bei den Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg – schwer, gegen die Macht der Videos zu argumentieren. Die Videos zeigen eine für die meisten Betrachter unerträgliche Gewalt und eine Banalität des Bösen, die sich wie Terror gegen Zufallsopfer richtet. Es spielt keine Rolle, was das Opfer tat oder wer es ist – es ist einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort, wie ein Auto in einer Strasse, durch die Autonome ziehen und Brandsätze werfen, Das klassische Argument gegen Videoüberwachung, dass es den Tätern bei der Straftat offensichtlich egal ist, ob sie gefilmt werden, kann hier nicht mehr wirken: Wer einen Funken Anstand besitzt, muss sich eingestehen, dass die Taten falsch sind, und der Staat für Strafe und Prävention sorgen muss.

Und da gäbe es natürlich mehrere Ansätze. Bei der Vorratsdatenspeicherung argumentieren wir dafür, dass es die Polizeiarbeit nicht erleichtert, wenn sie aus dem zu überwachenden Datenmeer die Einzelfälle herausfischen muss, die wirklich gefährlich sind, und die auch mit anderen Mitteln – solange es nicht wie im Fall Amri läuft – zu überwachen sind. Wir sagen, es bringt nichts, Otto Normalbürger zu kontrollieren, wenn es um einzelne Terroristen geht. Wir räumen damit ein, dass es ein massives Problem in Parallelgesellschaften gibt, und setzen uns nicht der Gefahr aus, aus Gründen des Datenschutzes Gefährdern zu helfen. Unsere Argumentation ist hier eine, die zielgerichtete Kontrollen anstelle allgemeiner Überwachung mit hohem Missbrauchspotenzial durch die Behörden favorisiert.

Die Fälle in den U-Bahnen sind anders: Die meisten Schläger, die auf Videos sichtbar werden, oder Täter, die sich als Dealer in Berlin, aber auch anderen Städten im öffentlichen Raum breit machen, Handtaschen stehlen und für die Einführung “kriminalitätsbelasteter Orte” sorgen, sind eher Klein- und Gelegenheitskriminelle. Es sind zumeist junge Männer mit Migrationshintergrund, und die Bevölkerung erfährt nach Aufklärung der Taten weitere unschöne Details: Etwa, dass die Täter eine erhebliche kriminelle Vorgeschichte haben. Und öfters auch an psychologisches Fachpersonal gerieten, das im Fall des iranischen und russischen U-Bahn-Schubsers oder des kosovarischen Axtschläger der Meinung war, man müsste die betreffenden Personen trotz ihrer Vorgeschichte nicht in eine geschlossene Abteilung stecken.

Also, was tun? Die im öffentlichen Raum befindlichen Personen aufgrund ihrer Herkunft stärker zu überwachen, wäre “racial profiling”, natürlich illegal, und wird vom Berliner Senat wegen Diskriminierung offensiv bekämpft. Wer ernsthaft versuchen würde, die schlechte Sicherheitslage im öffentlichen Raum an Migranten festzumachen, könnte sich auf einen Sturm der Entrüstung einstellen, und würde zudem wenig Hilfe erhalten: Das politische Versagen bei der Integration, das zu derartigen Fällen beiträgt, ist eine Folge der Politik aller Parteien, und die Strukturen der Verwahrlosung gedeihen unter allen Koalitionen. Wenn einmal ein früher Verantwortlicher wie der beliebte Münchner Alt-OB Christian Ude derartige Zustände kritisiert, wenden sich auch früher freundlichst gesonnene Medien ab. Eine Debatte über die Migration als Ursache von Gewaltkriminalität wäre anhand der Kriminalitätsstatistik zwar möglich, aber genau das wollen die meist linken Datenschützer auch auf keinen Fall.

Andere Lösungen wie Ausweisung von Intensivtätern, Abschiebung von asylsuchenden Migranten beim kleinsten Gesetzesverstoss mit Drogen oder bei Sexualdelikten, und konsequente Umsetzung der Möglichkeiten der Gesetze vor Gericht könnten möglicherweise helfen, das Problem einzudämmen. Die früher üblichen Grenzkontrollen ohne Freizügigkeit der Niederlassung in der EU wären ebenfalls Massnahmen, die derartige Entwicklungen teilweise an der Wurzel angehen könnten: Dagegen steht natürlich der an sich richtige Wunsch, nicht Gruppen für die Taten einzelner verantwortlich zu machen. Das liberale Bürgertum erfährt im Durchschnitt dank der schwarz bezahlten Ukrainerin ein ganz anderes und gereinigtes Bild von Osteuropa, wenn es das SUV in der Tiefgarage abgestellt und die 5-Zimmer-Altbau-Wohnung in Kreuzberg betreten hat, nachdem es gerade noch in Tegel gegen Abschiebungen demonstrierte. Debatten um Kuscheljustiz, Behördenversagen und fragwürdige Gutachter beantwortet man in diesen Kreisen mit Hinweisen auf den Fall Mollath oder dem Einwurf, dass es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung für Straftäter gibt, die hier so wurden. Unvergessen auch ein grüner Parteirat, der offensichtlich Herkunftsländer nicht mit den nach Deutschland gereisten Sexualstraftätern belasten will.

Darauf setzt man noch den Hinweis, dass langfristig die Gewaltkriminalität abnimmt, drakonische Strafen nicht bei der Rückführung in die Gesellschaft helfen, und der arme Schwarzafrikaner doch nur dealt, weil er sonst keine andere Möglichkeit hat- wer anderer Ansicht ist, findet sich bei der AfD oder Schlimmerem wieder. Diese Debatte hält allerdings keinen Kleinkriminellen davon ab, unter dem Gelächter seiner Freunde andere die Treppen hinunter zu treten, und nachdem dem Bürger lang und breit erklärt wurde, was alles nicht funktioniert und auf keinen Fall getan werden darf, sieht er hier: Die Videos führen zu Festnahmen. Zumindest werden die Straftäter ermittelt und verurteilt. Wenn man schon vorher nichts tun kann, kann man wenigstens nachher hoffen, dass nicht der nächste Gutachter den nächsten Verbrecher leicht davonkommen lässt, weil der vorher schon auffällig  und vermindert schuldfähig war. Politik und Parteien können die Entwicklungen nicht aufhalten, die Behörden sind nicht fähig, Psychologen lassen Gefährder laufen, die Polizei wird ständig attackiert, wenn sie gegen gewalttätige Verbrecher vorgeht, und mit Ausweisungen ist nicht zu rechnen. Die Videoüberwachung hält keinen Verbrecher auf und verdrängt die Probleme nur, sie ist auch nicht viel besser als die Nichtlösungen der Beschwichtigung, die den Bürgern aus Gründen von Faulheit, Inkompetenz und Ideologie geboten werden. Aber sie sind ein Instrument, über das man sachlich diskutieren und gefahrlos befürworten kann.

Es ist ein Placebo für die Bürger, und es wird verabreicht, weil diejenigen, die es genehmigen, lieber im Kleinen ein Zugeständnis machen, als eine grosse Debatte über die aus dem Ruder laufenden Zustände in deutschen Metropolen zu führen. Es löst wie elektronische Fussfesseln und Gefährderkarteien keine tiefer liegenden Probleme, auf die Datenschützer gern hinweisen, um ihr Kernthema zu schützen. Aber der Hinweis auf diese Probleme löst sie auch nicht. Das wird nur vorgeschoben, bevor in der weiteren Debatte erklärt wird, warum man da auch sonst wenig tun kann. Die Videokameras werden eine Weile dafür sorgen, dass sich manche Bürger sicherer fühlen, während alles andere so weiter geht. Nur die Datenschützer wirken angesichts der schockierenden Bilder wie weltfremde Spinner, die sich gleichzeitig weigern, bessere Ideen zu präsentieren. Und deshalb gewinnen in Berlin CDU-nahe Kreise, die die Politik jahrelang mit zu verantworten hatten, mit einer Bürgerinitiative gegen Argumente, die ebenso im Kern richtig wie angesichts der Realität in den Städten nutzlos sind.

18. Jul. 2017
von Don Alphonso

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08. Jul. 2017
von Don Alphonso

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Der Gipfel, der Linksextremismus, seine Helfer und ihre Ausreden

Es gibt Texte, die in Würde altern, und Texte, die von den Entwicklungen überrollt werden – und dann gibt es noch Texte, die nie eine Würde hatten. Zur letzten Kategorie gehört eine weit verbreitete Geschichte der Süddeutschen Zeitung vor dem G7-Gipfel in Elmau, die nicht nur die Kosten kritisierte, sondern in einen Vergleich mit den Ausgaben für Umweltschutz und Flüchtlingsrettung setzte.  Dabei bemühte die SZ nicht nur falsche und viel zu geringe Zahlen für den Umweltschutz, sie agierte auch mit graphischer Manipulation, und sorgte so für Empörung im Netz über die Staatsregierung. 2017 könnte man das Verhalten der SZ vor dem Hintergrund des NetzDG als Fake News bezeichnen, aber es lohnt sich, den Beitrag heute noch einmal angesichts der Ereignisse vom G20-Gipfel zu lesen.

Denn inzwischen ist zwar klar, dass der G7-Gipfel in Elmau tatsächlich – je nach Berechnungsmethode – 130 Millionen Euro gekostet haben dürfte. Das Geld wurde aber teilweise durchaus sinnvoll für Strassenbau, digitale Infrastruktur, Neubauten und Sanierungen im Bereich von Garmisch investiert. Heftig kritisiert wurde Bayern nicht nur von der SZ, sondern von vielen mit Aktivisten konform gehenden Medien wegen der umfassenden Sicherheitsvorkehrungen: Elmau wurde eingezäunt. Der Raum für Protestcamps, für die sich Autonome angemeldet hatten, wurde in Garmisch bewusst klein gehalten. Vor Ort arbeiteten Richter und Staatsanwälte im Schichtbetrieb, um Ausschreitungen möglichst schnell Verfahren folgen zu lassen. Ein riesiges Polizeiaufgebot verwandelte das kleine Garmisch in eine Festung. Während in München eine Grossdemonstration störungsfrei die Ziele der G-7-Gegner artikulierte, sahen sich Aktivisten vor Ort einer Übermacht des Staates gegenüber, die ihnen die Räume eng machten.

Diese “bayerische Art” wurde in den Medien und im Internet beklagt, zeigte aber Wirkung: Garmisch ist viel zu klein, um jenen urbanen Strassenkampf zu entfesseln, den man in Genua erlebte. Die Bevölkerung hat keinerlei autonome Strukturen und Subkulturen, die es Randalierern erlauben würden, zwischen Zivilisten unterzutauchen. Zumeist junge Fremde sind im Altenghetto Garmisch reichlich auffällig, und können keine Rückzugsräume finden: Garmisch ist nur über drei Routen sinnvoll erreichbar, und alle führen sie durch wenig bewohnte Bergtäler, und derer zwei haben obendrein eine damals scharf kontrollierte Grenze zu Österreich. Ohne hochalpine Erfahrung ist keine Flucht jenseits der Strassen und Bahnen aus dem Talkessel möglich.

Im Ergebnis blieben die befürchteten Krawallen völlig aus. Offensichtlich hatte sich der schwaerze Block zwar mit Garmisch beschäftigt und auch zur Mobilisierung aufgerufen, aber seine Mitglieder wurden erfolgreich abgeschreckt, und reisten erst gar nicht an. Die Demonstranten vor Ort durften eine Wanderung zum Zaun rund um Elmau veranstalten, die in der Pracht der bayerischen Bergwelt idyllische Bilder wie ein Klassenausflug lieferte. In Erinnerung blieben keine Ausschreitungen, sondern die Ansprache von Präsident Obama vor den geladenen Gästen aus dem Ort, die sich in ihrer besten Tracht versammelt hatten. Auch daran gab es massive Kritik: Unter Führung der damaligen SPD-Generalsekretärin Fahimi wurde im Internet und in den Medien das verfälschte Bild der Lederhosen-und-Dirndl-Deutschen kritisiert, das durch die Gipfelregie in die Welt gelangte.

Der Gipfel in Elmau war teuer, er war für die militante Szene abschreckend und bot wenig Möglichkeiten zum Protest, aber er war auch sicher, sehr friedlich, und Bayern konnte für sich in Anspruch nehmen, den Ort für einen der wichtigsten klimapolitischen Beschlüsse der Gegenwart bereitet zu haben. Die Welt bekam ein Bilderbuchland zu sehen, und keinerlei hässliche Ausschreitungen. Die Klagen linker Aktivisten bei Publikative und anderen Internetpublikationen, die gern mehr Protest gesehen hätten, und die Polizei mit Vorwürfen überschütteten, blieben letztlich eine Randnotiz, wie auch die Methoden der Süddeutschen Zeitung, die Kosten zu skandalisieren.

Während ich das hier schreibe, kommen im Internet Aussagen von Linksextremisten mit und ohne Presseausweis, die bejubeln, dass in Hamburg die staatliche Ordnung zusammengebrochen ist.

Ich lese hämische Tweets über verletzte Polizisten, hier etwa von Krawalltouristen der Interventionistischen Linken aus Wien..

[…]

Dann schreibt einer noch so etwas:

Und man rechtfertigt in Person von Sören Kohlhuber politisch motivierte Gewalt.

[…] Maas liess sich zu seinem Engagement zitieren: “Wir müssen dafür sorgen, dass Hetzer und Brandstifter das gesellschaftliche Klima nicht vergiften”.

[…] Es gibt Versuche in den Medien, die Verbrechen zu verstehen, und dabei wird bei n-tv auch der linksradikale “Ermittlungsausschuss” zitiert – eine Gruppierung innerhalb der Szene, die ihre Aufgabe darin sieht, den Staat und seine Organe für die Ausschreitungen verantwortlich zu machen. Ein Mitbesitzer des Spiegel Verlags und Kolumnist von Spiegel Online will, dass die Kosten für Gipfel in die Höhe getrieben werden, damit sie nicht mehr so leicht stattfinden können.

Autonome “sollen” “mitverantwortlich” für Ausschreitungen sein und werden in der Zeit flauschig als Aktivisten dargestellt, die eine hierarchiefreie Gesellschaft wollen.

Und die Welt sieht diesmal Amateuraufnahmen von schwarz gekleideten Militanten, die in aller Ruhe durch die Strassen ziehen, Scheiben einschlagen und Autos in Brand setzen. Die Welt sieht eine Polizei, die nicht in der Lage ist, den linken Terror in der Stadt effektiv zu bekämpfen. Hamburg sieht in manchen Stadtvierteln wie eine Dystopie nahe an einem Bürgerkrieg aus. Die bislang bekannten Zahlen der Verhaftungen machen nicht den Eindruck, als sei es der Polizei gelungen, die Vielzahl der Verbrecher festzunehmen. SPD-Justizminister Heiko Maas, dessen Kollege Gabriel sich zusammen mit dem Parteivorsitzende Schulz vor dem Gipfel positiv über friedliche Demonstrationen geäußert hatte, gibt die rechtsstaatliche Plattitüde zu Protokoll, dass Straftäter vor Gericht gehören.

Seine frühere Ministerkollegin Manuela Schwesig bezeichnete  Linksextremismus als ein “aufgebauschtes” Problem,  und hat die Extremismusklausel bei der Mittelzuteilung für den “Kampf gegen Rechts” aufgehoben. Im Video, mit dem das Bündnis WelcometoHell zu der außer Kontrolle geratenen Demonstration aufgerufen hat, trägt der Sänger ein T-Shirt mit dem Aufschrift “Strassen aus Zucker” – der Name einer linksradikalen Jugendzeitung, die jahrelang von der Rosa-Luxemburg-Stiftung mitfinanziert und verteilt wurde. Die Grünen machen am 7. Juli noch die Polizei mitverantwortlich und schaffen erst am 8. Juli nach neuen Ausschreitungen eine klare Distanzierung. Katja Kipping von der Linken stellt Polizei und Kriminelle bei der Frage der Eskalation auf eins Stufe.

Das Bündnis WellcometoHell, das die Demonstration des Schwarzen Blocks organisiert hat, fühlt sich von den Medien in seiner Einschätzung, Opfer von Polizeigewalt geworden zu sein, bestätigt, und will sich heute wieder unter die Demonstranten mischen:

„Die in den Medien gezeigten Mitschnitte, Bilder und Kommentare der Journalist*innen vor Ort entlarvten die zynischen Kommentierungen des Polizeisprechers Zill – etwa: es ginge nur darum, den vermummten Teil zu isolieren, um ihn zum Ablegen der Vermummung zu bewegen, damit die Demo starten könne – unmittelbar als Propagandalügen.“

Die Medien würden ihre Arbeit schlecht machen, wenn sie nicht überzogene Kosten kritisierten, aber es ist ein enormer Unterschied, ob ein paar Dutzend Bagatellermittlungen wie in Elmau eingeleitet oder ganze Strassenzüge in Hamburg verwüstet werden. Es ist ein Unterschied, ob der Rechtsstaat seine Möglichkeiten präventiv nutzt, oder ganze Viertel unter Zwang und Gewalt aufgibt. Kritik gibt es an den Behörden immer, dem schwarzen Block und seinen Verstehern in den Medien wird immer zu viel durchgegriffen, die Polizei hat immer eskaliert, die Gewalt wird immer als unverhältnismäßig betrachtet, immer fühlt sich die Presse – oder was immer das bei solchen Veranstaltungen einen Ausweis vorzeigen kann – zu hart angefasst. Es gibt immer Klagen, weil jemandem ein Bild nicht passt.

In Elmau beklagte man sich über Bilder von Menschen in Heimattracht, in Hamburg über den Schwarzen Block und seine Sympathisanten. Der G-7-Gipfel zeigte das, was man gemeinhin als ein schönes Land bezeichnet, der G-20-Gipfel das, was man gemeinhin einen failed state nennt. Die einen wurden wegen der Kosten kritisiert, die sie in Sicherheit investierten, und man wird sehen, ob die anderen je werden aufschlüsseln müssen, wie hoch die Kosten für Stadt und Bürger unter Einbeziehung aller Folgen waren – und es stehen noch zwei Tage bevor. Und im Internet kursieren Aufforderungen, dass man angesichts der Lage in Hamburg auch an anderen Orten angreifen kann:

So sieht es aus in einem Land, in dem Heiko Maas den Kampf gegen Rechts mit dem NetzDG forciert.

Es ist absehbar, dass am Montag die Debatte um die innere Sicherheit erneut mit voller Wucht ausbrechen wird: Videoüberwachung, Vorratsdatenspeicherung. Funkzellenabfrage, Demonstrationsrechtseinschränkung, Ausweitung der Straftatbestände für Überwachung, anlasslose Kontrollen, mehr Möglichkeiten für Sicherheitsdienste im Internet. Dabei hat man in Elmau durchaus gesehen, dass die Möglichkeiten des Rechtsstaates völlig ausreichen, um Szenen wie in Hamburg zu verhindern. Und wenn man sie damals nicht so niedergeschrieben und kategorisch kritisiert hätte, hätte man jetzt ein wirklich stichhaltiges Argument, warum das Problem nicht mit der CDU-Überwachung des Netzes und dem SPD-Kampf gegen die Meinungsfreiheit im Internet zu lösen ist, sondern mit konsequenter Durchsetzung des Rechtsstaates. Dann gibt es sogar schöne Bilder und Werbung für das Gemeinwesen, in dem Menschen friedlich beim Bier zusammensitzen, statt Läden zu plündern und Autos anzuzünden. Und eine linke Presse zu haben, die Ausschreitungen verteidigt und die Klagen der Betroffenen als “kleinbürgerlich“ abtut.

Korrektur

In einer vorhergehenden Version dieses Beitrags haben wir behauptet, Mitarbeiter des von „Zeit Online“ betriebenen Blogs „Störungsmelder“ hätten die Gewalt anlässlich des G-20-Gipfels verharmlost. Ferner sei der „Störungsmelder“ vom Bundesjustizministerium mitfinanziert. Dies ist unzutreffend. In dem Blog „Störungsmelder“, das bei “Zeit Online” erscheint, wurde gar nicht über die Ereignisse in Hamburg berichtet, daher wurde von der „Zeit“ in dem Blog der Terror auch nicht verharmlost. Auch finanziert das Justizministerium den “Störungsmelder” nicht mit. Die im Beitrag erwähnten Sören Kohlhuber und Michael Bonvalot sind auch keine Mitarbeiter von “Zeit” oder “Zeit Online”. Sie waren in der Vergangenheit ehrenamtliche Autoren des “Störungsmelder” und bei G20 weder im Auftrag von “Zeit” noch “Zeit Online” unterwegs.

08. Jul. 2017
von Don Alphonso

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25. Jun. 2017
von Don Alphonso

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Das grosse Zensieren bei Twitter hat begonnen

Vor ein paar Wochen wurde der Twitternutzer Kolja Bonke dauerhaft von Twitter ausgeschlossen. Ich war kein Follower, ich habe es zuerst gemerkt, als ich mit wenig freundlichen Witzen über diesen Rauswurf informiert wurde. Bonkes Account wurde früher schon einmal wegen unfreundlicher Kommentierung der Folgen der deutschen Asylpolitik gelöscht. Nun war er endgültig draußen. Leute, die ich früher als “Free Speech”-Befürworter kannte, und die schon am eigenen Leib erleben mussten, wie schnell eine dumme Bemerkung üble Konsequenzen haben kann, fühlten sich veranlasst, sich darüber zu freuen.

Ich bin in der Folge von einigen Nutzern gefragt worden, ob ich nicht das tun will, was andere wie Bonke ebenfalls tun: Wechseln zu Gab.ai. Gab.ai erlaubt etwas längere Texte, ist funktional Twitter ebenbürtig, und wurde explizit gegründet, um der freien Rede nach US-Vorstellungen einen Schutzraum vor den Folgen staatlicher Repression zu bieten. Repression, die in Deutschland durch Heiko Maas, seine Ex-Stasi-IM-Bekannte und das Netzdurchsetzungsgesetz so weit gediehen ist, dass der Minister als negatives Beispiel für Meinungsunterdrückung in der New York Times auftaucht. Eine Repression, die der Stiftung von Anetta Kahane kostenlose Werbefläche bei Google gibt, um nach dem Skandal um das von ihr betriebene Prangerprojekt “Neue Rechte” ihre Sicht der Dinge zu verbreiten – denn die Flächen wurden der Stiftung von Google gegeben, weil sie in der von Maas eingerichteten Task Force gegen “Hate Speech” sitzt. Inzwischen ist ein Projekt der Stiftung auch offizieller Partner von Twitter, wenn es um “Beleidigungen” geht.

Es gibt also durchaus Gründe, warum man nicht bei einem Anbieter sein möchte, der einerseits dem Minister willfährig ist, und andererseits mit Frau Kahane kooperiert. Ich persönlich bin sicher kein Freund von Spitzeln, aber es gibt auch Gründe, bei Twitter zu bleiben: Ich habe dort mehrere Kampagnen überlebt, die darauf abzielten, mich blockieren zu lassen. Eine Aktion, betrieben von Radikalfeministinnen, hatte sogar ganz offen den Hashtag ”Blockchallenge”. Ich weiss, dass meine Inhalte von diversen Gruppen und Personen scharf beobachtet und häufig gemeldet werden. Auf der anderen Seite wurde mein Account aber von Twitter eigenständig verifiziert, und ich bin mit fast 12000 Followern nicht gerade unprominent.. Das muss man sich erst einmal erarbeiten, das gibt man trotz schlechter Gesellschaft nicht so leicht auf.

Und im Zweifelsfall könnte ich etwaige Entscheidungen gegen mich auch offensiv angehen. Das gibt es immer wieder, Leute wie Stefanie Sargnagel werden wegen ihrer Prominenz von Strafen freigesprochen die Netzwerke gegen sie verhängt haben. Es reicht, wenn nur der öffentliche Druck zu gross und die Begründung für die Sperre zu schlecht ist. Konzertierte Aktionen zum Ausknipsen von Nutzern gibt es immer wieder, angefangen von Versuchen, Roland Tichy beruflich zu schädigen, über das organisierte Melden der Gruppe #DasNetzwerk bis zum Einrichten von Fake Accounts, deren Inhalte dem um seine Identität Beraubten persönlich schaden sollen . Momentan wehrt sich ein bekannter deutscher Blogger auch juristisch gegen Behauptungen, die eine Gruppe Frauen gegen ihn seit Jahren bei Twitter vortragen. So weit, so unschön. Wenn Twitter schlau ist, haben sie ohnehin eine Liste von Leuten, denen die vertrauen, und bei denen das Personal weiss, aus welcher Ecke die Versuche kommen, sie auszuschließen.

Ich habe also ein nicht unkritisches, aber stabiles Verhältnis zu Twitter gehabt – bis vor ein paar Wochen. Da hat Twitter massiv angefangen, Aussagen und Accounts in Deutschland zurück zu halten – mit einer deutschen Voreinstellung bekam man sie nicht mehr zu sehen. Ich war damals in Italien, mit den dortigen IP-Nummern war alles bestens sichtbar. Es wurden Accounts durch weitgehende Unsichtbarkeitmachung eingeschränkt, die nichts erkennbar Strafbares oder Illegales geschrieben hatten, sondern allenfalls zynisch oder deutlich waren, oder sonst wie legal extremen Missmut zum Ausdruck brachten. Mein persönlicher Eindruck ist – durch nichts belegt natürlich – dass Twitter durch das Ausschalten von Accounts und die Resonanz der empörten Nutzer der Politik zeigen wollte, dass sie auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Man muss die Firma da vielleicht sogar verstehen: Das Editieren ist enorm teuer, Twitter schreibt weiterhin hohe Verluste, und finanziell wäre es besser, wenn die gesetzlichen Regeln nicht allzu teuer in der Umsetzung sind. Allerdings zeigte Twitter da meines Erachtens auch, dass es durchaus zum Overblocking bereit ist. Das ist bei Politikern ein fataler Fehler – jedes Zugeständnis sorgt dafür, dass sie den Eindruck haben, richtig zu handeln.

Heute kamen mir gleich etliche Fälle von Shadowbanning unter, rechts wie links wie antifeministisch. Ich finde es überhaupt nicht lustig, dass Linksextremisten ihre Ausschreitungssteuerung in Hamburg immer noch über Twitter verbreiten, und Leute unsichtbar gemacht werden, die sich hierzulande etwa gegen die Radikalen der Al-Quds-Demo wehren. Dass es obendrein noch einen FDP-Politiker erwischt hat, der eine Äusserung zitiert und sich definitiv nicht zu eigen macht, kann an der Spracherkennung bei Twitter liegen. Ich würde aber als Journalist in diesem Land gern über den real existierenden Antisemitismus reden können, ohne dass mich ein soziales Netzwerk dafür zensiert. Ich weiss sehr genau, was ich tue und schreibe. Ich habe keine Nanny nötig, und auch keine Aussicht auf ein Gesetz, das noch viel mehr Nannytum nötig machen wird. Man kann nicht frei reden, wenn die Rede nicht einmal mehr Zitate erlaubt. Das Problem gab es schon mit dem Bild der napalmverbrannten Kinder aus Vietnam, das bei Facebook zensiert wurde. Jetzt verhindert Twitter, dass ich erfahre, welche Probleme es mit Antisemiten in Berlin gibt. Das ist eine Plattform, die mich zwingt zu überlegen, was ihr Algorithmus zu tun gedenkt. Das ist keine Meinungsfreiheit.

Gab.ai wird von diversen Medien, die den Plänen von Heiko Maas wohlwollend gegenüber stehen, als Plattform von Alt Right Aktivisten bezeichnet – man sollte da bloss nicht hingehen und dem Einfluss deutscher Politiker entkommen. Der Punkt ist aber ein anderer: Ich sehe die Entwicklung von Twitter durch die letzten 3, 4 Jahre. Twitter hat sich weggeduckt, ist politisch gewollte Kooperationen eingegangen, und wird vermutlich auch mitspielen, wenn die SPD versucht, das Internet unter die Kontrolle der Landesmedienanstalten zu stellen, und besonders gute Plätze für Medien zu ergattern, die – wie die Anstalten der ARD – überwiegend systemkonform berichten. Twitter ist kein Medium und keine Plattform, sondern eine Firma, die politischem Druck aus der Mitte und den klar dominierenden, linken Pressure Groups nachgibt, unpopuläre Ansichten auszuschließen, bis hin zum Kollateralschaden bei jenen, die sich für unschuldig halten – und gleich danach Gaststätten denunzieren, die politischen Gegnern Raum geben.

Twitter ist, salopp gesagt, im Vergleich zum mächtigen Facebook deren Fussabstreifer. Twitter steht nicht erkennbar auf und kämpft. Vielleicht haben manche im Management auch ein schlechtes Gewissen, weil sie Trump eine Plattform bieten, und haben kein Problem damit, wenn um so härter gegen das durchgegriffen wird, was im Internet als “rechts” bezeichnet wird. Und selbst, wenn es dabei Zionisten und FDP-Mitglieder, die von Antisemitismus angewidert sind, erwischt. Oder gar Leute, die Zensurbemühungen offensiv befürworten.

Es gibt da also kein Umschalten zu einer Zensur und einer DDR2.0, sondern eine schleichende Veränderung, bei der einseitig fragwürdige Kampagnen toleriert werden, ohne dass es deshalb Konsequenzen gibt. Die Frage ist bei solchen Entwicklungen immer, wo sie noch hinführen werden: Werden es weiter Moralmarketingaktionen wie “Doppeleinhorn” oder “Nohatespeechde” sein, bei denen sich politische Freunde der Regierungsparteien über finanzielle Zuwendungen freuen können, ohne Schaden anzurichten. Oder lernen Politiker und setzen zukünftig erfahrene Staatstrolle ein, die auch bereit sind, mit schmutzigen Tricks zu arbeiten – Ansätze dazu sind bei der SPD schon zu sehen. Und wird sich Twitter vor mich stellen, wenn ich mich wirklich mit Maas anlege, sein Ansehen schädige und sein Staatssekretär Twitter einen Wink geben sollte? Ich komme aus dem Bayern der CSU, da hat man schon viel erlebt, und wundert sich über gar nichts mehr.

Brauche ich also Gab? Nein. Die Frage ist allerdings nicht, ob ich eine Alternative heute brauche, sondern ob ich sie in 1, 2 oder 4 Jahre brauchen werde. Angenommen, das NetzDG scheitert vor den Verfassungsgericht: Wer kann sagen, mit welchen Methoden dann versucht wird, das auszuschalten, was man verhindert sehen möchte? Und wer wird dann die Kriterien aufstellen? Eine Broschüre zum Hass in Internet wurde von deutschen Ministerien empfohlen, entstand aber unter Teilnahme einem linksradikalen Mitglied der Linken, das sich als “antideutsch” bezeichnete und die Opfer der Bombardierung von Dresden bei Twitter verhöhnte. So weit sind wir schon jetzt. Und es ist nie ganz dumm, eine fertige Ausweichmöglichkeit zu haben, um nicht mundtot und vom eignen Netzwerk abgeschnitten zu sein.

Das ist insofern bitter, als Demokratie auf Vertrauen in Rechtsstaatlichkeit aufbaut, und die Entwicklung der letzten Jahre dazu geführt hat, dass man sich angesichts der erratischen Eingriffe von Twitter genau überlegen muss, was man sagen darf, und was man besser bleiben lässt. Heiko Maas mag mit seinem Gesetz später vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern, aber das Gefühl, einer Firma wie Twitter nicht mehr trauen zu können, weil man nie weiss, welcher Spitzel und welcher Apparatschik was tun wird, ist jetzt schon da. Gab.ai bedeutet noch nicht, dass ich mit meinem Account komplett umsteige, sondern zuerst einmal wieder einen verlässlichen Dienst habe – und mit dem im Rücken wieder ohne Sorgen bei Twitter aktiv sein kann. Einige Bekannte schreiben nur noch bei Gab und lassen das als Anreisser bei Twitter laufen: So kann man das auch machen. Es ist nicht optimal, es ist nicht schön, aber den Entwicklungen der letzten Jahre angemessen, und besser als die Abhängigkeit von einem Dienst, der selbst längst nicht mehr frei in seinen Entscheidungen, sondern Gejagter der zensurbefürwortenden Entwicklungen ist.

Was die Nutzerzahlen angeht, ist Twitter natürlich ein Riese im Vergleich zu Gab.ai, aber China hat auch mehr Einwohner als die Niederlande.

25. Jun. 2017
von Don Alphonso

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20. Jun. 2017
von Don Alphonso

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Grüne Verteufelung braucht keine komplexe Aufklärung

Wenn ich es nicht anders wüsste – Redaktionshochhaus und Druckerei der Prantlhausener Zeitung stehen zwischen Industriegleisen und Autobahn südöstlich von München – müsste ich annehmen, die Kollegen drucken ihre Zeitung mit Wasserkraft an der Isar. Alle ihre Mitarbeiter kommen mit Dienstrikschas, deren Tretsklaven dann die Zeitung in München ausradeln. In der Kantine gibt es die Steckrüben, die der Isarkies dort regional so hergibt, gegrillte Isarschadpreussen und Bier, das beim Flaucher verloren gegangen ist, und sich bei den Zeitungswasserrädern fängt. Ausserdem haben die Kollegen das Isarhochufer mit einer riesigen Solaranlage verschandelt, um Strom für ihre Rechner und Server zu erzeugen. Im Winter frieren sie ganz lausig, weil die Heiztemperatur aus Ökogründen 12 Grad nicht übersteigt, und weil es ihnen klimaneutral dreckig geht, schreiben die mies Gelaunten dann Beiträge, dass es allen anderen auch so dreckig gehen soll.

Ich wüsste jedenfalls nicht, was sonst die Kollegen dazu bringt, öffentlich zu fordern, dass man neben Dieselfahrzeugen, die bislang die SZ ausliefern, auch Benziner wörtlich verteufeln soll, von denen im aktuellen Bestand der Mitarbeiter nach meinem Wissen auch der ein oder andere 911er Porsche ist. Und der ist nun wirklich nicht klimaneutral. Trotzdem gibt es also bei der SZ einen lichten Moment, in dem ein Mitarbeiter drei Dinge sagt:

1. Die Debatte um den Diesel ist keine rationale Diskussion, sondern eine einseitige Verteufelung
2. Man soll jetzt auch mit der Verteufelung der Benzinfahrzeuge anfangen.

Und in der Schlussfolgerung impliziert:

3. Jede Form des herkömmlichen und daher die Umwelt schädigenden Verbrennungsmotors ist zu verteufeln.

Das wir nun als Modethema dauernd wiederholt, wie das Märchen von der Gender Pay Gap. Es ist eine schöne Begleitmusik für den Parteitag der Grünen, der als 13-Jahres-Plan für die Wirtschaft beschlossen hat, dass ab 2030, sofern es da noch die grüne Partei geben sollte, die deutschen Hersteller nur noch Elektrofahrzeuge bauen und verkaufen dürfen. Sollten die deutschen Hersteller die kalte Kernfusion erfinden, oder die Brennstoffzelle praxistauglich machen, hätten sie nach dem Willen der Grünen und ihren Vorstellungen vom grünen Auto Pech gehabt.

Politik und Nannyjournalismus gehen, pfui sagend, Hand in Hand. Der Vorschlag der Grünen ist radikal und nach meiner Einschätzung nur unter massiven und keineswegs schönen Folgen für das öffentliche Leben umsetzbar. Vor allem ist der Vorschlag “emissionsfreier Autos” eine glatte Lüge, denn die Energie ist kein Manna, das vom Himmel fällt. Energie für den Verkehr muss erst einmal irgendwo erzeugt werden. Es kann sein, dass das Auto am nicht existierenden Auspuff “emissionslos” ist – nur wird die Emission in Form von CO2, Atommüll, Landschaftszerstörung durch Wasserkraft und Speicherkraftwerken an anderer Stelle erzeugt. Fortbewegung verlangt nach Energie, und solange es kein Perpetuum Mobile gibt, muss Energie mit Einfluss auf die Umwelt erzeugt werden. Diese Debatte ist zusammen mit Überlandleitungen und durch Windanlagen getötete Tiere nicht schön – und das ist meines Erachtens der Grund, warum heute im Netz von solchen Autoren verteufelt wird.

Wenn ich den Gegner – den Traditionalisten, das Auto, Trump, Putin, Benzin, den alten, weissen Mann, den Flüchtling, den Gutmenschen, den Körnerfresser, die klassische Ehe, die Homosexuellen, die Muslime, die AfD – verteufle, also wirklich als Inbegriff des Bösen darstelle, dann ist nicht nur jedes Mittel bei seiner Bekämpfung recht. Dann ist es nicht nur wie bei Spiegel Online durch eine Genderistin diskutierbar, solche Leute mit der falschen Anschuldigung einer Vergewaltigung persönlich zu ruinieren. Dann muss man auch über die anderen Alternativen und ihre Nachteile gar nicht mehr reden. Momentan ist die grosse Mehrheit der Deutschen überzeugt, dass sie ohne ein Auto mit Verbrennungsmotor den Alltag nicht bestehen. Deshalb kaufen sie trotz Förderung kein Elektroauto, pendeln mehrheitlich nicht mit dem Rad, und stellen ihre SUVs bei mir vor der Feuerwehreinfahrt ab, um eine halbe Stunde mit anderen Müttern über die Töchter im Gymnasium gegenüber zu diskutieren. Es ist offensichtlich, dass eine Totalbekehrung der grossen Mehrheit in diesem Land in 13 Jahren nicht einfach wäre, selbst wenn die Alternative besser wäre, als sie in absehbarer Zeit sein wird.

Also muss man geradezu verteufeln, und zwar nicht nur den betrügerischen Diesel, der jeden Besitzer zur schamerfüllten Dreckschleuder und indirekt zum Massenmörder umgestaltet. Man muss im gleichen Zug, wenn man gerade die Gelegenheit hat und wie die Grünen “Climate first” propagiert, gleich alle Verbrenner als Höllenausgeburten darstellen. Wenn das gelingt, und nur dann, sind die offensichtlichen Nachteile der Alternativen, die möglichen Folgen für die deutsche Wirtschaft und ihre stromuntauglichen Oberklassenfahrzeuge, der Niedergang einer Industrie, und der Dreck und die Probleme durch Akkus und Strom vernachlässigbar. Es geht nicht mehr um den Widerstreit der Konzepte oder die rationale Frage der Akkuleistung im Winter, sondern um einen Krieg der Mächte der Finsternis gegen die Kräfte des Lichts.

Ein schönes Beispiel für die Verabschiedung von der Aufklärung und die Renaissance des Totalitarismus einer kleinen Minderheit, die im Netz aber die Debatte beherrscht, ist der obige Tweet von den Grünen – und bitte, ich lasse selbst mein Auto wochenlang stehen, um alles mit dem Rad zu machen. Grüne Welle für Räder, wird da versprochen. Man macht Verkehrsteilnehmern, die das Prinzip kennen, den Mund mit der Lüge des schnellerem Fortkommen wässrig. Man entzieht den automobilen Kräften der Finsternis ein Privileg und gibt es den Kräften des Lichts, die die Stadt erobern. So simpel wie die Verdammnis der Verbrenner ist auch die Erhebung der Guten, Luzifer in die Hölle, die radelnden Engel zum Hosianna. Aber wer sich einmal mit Radfahrern im Strassenverkehr beschäftigt hat, kennt die Unterschiede zu Autofahrern. Autos bewegen sich im Stadtverkehr in berechenbar schnellen Kolonnen fort, und beschleunigen immer von 0 auf 50, egal ob Fiat 500 mit 3 Kindern auf dem Rücksitz oder Ferrari. Die einheitliche Geschwindigkeit der Radfahrer gibt es nicht – es gibt Rennradler, die in 10 Sekunden 40 km/h erreichen und Muttis mit Lastenrädern und Kindern sowie Dienstrikschaverteufelungsredakteure, die sich mit 6-10km/h fortbewegen. Eine grüne Welle für eine anarchische Masse wie Radfahrer ist eine schöne Idee wie Sozialismus, Weltfrieden und Feminismus ohne Hass auf Männer – aber nicht erreichbar. Und vor dem radikalen, aber effektiven Mittel der Italiener – Sperrung der Innenstädte für alle motorisierten Verkehrsteilnehmer, die nicht darin wohnen, und der damit verbundenen Möglichkeit, Ampeln abzuschaffen – schrecken Ökologische im deutlich kälteren Klima des Nordens zurück. Keine der SUV-Muttis vor meiner Feuerwehreinfahrt würde dann noch grün wählen.

Solche Debatten sind extrem unangenehm, allein schon, weil die moralische Überlegenheit in einem enormen Widerspruch zur gelebten Praxis steht. Beispiele gibt es mehr, wie das ebenfalls verteufelte Ehegattensplittung. Darüber sind praktisch alle meine Bekannten in Beziehungen privat heilfroh, weil es die Steuerlast drückt und den Nestbau für real existierende Familien massiv erleichtert, währen grüne Jungpolitikerinnen gerade an der realsozialistischen Segnung “Kita im R2G-Berlin” verzweifeln. Ungeachtet dessen arbeiten Grüne und linke Politiker gerade daran, mit dem Splitting eine Idee der verteufelten “50er Jahre ” – da, wo die verteufelte AfD hin will – nach allen Mitteln der kirchlichen Kanzelkunst schlecht zu reden. Verteidiger des Privilegs, die ganz offen sagen, wie schön es ist, wenn der Staat weniger bekommt, finden sich im Netz selten. Die Grünen haben längst die moralischen Höhen über dem egoistischen Sumpf eingenommen, und versprechen jetzt, dass 15 Milliarden Steuerersparnis zur Entrechtung neuer Ehen gestrichen werden soll, sollten sie an die Macht kommen. (Angebote reicher Erbinnen unter 40, süddeutsch bis toskanisch, katholisch oder atheistisch, cabriotauglich, Typ Romy Schneider/Anouk Aimee, gern auch arbeitsscheu, bitte vor der Bundestagswahl an die Redaktion, Chiffre keinCentfürCemundAnton2017)

Wer nicht der Meinung ist, dass Wirtschaftsmigranten aus Guinea, Nigeria und Bangladesch 100 Meter hinter den libyschen Hoheitsgewässern nach Europa gebracht werden sollten, will als absolut Böser kleine Kinder im Ozean ertrinken lassen. Wer darauf hinweist, dass auch die Pflanzenvielfalt auch durch eine natürliche Art der Gentechnik entsteht, ist böse, selbst wenn er gegen Pflanzenpatente und Saatkaufzwang und Normierung ist. Wer nicht für die Ehe für Alle ist und denkt, dass nun mal jede Lebensentscheidung ihre Vor- und Nachteile hat, mit denen man sich abfinden muss, ist homophob und sexistisch. Wer mit den negativen Folgen des staatlichen Sparprogramms, das sich Inklusion nennt, konfrontiert ist und denkt, dass Kinder ohne Deutschkenntnisse oder mit Behinderung den Unterricht ineffektiv machen, hasst Benachteiligte, und das als Bevorzugter, dem alle Wege offen stehen. Wer – wie ich – mit dem Rad 50km durch die Holledau fährt, ist gut, auch wenn er nachher anderthalb Liter Johannesbeerschorle trinkt und eine riesige Portion isst, deren Produktion in der Landwirtschaft die Umwelt schädigt und CO2 verursacht. Die Familie einen Tisch weiter, die die beiden Opas mit Rollator dabei hat, damit die auch mal wieder an die frische Luft kommen, und dazu mit acht Personen und zwei Autos zum gleichen Biergarten gefahren ist, ist schlecht und zur Verteufelung freigegeben.

So einfach ist das. “Mit dem Rad rund um Scheyern etwas für die Gesundheit getan – leider überall lauter Assis und alte, weisse Männer mit Blechkisten, asozial erschnorrt, weil sie früher splitten konnten” könnte ich als kinderloser Egoist twittern, und wäre voll auf einer Linie mit der SZ, SPON, Zeit, taz und den anderen, die es für ihre heilige Pflicht halten, den Menschen manichäisch von der Finsternis zum Licht zu erziehen. Wie falsch eine derartige Überhöhung des eigenen Standpunkts ist, der keine Diskussion mehr will, sieht man erst, wenn ein teilweise von Medien unterstützer Teil der Moralischen weg von den brennenden, bösen Autos einen Schritt weiter geht. Und erklärt, warum es vollkommen richtig und gerecht ist, den anderen, die nicht so richtig sind, die Kabel entlang der Zugstrecken in Brand zu setzen. Die G20 sind schlecht, und weil es kein richtiges Leben im falschen gibt, richtet sich der Kampf auch gegen die Kabel des Bösen, damit es alle betrifft, wie auch die Autofahrer bei Fahrverboten. Die Mittel zur Umsetzung der Autonomen mögen anders sein, aber eine normale, offene Diskussion über Für und Wider von Technik, Entwicklungen und Wegen in eine bessere Zukunft gibt es nicht. Statt dessen bunte Bildchen, Slogans und, natürlich, Verteufelung.

Es ist wirklich freundlich von den Kollegen der Prantlhausener Zeitung, dass sie einen Moment so ehrlich waren und aufgezeigt haben, wie das Verteufeln von den Pamphleten mittlerweile auf die Webseiten der Mitte gekommen ist. Und würde man dort als Nutzer kommentieren wollen, dass in diesem Fall aber auch die öffentlichen Verkehrsmittel auf Emissionen und Feinstaub untersucht werden sollten. Sollte man anmerken, dass Schadstoffmessungen direkt am Menschen erfolgen könnten, der selbst ein sehr schlechter Verbrennungsmotor mit geringen Leistungsgrad ist. Würde man gern ketzern, dass man im Zweifelsfall die wahrhaft Guten wieder mit dem Leiterwagerl ins Spital bringen sollte, wie man das vor 150 Jahren auch schon klimaneutral und lebens- und verschmutzungsreduzierend machte, und vielleicht den Englischen Garten abholzen sollte, damit der moderne Städter ihre Kartoffeln wirklich im regionalen Anbau selbst erzeugen können, wie schon 1945 – sollte man das wollen, dann entdeckt man, dass die SZ inzwischen keine Kommentare mehr hat. Ganz im Gegensatz zu neuen Beiträgen über den “Mann in der Krise” und seine Sünden, den bösen Trump der Hölle und die zu Tränen rührende Wonderwoman als laizistischen Tränenmadonnenersatz im Kampf um den einzig richtigen Glauben. Wozu Aufklärung, wenn man an Wunder wie emissionslose Autos glauben kann.

20. Jun. 2017
von Don Alphonso

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13. Jun. 2017
von Don Alphonso

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Das Werk der Kirchenväter und Sieferles Beitrag im Internet

Meine Tätigkeit bei der FAZ umfasst auch das Redigieren -und im Zweifelsfall das Nichtfreischalten – von Kommentaren. Ich mag Debatten und verabscheue das Löschen, und oft genug sind in Beiträgen weiterführende Links, bei denen ich der Meinung bin, dass sie weder zu meinen Intentionen noch zu meinem Thema passen. Manchmal greife ich dann so ein, dass ich Links als Zeichen der Missbilligung inaktiv mache, wie etwa bei der Bild, epochtimes oder der taz. Oder ich wende mich an den Verfasser und bitte um thematisch passende Links. Wenn es gar zu viel wird, wenn bewusst gewisse Thesen und Richtungen dauernd kommen, lösche ich auch schon mal Kommentare. Das heisst aber nicht, dass ich nicht vorher lese, was da verlinkt wurde.

Das hat mit einer Erfahrung in meinem Studium zu tun – in einer Epoche, als Information seltenst frei, verbunden und allgemein verfügbar war. Es ging da einmal konkret um die Frage, ob es außerhalb christlicher Quellen greifbare Beweise einer christlichen Überzeugung von Konstantin dem Grossen in der Archäologie gibt. Für das gesamte Christentum ist die Frage absolut entscheidend, denn angeblich hat Konstantin der Kirche Rom überlassen, und sich nach Konstantinopel zurück gezogen. Diese sog. ”konstantinische Schenkung” wird von den meisten echten Archäologen ebenso abgelehnt, wie sie von christlichen Archäologen als bewiesen angesehen wird, und seit Jahrzehnten tobt in der Wissenschaft der Streit um die Frage, welche Hinterlassenschaften Konstantins man passend interpretieren kann. Ich sage das ganz offen, nach meiner Meinung sind die Argumente christlicher Forscher nicht stichhaltig und allein dem Umstand geschuldet, dass sonst das römische Papsttum historisch nicht mehr haltbar ist – neben all den schönen Legenden vom heiligen Kreuz.

Aber dafür muss man sich erst mit den Argumenten beider Seiten, ob man sie schätzt oder nicht, auseinandersetzen. Es gibt bei diesem Streit das Herbeirufen von Interdisziplinarität, die es erlaubt, der anderen Seite zu sagen, sie sollte sich doch erst mal bilden, wenn sie diskutieren will. Und so landet man in einem Seitenraum des archäologischen Instituts und liest ausgerechnet jene Kirchenväter, die das antike Erbe, das man studiert, mit aller Macht bekämpften und zerstörten. Man liest das, was von der wichtigen, heidnischen Schrift “Gegen die Christen” von Porphyrios aus der Zeit der Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert noch erhalten ist. Wir haben diese wichtige Sicht eines Fremden auf die später dominierende Religion, weil Christen vor der Einführung ihres Glaubens als Staatsreligion gegen den Autor argumentierten, und dabei weite Teile seines Werks zitierten. 325, beim Konzil von Nicäa, war die Macht des Christentums dann schon so gefestigt, dass man nicht mehr diskutierte, sondern die Schrift des Porphyrios mitsamt ihrer störenden Quellenkritik am Christentum verbrannte.

Man sitzt da also in einem Nebenraum, vergleicht den Heiden und seine christlichen Gegner, die erst redeten und dann verbrannten, so weit es ihnen halt möglich war. Porphyrius wurde unwillentlich von Kirchenvätern gerettet, anderen erging es schlechter, Wir wissen aus einseitigen Quellen, dass es in Nordafrika einen erbitterten Donatistenstreit um die Frage gab, ob man vom Christentum Abgefallene wieder aufnehmen sollte: Der Kirchenvater Augustinus wollte erst darüber öffentlich diskutieren und, als er damit keinen durchschlagenden Erfolg hatte, die Donatisten vertilgen, was zu regelrechten Donatistenkriegen führte. Man kennt das vom Pelagianismus, der die strikte Erbsündenlehre wie wohl die meisten Menschen der christlichen Gegenwart ablehnte, und 431 vom Konzil in Ephesos erst verboten und dann radikal verfolgt wurde. Man kennt es von Jan Hus, der erst zu einer Diskussion seiner Thesen nach Konstanz eingeladen und dann verbrannt wurde. Man kennt es von Luther, der wegen einer Bedrohung des Ketzertodes aus Augsburg fliehen musste, und von Luther gleich noch einmal: Er dachte, er könnte die Juden in Diskussionen überzeugen, und als es ihm nicht gelang, forderte er neben Synagogenverbrennungen auch die Beschlagnahme aller jüdischer Schriften.

Das rabbinische Judentum ist da theoretisch anders – es gibt dort eine Pflicht, eine Gegenmeinung zu achten, weil die jüdische Gesetzesauslegung vor allem auf Abwägen und Debatten zwischen Gelehrten basiert, zwischen denen es formal keine besondere Hierarchie gibt. Das hat allerdings französische Juden nicht davon abgehalten, 1232 den Führer der Unschlüssigen, das heute hochgelobte Hauptwerk von Maimonides, ebenfalls verbrennen zu lassen. In abgemilderter Form wurde vom Rabbiner Salomo Adret geurteilt, nur Männer über 25 Jahren mit einer gewissen Erfahrung sollten das Buch lesen, was es möglicherweise für Jüngere erst recht begehrenswert machte. Maimonides behauptet – in vermutlich nicht ganz ernster Selbstbescheidung – dass sich sein Buch gar nicht an die Massen, sondern an erfahrene und gebildete Personen richtete. Es wurde und ist bis heute dennoch ein Bestseller der jüdischen Literatur. Und man kann davon ausgehen, dass allein der dreiste Titel, der benauptet, es gäbe im Glauben Unschlüssige über die allgemein akzeptierte Dogmen, ein Grund für den sensationellen Erfolg ist. Nichts facht den Verkaufserfolg mehr an, als ein gerissener und gewitzter Härethiker, dessen Bücher öffentlich verbrannt werden, und dessen Anhänger man gleichzeitig nicht wie die Donatisten ausrotten kann.

Das alles lernt man bei der Auseinandersetzung mit der Kirchengeschichte. Manchmal gelingt es den Oberen, die Flammen und Brandbomben der Andersdenkenden zu löschen, manchmal gelingt es nicht, und am Ende entsteht daraus wieder eine EKD mit ihren Käßmanns und Göring-Eckardts, gegen die wieder neue Häresien ins Leben gerufen werden. Man liest die vergangenen Streitereien und denkt sich, dass Heiden, Juden und Christen zwar recht seltsame Leute waren, aber sicher nicht dumm oder unfähig, die anderen zu verstehen. Aber irgendwann kippt das, es wird dogmatisch mit Verboten für Lehre, Sprechen und Denken, und iam Ende schreibt dann ein Ambrosius von Mailand an den Imperator, dass es völlig in Ordnung ist, Synagogen niederzubrennen. Dieses System der durchaus scharf geführten Debatte unvereinbarer Positionen, bei der jedes Lager aus seinem Gedankenmodell hervorzieht, was ihm argumentativ passt, schlägt angesichts von Macht- und Mehrheitsverhältnissen um in Verbote, etwas gar nicht mehr zu debattieren, zur Kenntnis zu nehmen, und jene auszugrenzen, die gerne weiter debattiert hätten.

Als ich gestern Nachmittag begann, mir Gedanken über diesen Beitrag zu machen, war mein Blog voll mit Links zur Debatte um Rolf Peter Sieferle und eine Liste von NDR und SZ, von der ich bis dahin gar nicht wusste, dass es sie gibt. Ich muss davon ausgehen, dass die Links dem Wunsch nach einer Debatte entsprechen. Sieferles Buch, verlegt vom neurechten Aktivisten Götz Kubitschek, stand da gerade noch auf Platz 9 der Amazon Bestsellerliste, jetzt ist es auf Platz 1. Der Spiegelautor, der das Buch auf Platz 9 der Liste gehoben hat, wird öffentlich von seinem Chefredakteur bei Spiegel Online vorgeführt, um die Ehre der Jury durch die Unterwerfung – werft den Purchen zu Poden! – wiederherzustellen (https://www.spiegel.de/kultur/literatur/finis-germania-spiegel-redakteur-johannes-saltzwedel-tritt-aus-sachbuch-jury-zurueck-a-1151810.html). Als Historiker fühlt man sich da an die grausamen Demütigungsrituale vor Päpsten und Königen des Mittelalters in der Öffentlichkeit zur Wiederherstellung ihrer “honor” oder ihres Gottesstellvertretertums erinnert. Als schlachtenverbeulte Schildwache vor dem Diskussionssaal meines Blogs, der ich gestern haufenweise Kommentare freigeschaltet habe, die sich kaum für Sieferle, sehr wohl aber für das Lesen von Sieferle ausgesprochen haben, habe ich da zwangsweise auch eine Meinung.

Das, was Donatisten und Pelagianer vertraten, und wofür man sie verdammte, ist heute weitgehend Konsens der Laienkirche. Die grosse Mehrheit in diesem Land würde heute Porphyrios in seiner Bibelkritik sicher zustimmen, wie sogar viele Theologen, die anerkennen, dass er sich ernsthaft mit den Quellen beschäftigte. Man dachte, man verbrennt Jan Hus, und bekam später dafür einen Luther und Glaubenskriege, die ganz Europa verheerten, und noch im letzten Jahrhundert war es deshalb schwer, wenn Protestanten und Katholiken heiraten wollten. Die Kirche verbrannte Savonarola, und trotzdem gibt es heute eine grüne Verbotspartei. Und warum? Weil ein paar Eliten dachten, sie könnten bestimmen, was andere denken sollten, und was nicht. Weil diese Eliten dachten, sie könnten entscheiden, welche Debatte erlaubt ist, und welche Debatte zu führen unter ihrer Würde sei. Jedes Schisma, jeder Glaubenskrieg, jeder Totalitarismus beginnt mit der Beendigung der öffentlichen Debatte. Man hat sich in Mitteleuropa nach den schlechten Erfahrungen und enormen Opfern dazu entschieden, das radikale Prinzip der Meinungsfreiheit dagegen zu setzen. Meinungsfreiheit ist unbequem und in sich radikal, aber sie verhindert Dogmen. Meinungsfreiheit bedeutet nun mal, dass ich nicht nur eine Meinung vertreten darf, sondern auch das Recht habe, mich über alle Meinungen zu informieren und zu empfehlen, das zu tun. Das ist der entscheidende Unterschied zur Gedankenfreiheit. Solange Bücher und Webseiten nicht aus triftigen Gründen von einem rechtsstaatlichen Gericht verboten sind, sind sie erlaubt. Und solange sie erlaubt sind, sollte es auch erlaubt sein, sie direkt zu empfehlen, und nicht nur indirekt und unbeabsichtigt, indem man warnt, dass um Himmels Willen niemand das empfehlen darf.

Das andere Buch von Sieferle über die Migrationskrise stürmt übrigens auch gerade die Verkaufscharts. Natürlich – und solche Rufe werden im Internet gerade auch schon laut – gibt es jetzt die Option, Amazon unter Druck zu setzen, die Bücher nicht mehr zu verkaufen. Es gibt jenseits des Rechtsstaates durchaus Mittel, mit denen man die Verbreitung solcher Werke bekämpfen kann. Teilnehmer der Jury bekunden öffentlich, dass sie nicht für die Entscheidung verantwortlich waren, was mögliche Abweichler moralisch unter Druck setzt. Nun sollen als Folge des Vorgangs generell Bücher gewissermaßen vorzensiert werden, die aufgrund abweichender Einstellungen nicht die Empfehlungsliste dürfen: Irgendwer wird also einen Index librorum prohibitorum erstellen und über Neuerscheinungen wachen müssen, damit die Schäfchen da draußen keine Kunde von Häretikern bekommen, während bei Kubitschek die Rotationsmaschinen weiterhin heisslaufen. Was kommt als nächstes? Verbot von Druckermaschinen, Entzug der ISBN-Nummern, Exporte deutscher Debattenverbote, noch so ein Versuch wie der Boykott gegen einen Buchhändler, der die “falschen” Bücher prominent platziert? Oder ein Schritt weiter wie die Antifa, die expressis verbis im Internet dazu aufruft, mir die Wohnung zu verwüsten, weil ich die STASI-Vergangenheit von Andrej Holm thematisiert habe? Und weil das Bezeichnen als “rechtsradikal” nach all dem Missbrauch gegen jede nicht linke Sichtweise heute nicht mehr ausreicht, um Gegner zu verdammen?

Dass dieses probate Mittel offensichtlich niemanden mehr abhält, das Buch des extrem formulierden Autors zu kaufen, ist eine der Lehren der letzten 24 Stunden – und es sieht so aus, als müsste ich nun auch gegen meinen Willen zu Kubitscheks Kunde werden, um fundiert mitreden zu können. Das besondere Problem bei diesem Fall ist, dass Sieferle aus dem Leben geschieden ist, und man hier über einen Toten zu Gericht sitzt, der sich nicht wehren kann. Auch dafür gibt es historische Vorbilder wie die Leichensynode des Jahres 897. Man wirft Sieferle vor, er stünde in einer äußerst schlechten, historischen Tradition, was durchaus stimmen mag. Aber die Geschichte kennt viel mehr Hässliches, das es zu vermeiden gilt, wenn man das Erbe der Aufklärung nicht schmälern möchte.

Ich habe die Befürchtung, dass mich Sieferle entsetzlich langweilen wird, wie die meisten früher linken Renegaten, wie auch Augustinus einer war. Und wenn man Sieferles Empfehler kühl, nüchtern und umfassend darzulegen erlaubt hätte, ganz ohne falsche Demut, warum das Buch lesenswert sein soll, hätten sich vermutlich auch die Käufe von Finis Germania in Grenzen gehalten.

13. Jun. 2017
von Don Alphonso

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