Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die deutsche Entbuntung im Urlaub

Es gibt verschiedene Kulturen, aber nur eine Zivilisation: Die europäische.
Kemal Atatürk

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Deutschland ist bunt. Und der Islam gehört zu Deutschland. Gleichzeitig ist Deutschlands Rolle in der Welt wichtig, und wird um so wichtiger, je protektionistischer und globalisierungsfeindlicher die USA unter Trump werden. Es gibt zwar, das ist unbestritten, ein paar Probleme beim Thema Integration, es gibt ab und zu regionale Nachrichten ohne überregionale Bedeutung, aber selbst Terror muss, sollte, darf man heute als Teil der allgemeinen Lebensrisiken ansehen. Lernen sie mal Flüchtlinge kennen, sagt die Regierungschefin, und außerdem: Wir schaffen das. Das hier ist nicht sehr bunt, nur weiss und blau, das ist der Blick von der deutschen Südgrenze hinein nach Österreich.

Das ist ohne jede Frage hübsch, ein Bild wie aus dem Reiseprospekt, und ich darf an dieser Stelle auch sagen, dass es im Rundumblick so schön bleibt. Hier stossen zwei wenig bunte Ferienregionen aneinander, das bayerische Oberland und Tirol. Zwei Ferienregionen, die etwas altbacken und nicht wirklich bunt wie Mallorca oder die bulgarische Schwarzmeerküste sind: Der frühere Prominentenurlaubsort Bayerischzell kann mit Dubai nicht mehr konkurrieren. Die steuerlichen Vorteile bei der Vererbung in Österreich, für die man da drüben, gern am Achensee, einen festen Wohnsitz braucht, kennt auch nicht jeder, sondern nur eine bestimmte weisse, vermögende Schicht. Es ist eine Urlaubsregion mit grosser Vergangenheit, als sich noch nicht jeder Urlaub leisten konnte, und die Wege in die Ferne beschwerlich waren: Dort unten wanderten Erzherzöge und Kaiser, es malte August Macke und es schrieb Thomas Mann. Auch Heinrich Himmler erlag dem Charme der Landschaft, als er noch in der Geflügelzucht arbeitete. Drüben am Achensee verkehrte ein Schaufelraddampfer, der Gäste zu einem Grand Hotel ganz hinten zur Sommerfrische brachte. Die grosse, mondäne Welt des alten Europa, mit ihren Brüchen und Abgründen, sie begann mit dem Urlaub hier in diesen Bergen um 1820, und hielt sich bis in die 70er Jahre, als Gunter Sachs dort unten rauschende Feste feierte.

Damals wurden Flugreisen billig, der deutsche Normalbürger konnte sich dank der starken DM längere Auslandaufenthalte leisten, und so bracht er auf in die Welt. Zuerst ging es mit der Horex und dem Käfer Cabrio auf der Landstrasse nach Jesolo, Mutige wagten sich bald mit der S-Klasse bis nach Sizilien, und mein Onkel, dessen alter Bauernschrank da unten in meiner Wohnung steht, durchquerte noch mit dem Renault abenteuerlich die Sahara, die man heute problemlos mit geführten Touren entdecken kann. Die Welt war gross und weit und schrumpfte dann zusammen. Meine Abiturreise nach Kalifornien war noch etwas Besonderes. Heute fliegt man dort schnell zum Coworking hin. Bergwandern am Tegernsee verkam zu einer Wochenendbeschäftigung älterer Münchner, während schlaue, junge Menschen nachrechneten und erkannten, dass man für den Preis eines bayrischen Käsestücks an der türkischen Riviera ein ganzes Frühstücksbuffet bekommt. Mit Meer und Sonne und Wärme anstelle eines kalten Sees in den Bergen. Und der Flug dauerte auch kaum länger als die Anreise in die Berge auf der verstopften Salzburger Autobahn,

Billige Flugzeuge mit staatlicher Unterstützung, billiger Sprit dank Fracking und staatliche Förderung der Flughäfen machen es möglich. Obwohl ich hier oft nur mit dem Rennrad unterwegs bin, kostet mich eine selbst organisierte Transalptour mit gutem Essen in sechs Tagen mehr als eine günstige, einwöchige Pauschalreise in die Türkei mit Flug. Globalisierung lebt von solchen enormen Preisunterschieden, und deshalb importieren wir billig Unterhaltungselektronik wie Kameras und Laptops aus China, um damit im Billiglohnland Türkei Urlaub zu machen und die Bilder mit der billigen Elektronik nach Hause zu schicken. Wenn ich auf einem Rad, dessen Teile vor allem aus Europa stammen, durch die Berge radle, fühle ich mich schon manchmal wie der letzte, langsame Saurier in einer von wieselartigen Kleinsäugern übernommenen Welt. Warum, wurde ich beim Kauf meiner Wohnung hier gefragt, fährst du mit dem Geld nicht einfach in Urlaub? Jeden Winter auf den Sinai, Frühling in Tunesien oder Marokko – niemand muss in meiner gesellschaftlichen Stellung monatelang durch den Schnee stapfen.

Als ich vor 10 Jahren beschloss, hierher zu ziehen, sah ich in den Schaufenstern der Banken Angebote für die Palmeninsel und neue Suiten in Dubai, und ganz versteckt offerierte man auch Wohnungen am Tegernsee. Heute kenne ich niemanden mehr, der nach Dubai reist. Ich weiss von einem Fall einer Tochter, die wirklich nach Ägypten reiste, obwohl ihre Eltern ihr angeboten haben, andere, sichere Destinationen freiwillig zu bezahlen. Das ist alles nur anekdotisch, es sind Einzelfälle und keine Wissenschaft. Aber nun gibt es auch eine Untersuchung, und die spricht davon, dass das Reich unseres Menschenrechtspartners Erdogan inzwischen in der Gunst der Deutschen noch hinter Österreich liegt. Unser kleines Nachbarland, das früher einmal zum Herzogtum Bayern gehörte und eigentlich noch immer von bayerischen Leibeigenen bewohnt wird, dieser bergige Vorbalkan – erfreut sich mehr deutscher Zuneigung als das nachbalkanische Riesenreich mit Sonne, Meer und Tributmilliarden der EU als Dank für den Flüchtlingsdeal.

Noch deutlicher werden die Österreicher selbst. Auch dort nehmen die Reisen in die Türkei drastisch ab und werden vor allem von jenen gebucht, die sich von den extrem günstigen Preisen angesprochen fühlen. Das ist doch etwas erstaunlich, weil der Deutsche laut Medienberichten nun nicht nur der Führer der freien Welt sein soll, sondern auch mannhaft weiss, dass der Terror auch in Deutschland alternativlos unvermeidlich ist, und das Risiko desselben in der Türkei immer noch geringer als das Risiko des Strassenverkehrs ist. An Erdogans Politik kann es eigentlich auch nicht liegen, denn gerade heute tritt sein Freund Yildirim in Oberhausen vor einer entfesselten Anhängerschar auf – solche Gruppen hat man in der Türkei und daheim in Deutschland, das macht eigentlich keinen Unterschied. Betrachtet man das alles so rational wie ein Beitrag der Zeit zu den Nachteilen des Valentinstages, muss man zum Schluss kommen: Die Türkei ist auch bunt. Terror gehört nun mal dazu. Sie ist nicht diktatorischer als Dubai oder Saudi-Arabien oder Tunesien vor dem Umsturz, Es gibt keinen ernsthaften Grund, die Globalisierung durch Tourismus abzubrechen, als wäre man ein Trumpanhänger, der lieber America first denkt und buy american, hire american sagt. Warum nur, warum, warum, warum sieht das Google-Autocomplete bei der Recherche dann so aus?

Der Deutsche hat, auch wenn man nicht offen darüber spricht, Angst. Sorgen. Er mag nicht zugeben, dass er ein besorgter Bürger sei, denn das kann einem den Job kosten. Aber er ist fraglos ein besorgter Urlauber. Die Türkei fällt, Österreich steigt. Es steigt auch Deutschland, namentlich Bayern, in der Gunst der Reisenden. Ich sehe es in der Untersuchung bestätigt, dass mehr Berliner ihre bunte Stadt Richtung Ostsee verlassen, obwohl dort eigentlich Dunkeldeutschland liegt und nach der Wahl in Mecklenburg geschworen wurde, man würde da nie wieder hin fahren. Die einen sind öfters in der Nähe von Prora und Peenemünde, wo die Naziruinen stehen, und andere kommen zu uns, wo das Hotel steht, in dem der sogenannte Röhmputsch stattgefunden hat. Deutschland ist bunt, sagt man, aber Urlaub macht man dort, wo man das nicht wirklich glaubhaft behaupten kann. Langsam zieht sich der Reiseweltmeister wieder in sein angestammtes Territorium zurück, es reicht ihm, was schon seinen Grossvater ergötzte. Es gibt bei uns nicht allzu viel. Berge, Seen, Wälder, Almen, ein paar Barockkirchen und Kleidung, mit der man sich jenseits meiner Heimat als Dunkeldeutscher mit Hang zu identitärer Ideologie verdächtig macht.

Auch die Ernährung bei uns entspricht jetzt nicht unbedingt den Vorgaben, mit denen die deutsche Umweltministerin aufwartet. Es gibt eine Tendenz, dem türkischen Staat den Rücken zu kehren und sich dort zu erholen, wo nach gängiger Sichtweise Reaktion und Fortschrittsfeindlichkeit in Deutschland daheim sind. Die AKP wirbt für die gute, alte Zeit des osmanischen Grossreichs, und das Tourismusmarketing in Bayern mit der zeitgleichen, heilen Welt des Prinzregenten. Das eine gefällt Türken, weshalb sie in Deutschland nationalistische Flaggen hissen und in der Türkei Büros der Opposition stürmen. Das andere gefällt Deutschen, die sich nicht daran stören, dass man in den Tourismusorten demokratisch CSU-Schwarze, Freie-Wähler-Schwarze und Bürgerlisten-Schwarze wählen kann, oder Grüne in Janker und Dirndl. Deutschland mag ein Einwanderungsland sein und der Islam mag zu Deutschland gehören, aber Urlaub, die schönste Zeit des Jahres, verbringt man wieder mehr bei einer Kultur, die, ob man sie nun mag oder nicht, nur bei den Farben der Pralinen, den Dirndln und den Feiertagsgewändern der Hochwürden bunt ist. Und die Türken reisen gern in die Türkei.

Es gibt da also eine gewisse Diskrepanz zwischen dem allseits gewünschten Ideal von Buntheit und Multikulti und den Entwicklungen im Freizeitverhalten der Deutschen. Es geschieht nicht schnell, es kommt langsam, jedes Jahr finden mehr Landeskinder zurück an den Busen der Heimat und der angrenzenden Gebiete, und manch einer wird auch sagen, er folgt nur den Spuren der Kanzlerin der offenen Grenzen, die bekanntlich Südtirol sehr schätzt. Mancher wird auch sagen, dass die Fliegerei ein Verbrechen ist und reduzierter Kerosinverbrauch die Lage der Menschen im Nigerdelta bessert, wo böse Ölkonzerne das Land ausbeuten, und was dergleichen gute Erklärungen mehr dem Wanderer zwischen Berg und Tal kommen mögen.

Man braucht für alles eine gute Erklärung, will man nicht wie Trump als plumper Nationalist erscheinen. Das tut man nicht, denn der Deutsche ist Romantiker, und deshalb lieber in Einklang mit der Natur denn im Dissens mit der Autobombe. Technisch gesehen ist das Ausweichen in die Berge auch kein echter Muslim Ban, denn selbstverständlich könnte jeder Muslim gern nachkommen, ein Dirndl kaufen und ein züchtig-bayerisches Kopftuch, und auch hier auf Almen steigen. Damit bleibt Deutschland auch an den Gipfeln theoretisch bunt, und da unten, weit hinten unter den Wolken, schreitet auch die Integration sicher voran, während man den wohlverdienten Urlaub der Bunten und Gerechten geniesst.