Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Islamistische Kulturkriege oder Wie man lernt, das Alte Europa zu lieben

Assimilierung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Tayyip Erdogan

Es gibt gute Argumente für ein gemeinsames Europa, und eines dieser Argumente ist auch schön und erkenntnisreich: Im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg ist die Landesausstellung über den deutschen Kaiser Karl IV. zu sehen, und es ist eine bayerisch-tschechische Landesausstellung. Das bietet sich an, weil Karl IV. sowohl in Bayern als auch im damaligen Böhmen seine spätmittelalterliche Hausmacht aufbaute, und in beiden Ländern deutliche Spuren hinterließ. Es ist trotzdem eine bemerkenswerte Entwicklung, weil das Klima zwischen Bayern und sudetendeutschen Flüchtlingen auf der einen und Tschechen auf der anderen Seite vergiftet war: Nationalistische Bewegungen im 19. Jahrhundert, deutscher Widerstand gegen die neu gegründete Tschechoslowakei, Münchner Abkommen, deutsche Besatzung, 2. Weltkrieg, Heydrichs Terror in Prag, der brutal bekämpfte tschechische Widerstand, Genozid an den Juden, letztlich dann der russische Einmarsch, die Benes-Dekrete, die Vertreibung der Sudetendeutschen, deren Instrumentalisierung im Kalten Krieg auf beiden Seiten – das alles wirkte bis weit in die 90er Jahre im Verhältnis zwischen den Nachbarn Bayern und Tschechien fort. Karl IV. war zwar selbst in den Augen seiner Zeitgenossen ein skrupelloser Ganove, aber seine Zeit und seine Kultur bilden eine Klammer, die die benachbarten Regionen eint.

Es ist eine wirklich gute Ausstellung, man wird lange warten müssen, bis solche Schätze des Spätmittelalters wieder zusammenkommen. Sie ist auch ein Zeichen der Annäherung zwischen den Regionen, die in Europa mehr Interessen einen, als dass sie die Geschichte noch trennen würde. Es ist vielleicht ein klein wenig dunkel in den Räumen, aber das ist für die Ausstellungsstücke gut. Und es ist sehr viel Wachpersonal vor Ort, aber das ist für die besonders wertvollen Gegenstände gerade noch angemessen. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass auch ein wenig die Angst vor dem Terror mit hinein spielt, und an dem Tag, als ich die Ausstellung besuchte, las ich dann am Abend vom gescheiterten Attentat eines in Saudi-Arabien lebenden Ägypters beim Pariser Louvre.

Es gibt da im islamistischen Terror eine eigenartige Obsession für die Vernichtung alter, nicht orthodox islamischer Kultur. Museen werden zerstört, römische Ruinen und Buddhastatuen werden gesprengt, es gibt Anschläge auf Kirchen und Weihnachtsmärkte, Terror findet in Museen statt. Es spielt keine Rolle, ob sich vielleicht die alten Kulturen, gegen die sich die Zerstörungswut richtet, möglicherweise selbst diametral gegenüber standen. Der Louvre ist das beste Beispiel, dort hängen sowohl die Bilder der kirchlichen Dominanz als auch die Gemälde der Aufklärung. So einem Terroristen aus Saudi-Arabien oder einem Milizionär des IS ist das alles egal, es passt nicht in das eigene Weltbild, es muss weg. Es geht diesen Leuten nicht nur um das Umbringen von Menschen, sondern um die Zerstörung dessen, was sie für westliche Zivilisation halten – und hier ironischerweise die überwundene Vergangenheit, die mit dem aktuellen Leben in der westlichen Gesellschaft nichts mehr zu tun hat.

Der Louvre ist ein Bau des Absolutismus, die meisten Bilder waren keinesfalls für den leibeigenen Pöbel gedacht, sondern für die herrschende Klasse. Der heute real existierende Westen ist teilweise aus der DDR hervorgegangen und betrachtet mehrheitlich nur selten alte Kunst, im Gegensatz zu Topmodell Sendungen, und kann auch im Museum meist nicht wirklich einordnen, was da an den Wänden hängt. Der Westen der Gegenwart hat sich längst von der christlichen Religion emanzipiert, und selbst hart rechte Parteien werden kaum mehr Geisslerrituale, Bücherverbrennungen, Inquisition, Lettner, die tridentinische Messe oder die Errichtung antisemitischer Denkmäler fordern, oder was sonst noch bis zur Epoche der Aufklärung und darüber hinaus als üblich galt. Es gibt nicht mal mehr ein Verbot interkonfessioneller Hochzeiten – vor 120 Jahren war das noch ein Skandal.

Interessanterweise ist der Ansatz des islamistischen Kulturterrors “intersektionell” wie gewisse extreme Spielarten des Feminismus: Er hat da ein grundsätzliches Problem mit dem Westen, nicht nur mit einigen Ausprägungen, bei denen es um religiöse Fragen geht. Es geht nicht um Reconquista oder Kreuzzug oder um Rache für Lepanto oder die dritte Belagerung von Wien, sondern um alles. Egal, was der Westen als Kultur hervorgebracht hat, vom römischen Tempel des Fruchtbarkeitskultes bis zum Weihnachtsmarkt: Man hat damit ein Problem, man sieht überall den Feind, und weil man ein Problem damit hat, darf man es mit allen Mitteln bekämpfen. Da sitzt so ein Ägypter in einem privilegierten, reichen, arabischen Land, in seiner eigenen islamistischen Filterbubble und könnte jedes islamistische Dasein leben, das ihm gefällt, ohne jeden Einfluss des Westens, Buchstabe für Buchstabe nach dem Willen des Propheten, fernab jeder Versuchung. Und dann geht er nach Paris und ruiniert als verhinderter Schwertkämpfer sein Leben und seine Gesundheit, um ein paar Bilder zu zerstören.

Das ist sehr schräg und totalitär, aber als ich das gelesen habe, hatte ich das unbandige Bedürfnis eines Bayern, mich in Lederhose und Miesbacher Jacke vor den Rechner zu setzen, grad aus Fleiss, und am nächsten Tag als Atheist für den Ägypter eine Kerze in einer richtig üppigen Barockkirche anzuzünden, ebenfalls gerade deshalb. Diese Leute meinen nicht uns als grenzenlose Kosmopoliten und Kinder der Aufklärung, die allen Gleichheit. Freiheit und Brüderlichkeit bringen, sondern eine ganz bestimmte, nur aus der Geschichte heraus erklärbare Zivilisation, die sie mehr als Einheit erkennen, als wir es selbst tun. Der Terror gegen die vergangene Kultur, so seltsam und entfernt sie auch uns heute erscheinen mag, stellt tatsächlich die Frage der Identität neu. Man kann sich diese Frage und die Art der Darbietung nicht immer heraussuchen, auch wenn sie sich natürlich angenehmer im Vortragssaal des Zentralinstituts für Kunstgeschichte besprechen lässt. Der Terror ist gerade dabei, Dinge zu vermischen, die für uns Gegenwärtige überhaupt nicht zusammen gehören. Er sieht Verbindendes, wo wir Gegensätze erkennen. Er empfindet Artefakte als wichtig, die für viele jede Bedeutung verloren haben. Vielleicht hat der Terror sogar mehr recht, als man zugeben möchte. Der Terror stösst uns mit der Nase drauf, auf das Christentum alter Schule, auf die Riten und Eigenheiten, die alten Überzeugungen und Verhaltensweisen, die gemeinhin nach all den Jahren des linken Mainstreams bei uns eher abgelehnt werden.

Es ist halt ein Unterschied, ob ich sage, dass meine Katze zu fett ist, oder ob jemand anderes das sagt. Es ist ein Unterschied, ob mir etwas obsolet erscheint, oder ein anderer denkt, es sei obsolet und müsste zerstört werden. Vielleicht, weil Kultur meist wehrlos ist und der Angriff auf sie so besonders feige, solidarisiert man sich damit auch ein wenig mehr, als man bei genauer historischer Betrachtung sollte. Vielleicht war man früher kein blinder Verteidiger der bestenfalls ambivalenten Zustände im Alten Europa, aber die auf uns gekommene Kultur ist das Beste, was entstanden ist, und macht die Identifikation doch erheblich leichter. Man fühlt sich verpflichtet, auch das Gute hervorzuheben, man möchte etwas gegen die pauschal negative Beurteilung ausdrücken, und man beginnt, historische Aspekte anders zu gewichten. Man fängt an, in Lorenzettis Madonnen mehr die Zuneigung denn die Auftragskunst zu sehen, und in Mona Lisa nicht mehr nur die Oligarchentochter, die in eine Zwangsehe verschachert wurde.

Das ist ein wenig so wie mit anderen, zu pauschalen Angriffen auf das eigene Land, egal ob Kaltland, Verehrung für Bomber Harris, die unsterblichen Lügen über das Oktoberfest, oder den plumpen Behauptungen, unsere Ausbeutung würden die Migrationskrisen auslösen und der Westen wäre schuld: Man will diesen Leuten nicht recht geben, weil man so dumm und unreflektiert nicht ist. Man argumentiert dagegen und schnell, sehr schnell, sagr man Dinge, die einen zu einem angeblichen Neuen Reaktionär machen. In Frankreich ist das ähnlich, da gibt es bei Intellektuellen viel Verständnis für die revoltierenden Jugendlichen in den Vorstädten. Wer das unter Berücksichtigung des islamistischen Terrors in Paris anders sieht, gilt schnell als Parteigänger von Le Pen. Und so entstehen neue, innerwestliche Konflikte über alte Kultur.

Der Kommunismus hatte seinen historischen Materialismus, um Kulturwissenschaftler zu vereinnahmen, und die Nazis ihr Ahnenerbe zum gleichen Zweck. Es gibt wirklich gute Gründe, sich beim Blick auf Zivilisationen eine gesunde Skepsis zu bewahren. Die Frage ist nur, ob man sich irgendwelchen Leuten unterwerfen möchte, die ihre bildungsferne Verblendung und abwägungsfreie Dogmatik für die einzig richtige Antwort halten – und wenn man das nicht will, kommt man nicht umhin, das Abendland zu verteidigen. Das Abendland macht es einem leicht, denn es ist, oberflächlich betrachtet, eigentlich ganz nett, höflich, relativ kultiviert und gibt einem inzwischen eine Art Heimat, in der sich gut leben lässt. Historisch gesehen erlaubt es auch eine gewisse moralische Flexibilität, die gar nicht so unangenehm ist, wenn man sie mit Dogmen der Invasionseinladung wie “No borders, no nations” vergleicht. Bei allem Schrecken der Geschichte konnte das Alte Europa schon das ein oder andere, und die Geschichte anderer Regionen ist auch nicht zwingend schöner.

Halb wird man dort so hineingeschoben vom Extremismus, halb saugt einen der süsse, glibberige Saft der Identität, etwas schleimig nach Romantik riechend, hinein. Man denkt sich ganz böse Sachen, etwa, dem Attentäter die Zelle mit Bildern aus dem Louvre zu tapezieren und Sonntag gefesselt und geknebelt zum Hochamt zu schleifen – den machen wir schon katholisch, sagt man in Bayern. Es gab eine Zeit, da konnte man sich einen Standort unter vielen reflektierend heraussuchen. Heute hat man es mit Leuten zu tun, die einem nur noch zwei Optionen lassen. Das könnte sich schon bald in den Niederlanden und Frankreich für viele bitter rächen, aber, auch das merke ich, wenn ich solche Nachrichten über die neuen Ikonoklasten lese:

Ich würde zuerst einmal selbst gern auf meinem erhöhten Söckelchen stehen bleiben. Das ist Arbeit genug, mein Mitgefühl brauche ich daher für mich allein und all die hübschen Bilder, die andere gern zerstören würden. Und die man, wie man in Nürnberg noch bis zum 5. März so schön sieht, eigentlich auch sehr positiv und menschenfreundlich einsetzen kann, wenn man nur will.

Und ganz unter uns: Ars longa, aber Vita so eines Attentäters reichlich brevis.