Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Arm bleiben. Oder: 25% Rendite aus bestem Hause

Momentan erinnert man sich wieder ungern an die Pleite der Lehman-Bank im fernen Neu-Yorck; zur Erkenntnis jedoch, dass jedem Geldgeschäft auch der Betrug innewohnen kann, gereichen auch andere Beispiele ganz vorzüglich. Das Lehman meiner Heimatstadt liegt glücklicherweise schon 26 Jahre zurück, und beweist damit auch nur, dass sich die Namen, nicht aber die Wesenheiten aller Geldtransaktionen ändern. Aber auch schlechte Investitionen, so hoffe ich zumindest, zeitigen gute Geschichten - das war schon beim 30-jährigen Krieg so, warum sollte es beim Finanzkapital anders sein.

 

Erinnre, was wir sahen, oh Seele, an jenem Morgen,
da uns des Sommers Glück bestach:
An eines Weges Bug, im Kieselbett verborgen
lag eines Aases dreiste Schmach.
Baudelaire, Ein Stück Aas.

Den Käufern von Lehman-Zertifikaten der Sparkasse Frankfurt zugeeignet – das kommt in den besten Familien vor:

Über Geld hat man mit uns nie geredet. Das ging uns nichts an, dafür waren wir zu jung, aber in etwa wussten wir alle, dass wir keine reichen Leute waren, sondern arm. Arm im Vergleich etwa zu anderen, die im gleichen Viertel wohnten. Wie arm, das erfuhren manche erst nach dem Tod ihrer Eltern und hektischen Fahrten in die Schweiz, wo sich dann die Frage stellte, was man mit nicht registrierten und versteuerten Tafelpapieren in jenem Safe im Erbfall tut. Das aber sollte erst viel später eine Rolle spielen, denn damals, als sich das Westviertel der kleinen, dummen Stadt an der Donau von der Ringstrasse entlang der Tennisplätze und Auwälder bis zum See ausgebreitet hatte, war die Welt noch in Ordnung. Das war Ende der 70er Jahre, wir waren jung und arm und dachten uns nichts dabei, denn alle anderen waren ja auch jung und arm und wohnten auch nur in Villen mit 250 m², und ausserdem war Sommer, und wir waren stets die ersten am See.

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Aber natürlich war es in jenen Jahren auch so gut wie unmöglich, zu überhören, dass es auch wirklich reiche Leute unter uns gab. Das stand in den Zeitungen. Und die kannte man natürlich. Da war etwa der Auto- und Fahrradhändler, dessen Kinder unternehmerisches Geschick zeigten und bald auch Schifffahrt, Immobiliengeschäfte und Energiefirmen betrieben. Und da war der Sohn aus einfachen Verhältnissen, der sich zäh vom Buchhalter zum bundesweit bekannten Textilindustriellen aufgeschwungen und dabei eine Firma der Stadt gerettet hatte. Das bekam man natürlich mit, denn die Medien interessierten sich dafür. Und sie wohnten ja auch praktisch nebenan. Auf dem Weg zur Schule lernt man in so einem Viertel alle kennen.

Und weil es bei beiden so prächtig gelaufen ist, und die kleine, dumme Stadt an der Donau damals schnell reich wurde, und mit ihr alle, die schon länger in ihr wohnten und ihren Anteil daran vermieten konnten, weil also alles wie geschmiert gelaufen ist – taten sich die alteingesessene Familie und der Aufsteiger zusammen und betrieben Unternehmen zur Erforschung von Öllagerstätten in Amerika. Kurz davor hatten die Islamisten den Schah von Persien gestürzt, die Benzinpreise explodierten, und Ölbohrungen in den USA versprachen beste Gewinne. Wenn man nur die passende Firma hatte. Und so wurde hier, im Westviertel in der kleinen, dummen Stadt an der Donau fern der Bohrlöcher, eine Idee so sehr vertuschelt, dass auch wir auf dem Schulweg darüber sprachen: Es passierte ja hier, unter uns, und das Versprechen jener Firma, 25% Rendite jedes Jahr fliessen zu lassen, erschien uns märchenhaft. So, dachten wir armen Kinder, würde also Reichtum gemacht, während aus dem Feld die Fasane aufflatterten und unsere Wege kreuzten.

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Nicht nur wir arme Kinder sprachen darüber. Es gab auch arme Eltern, die darüber im Tennisclub sprachen. Schliesslich kam das Angebot nicht irgendwo her, sondern von den besten Häusern der Stadt, und die kannte man – man wohnte ja daneben, man hatte den Aufstieg gesehen, und wenn die sagenhaften Geldmacher nun bereit waren, alle als Kommanditisten daran teilhaben zu lassen, warum nicht? Zuerst war man wegen der 25% Rendite natürlich skeptisch, aber nach einem Jahr bekamen die ersten Zeichner prompt ihr Geld. Und alle anderen, die auf der Empore des Tennisclubs noch gelacht hatten, während sich unten ihre armen Kinder das Lacoste-Hemd mit rotem Sand besudelten – ach geh, Luggi, sagten die Mütter, as nechste Moi nemma koa weiss Hemmad mea – alle anderen kamen ins Grübeln. Sollte man nicht doch zeichnen, wenn es doch so schnell so gut läuft? Zudem gab es auch noch Steuervorteile, und sogar ein bayerischer Minister warb für das Unternehmen. Und letztlich, man kenne die Leute doch, die sind aus dem gleichen Viertel. Also zeichneten durchaus einige Leute Anteile. Auch für die Kinder, damit die es nachher beim Studium leichter hätten.

Und so kam es dann, dass ich eines Morgens von einem Bekannten auf dem Schulweg hörte, dass sein Vater so viel Geld in diese Firma der besten Häuser der Stadt gesteckt hatte, dass er, wenn er dann in München studierte, eine riesige Wohnung bekäme. Und vielleicht noch so einen Porsche wie den zitronengelben 911er Targa, der vor dem Haus im französischen Stil stand, dort einer Fabrikantenwitwe gehörte und der Traum unserer Jugend war. Warum mein Papa das nicht auch machen würde, fragte er mich. Ich sagte das, was mir meine Eltern beigebracht hatten: Wir sind keine reichen Leute. Das fand mein Bekannter doof, und er wandte sich dann lieber der Tochter des Chefs einer Bank im Ort zu, deren Vater aber auch nicht zeichnen wollte. So also radelten wir durch die baumgesäumte Strasse, und ab und zu rollte auch die S-Klasse eines der Firmengründer vorbei, langsam und majestätisch, aber der zitronengelbe 911er, den die Tochter der Fabrikantenwitwe ein paar Jahre später in einen Baum bei Ernsgaden setzen sollte, war für uns trotzdem schöner. Wenn man jung ist, kümmert es einen nicht so sehr, wenn man arm ist, und andere reicher sind.

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Die 70er Jahre endeten und die 80er kamen, und noch immer las man bundesweit über die besten Häuser unserer Stadt; doch dauerte es nicht lange, und aus den bayerischen Ölbaronen wurden eher fragwürdige Gestalten. Es kamen unschöne Geschichten ans Licht, die wir nicht ganz verstanden – aber letztlich war es so, dass die Landesbank der Firma der besten Häuser das noch zu zahlende Geld der Kommanditisten schon mal auf Treu und Glauben an die besten Häuser und deren Sicherheiten geliehen hatte, und der Gründer davon einen hübschen Batzen behalten hatte. Die Freude über 25% Rendite währte kürzer als, sagen wir mal, bei der Deutschen Bank unter Ackermann bis zur aktuellen Finanzkrise, denn alsbald überwarfen sich die beiden führenden Häuser, und der Aufgestiegene setzte alles daran, die alte Familie aus dem Geschäft zu drängen. Nachdem zwar 270 Millionen Mark gezeichnet waren, aber nur ein Teil wirklich einbezahlt wurde, machte der Aufsteiger nun auch Druck auf die Zeichner, ja, es kam gar zu Prozessen um weitere Einzahlungen, während die Rendite merklich sank. Von den angeblich so grandiosen Bohrlöchern in Amerika blieb wenig übrig, aber dafür entdeckten Anwälte in dieser Firma und ihrer juristischen Aufarbeitung eine sprudelnde Geldquelle. Schneeballsystem, hiess es plötzlich in den Medien.

Und nachdem auch die Verwandten der besten Häuser Kinder hatten und die auf Schulen gingen, in die wir auch gingen – oder gar in identische Klassen und Kurse – wurden wir allgemein instruiert, was wir gefälligst auszusparen hätten. Wenn wir schon mit denen redeten. Kurz, wir alle benahmen uns, wie das eben so bei den besten Häusern der Stadt üblich ist. Ein gewisser Herr Becker sorgte mit sportlichen Erfolgen dann dafür, dass der Tennisclub mehr Mitglieder hatte, und sich der Werber für jene Firma und die Geworbenen nicht mehr dauernd auf der Empore über den Weg liefen, ein paar Leute luden sich nicht mehr ein, und über manche Kratzer im Auto gab es böse Gerüchte, die aber nie bestätigt wurden. Mir war das egal, mein Vater war kein Chefarzt, sondern Bilanzspezialist, und hatte nicht gezeichnet, also hatte ich auch nichts zu jenem Thema beizutragen, über das die Tochter des Bankchefs viel wusste und erzählte, wenn wir durch den Park den letzten Schuljahren entgegen fuhren.

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Die juristische Aufarbeitung des Skandals zog sich lange hin, man konnte noch viel lesen, und am Ende zahlte die Landesbank manchen Klägern auch Entschädigung. Der werbende Minister wurde Ministerpräsident, manche Feindschaft ward über gemeinsame Verluste und Tennisdoppel vergessen, und andere halten bis auf den heutigen Tag, da immer noch Kinder aus jenem Viertel über Wiesen, breite Strassen und Parks in die Schule radeln. Wir arme Kinder bekamen Eigentumswohnungen in Münchens besten Innenstadtlagen – denn für Geldverschwendung durch Mieten sind wir zu arm, wie mein Vater erklärte – und natürlich keinen zitronengelben Porsche 911, und niemand gibt sich heute noch der Illusion hin, er könnte von dieser kleinen, dummen Stadt aus eine Figur der Dallas-Serie werden. Man glaubt höchstens noch an Gewerbeimmobilien zur Alterssicherung.

Und auch heute noch macht es mir nichts aus, zu arm zu sein, wenn mir jemand Investitionschancen mit 25% Rendite anbietet. Egal wie gut die Häuser sind.