Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Glück fern von Dubai und London

Natürlich ist die Krise nicht vorbei. Wenn man etwa in London oder in Dubai wohnt, oder in Amerika arbeitslos ist, oder die Immobilie im Schuldenstrudel versinkt. Davon hört man in süddeutschen Regionen und wundert sich, und wendet sich dann wieder den wirklich relevanten Problemen zu: Wie gross etwa muss ein Trüffel bei vier Personen sein, und verträgt die Figur einen Butterchriststollen. Denn fern ist hier die Krise; sie ist nie angekommen und soll auch schön weiter vor der Tür bleiben. Denn schliesslich muss es, wenn es schon so viele Verlierer gibt, auch ein paar Gewinner geben.

“Sie hat keinen Stil”, sagte Mr. Hedreick feierlich.
“Aber eine gute Figur”, sagte Mr. Sandwood.
F. Scott Fitzgerald, Winterträume

Eine der hübschesten Analyseleistungen der Wirtschaftsprognosen für das Krisenjahr 2009 lautete ungefähr so: Die Krise werde besonders den exportorientierten und hoch industrialisierten Süden treffen, der für die Lage an den Weltmärkten besonders anfällig sei. Dort seien die grössten Verwerfungen zu erwarten, dort seien die Immobilien zu teuer und die Menschen würden noch zu viel verdienen, um diesen Standard beim Absturz bewahren zu können. Im Süden sei man im Boom mit dem Weltmarkt gewachsen, nun werde man mit ihm schrumpfen. Im Osten, Norden und kriselnden Westen dagegen habe man das Schlimmste schon hinter sich und auch entsprechend in Sachen Dienstleistungen die Gewichte verschoben, so dass Deutschland sich insgesamt wieder an sich annähern würde. Kommen Sie mit auf den Wochenmarkt? Ich brauche Trüffel. Nicht irgendeinen Pilz aus dem Feinkostladen, sondern den besten, den man kriegen kann.

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Das hier ist, wenn man so will, der Inbegriff der süddeutschen Boomregion. Jene Ansiedlung im Donausumpf, die ich “die kleine, dumme Stadt an der Donau” nenne, musste Anfangs des Jahres als ideales Beispiel für den kommenden Niedergang gelten, denn die meisten Produkte gehen in den Export. Es sind vor allem Autos, Autos der Oberklasse, Produkte von krisenhaftester Anmutung, welchen Trüffel nehme ich jetzt? Ich denke, 14 Gramm sind nicht schlecht. Ach so, die Krise im Süden.

Es ist nämlich so bei uns: Im Westviertel sind die Grundstücke in ihrer Zahl begrenzt und in der Fläche sehr gross. Momentan kratzen dort die Immobilienentwickler an den Türen der Besitzer und fragen, ob sie für potente Kunden nicht ein Stück Grundstück kaufen könnten. Zweimal ist es ihnen gelungen. Und nun versucht der eine Käufer eines solchen neuen Hauses, seines Zeichens Steuerberater, den Entwickler des anderen, daneben entstehenden Hauses mit einer sechsstelligen Summe zu bestechen, dass er nur zwei statt drei Stockwerke in das kleine Grundstück setzt. Es ist das Krisenjahr 2009 im angeblich betroffenen Süden. Und jene, die es besonders treffen sollte, die Elite des Südens, amüsieren sich trefflich über die Grattler in ihrem winzigen Loch, die andere für eine halbwegs freie Sicht bestechen müssen. So sieht bei uns Armut aus.

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Es geht uns nicht schlecht. 40 Euro sind eine Menge Geld in Neukölln, aber das ist es, was die Frau vor mir am Käsestand lässt. Es darf natürlich immer ein wenig mehr sein. Die Krise, die nun gerade wieder Dubai schüttelt, ist längst vergessen, das war mal Thema im letzten Winter. Man hat davon hier – das muss ich wirklich zugeben – nur eine Weile in den Depots etwas bemerkt. Ansonsten hat sich kaum etwas getan. Niemandem geht es hier schlechter. Rüsselsheim, das ist hessisches Ausland, Werftenkrise ist im Norden, nur die Sache mit der bayerischen Landesbank kratzt am Selbstbewusstsein, aber das ist auch schon wieder vergessen. Viel schlimmer: Das nächste, hässliche Studentenwohnheim. Am Rande des Stadtparks: Muss das sein? Noch mehr Leute?

Die Krise kennt man vielleicht aus der Heimatzeitung, es gab ein paar weniger schöne Firmenpleiten wegen multinationaler Konzerne, aber da, wo Woolworth war, kommt jetzt ein Herrenmodenanbieter hinein. Die Krise, das sind die anderen, die in London etwa. So fragt eine Fluglinie per Email, ob wir nicht “auf Schnäppchenjagd gehen wollen: In den unzähligen Geschäften und Märkten Londons finden Sie alles, was das Herz begehrt. Nutzen Sie den günstigen Wechselkurs und sparen Sie!” Der Flug für den ökonomischen Katastrophentourismus kostet nur die Flughafengebühren. Allerdings gibt es dort nichts Gewohntes zu essen, und was es gibt, soll den wirtschaftlichen Zuständen angemessen schlimm sein.

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Man muss die Erkenntnis nicht mögen, denn fad ist ihr Beigeschmack wie zu lang gedünsteter Kräuterseitling, aber besser als die Prognosen sind jene simplen Weisheiten des besseren Volks, die da heissen: Wer ko, der ko. As Geid hoid zsam. Wea nix daheirad und nix dairbt, bleibt oam ois wiara schtiabt. Die Krise hat sich an dieser Region eine blutige Nase geholt, denn wer sein Geld in Sicherheit bringen wollte, kaufte eine Immobilie in den aufstrebenden Zentren Oberbayerns. Krisen brauchen einen Ansatzpunkt für ihre Dominoeffekte, die eine falsche Bilanz muss die nächste vergiften, Ausfälle müssen sich multiplizieren, schwache Glieder müssen reissen: Das alles gibt es hier kaum. Die Reichen haben durchaus geblutet, aber nicht so sehr, dass sie hungern müssten. Oder nur noch Tempo 180 fahren würden. Und die Münchner Hypo Real Estate gehört dem Bund, vulgo denen in Berlin.

Abgesehen davon sind die Vermögen erhalten geblieben. Das Geld war nicht weg, und es hatte auch nicht ein anderer. Es lag an so spiessigen Dingen wie hohen Sparquoten und Risikoaversion. Und dem Umstand, dass die Industrie etwas herstellt, was man tatsächlich  benötigt, und oft genug im Gegensatz zu luftigen Dienstleistern nicht einfach einsparen kann. In Krisen leiden sie Schwachen zuerst – hier sitzen die Starken. Zu Beginn der Krise hiess es: Wer als erster hineingeht, kommt auch als erster wieder heraus. Heute wissen wir: Wer hineingeht, war drinnen und bleibt es auch. Wer gar nicht erst hineinging, muss sich keine Sorgen machen. Mangold brauche ich auch noch, für eine Tarte.

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Die Erkenntnis ist weder neu noch besonders klug: Krisen sind selten ausgleichend und Verstärker der Gerechtigkeit. Es kommt darauf an, den längsten Atem zu haben, wenn die anderen schon japsen, und noch sicher zu stehen, wenn andere schon abstürzen. Irgendwo müssen die Verlierer der Krise sein, die Verarmten, Entlassenen und Chancenlosen, vielleicht in Berlin oder auch in Bochum, im amerikanischen Mittelwesten oder in Dubai, in der Londoner City oder vor der Haustür in Nürnberg wegen Quelle. Hier jedenfalls nicht.

Das ist nicht zwingend gerecht, und auch nur bedingt dem wirtschaftlichen Sachverstand der Bürger geschuldet. Aber es wird Weihnachten; es macht sich das satte Gefühl breit, dass man davongekommen ist, und man offensichtlich auf der richtigen Platte der globalen Verwerfung sass. Glück, Zufall, Gegenstand von Neid vielleicht, aber so ist es nun mal: Niemand, denkt man sich, hätte etwas davon, wenn es auch uns erwischt hätte. Dafür zündet man doch gerne eine Kerze an, eine möglichst dicke.

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Und noch eine dafür, dass man nicht zu jenen beiden Familien gehört, die vor ein paar Jahren nicht nur in Dubai auf einer Palmeninsel gekauft, sondern das auch noch öffentlich erzählt haben. Es können eben nicht alle gewinnen. Einen Kranz bekomme ich dann auch geschenkt. Für den Bergwinter am Tegernsee. Wo die Krise bislang nur ein paar Russen abgehalten hat, noch einen scheusslichen Klotz hinzustellen. Vielleicht ziehen jetzt auch ein paar Araber weg. Krisen, das möchte ich festhalten, sind gar nicht so schlimm, wenn sie einen  nicht treffen.