Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Beste Scheidungsgründe in der Gästewohnung

Meines Erachtens sollte es vor den Traualtar ja heissen "Bis dass zu Weihnachten Ihr Euch scheidet" - die alte Formel mit dem Tod trifft es nämlich bei weitem nicht so gut, wie der Beziehungskiller des Festes der Liebe. In meinem Alter verfügt man über reichhaltige Erfahrungen mit explodierenden Ehen vor Neujahr, und nachdem in meiner Gästewohnung so mancher Trennungsschmerz in Wein ersäuft wurde, habe ich dazu auch eine nüchterne Theorie.

Playing for the high one, dancing with the devil,
Going with the flow, it’s all a game to me.
Motörhead, Ace of Spades

“Also, kann ich gleich heid vorbestellen, Ihr seid’s ja am 24 auch da, oder? Ach ja, gut, also, da nehm ich vielleicht 3 Pfund Rindsfilet und an rohen Schinken, hab’S da an wirklich Guadn? Ja? Schon ein Kilo und wann’s a wengal meha is schod’s ah ned. Und vielleicht einen gekochten Schinkn und Rouladen, ruhig a gscheids Baggal, weil, was das Gaddarl nicht zwingd kann es auch mitnehmen.”

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Gadderl, das muss man vielleicht übersetzen, und steht für Katherina. Eigentlich heisst sie sogar Ann-Catherine, und sieht auch nicht gerade nach einer Gänsehüterin aus, oder nach sonst einer subalternen Dienerschaft, auf das der bayerische Name schliessen lassen würde. Ihre Mutter hat sie sehr bewusst Ann-Catherine genannt und auch stets zum Kleiderkaufen nach München geschickt, und dortselbst auch nach ihrem Aufenthalt in den USA studieren lassen. Vermutlich wollte sie ihren Freundinnen dereinst erzählen, dass sie dieses Weihnachten nicht in die Christmette kann, weil das Gadderl und ihr Mann sie und ihren Mann nach München eingeladen haben, um das Weihnachtsfest dort zu begehen, mit Galakonzert und was man in München eben so tut. Ob das in der Zeit von des Gadderls Ehe jemals funktioniert hat, weiss ich nicht – was ich aber weiss ist, dass die besagte Ehe sich letztes Jahr um diese Zeit so schlimm gestaltete, dass das Gadderl hier in der kleinen, dummen Stadt an der Donau mit ihren Eltern erst bei der Christmette und danach allein dort blicken liess, wo sich alle treffen. Und was ich natürlich auch weiss, wie jeder – und das hier unter uns, Sie sagen das aber bitte nicht weiter? – sagen kann ist, dass all das schöne Essen allein für Ann-Catherine bestellt wird.

Hinter der Theke steht eine Frau, jung und blond und schön wie das Leben, mit einer kecken Rokokonase und einem weichen Teint, als wäre sie von einer bayerischen Kirchendecke herabgestiegen, und nimmt die Bestellung auf. Diese junge Dame ist die Erbin eines Hofes, hat einen vorzüglichen Holzofen, in dem das beste Olivenciabatta nördlich der Alpen entsteht, einige Tiere, die sie normalerweise am Montag umbringen lässt, einen Ehemann und Kinder, und ist glücklich damit. Fast könnte man sich fragen, warum es auf dem Dorf immer noch funktioniert, und bei uns nicht.

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Unverheiratet, wie ich nun mal bin, und zudem unbegehrt, wie es hier das Schicksal aller dauerhaft Bindungsunwilligen ist, habe ich dazu keine Praxis, aber sehr wohl eine Theorie. Diese Theorie braucht man als betroffener Profiteur oder profitiernder Betroffener des schlecht funktionierenden 2. Heiratsmarktes dieser Stadt auch, wenn man damit rechnen muss, unvermuteter Dinge die Gästewohnung zu benötigen. Man weiss nie, wer es alkoholisiert und zum Glück wenigstens nur tränengeschwängert nicht mehr nach Hause schafft. Seit meinen Tagen in Berlin (2004) weiss ich mit jedem Jahr und exakt dieser Zeit mindestens eine gebrochene Ehe und baldige Scheidung zu verbinden, und meine Theorie nun ist nichts anderes als das zeitgerechte Aufbohren der Weisheit meiner Grossmutter, die da lautet: Je heiliger d’Zeit, desto böser wern d’Leit.

Es ist nämlich so in diesen meinen Kreisen, dass die Zeiten heutzutage sehr viel heiliger als früher werden. Zum Beispiel war es früher durchaus so, dass Kinder in diesen Tagen nicht vor der Glotze geparkt wurden, sondern lernten, wie man beispielsweise aus Stroh selbst Christbaumschmuck macht, oder Adventskränze bindet. Diese absorden Bräuche der Gegenwart, dass man dergleichen fertig kauft, gab es zu meiner Jugend nicht. Den Korpus bildete Zeitungspapier (sage keiner, dass Printprodukte nur für Fische taugen!), darum wurde Draht gewickelt, und die Zweige holte man im Garten. Keine grosse Sache. Inzwischen gibt es auch in unserer Stadt in überwinternden Eisdielen Kränze und Weihnachtsutensilien en masse, und sie werden auch en masse gekauft. Bevorzugt Repliken einer guten, alten Zeit, die in Wirklichkeit ganz anders war. Auch hätte niemand den Imkern auf dem Wochenmarkt kistenweise die Bienenwachskerzen abgekauft, die – als Besitzer und Nutzer etlicher echter Bronzeleuchter darf ich das sagen – die wachsklebrige Hölle beim Abbrennen sind, wenn man nicht dauernd die Dochte putzt. Dennoch muss dieser Überfluss sein, es darf ruhig mehr kosten, irgendwie muss man ja den katholischen Bedeutungsverlust dieser Zeit in den Duplexappartments der Kinder bis zu den überflüssigen Geschenken überwinden. Vier Wochen Dauereventfestkultur, vier Wochen wer hat den grössten

Weihnachtskranz

bis zum Finale von Deutschland sucht den Superchristbaum.

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Macht nixn, mia hom’s ja, könnte man auf Bayerisch dazusetzen. Das Geld sicher. Die Fähigkeit, die nicht immer leichte Beziehungsgestaltung moderner Paare in diesem Rauchgoldengerlumfeld zu ertragen, eher nicht. Besonders Frauen, fürchte ich, werden da Opfer einer romantischen Falle. Treten sie vor den Traualtar, haben sie, traditionell und wohl erzogen wie sie sind, gewisse Zielvorstellungen besonders von den guten Tagen, die so gut wie die Hochzeit sein sollen: Mit einem gewissen Höhepunkt um Weihnachten herum. Die heile Welt der Eltern, die, falls meine Grossmutter recht hatte, wenigstens die Zähne zusammengebissen haben – wegen der Kinder. Die Zeit, in der man es den kleinen Prinzessinen absolut recht machte, damit die ein Gefühl dafür bekommt, wie toll das ist: Familie. Zusammen. Weihnachten. Vielleicht hätte der Herr Papa aber auch ein paar Teller werfen sollen.

Dann wäre der Unterschied zu dem enorm ausstaffiertenn Erwartungshorizont und dem üblichen, frühwinterlichen Beziehungsmatsch vielleicht nicht so gross, als dass die Prinzessin aus der Rolle fallen würde. Stress, Jahresabschluss, getrennte Betriebsfeiern, vielleicht auch zwei Familienstämme, die irgendwie unter einen Hut gebracht werden müssen, weil es nicht mehr so wie früher war, wo die Familien solche Verbindungen leicht steuerten – es gibt tausend Anlässe für prinzessinnenhafte und keinen Widerspruch duldende Ansprüche. Die Moderne hat uns mit mannigfaltigen Möglichkeiten gesegnet, böse zu werden. Man muss den Schwiegervater nicht mehr ertragen. Man wirft nicht mehr Vasen. Man fährt heim, holt alle Alkohiloka seit der Trauung bis zum 26. Dezember nach, und geht im Januar zum Anwalt. Weil, wenn nicht mal Weihnachten mehr geht, was soll dann noch gehen.

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Natürlich kann Weihnachten nichts dafür; es ist eine explosive Melange aus romantischer Verhaftung in unerreichbaren Traditionen der Bürgerlichkeit, und dem Fehlen aller bürgerlichen Konventionen und Repressalien, die ein stilles Ertragen der damit einhergehenden Mängel erzwingen – besonders, wenn keinerlei Kinder da sind, für die man sich zusammenreissen müsste. Somit trägt das Unglück auch gleich den Kern der Lösung in sich: Trennung, Scheidung, die Phase des Unmuts und der vergeblichen Partnersuche bei den üblichen Elitenportalen tragen die Prinzessinen sanft über die Jahre hinweg, in denen sie einen neuen Mann finden, diesmal besser testen und Kinder bekommen könnten. Ob es wünschenswert ist, dass sich in Folge des Aussterbens der Prinzessinnen dann eher diejenigen fortpflanzen, die überkommene Traditionen  wirklich leben – wer weiss. Sie entschuldigen mich bitte. Ich muss frisches Bettzeug in die Gästewohnung schaffen, und vielleicht ein paar Pralinen. Denn auch der grösste Trennungsschmerz entbindet einen hier nicht vom Konzertbesuch am 25., und da ist der Genuss von Schokolade weniger auffällig als das Leeren einer Weinflasche. Dann müssen die Eltern auch nicht die Zähne zusammenbeissen.

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Begleitmusik: Einfacher hatte es da natürlich der Adel in früherer Zeit, der heiratete, weil es sein musste. Und ansonsten tat, was er wollte. Etwa mit der 14-jährigen Miss O’Murphy, die  nicht nur von einem perversen Pornomaler namens Francois Boucher abgebildet und von einem gewissen Ludwig XV sexuell angegangen wurde, sondern sich zu meinem tiefen Bedauern auch lasziv auf dem Sofa und dem Cover der CD “Les Escapades du Roi” räkelt (Ich verpixele diesen elenden Schund aus einem Haus voller Nackerter namens “Alte Pinakothek” auf Wunsch natürlich gerne). Ungeachtet dessen stellt die CD einen feinen Querschnitt der lasziven Kammermusik des Hofen von Versailles vor, und ist gar nicht so schwülstig, wie man vielleicht annehmen möchte. Ein feiner Seelentröster für Prinzessinnen und alle, die es werden wollen, erschienen bei Christophorus.