Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der Grosse Schwarzgrüne Unnütz

Schrecklich ist der Wutbürger zum Politiker, aber noch viel schlimnmer ist der Genussbürger, der sich nicht einfangen lässt, und sich bei konservativen und fortschrittluchen Strömungen zusammenklaubt, was ihm gefällt. Verhasst ist dieser Hedonist auch bei den Geringverdienern der schreibenden Zunft, und so wird allseits auf ihn geschimpft, und seine Integrität in Frage gestellt. Dabei ist er doch ein angenehmer Zeitgenosse und stets bereit, für seine Überzeugung und den richtigen Parmesan auch Berge im offenen Wagen zu überwinden.

Kurz, aber immerhin: Westerwelle hat zu Guttenberg politisch überlebt.

Derweilen sitze ich mit einer Freundin in Schwabing und bin leicht verärgert. Wir haben es eilig, der gerade erstandene Kronleuchter muss noch aufgehängt werden, bevor es finster wird. Um nicht zu lange zu warten, entscheide ich mich für frische Pasta mit frischem Gemüse. Da kann man eigentlich nichts falsch machen. Aber das denke ich ja auch über das Bloggen und das Radlmontieren; vor uns jedoch quietscht elend eine Bremse, nebenan reden ungepflegte Pseudokreative über digitale Strategien, und dass jetzt die Zeit spannender Wissenschaftsblogs kommen soll, und das frische Gemüse ist so zerkocht, wie die Nudeln nach dem Biss eines Alligators verlangen. Davor hatte ich 25 Minuten Zeit, mich auf das Essen zu freuen. Und als ich dann Richtung Tegernsee fahre – in München fühlt sich die Freundin hoffentlich wie eine Prinzessin im Schein der acht matten, energiefressenden Glühbirnen – danke ich mir, dass es wirklich schade wäre, zu Bett zu gehen, mit diesem unerfreulichen Ereignis hinter dem Gaumen. Ich fahre also weiter am See entlang, vorbei an der Villa von Heinrich Himmler und an einem Objekt, von dem man munkelt, dass darin Verwandte von Gaddafi hausen – denn nur gut verdienende Irre schaffen es an den See, die armen Schlucker müssen draussen bleiben -, und erreiche eine bestimmte Bucht, an der kein Gras mehr wächst. Der Bärlauch hat es vertrieben, so dicht steht er dort im Sonnenschein.

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Manche sagen ja, der Bärlauch sei ein Modegemüse, und sprechen mit einer gewissen Verachtung von jenen, die ihn pflücken. Mir ist diese Rede ziemlich einerlei, es ist eine gute und schnelle Art, an eine feine Basis für gutes Essen zu kommen, und inzwischen gehört er schon zum guten Ton: Hier, sagen Gastgeber und Köche damit gleichermassen, ist der Frühling, und wir gehen hinaus und bringen das Erste, das hier natürlich dem Boden entspringt, frisch auf den Tisch. Und so wird es auch bleiben. Der Bärlauch ist ein Frühlingsgruss, und eine famose Sache für die faule Küche: Ein Glas selbstgemachtes Pesto hilft zwei Monate aus jeder Küchenzwickmühle, wenn es schnell gehen muss. Ich habe heute nichts mehr anderes vor, also pflücke ich und warte dann, bis die Sonne untergegangen ist. Einfache Freuden.

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Daheim dann die unschöne Entdeckung: Es ist kein Parmigiano Reggiano mehr im Haus. Ich hätte schwören können, dass da noch ein grösseres Stückerl im Kühlschrank die letzten Gratins überlebt hat, tatsächlich ist auch noch Caccioricotta da, etwas Bergkäse und jede Menge Povolone – aber kein Parmesan. Es ist bereits nach 8 Uhr Abends. Es ist Samstag. Und die Olivenölbestände sind auch auf ein recht niedriges Niveau gefallen. Eine sehr komplizierte Lage für so etwas einfaches, ja geradezu banales Gericht wie Bärlauchpesto. Allerdings könnte ich morgen Parmesan kaufen. Ich kenne da einen Feinkostladen, der auch Sonntags die Tore öffnet. Zwei Länder weiter, in Sterzing. Nicht gerade der allernächste Weg, aber es ist Frühling. Es ist warm. Und ich habe ein Anrecht auf dieses Pesto, selbst gemacht und erpflückt. Ich habe eine Longines Admiral, Autoschuhe aus Ziegenleder, ein Tweedsakko von Loro Piana, eine warme Cordhose, einen Ascot-Schal aus Seide mit Paisleymuster und einen italienischen Sportwagen, der auch nach 16 Jahren durch den TÜV kommt. Ich brate den Caccioricotta mit Paprika und Stierherztomaten und gehe zu Bett.

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Und bin am nächsten Tag, gegen 12 Uhr und damit früh am Morgen, bereits am Achensee in Österzonenreich. Flotte Streckenabschnitte wechseln sich mit Bereichen langsamer Geschwindigkeiten ab, und hier schweben meine Gedanken und fragen sich, ob es denn eine bessere Verkörperung jenes bürgerlichen Wohlstandsgrünen geben kann, als jener Knabe, der hier gerade gen Süden zieht. Man kennt das, die Gazetten, egal ob links oder rechts sind voll davon, der Modegrüne ist ein neues Lieblingsthema, weil er einerseits in Sachen Vermögen zu den Gewinnern der Globalisierung gehört, aber andererseits seine Rennradrahmen in Verona löten lässt, bei der Kleidung auf Hersteller im Piemont achten, handgeschliffene Gläser bevorzugt und seinen Bärlauch selbst pflückt, um dann über zwei Grenzen zu fahren, nur für ein Stück Parmesan. Und dofort komme ich in eine Verteidigungshaltung, möchte sagen, dass ich auch noch dies und das erwerbe, in die beiden Stadtkirchen von Sterzing gehe, ausserdem hat der Wagen neue Reifen, die ich testen möchte, und dafür brauche ich Pässe – dann aber sage ich mir: Ja und?

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Auf der anderen Seite des Achensees steht ein Berg mit dem schönen Namen: Der Grosse Unnütz. Er kann zwar nichts dafür, aber von allen Bergen hier in der Region wüsste ich keinen, der mir sympathischer wäre: Es ist ihm egal, er lebt einfach damit. Und damit, finde ich, ist er auch ein Vorbild für alle, denen gerade entgegenschallt, es gäbe kein richtiges Leben im falschen. Die Linken sagen das, um sich vor überlaufenden Bürgerlichen abzugrenzen. Und die Rechten sagen es, um überlaufende Bürgerliche zu disziplinieren. Die einen denken, sie allein hätten die wahre Lehre, und wollen mit teilweise einsichtigen, hedonistischen Geniessern nichts zu tun haben. Die anderen sehen ihre Felle in anderer Leute warmer Dusche davonschwimmen, denn wer heute den Bärlauch pflückt, unterschreibt morgen auch gegen eine Strassenverbreiterung, und das wiederum ist schlecht für die Wirtschaft. Links wie Rechts kann man sich nur schlecht vorstellen, dass sich manche irgendwie so gar nicht um Ideologien scheren, und von beiden Seiten pflückend nur das mitnehmen, was man – in der Kombination – als falsch bezeichnen muss. Sagte man ihnen: Das mag ja alles sein, und es ist nicht die reine Lehre, aber diese intensiv schmeckenden Bärlauchblätter bei mir im Kühlschrank brauchen einfach einen Parmesan DOP mit 22 Monaten Reifezeit – man würde beide nicht zufrieden stellen, und bald als schlimmes Beispiel für den Niedergang gelten. Es wäre zu schön, zu dreist, zu gedankenlos, zu moralfrei, um wahr zu sein. Das ganze Problem mit dieser grünen Attitüde, verpackt in 327 Gramm Parmigiano Reggiano DOP stagionatura oltre 22 Mesi.

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Aber lustvoll beissen sich die Reifen in den brüchigen Asphalt der Ellbögenstrecke zwischen Patsch und Pfons, es fliegt der Wagen durch enge Kurven hinauf ins Licht und den italienisch blauen Himmel, klein und grau sind die Zimmer von Parteistrategen und Zeitungsschreibern, die nicht verstehen – würden sie verstehen, wären sie hier, und wären sie hier, würden sie verstehen, aber wer wäre ich, andere zu belehren? Die angegrünten Bürger sind nicht so, weil sie ihre Inkonsequenz nicht sehen würden, und deshalb jene Leute brauchen, die ihnen das Problem erklären. Natürlich könnte man mehr tun, oder bei der alten, konservativen Stange bleiben. Als ich mich mit einer Deutschen um die letzte Feigenmarmelade streite, als hinter mir entsetztes Stöhnen erklingt, weil ich gerade die letzten vier Apfelstrudel kaufe, weiss ich: Ich rase mit dem Sportwagen nicht in die bleierne Einsamkeit der Gedankenlosigkeit zwischen zwei grossen Lagern. Ich bin in Sterzing, das Wetter ist schön, ich bin zufrieden, wie viele andere auch. Das grosse Lager ist zwischen den Blöcken. Irrationalität macht absolut nicht einsam. Sie macht nur frei von Dogmatikern, von denen ich hier und auf dem Heimweg durch hundert Traumkurven nichts sehe. Ganz ehrlich, ich halte es nicht für eine gute Idee, sich hier einem irrationalen Menschen in den Weg zu stellen, und ihn moralinsauer anzunörgeln.

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Dann das Pesto, presto. Ich hacke den Bärlauch – wirklich nur hacken, nicht pürieren und keinesfalls in eine Maschine! – reibe den Parmesan mit der Hand, schütte das Olivenöl dazu und denke nach, welche Art der Pasta wohl am besten dazu passt. Vielleicht die Schlutzkrapfen? Der Ricotta in ihrem Inneren würde untergehen. Gnocchi vielleicht? Zu fad. Oder die Käsknodel, die ich in diesem kleinen Hofladen oberhalb von Volders gekauft habe, wo auch die Kaminwurzen für Frankfurt her sind? 30 Minuten soll das Pesto ziehen, es schmeckt schon gut, aber es könnte besser sein, also warte ich.

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Setze mich auf auf das Sofa. Blättere in einem Band über Bronzino, fühle, wie sich die Haut über den Lippen spannt, nach diesem Tag in Wind und Sonne, denke an die Kurven, an das Licht und bin bald wieder auf der Strasse, die sich hinaufwindet durch ewige Serpentinen auf den Gipfel des Grossen Unnütz, wo ich eins werde mit dem Berg und dem Vergessen.

Hungrig erwache ich am nächsten Morgen. Die ganze Wohnung riecht höllisch nach Bärlauch, aber das, denke ich, ist auch schon wieder die einzige Hölle, in die man durch die Irrationalität kommt.