Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Schöne Grüße an Frau Merkel aus Parma

Auf Stöckelschühen kann man nicht zum 100-Meter-Lauf antreten, aber genau das ist es, was die Märkte und Deutschland von den Krisenländern in Europa fordern: Ein halsbrecherisches Kunststück zugunsten von Leistung und Effizienz durch Sportler, die keine sind.

Acqua passata non macina piu
(trad.)

Pardon, möchte man der Dame auf der Piazza dei Signori hinterher rufen, so laut wie nötig und so leise wie möglich, pardon, aber bitte, Signora, bitte laufen Sie doch nicht so. Es ist so schön hier, das Getacker Ihrer Absätze stört, und betrachten wir es doch rational: Mit diesen Schuhen kann man nicht laufen. Sie nicht, ich nicht, niemand könnte das, und ausserdem sind Sie, wenngleich feuerrot gekleidet und mit hellbrauner Ledertasche und schwarzem Gummi auf der Strasse, doch kein Ferrari, sondern eine Dame. Sie geben ein nicht allzu gutes Vorbild ab, für die Damen dieser Welt, und die Welt ist hier, Bustouristinnen aus Wernigerode und allein reisende Japanerinnen, sie alle schauen auf Sie, die Sie in knallrot und mit diesen Schuhen ein Vorbild sein könnten – aber wenn Sie so stakseln, wirkt das einfach nur gehetzt und getrieben.

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Und dafür sind Damen nicht da. Das kann man nicht mit italienischen Autos machen, und nicht mit Damen. Sie haben eine Verantwortung vor der Geschichte. Also, bremsen Sie sich ein, auf Damen wie Sie wartet man gerne, und Sie müssen auch gar nicht erklären, dass Sie sich dann doch gegen das malvenfarbige Kostüm… man versteht das. Bitte, Signora. Das ist Italien, zum Glück, und nicht der Medienhafen Düsseldorf oder eine Agenturvorstellung bei einem Kunden in München. Lassen Sie die Welt unter Ihren Füssen rasen, diese Geschwindigkeit reicht vollkommen aus, das wenige, was wir mitrennen können, macht das Kraut auch nicht fett. Und gerade in Rot wirken Sie dynamisch, wenn sie auch nur eine Piazza weitergehen – gehen! Nicht laufen! – und einen Spritz bestellen.

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Das mit dem Rot und der Schnelligkeit können die Italiener nämlich wirklich gut. Das ist eine italienische Spezialität, schnell wirken und langsam sein. Da kann man etwas von ihnen lernen. Dieses Wochenende war in Mantua der Gran Premio Nuvolari, und da standen sie dann alle, die roten, feuerroten Spielmobile vergangener Tage, auf der Piazza Sordello, gebogen, gekurvt und funkelnd, und sahen schnell aus. Unter den Hauben oft genug 1100 Kubikzentimeter, 30 PS und die Technik einer Familienkutsche, im Wettbewerb chancenlos und in den Kurven lebensgefährlich, besonders wenn es regnet, aber hier, che bella macchina!

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Niemand interessiert sich hier, ob das ausländische Fabrikat in Schwarz oder Silber die bessere Wahl wäre. Es geht nicht um das Fahren. Aerodynamik war und ist in Deutschland eine Wissenschaft. Aerodynamik in Italien war ein Genie mit Kurvenlineal und Alublech, der, siehe all die Toten der damaligen Rennen, vielleicht doch besser Damenschneider geworden wäre. Ein Mercedes 300 SL ist eine göttliche Konstruktion der besten Ingenieure dieser Epoche. Ein Ermini ist ein miserabler Kleinwagen mit gebogenen Blechplanken über dem Nachkriegselend der Materialknappheit – man möchte sofort einsteigen und damit zu einer kurvenreichen Strecke fahren, um ihn am Fusse dieser Strecke vor einem Gasthof abzustellen und Essen zu gehen, während draussen der 300-SL-Pilot unter seinem Blechdach zerkocht wie Kürbisravioli nach einer Stunde auf der Flamme.

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Natürlich mag der Deutsche an dieser Stelle anfügen, dass es exakt jener Schlendrian, gepaart mit einer gewissen Neigung zur Vortäuschung falscher Tatsachen bei gleichzeitig schlampiger Ausführung dieses Land gerade eben nicht zu einem guten Essen gebracht hat. Dass die italienischen Staatsschulden so verlässlich sind, wie die beiden ruinierten Motoren, die in meinem kleinen, italienischen Cabrio schnurrten, bevor der dritte Motor eingebaut wurde. Dass dem Euro die Luft ausgeht, als sei es ein italienischer Reifen.

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Und dass wir dummerweise durch die Verkettung der Währung gerade nicht mehr in unserem genialen 300 SL mit Herrn Ackermann am Lenkrad und Frau Merkel im Kofferraum neben dem Ersatzrad sitzen, sondern mit eben so einer billigen Kiste zusammengeschweisst sind, deren Pilot Silvio genannt „Il Corto” das erklärtermassen nur in seiner Freizeit macht, und eigentlich gar keine Lust hat, sich davon in seinen eigentlichen Leidenschaften behindern zu lassen. Und dieses Gefährt, 1600 Staatsschuldenmilliarden schwer, hängt nun mal über dem Abgrund bei diesem Rennen um die Weltwirtschaft. Die Deutschen haben das Gaspedal des Wachstums und der Exporte. Aber Il Corto hat Spass beim Lenken, wenn die Reifen quietschen. Was ihm und uns vermutlich einen Platz in der Wirtschaftsgeschichte und der Unfallforschung einbringt.

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Es passt einfach nicht zusammen. Der Tross des Gran Premio verlässt Mantua in Richtung Parma, und dort besuchte ich einen Laden mit dem schönen Namen Amarcord (Erinnere Dich, wie der Film von Fellini), der Bettwäsche, Kissen, Handtücher und handbemalte Majolika anbietet. Die Damen haben in durchaus guter Einkaufslage viel Zeit, ihre Tüten selbst mit ihrem Signet zu bekleben. Die Handtücher werden mit der Hand bedruckt. Jedes Detail des Ladens würde den Optimierer der Value Chain, die uns kik und H&M bringt, über den Rand des Wahnsinns treiben. Das darf, betriebswirtschaftlich betrachtet, gar nicht sein. Es ist aber. Schönen Gruss an Frau Merkel, sagt die Chefin feixend, nachdem sie sich erst über den Zustand des Landes und – mit einer Geste – von Silvio Il Corto ausgelassen hat. Wirklich sehr schöne Handtücher, bedruckt in allen italienischen Autobonbonfarben.

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Natürlich gibt es keine Lösung des Problems, und schon bald wird, zu Recht oder zu Unrecht, in deutschen Medien zu lesen sein, dass man sich hier mehr anstrengen muss, wenn man gerettet werden will. Mehr anstrengen heisst: Mehr deutsch werden. Mehr leisten, mehr Wachstum, mehr nach vorne kommen, was ungefähr dort ist, wo jene dahinrasen, die am Ende das ganze Spektakel bezahlen werden. Allein, aus Amarcord mit selbst beklebten Tüten wird nur dann ein kik werden, wenn letzterer den ersteren ausrottet. Man kann einen Film von Fellini nicht so umschneiden, dass er in deutsches Privat-TV passt. Die Panna Cotta im Bue d’Oro hat so viel Kalorien wie eine Tafel Billigschokolade, aber man kann sie nicht so billig machen. So schnell wie ein 300 SL wird ein Ermini nur, wenn er über eine Brücke in eine tiefe Schlucht fällt.

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Den Märkten ist so etwas natürlich egal, die Märkte wollen Wachstum und Geschwindigkeit, was in der Kombination den Profit ergibt. Die Märkte wollen keine Panna Cotta und bedruckte Handtücher und Fellini-Retrospektiven, aber mit kik-Umsätzen, Preissprüngen bei Kakaobohnen und viel Werbung im Privat-TV kann man Analysten besänftigen und Trader beglücken. Schöne Grüße an Frau Merkel, die Dame im Laden versteht schon, was es bedeutet, wenn die Politik den Märkten folgt, um sie zu beruhigen: Sie selbst bleibt zurück. Bedruckte Handtücher sind ökonomisch bestenfalls irrelevant. Schlimmstenfalls ein störendes Hindernis wie ein kleiner, roter Kriecher für den Vollgasraser, der glaubt, dass man die Kurve noch etwas schneller fahren könnte, bis das Heck ausbricht.

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Es ist kein Zufall, dass die Profiteure dieses Marktes – die wachstumsversesssenen deutschen Leistungseliten – genau hier die Forderungen an andere stellen. Der etwas entspannteren Wenigerleistungselite – mir beispielsweise – tut das weh. Einerseits sieht man ja, wohin uns das Ganze mit Bankenrettungen, Konjukturdelle und Rettungsschgirm in den letzten Jahren gebracht hat. Andererseits wird Effizienz und Sparen um jeden Preis und ohne jede Rücksicht auf die Vereinbarkeit mit den Strukturen anderer Länder vielleicht die Märkte beruhigen, oder auch nicht. Sicher jedoch wird es die Kleinen und Schwachen treffen, und kaum die scheusslichen Gewerbeparks vor den Städten, oder gar Il Corto. Die Il Cortos werden immer mit den Ackermännern reden und feilschen können, die anderen müssen in roten Kleidern durch dieses Land rennen, oder aufgeben und auf einen Platz an der kik-Kasse hoffen. Schönen Gruß an Frau Merkel soll ich ausrichten. Mache ich gerne. Mit grösstem Vergnügen.

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(Den Gran Premio hat übrigens so ein kleines, rotes Auto aus Italien gewonnen, eins von denen, die dauernd kaputt gehen, rosten und nur im Sommer gut heizen, wenn man das Verdeck aufmacht)