Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die Schönen, die Reichen und die Verzichtbaren

Beim Kampf um die Deutungshoheit der besseren Kreise werden keine Gefangenen gemacht: Schon wieder wollen Berliner Schreiber mit einem russischen Investor im Rücken befehlen, wie die Gesellschaft auszusehen hat. Da kann ich nur sagen: So nicht.

Ich hätte grosse Lust, nächste Woche mit ihr nach Cannes zu fahren.
Nancy Mitford, Landpartie mit drei Damen

Sollten Sie zu jenen gehören, die von einer Zeitung Servicecharakter erwarten und schnell informiert werden möchten, darf ist das hier abkürzen: Wenn Sie gern kostenlos Urlaub bei Partyveranstaltern machen, die ihr Appartment „Residenz” nennen, wenn Ihr Gschpusi sein Vermögen mit Drückerkolonnen gemacht hat, wenn Sie sich gerne mit Air Berlin einfliegen und upgraden lassen, wenn Sie der Gemahlin von Bundespräsident Wulff etwas zum Tee mitbringen möchten, wenn Sie die Markennamen der Werbung in Gala und Bunte entziffern können, wenn für Sie ein gelungenes Wochenende in Berlin im Quartier 207 beginnt und im Grill Royal endet, und wenn Sie in Kitz sind, weil da alle sind – dann könnte die neu erschienene Zeitschrift Interview durchaus einen gewissen Reiz und echten Sinn haben. Baba, und denken Sie daran: Davos hat Einbahnstrassen, wenn Sie da in die falsche Richtung schauen, gar nicht auszudenken, was man dann über Sie denkt.

 Für die anderen muss ich etwas weiter ausholen: Vor drei Jahren wurde ich nach Frankfurt eingeladen und gefragt, ob und was ich gerne für diese Zeitung bloggen möchte. Damals gingen gerade drei neu gegründete Zeitschriften unter, die sich alle um die besseren Kreise bemühen wollten: Park Avenue, Vanity Fair und Rich Magazin. Wer auch nur einen Funken Ahnung von der deutschen Oberschicht hatte, wusste beim Durchblättern, dass es nichts werden konnte. Da hingen Redakteure und Investoren der Illusion einer Oberschicht an, wie sie oben beschrieben ist. Das gibt es durchaus. Leider. Diese Leute sind für den Ruf besserer Kreise so förderlich, wie es der verschwenderische Papst oder moralisch fragwürdige Bischof für die katholische Kirche  ist. Aber so wenig, wie diese Einrichtung deshalb eine Zeitschrift „Der prassende Kardinal” herausbringt, wären diese Gesellschaftskonstrukte nötig gewesen. Und weil die alle so schön berlinfixiert waren, schlug ich vor, das Gegenteil zu versuchen: Ein Blog über die real existierenden Westviertel im Alten Westen, wo eben jenes Publikum lebt, das diese Magazine als Kundschaft gewinnen wollte.

Bild zu: Die Schönen, die Reichen und die Verzichtbaren

Als statistischer Hinweis: In den Landkreisen München Land, Starnberg und Miesbach leben unter einer halben Million Einwohner gut doppelt so viele Reiche und Superreiche, wie im sechs mal grösseren Berlin. Das sind die Realitäten, und Werbekunden haben überhaupt nichts davon, wenn sie nur von jenen gesehen werden, die sich für sexy halten und arm sind. Ambitionierte Gesellschaftsberichte müssen in den reicheren Regionen ankommen, oder es ergeht ihnen wie diesen Magazinen. Sie waren gefangen in der Blase Berlin, nicht beachtet beim Zielpublikum trotz Adelsredakteuren, Ex-Welt-Mitarbeitern und Namen, die in Berliner Szenen gut klingen und woanders kein Mensch kennt. „Da hat der und der das Layout gemacht und dieser Skandalmaler das geschrieben” wirkt mangels Bekanntheit in diesem Umfeld einfach nicht, und wenn doch, dann befremdlich. Dort sind ganz andere Themen, Fragestellungen und Plaudereien gefragt. Das Bild der Reichen und Schönen in diesen Zeitschriften war weltenfern von der gelebten Welt der Immernochsehrwohlhabenden und Abendkleidimkonzerträgerinnen. Gerade in stürmischen Zeiten, in denen sich die Gewissheiten auflösen und die Verhältnisse grundlegend ändern, sollte etwas mehr Themenvielfalt als die üblichen Stars aus den RTL-Nachrichten sein. Über die tiefgreifenden Veränderungen kann man sich nicht einfach hinwegshoppen.

Diese Sentimentalität für den alten Westen, diese Erinnerungen an gute und einfache Zeiten machen sich inzwischen auch die Luxusmarken zunutze. Die einen zeigen Stilzitate der 50er, 60er und 70er Jahre, die anderen schwelgen gleich in traditionellen Tugenden, Werten und Landschaften. Nichts ist in dieser Welt eigentlich peinlicher als als der prassende Oligarch, der dreiste Bankster, der Globalisierungsprofiteur, der aalglatte Schnorrer, die ganze ins Gerede gekommene Schicht der Lauten und Neureichen: So erzählen es Berg- und Familienidyllen der Werbung in der Interview. Nur Gucci hat das wohl noch nicht überrissen. Und die Macher der Zeitschrift auch nicht.

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Nun muss man wissen, dass hinter dem Import der Zeitschrift aus Amerika nach Deutschland eben jener Ex-Chef von Conde Nast steht, der schon Vanity Fair in Deutschland auf den nicht ausreichend vorhandenen Markt gebracht hat. Diesmal ohne bekannten Grossverlag, aber mit einem russischen Investor im Hintergrund. Zwischenzeitlich gab es wohl die Idee, dass die Chefin der russischen Vogue die Zeitung machen sollte, aber so konsequent zog man das doch nicht durch, und  holte sich Einheimische. Vermutlich getrieben von der Hoffmung, sie wüssten, was sie in Deutschland, natürlich wieder von Berlin aus, tun.

Nun, es gibt eine Kategorie, die heisst „WOW!”. Mit Ausrufezeichen. Für Kaufklimbim. WOW! Diese Kategorie ist dick, wirkt wie angenehmes publizistisches Umfeld und zeigt Dinge, die Frauen tragen, die WOW! rufen, wenn sie durch Einkaufpassagen gehen, bevor sie sich ein ein Etablissement mitnehmen lassen, das von der Familie Jagdfeld betrieben wird. Es wird vorausgesetzt, dass man einen gewissen James Franco aus Hollywood kennt, der eine zum Glück kurze Kurzgeschichte geschrieben hat. Eine Berufskleiderträgerin namens Julia Zimmer wird vorgestellt, ein Skateboarder und dicke Ketten für Frauen. Clint Eastwood redet viel, was schade ist, denn am besten ist er in seinen Filmen, wenn er Leute erschiesst, die dann den Mund halten, was angenehmer als, sagen wir mal, die Plagiatorin Hegemann ist, wenn sie wie in diesem Magazin gezwungen ist, etwas selbst zu schreiben. Andy Warhol, der Interview erfunden hat, ist schon tot und wird noch einmal kräftig abgefeiert. Er hätte so ziemlich jedes Gesetz des Journalismus gebrochen, behauptet man in der Abteilung A-Z, und wenn man bei dieser Aussage angekommen ist, versteht man auch wieder, warum man mitunter Gesetze braucht. Hier ist was Kleines mit Twitter und da ein Verweis auf die Hompeage, viele Entfaltungsmöglichkeiten für Kreative, bunt, laut, grell, aufgeregt. Es ist, um es kurz zu machen, eine extrem hektische, das inhaltliche Nichts zuplärrende Angelegenheit, und all die typographischen Brüche und Bildstrecken können nicht so ablenken, dass das Wesen dieser Zeitschrift als eine sehr krude, unausgewogene und beliebige Aneinanderpappung von Werbungszwischentexten nicht auffallen würde, weltenfern von den Spitzen der Gesellschaft.

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Es ist eine Qual wie leichte Zahnschmerzen. 270 Seiten, ein paar mässig hübsche Bilder, kein einziger Gedanke, an den man sich nach einer Stunde noch erinnern würde. Das alles wurde schon oft plattgewalzt, Wladimir Kaminer machte die selben Witze schon im Kulturzentrum der jüdischen Gemeinde München vor 10 Jahren,  und manche machen das wohl, um ihre Kunst, Filme, Haarschneidereien und was sie sonst so tun zu bewerben. Und ich frage mich, was diese Leute in Berlin denken, was Leute wie ich, meine Bekannten, meine Umgebungen so ausmacht. Ich kenne, angefangen von den Gestaden des Tegernsees über die Konzertpause bis zu den Netzwerken der Medienkunst wirklich niemanden, dem ich sagen könnte: In der Interview sagte der und der übrigens… die und jene haben dort geschrieben… Und selbst, wenn es einmal thematisch passen könnte, wie beim Thema Italien, wüsste ich erheblich bessere Autoren als Zeugen zu benennen, als das Bröckchen, das Interview zu bieten hat. Man kann diesen Designunfall nicht lesen, und man kann seinen Inhalt nicht weiterverbreiten. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass irgendwelche normalen, reichen Menschen sich hinstellen und diese A-Z-Promi-Faseleien ohne Tiefgang weiter verbreiten. Es sei denn, sie entsprächen dem Zerrbild, das man gern von Davos und Kitz und Rottach-Egern zeichnet. Wer sich dort rote Aallederjacken kauft und in die Winner’s Lounge nach Bad Wiessee fährt: Vielleicht. Die anderen: Niemals.

Ein Teil des Problems ist sicher die Achse Moskau-Berlin-New York, entlang der das Heft aufgehängt ist. Wie schon bei Vanity Fair suhlt sich das Projekt im Spreeschlamm und ignoriert vollkommen, dass es da draussen auch noch ein anderes Deutschland gibt. Aber selbst bei meiner Berlinaversion möchte ich nicht glauben, dass das Magazin dort begeisterte Anhängerschaft findet: Da mag eine gewisse Blase sein, die genau das lesen will, zumindest mal die Graphiker und ihre Oma. Der Rest der Reichen hat heute aber ganz andere Sorgen, die Themen sind durchwegs andere, und selbst wenn es einmal eine Übereinstimmung geben sollte: Derartig penetrantes Namedropping käme auch in der Berliner Realität schlecht an. Interview hat zwar jede Menge teuren Plunder und Vergnügungen im Angebot, aber keine Immobilien, noch nicht mal in Rottach. Ich vermute, dass sie an ein junges, gut verdienendes und mobiles Publikum denken, das viel im Netz macht, gern sinnloses Zeug konsumiert, alle iPad-Generationen hat, und die Gala wird ja auch gelesen, nur gibt es keiner zu. Also wird Andy Warhol aus dem Grab geholt, es gibt ein wenig Kunstanmutung und dann kaufen sie es schon. Und darin nimmt sich das Magazin auch noch ernst.

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In einer ganz anders eingestellten Welt, in der man sehr genau aufpasst, womit man sich zeigt und verbindet, kann so ein Magazin keine Gnade finden. Das legt man sich nicht auf den Tisch. Es gibt bei uns neben dem Laden, der diese Zeitschrift und Bestseller hat, bei uns auch noch ein Buchgeschäft, das die im Eingangszitat erwähnte Gesellschaftsgroteske von Nancy Mitford führt. Das ist bitterböse, sarkastisch, ehrlich und höchst unterhaltend; man wird sehen: Es ist durchaus möglich, diesem trockenen Felsen von einer Gesellschaftsschicht höchst amüsanten Nektar abzugewinnen, wenn man nur lang genug knetet und presst. Das Bild der Klasse ist alles andere als schmeichelhaft, es wird von einer Autorin durch Dreck und braunen Kakao gezogen, die genau weiss, worüber sie da schreibt. Interview und dieser Roman, beides sind Zerrbilder dessen, was man als Gesellschaft bezeichnet, aber Nancy Mitford hat dabei ein moralisches Ziel, wie es sich gehört.

Interview hat ein ökonomisches Ziel. Man will Anzeigen verkaufen, man will dabei sein, und dafür dreht man die Gesellschaft entsprechend hin, damit man auch reinpasst. Dieses Adabei-Bemühen trieft aus jeder Zeile, und das ist die Haltung, mit der man sich ins gesellschaftliche Nichts schreibt. Das ist die Zeitschrift zum deutschen Bundespräsidenten. Aber nicht für das Westviertel, das sich beleidigt fühlen wird, von so etwas vereinnahmt zu werden. Wir können ja wetten: Ich bin immer noch hier, wenn Interview in Deutschland vom Markt genommen wird.