Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der Doktor, der Maserati und der Modigliani

Je niedriger das Ross, desto weicher und angenehmer der Fall: Wer nicht nach dem Höchsten strebt, lebt auch ganz gut und bricht sich dabei nicht öffentlich das Genick.

Um zu gewinnen, muss man erst mal überleben.

Der K. war eigentlich ein feiner Kerl aus gutem Hause. Überhaupt niemand, von den man annehmen würde, er tanzte höhnisch auf anderer Leute Gräbern. Und dennoch schrieb er diesen bösen Satz jemandem ins Internetstammbuch. Um zu gewinnen, muss man erst mal überleben. Der Adressat hatte gerade die zweite Geschäftsidee vor die Wand gefahren, und das Scheitern nicht minder bedeutungsschwanger als Beinahesieg verkauft, wie er schon den Start als Beginn einer neuen Ära hatte feiern lassen. Der K. arbeitete in diesem Bereich schon seit Jahren und war damals nicht eben begeistert über diese neue, laute Konkurrenz, die jetzt alles zu liefern versprach, was der K. auch schon geboten hatte, nur eben mit 40 unter Tarif bezahlten Mitarbeitern, die das aber toll fanden, weil sie auf die Chancen scharf waren, und nicht so sehr auf das Recht auf angemessene Bezahlung. Und als es dann gescheitert war, hielt den K. nichts mehr, und er schrieb diese Worte mit ihrem schweren Sinn: Wer oben ankommen will, darf vorher nicht fallen. Eigentlich ganz einfach. Eine Binsenweisheit.

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Der K. hat das damals von seinem Büro in Schwabing aus geschrieben, nicht fern der Leopoldstrasse, und da stehe ich gerade mit einem verbeulten, 18 Jahre alten Sportwagen, und neben mir schaut einer herüber, der in einem himmelblauen Maserati Quattroporte sitzt. Die Ampel schaltet um auf Grün, der Maserati beschleunigt und ist vor mir an der nächsten roten Ampel. Die Ampel schaltet auf Grün, der Maserati sprintet los, und an der nächsten roten Ampel sehen wir uns wieder. So ein Quattroporte in mittelgebrauchtem Zustand kostet rund 20.000 Euro, und bis zu diesem Punkt hat er 80.000 Euro an Wert verloren. Aber er ist immer vorn dran. Der Fahrer sieht etwas verbissen aus. Ich weiss nicht, wohin er fährt, aber ich bin mit meinem verbeulten Fiat auf dem Weg zu meiner Wohnung in der Maxvorstadt, die man nicht sieht und die, egal wohin man tritt, an keiner Ampel der Welt auch nur einen Millimeter weit fahren würde. Sie ist nur etwas teurer als so ein Auto.

Und es geht mir dabei wirklich gut. Es muss für den göttlichen Heilsplan Leute wie mich geben, die auf ihrer Wohnung sitzen, und einen himmelblaue Maserati auf der Leopoldstrasse. Natürlich bin ich auch der Meinung, dass man, wenn man gewinnen will, erst mal überleben muss, und tendenziell ist so eine Raserei auch stets ein guter Anlass, früh zu sterben. Aber dieser Fahrer übernimmt damit eine wichtige Funktion, er drängelt sich nach vorne, sein lauter Motor schiebt ihn auf den ersten Platz, und dahinter ist es gar nicht so unbequem. Ganz im Gegenteil. Der Bereich hinter den aufdringlichen, lauten Vorpreschern, Überfliegern und Entscheidern ist seit jeher derjenige, der ein angenehmes und ruhiges Dasein verspricht. Inzwischen hat sich bei uns herumgesprochen, dass Elite keinesfalls so aussieht, dass man sich ein Leben lang abhetzt und dann mit 66 zum Wohle der Rentenkasse in die Ewigkeit abtritt. Der dicke, gemütliche Kommerzienrat hat zwar als Leitfigur ausgedient, aber seine Haltung lebt überall dort weiter, wo man den anderen gern die Überholspur frei räumt.

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Natürlich ist die Überholspur heute der Ort, wo man zu sein hat, schliesslich ist Zeit Geld und der Zeitmesser, den man sich in der Klickstrecke mit den 200 exklusivsten Uhren herausgesucht hat, muss ja auch abbezahlt werden. Hier in München gibt es so gut wie kein laut beworbenes Wohnprojekt mehr, das nicht Residenz, Hof, exklusiv, Luxus und einzigartig ist, selbst wenn es sich nur um einen überbauten Block in Ramersdorf handelt. Es ist die Stadt, in der viele die Karriereberatung wirklich noch ernst nehmen, und wer hier Managementtraining mit Rafting oder Freeklimbimclimbing anbietet, kann ein Vermögen machen: Es gibt genug Firmen, die der Meinung sind, dass man so exzellent wird, wie auch schon unsere Universitäten Spitzenplätze haben, und wer wirklich nach oben will, der sollte auch einen Doktor vorweisen können. Vor zwei Generationen war man noch froh, wenn man ein Kind an die Uni schicken konnte, heute sollte es schon die Promotion sein, wenn man international mitspielen möchte. Exzellenz, eben. Je toller, je effektiver, desto mehr Geld auch für die Universitäten.

Nun ja. Der Text, den Sie hier lesen, wird von einem ehemaligen Langzeitstudenten verfasst, der bis heute mehr über das Tanzen im Babalu und im Parkcafe als über eine wirtschaftlich sinnvolle Anwendung seiner Orchideenfächer erzählen kann. Die Welt, die mir diese Freiheiten gestattete, haben Leistungsfetischisten und Exzellenzfanatiker mit Stumpf und Stiel ausgerottet, Leute wie Frau Professor Doktor Schavan. Es war schon damals ziemlich offensichtlich, dass mein Studium mehr meinen Neigungen als der Unterordnung unter ökonomische Zwänge diente, aber es war auch eine Zeit, da sich Eltern darüber nicht beklagten: Es gab die Zuversicht, dass aus den Kindern schon etwas werden würde. Heute ist das oft anders, da glauben weder Studenten noch ihre Eltern oder gar die Professoren, dass man eine Chance bekommt, wenn man nicht mindestens ganz vorne mit dabei ist. Man hat die Tore des Bildungssystems am Beginn geöffnet, aber nach hinten raus wird das eine sehr enge, druckvolle und leistungsorientierte Angelegenheit. Eine Leopoldstrasse des Vorankommens, auf der jeder den Maserati fahren will. Dass nun ausgerechnet die ministeriell-a.D.e Verkörperung des Leistungsdrucks Gefahr läuft, wie eine Studienabbrecherin dazustehen… der himmelblaue Quattroporte muss abbiegen und die Radler vorbeilassen, und ich fahre lächelnd gerade aus weiter.

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Das mit der Exzellenz ist halt immer so eine Sache. Vor ein paar Tagen wurde ein bekannter Experte für das Werk von Amadeo Modigliani verhaftet, weil er das Werk des Meisters zu seinen eigenen Gunsten unzulässig erweitert hat. Das alles ist voll von feiner Ironie: Hier der gesundheitlich angeschlagene Künstler, der in Paris soff, Drogen konsumierte und sexuell recht freizügig lebte, dort eine Welt reicher und reichster Sammler, in der nur die ersten Namen und die höchsten Preise zählen, die von Rekord zu Rekord eilen. Und dazwischen jemand, der all die Eitelkeiten sieht und die Nachfrage befriedigt. Und jetzt steht also die Elite vor Leinwänden, kratzt sich am Kopf, und hat lange etwas bewundert, das weniger echt ist als die Rokokoportraits, an denen sich unsereins delektiert: Dritte Wahl, da lohnt sich eine Fälschung nicht. Es musste aber ein echter Modigliani sein, und ein übermotorisierter Maserati und ein Doktor einer Uni, deren Mitarbeiter alles tun, um ein Bapperl zu bekommen, von einer Ministerin, die es selbst auch nicht so genau nahm.

Sicher wird jetzt wieder viel geredet, wie man Exzellenz exzellenter machen kann, damit sie nicht mehr so lächerlich aussieht. Der Raser will freie Fahrt, die besten Universitäten sollen noch besser prüfen und die Auktionshäuser noch genauer hinschauen. Man möchte nicht schon wieder mit heruntergelassenen Hosen dastehen, aber so lange diese Exzellenz, das Herausragende, das Beste unbedingt sein muss, wird es auch welche geben, die dafür krumme Wege gehen. Manche fliegen auf, andere kommen trotzdem an der Spitze des Systems an, und die Exponierten der Leistungsgesellschaft meinen nun, das sollte überhaupt kein Grund sein, über eine pervertierte Anspruchshaltung und die Dummheit des Leistungsdrucks zu reden. Oder sie auszulachen. Sollte man zu Schavans Zeiten tatsächlich lockerer gearbeitet haben, und sollte Frau Schavan tatsächlich eine tolle Ministerin gewesen sein, könnte man doch auch fragen, ob etwas weniger Druck und mehr Nachsicht, mehr brauchbarer Durchschnitt statt guttenberg’sche Summa-cum-Laude-Elite nicht auch eine lässige Sache wäre. Man kann auch mit einem alten Fiat Pässe fahren und Biedermeierdamen aufhängen und überhaupt, wann immer die Deutschen die besten sein wollten, ging es daneben… meistens tragisch, aber die der Doppelmoral innewohnende Komik im Fall unserer serienentpromovierten Leistungselite ist doch eine nicht nur heimlich feine Sache.

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Ich habe weiterhin volles Vertrauen, dass man auch ganz normale Studenten brauchen wird, dass 10 Praktika einem nichts über das Leben beibringen und so ein Sturz die Verhältnisse wieder gerade rückt. Die Frage ist, was man eigentlich gewinnen möchte, und wenn ich mich so unschaue, möchten die meisten eigentlich ein gutes Leben ohne das Gefühl, in jeder Lebenslage den besten Wein, das beste Steak, das beste Auktionshaus, den besten Schneider, die beste Hochschule und die besten Chancen für das Kind zu kennen. Frau Schavan geht, man sollte sie nicht aufhalten und ihr das ganze Leistungsgehupe mit auf dem Weg ins Nichts geben. Dann hat man schon so einiges gewonnen.

Und es reicht, wenn es die anderen nicht überleben.