Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Neue Fürsten und Hofschranzen fordern Paläste

Höchste Ansprüche und natürliche Privilegien: Beim Bau günstiger Wohnungen sehen die Bevorzugten keinen Grund für falsche Bescheidenheit. Und ein Park darf natürlich auch nicht fehlen.

Solange Sie sich unseren Forderungen nicht stellen, behalten wir uns weitere Schritte vor.
Mieterinitiative Kotti & Co. an den Vermieter

Karl Heinrich Kasimir von Freudenleben – für seine Jagdfreunde “Kalle” – und Anna Theresia Wallburg Freifrau auf Hohenstuhlitz sassen also in ihrem alten Schloss und waren, wie immer eigentlich, sehr unzufrieden. Die Mauern waren feucht, die Räume zu klein, die Kachelöfen stilistisch nicht mehr modern und dazu kamen all die Reparaturen, für die freche Handwerker zu viel Geld verlangten. Und dann war Schloss Freudenleben leider auch kein Privatbesitz – es sich unter den Nagel zu reissen, hatte Opa Wilhelm Otto Fürchtegott beizeiten leider versäumt – sondern nur ein Lehen, und dafür mussten sie natürlich auch an den König Pacht zahlen. Nicht viel, die Verträge waren uralt, weitaus weniger als in anderen Regionen des Reichs, aber Kalle und Anne hatten aus Prinzip zu wenig Geld, fühlten sich immer benachteiligt und waren einfach nicht zufrieden. Man kennt das, daher gibt es in Schlössern auch ein Boudoir, in dem nach Herzenslaune geschmollt werden konnte.

Ja, so ein schönes, neues Schloss im modernen Stil, das wäre jetzt nett gewesen. Und so befahl Kalle dann eines schönen Tages seinem Kammerherrn Klaus Wenzel zu Wowelöd, Wowe geheissen, doch Vorschläge zu machen, wie dieses “gar greyslicke Fatum” zu beheben sei. Wowelöd beteuerte bei jedem Fest zu Hofe, dass er baldigst Pläne vorlegen würde, und tatsächlich, eines Tages, näherte er sich mit vielen Bücklingen dem Adelspaar und sagte: Durchlauchten, es ist schwierig. Dieses Schloss hier, das müsste saniert werden, aber dazu ist kein Geld da, wegen der Feste haben wir sogar Schulden – kurz, man müsste es abtreten an einen bürgerlichen Kreditgeber, der das bezahlen kann, und der würde dann auch Pacht verlangen oder gar selbst hier wohnen… Zum Teufel, herrschte ihn Kalle an, ich will nicht mehr zahlen, ich will mehr haben, sag er endlich, wie man uns ein neues, prächtiges Schloss in schöner Lage erbauen wird! Nun, sagte da der Wowe, Durchlaucht erinnern sich doch an die alten Salinen, die wir vor 5 Jahren wegen der untauglichen Lage haben schliessen müssen… man könnte es so machen: Wir verkaufen dort einen Teil des Grundes und mit dem Geld könnte man dort ein neues Schloss errichten.

WAS? schrien dann Kalle und Anna. Was? Dort wollen doch meine Hunde freien Auslauf, kreischte Anna. Und meine Jagdgesellschaften, empörte sich Kalle, wo soll ich die dann abhalten? Hä? Das hier ist doch ein Hof, so muss das sein, für meine Freizeit, mein Plaisier und meine Grillfeste mit Wild von Aldo Lidlius! Aber bitte, beruhigen Sie sich, sagte der Wowe, das ist nur ein ganz kleiner Teil und nebenbei könnte man auch das gräfliche Archiv, das hier im Keller schimmelt… NIEMALS! schrie der Kalle. Aber wo sollen wir das Geld, hob der Wowe betreten an, als ihn die Anna gleich niederkartätschte: In Wien geben sie 12 mal so viel für Schlösser aus als das, was hier geplant ist! Geh er und mache neue Pläne, bevor ich den Hund auf ihn hetze! Und Wowe ging und fragte sich, wie das etwas werden sollte, denn es war wirklich kein Geld da, im Gegenteil, dauernd forderten Handwerker und der üppige Hofstaat Geld, während Wege verfielen und im Park seltsames Gesindel sein Unwesen trieb – wenn das alles nicht gewollt war, dann blieb wohl nur, das Schloss ganz weit draussen, in den Einöden zu bauen, wo genug unfruchtbarer Boden war. Oder doch das alte Schloss erweitern, am besten mit noch mehr Schulden und vielleicht Hilfe vom König, der dafür andere Adlige um so mehr schröpfte. Kalle und Anna wendeten sich statt dessen der Planung des nächsten hundsmusikalischen Umzugs durch ihr kleines Reich zu.

Jeder, der hin und wieder ein Schloss besucht, weiss natürlich, wie solche Geschichten ausgehen. Sogar in Bayern, wo sich das Verhältnis zwischen Adel und Bürgertum nicht so schlecht darstellt, wie beim berüchtigten ostelbischen Junker, wird man bei Führungen stets auf die Kosten solcher Projekte hingewiesen, und wie sehr das den Adel belastete. In Pommersfelden zum Beispiel wird in der Galerie erklärt, dass hier fast alle Kunstschätze des Erbauers verkauft werden mussten, um den Koloss von seinen immensen Schulden zu befreien. Aber so war das damals eben, im Zweifelsfall gingen die Handwerker leer aus, die Landeskinder wurden geschröpft, ein paar Lehen veräussert oder Gelegenheiten gesucht, um bei Konflikten auf der Seite der Plünderer zu sein. Das ging auf Dauer nicht gut, heute sind Schlösser Museen, aus lebenslangen, gottbegnadeten Regenten wurde eine lebenslange Regentin, und der Adel hat keine Vorrechte mehr. Das Volk entscheidet.

Und oft hat sich das Volk diese Lehren auch zu Herzen genommen. Teures Personal ist weitgehend verschwunden, mehr als drei Wohnsitze sind selten, und die Wände sind meist so niedrig, dass man die Gemälde aus dem Untergang der Adelsherrschaft nicht wirklich gut hängen kann. Statt üppiger offener Kamine werden Niedrigenergiebrenner verbaut, Tafelsilber ist selten geworden, man zieht sich am Tag nicht mehr fünf mal um, und die Ergebnisse dieser Sparsamkeit liegen auf der Bank. Kaum ein Adliger hatte je so viel in seinen Truhen, wie es das Bürgertum jetzt furchtsam vorhält – man weiss ja, wie das ausgeht, wenn man mitunter kopfschüttelnd durch die Monumente des vergangenen Bauwahns schreitet, und sorgt vor. Natürlich wird auch diese Akkumulation von Vermögen kritisch gesehen: Man sagt, die Reichen seien zu reich und die Armen seien zu arm, wir lebten in einer Klassengesellschaft und der Aufstieg wäre unmöglich. Alles wendete sich zum Schlechteren, die neue Klasse der Besitzlosen, mithin die Hälfte der Bevölkerung, wäre das Äquivalent zu den Leibeigenen vergangener Jahrhunderte.

Man sehe es mir nach, wenn ich eine andere historische Parallele sehen möchte – ich habe nämlich überhaupt nicht den Eindruck, dass auf der einen Seite nur gerafft wird, was den anderen genommen wird. Die Erben von Anna und Kalle gründen heute Bürger- und Mieterinitiativen und sind sehr wohl bereit, der Politik des Staates Druck zu machen. In Berlin zum Beispiel wird stets beklagt, dass die Mieten steigen. Woanders gälte das als Zeichen einer langsamen wirtschaftlichen Gesundung, hier gilt es als Gentrifizierung und Vernichtung althergebrachter Milieus. Deshalb werden Umbauten und Aufwertungen erschwert. Neuer sozialer Wohnungsbau ist möglich, aber dafür braucht man Geld und Platz. Geld könnte man durch Verkauf von Grundstücken am Tempelhofer Feld bekommen, und dort auch selbst neue Wohnanlagen bauen – prompt gibt es eine Bürgerinitiative dagegen, die das und andere nötige Neubauten dort verhindern will, mit guten Aussichten auf Erfolg. Die Frage, wo und wie und mit welchem Geld dann die begehrten Wohnungen mit der niedrigen Nettokaltmiete entstehen sollen, kann dieser Tyrann natürlich beiseite wischen. Zumal ja mit etwas Glück demnächst auch die Mietpreisbremse kommt: Damit kann er sich mittels staatlicher Regulierung ein paar Jahre von der allgemeinen Entwicklung anderer Metropolen abkoppeln.

Und dann kommen noch solche städtevergleichenden Einwürfe, die für Druck sorgen sollen: Ja, auch im Barock war Wien Vorbild, auch im Barock waren Baumeister von den Fürsten gehalten, viel Geld ins Bauen zu stecken. Hauptsache, man kann heute gemütlich und günstig wohnen, und auch im Rokoko hat man nur selten über den Tag und die nächste Jagd hinaus gedacht. Das ist so selbstverständlich, das ist so normal, dass es schnell auch auf Neuankömmlinge abfärbt: Flüchtlinge, die am Oranienplatz kampieren, haben nicht nur eine Schule besetzt, sondern fordern jetzt im Gegenzug für die Auflösung ihres Camps ein Haus. Und wenn Migranten aus Osteuropa einsturzgefährdete Fabrikgelände verlassen müssen, fordern Aktivisten, die Stadt sollte ihnen kostenlos Wohnraum zur Verfügung stellen. Das ist – nobel. Das ist grosszügig, das kann man natürlich machen. Gesetzliche Regelungen, sozialer Ausgleich, Leistungsgerechtigkeit, Papperlapapp, hier und jetzt soll der Wohnraum für alle her und wie der Wowereit das löst, ist sein Problem. Dem Volk soll es gefallen, das will Volk in in guter Lage billig wohnen und sein Tempelhofer Feld und seine Genussmittelliederanten im Görli und wenn das nicht passiert, machen sie eben Lärmdemos: Wir bleiben alle! Und die Politik soll das so machen.

Leibeigene, das kann ich hier nach meinem Studium versichern, sind früher anders aufgetreten. Für mich hat sich bei der Beschäftigung mit diesen Initiativen der Eindruck der armen, unterdrückten Frohngebeugten schnell verflüchtigt: Im Gegenteil, wir stehen hier imperialer Grösse gegenüber. Wir lesen Befehle. Wir stehen davor wie ein Leibeigener des 18. Jahrhunderts, dessen Herrschaft jeden Tag neue Mittel und Wege findet, zu schröpfen, zu plündern und abzunehmen. Heute will die Herrschaft ihr Feld, und morgen ihr Spreeufer, und übermorgen einen  Steg, und wer nicht spurt, wird von immer neuen Initiativen und Wünschen unter Druck gesetzt, vor dem Hintergrund einer desolaten Finanzlage. Und wie so eine Jagdgesellschaft betrunken hin und wieder in ein Dorf eingefallen ist, ist es heute das gute Recht der Elite der Aktivisten, nicht genehmes Bauen, Arbeiten, Wohnen und Fortbewegen mit Farbbeuteln und Brandsätzen zu bekämpfen.

Gut, es kommen keine Paläste dabei heraus, in den Pop Up Stores ist keine Kunst, die man Jahrhunderte später noch sammeln würde, und es wird kein feines Porzellan geschaffen. Aber es geht um den Wesenskern, die innere Einstellung, den spezifischen Adel der Seele, die Nobilität der Geisteshaltung, die Verachtung für das normale Bürgertum und seine Sekundärtugend, mit der genommen, gefordert und befohlen wird. Das ist Herrschaft wie früher, sie gibt vielen Hofschranzen Sinn und Grund und Bühnen, das Leben hier und jetzt zu feiern. Wahrer Adel beschäftigt sich einfach nicht mit den Widrigkeiten von Finanzierung, solange er sieht, dass bei anderen genug zu holen ist.

HINWEIS:

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