Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Wie Christen Europas für Profit den Türken hofierten

Etwas zu lesen , bedeutet nicht , dass Du es verstanden hast
Mohammed

Die weithin schönste Hochzeitskirche dieser meiner Heimat gehörte dereinst zu jener Jesuitenkongregation, aus deren palastartigem Gemäuer heraus, umgeben von nackten Frauen und anderen unzüchtigen Gemälden, ich diese Worte an Sie richte – es handelt sich dabei um die berühmte Asamkirche Maria de Victoria, ein Hauptwerk des bayerischen Barock und in seiner rosatortigen Erscheinung ein Vorbild für all die vorzüglichen Konditoren der Region. Hier wird gehochzeitet und gefeiert, hier finden phänomenale Konzerte statt, hier zücken die Touristen die Kamera und natürlich bin ich auch ein wenig stolz, in einem Gebäude zu wohnen, das etwas vom Glanze der bunten Pracht abbekommt. Es ist immer noch eine schöne Kirche, selbst wenn sie einer typischen und eher fragwürdigen Propagandaaktionen des Abendlandes geweiht ist.

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Die Maria de Victoria, die Maria vom Sieg, ist eine spezielle Form der Marienverehrung, die 1572 eingeführt wurde, um das Gedenken an die Seeschlacht von Lepanto wach zu halten. Die Jesuiten, die die Kirche hier erbauen liessen, machten das nicht zufällig: Meine dumme, kleine Heimatstadt war zu jener Zeit nämlich das Zentrum der katholischen Seite im Bürger- und Gotteskrieg gegen die Protestanten, jenes Konflikts also, den wir hier als Gegenreformation bezeichnen, und allhier, wo ich schreibe, starb dann auch der katholische Feldherr und “Schlächter von Magdeburg“ Tilly – aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls, um 1720 baute man diese formal antimuslimische, aber auch protestantenfeindlich gedachte Kirche und stellte eine üppige Monstranz mit Seeschlachterei hinein, was vielleicht nicht unbedingt etwas mit der reinen und menschenliebenden Lehre des Religionsgründers zu tun hat. Aber ich mein, wir leben ja selbst in einer Epoche, in der sich auch manch Hooligan als besorgter Bürger ausgeben kann, da sollte man also mit Interpretationen nachsichtig sein. Das war halt damals so und kritisiert hat das auch niemand, denn alle hier waren katholisch und kritische Juden brauchte man nur, wenn man wegen Hostienfrevels jemand umbringen wollte – die judenfeindliche Wallfahrtskirche zum Thema ist gleich vor der Stadt. So war das hier in dem, was manche besorgte Bürger heute als christlich-jüdisches Abendland bezeichnen.

Und es ist nun mal wie so oft: Je üppiger die Bemühungen der Propaganda, desto fragwürdiger das Ereignis, um das es geht. Isoliert betrachtet, hatte 1571 eine Flotte der „Heiligen Liga“ ein Aufgebot der Hohen Pforte in der Seeschlacht von Lepanto vor der Küste Griechenlands vernichtend geschlagen. Auf Seiten der Liga waren 9000 Menschen zu Tode gekommen, auf Seiten der Muslime 30000, und dazu kamen, weil die versenkten Schiffe der Muslime oft mit christlichen Rudersklaven besetzt waren, sicher auch viele Nichtkombattanten. Spanien, der Papst, Venedig, Genua und einige italienische Fürstentümer hatten unter dem Anführer Don Juan de Austria dem Sultan gezeigt, und wie man seinem Feldherrn den Kopf christlich abschlägt und als Trophäe herzeigt. So war das damals eben nicht nur im islamischen Staat, und das Christentum hat gewonnen.

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Äh – pardon, nicht das Christentum, die Heilige Liga. Hab ich mich doch etwas vertan, aber das kommt, siehe Hooligan und besorgter Bürger, schnell einmal vor. Vielmehr ist die gesamte Geschichte etwas anders verlaufen, und zwar so, dass die AfD, deren Vertreter Konrad Adam heute in der FAS diesen Sieg feiert, als eurokritische Partei erheblich mehr Kapital daraus schlagen könnte, wenn sie keine verklärende Sicht auf das Gemetzel verbreiten würde. Denn die Heilige Liga war nun wirklich nicht „die Christenheit“, sondern Ausdruck innereuropäischer Konflikte. Die Christenheit in Frankreich etwa war mit dem Sultan weiterhin verbündet, denn der Sultan tat etwas gegen die Spanier, mit denen man verfeindet war. Und „die Christenheit“ des Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation – also die nationale Christenheit, für die die AfD stehen möchte – hatte da gerade einen hübschen Friedensvertrag mit dem Sultan und verhielt sich entsprechend neutral. Der eigentliche Anlass des Konflikts war der Streit um die Insel Zypern, die sich die Venezianer ein Jahrhundert zuvor angeeignet und zum Zentrum der höchst lukrativen Baumwollproduktion gemacht hatten. Nachdem die ländliche Bevölkerung auch christlich, aber eben griechisch-orthodox und nicht römisch-katholisch war, hatte man wenig Bedenken, sie in einem sklavenartigen, aber auch sehr profitorientierten Verhältnis arbeiten zu lassen.

Das lohnte sich, ganz im Gegensatz zum Krieg. Prinzipiell waren die Venezianer nicht am Streit mit dem Islam interessiert, denn man war bevorzugter Handelspartner im östlichen Mittelmeer. Als die Muslime Konstantinopel eroberten, verzögerten die Venezianer die Aussendung einer Hilfsflotte. Als die Muslime Rhodos von den Johannitern eroberten, verhielt sich Venedig neutral. Und als dann Venedig selbst damit rechnen musste, seine Besitzungen auf Zypern zu verlieren, wünschte es sich zusammen mit dem früheren Grossinquisitor, Judenvertreiber und Papst Pius V. eine nichtjüdisch-christliche Allianz gegen die vordringenden Muslime. Die Hilfsflotte für die Insel war nach langen Debatten innerhalb der Christenheit erst einsatzbereit, als die Hohe Pforte unter erheblichen Gräueln und nicht ohne Beifall der unterdrückten Landbevölkerung die Venezianer auf Zypern massakriert hatte. Als die Flotten bei Lepanto dann aufeinander trafen, war der Effekt auf den weiteren Verlauf des Konflikts um Zypern gleich Null. Man hatte lediglich die Offensivkraft der Osmanen kurzfristig gebrochen.

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Eine Landstreitmacht für Eroberungen und zum Vormarsch auf Istanbul hatte die Allianz nicht. Spanien hatte nach dem Sieg auch offensichtlich kein Interesse, hier weiter aktiv zu sein, denn die Gefahr für das westliche Mittelmeer, wo Spanien Hegemonialmacht war, war gebannt. Pius V. als treibende Kraft starb bald, und angesichts des Misstrauens im eigenen Lager begannen die Venezianer das zu tun, was wirtschaftlich sinnvoll war: Sie brauchten den Handel mit den Türken. Also begannen sie auf eigene Faust und unter Hintergehung ihrer Partner Friedensverhandlungen. Der Sultan konnte Zypern behalten, bekam alle Kriegsgefangenen zurück, und erhielt eine Kriegsentschädigung, die dazu beitrug, dass seine Flotte bald wieder im westlichen Mittelmeer auftauchte. Venedig durfte weiterhin mit der zypriotischen Baumwolle handeln, sank aber in der Folge mehr und mehr ab und musste hinnehmen, dass die Türken später auch ihre Kolonie Kreta eroberten. Und weil die Geschichte nur so mittelschön ist, haben dann die Lügenpresse und die alternativlosen Regierungen des Barock die Maria vom Sieg in den Vordergrund gestellt. Reine Symbolpolitik beim Ausverkauf an fremde Mächte.

Diese Geschichte hat enormes parteipolitisches Potenzial für die AfD: Kriselnde Südeuropäer führen den uneinigen Kontinent aus purem Eigennutz in einen teuren Scheinsieg vor Griechenland, werfen sich aber bei der erstbesten Gelegenheit dem Gegner in die Arme, als wären es russische oder chinesische Investoren der Gegenwart. Italiener. Griechen. Spanier. Immer die gleichen, die die Ideale des gemeinsamen Europa verraten. Wie soll man, würde ich da geschickt als Parteistratege fragen, mit Leuten mit dieser Tradition einen gemeinsamen Euro machen? Das wäre das historisch schlüssige Narrativ. Die Südeuropäer sind schuld. Wie immer.

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Aber das uneinige Christentum… das bei der Hohen Pforte um günstige Verträge bettelt und dem Sultan untertänigst den Schaden ersetzte und dann selbst in einen mörderischen, 30 Jahre dauernden, internen Religionskrieg schlidderte, so unbarmherzig, als ginge es um den Krieg zwischen Adam und Lucke, zwischen Pegidafreunden und Eurokritikern… also. Ich weiss nicht. Ich würde mir speziell mit der deutschen Geschchte am rechten, linken oder klerikalen Rand gut überlegen, ob ich aus der Vergangenheit Schlussfolgerungen für die Zukunft ziehen möchte – nicht dass jemand daherkommt und es sich angesichts all der Verfehlungen vor der eigenen Haustür, unter Missachtung des historischen Zusammenhangs, bei der Verurteilung genauso leicht macht.

Torte und nackte Barockdamen machen jedenfalls mehr Spass.