Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Sittliche Vervollkommnung für die mietenden Massen

Das ist keine brutal gefertigte Gänseleberpastete. Das ist eine Trüffelunterlage.

„Guten Tag“ sagte die K.

„Grüss Gott“, sagte der unscheinbare Mann im Trachtenmantel, lüpfte angedeutet des Hut, lavierte sich zwischen der K., den Briefkästen und mir hindurch, und verschwand durch die kleine Dienstbotentür in den Hof, wo es zum Hinterhaus geht.

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„Das ist der Herr von P.,“ erklärte die K., nachdem die etwas schäbige Dienstbotentür ins Schloss gefallen war, „aber er will nicht, dass man um ihn viel des Aufhebens macht.“ Der Herr von P. nämlich habe zwar in seiner Familie auch viel Niedergang gesehen, und besitze kein Palais mehr und kein Schloss auf dem Lande, wie noch seine Vorfahren, aber seine Urgrossmutter wäre geschäftstüchtig gewesen und hätte das Geld in drei Häser gesteckt. Fünf Stockwerke hoch, jetzt mit den ausgebauten Dachstühlen sogar sieben, und dort, wo früher das grossbürgerliche München vom Hochufer aus auf die Isar schaute, mieten jetzt Praxen, Kanzleien und Vertretungen jene Liegenschaften, die eine gute Adresse, Nähe zum Landtag und den in keinem Neubau möglichen Geruch von altem Vermögen erhalten möchten.

Drei Häuser in Flussnähe also besitzt Herr von P., dieser unscheinbare Mann im Trachtenmantel, und er wohnt mit seiner Familie im grosszügig ausgebauten Hinterhaus. Ansonsten weiss man aber so gut wie nichts über ihn, denn wer hier wohnen, arbeiten und mieten möchte, muss sich an Makler wenden. Die Hausabrechnungen macht eine Firma, den Schnee räumt eine Firma, es gibt am schwarzen Brett die Nummer eines Schlüsseldienstes, einer Klempnerei und anderer nützlicher Helfer. Was es nicht gibt, ist Herr von P., Denn er lebt zwar offensichtlich gern von den Einnahmen, die er hier erzielt, aber er will keinen Kontakt zu seinen Mietern. Und die Mieten sind nun mal so hoch, dass all die Bediensteten, die die Abwicklung übernehmen, finanziell nicht sonderlich ins Gewicht fallen. Die Putzfrauen, Makler und Hausmeister finden sich letztlich mit Aufschlag in den Rechnungen wieder, die hier für Steuervermeider, Investoren, Privatversicherte und Kunstkäufer ausgestellt werden. So hat ein jeder seine Ruhe und sein Auskommen.

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Und so wie Herr von P. wären auch andere Vermieter gern. Nicht jedem sind jene Kiemen am Hals angeboren, die Miethaie auszeichnet, nicht jeder hat den nötigen Biss und die Fähigkeit, die richtige Kundenbeute zu erhaschen. Früher war das anders, da stapelten sich die Klassen vertikal, im Erdgeschoss war das Geschäft, im ersten Stock wohnten die schönen und besitzenden Leute, im zweiten Stock vielleicht noch Herrschaften und darüber, zusammengepfercht und stets etwas tuberkulös, die rechtlosen Mietsleid, die, so berichtet es zumindest meine Familiengeschichte, früher bei schlechtem Benehmen einfach vor die Tür gesetzt wurden. Da hatte man noch miteinander zu tun, da sass man aufeinander, und es gab auch keine Makler – da musste jeder selbst schauen, wo er blieb. Herrschaften konnten damals bis zu fünf Sprachen, nämlich Französisch, wenn es um das Böfflamot ging, Englisch, Hochdeutsch, Bayerisch und Schleifmühlerisch. So konnte man Gäste empfangen und sich auch allen Arten von Mietern verständlich machen. Hosd me?

Aber nach dem zweiten Weltkrieg änderte sich das Siedlungsverhalten der Menschen, und so entstanden die besseren Westviertel und die schlechteren Blockviertel. Man kannte sich gar nicht mehr, man sprach nicht die gleiche Sprache und wenn doch, verstand man sich nicht – wie es halt so ist, wenn am Ersten eines Monats bei den einen genug Geld oder wenigstens Dispo auf dem Konto sein muss, um die Miete zu bezahlen, und bei den anderen am Zweiten Geld da ist, für das scheinbar niemand einer Erwerbsarbeit nachgehen muss. Das ist natürlich nicht wirklich so, aber die Kinder wachsen mit diesem Gefühl auf, und verstehen nicht, was die anderen empfinden. Gleichzeitig aber wird den besseren Kindern nur jene gehobene Sprache antrainiert, die in Baracken und später Blocks nicht gelehrt wurde – von wem auch. Wer das konnte, zog in einen besseren Stadtteil, machte Karriere und investierte durchaus in Mietwohnungen, deren Verwaltung und Vergabe er dann aber anderen überliess. Bei uns ist das übrigens anders, ich habe wirklich Miethaiblut in den Adern, mir macht das Spass – und so gut wie niemand versteht das. Warum sollte man das tun, es gibt doch Makler. Sicher, der Makler ist verhasst, weil er relativ viel Geld von Bedürftigen bekommt, ohne dafür viel zu arbeiten, Dass er aber auch die Kneifzange sein kann, mit der man schichtübergreifend Geschäfte machen kann, hat sich noch nicht vollends herumgesprochen. Und er ist in dieser Funktion eigentlich wichtiger denn je.

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Denn leider gilt in dieser Gesellschaft der Wucher zwar als Leitbild – der Ruch, ein Wucherer zu sein, ist dagegen nicht erstrebenswert. Wir sind schliesslich die Guten und das erkennt man daran, dass man nichts Schlechtes tut. Einen Makler einschalten ist gesellschaftlich akzeptabel. Unter vielen Bedürftigen einen Mieter selektieren und den dann maximal ausquetschen dagegen gilt als unfein. Das ist ein wenig wie mit der Gänseleberpastete oder Sushi: Man darf sie gern servieren. Nur die Brutalität, die damit einher geht, das Morden und Quälen, die sollte man besser nicht erwähnen. Man hätte gern das Filet, ohne es selbst auslösen zu müssen, oder gar ein Tier umzubringen – so zart und fein sind wir im Westviertel geworden, und der Makler gehört da nun mal dazu wie das Bolzenschussgerät und der Tiertransporter auf der Autobahn, während man selbst zum Feinschmeckerempfang in die Altstadt radelt. Und sollte man den Mieter doch einmal treffen und etwaige böse Geschichten über ein paar Hunderter extra hören, die im Heizungskeller als Vermittlungsgebühr verlangt wurden, gibt man sich eben empört und stellt klar, dass man davon natürlich keine Ahnung hatte und das beim nächsten Mal ganz anders regeln würde.

Muss aber nun der Vermieter den Makler bezahlen, obwohl man so nett und klassenübergreifend ist, ist das natürlich nicht fair und auch nicht gerecht, ja es kann sogar zu einer gewissen Verbitterung führen. Niemand in der Wissenschaft kann ausschliessen, dass dem netten Herrn von P. nicht vielleicht doch wieder Kiemen wachsen, oder seine Kinder das ururgrossmütterliche Raubfischgen in sich kultivieren, wenn sie wieder selbst vermieten müssen. Es könnte gut sein, dass Teile des Westviertels sich nunmehr im Kontakt mit niederen Schichten bei denselben etwas abschauen, dazulernen und an den Herausforderungen wachsen. Und zwar nach unten. Kurz, ich würde es nicht ausschliessen wollen, dass der Druck zur Privatvermietung auch anderes privatisiert, wie etwa Blutfehden, knallharte Überwachung der Hausordnung und Sanktionen. Bislang ist der Vermieter ja weit weg, jetzt rückt er näher und je besser er einen kennt, desto grösser das Misstrauen. So ein Makler nimmt einen Mieter leidenschaftslos aus, das ist Geschäft. Aber ein Vermieter war früher gefürchtet und nichts kann garantieren, dass sich im Überlebenskampf mit gegnerischen Klassen und ihrem Ikeastarterset nicht die Tugenden der Vorväter Bahn brechen. Und dann werden sie natürlich alle dem alten, sich schüchtern vorbei drückenden von P. ebenso nachtrauern, wie den verständnisvollen und nachsichtigen Honoratioren in den Westviertel. „Du weasd me scho no kenna leana“ ist im Bayerischen nicht umsonst eine schlimme Drohung.

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Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass es dem tendenziell eher links knieenden Mieter gut zu Gesicht steht, die Kluft zwischen den Klassen in angenehmer Weise zu überbrücken. Etwa, indem er sich an einen Vermittler wendet, der es dann übernimmt, ihn der besitzenden Klasse zuzuführen. Man trifft sich dann, unterhält sich ungezwungen ein wenig und nimmt zur Kenntnis, dass der andere gerade auf der Suche nach einer Wohnung ist, um hier nicht nur seine Karriere, sondern auch seine sittliche Vervollkommnung nach den Idealen der Besseren Kreise zu fördern. Wer könnte da abseits stehen, wer könnte sich solchen Wünschen verschliessen, zumal, wenn er zufälligerweise jenem Vermittler vor ein paar Tagen erzählt hätte, dass er eine Wohnung anzubieten hat? Wäre das vielleicht nicht eine glückliche Fügung des Schicksals, dass man sich hier bei Bio-Foie-Gras trifft und sich alles so elegant zu ergänzen weiss? Niemand will doch wissen, dass der Suchende dem Vermittler gegenüber eine Bürgschaft anbot und seine Schufa-Auskunft – wirklich niemand, beim besten Willen niemand will das wissen, das regelt man doch privat, unter Freunden, bitte, nur keine Umstände, verfügen Sie ganz nach ihrem Belieben…

So könnte ich mir das gut und angenehm vorstellen. Denn nicht nur bekommt der Vermieter das gute, menschenfreundliche Gefühl, den Mieter grosszügig geholfen zu haben, auch der Mietende darf sich willkommen und akzeptiert fühlen, und das für den Gegenwert einiger Monatsmieten an Gratifikation für einen wirklich verständnisvollen Kontaktmann. Das hat mit Umgehung der neuen Gesetze so viel zu tun wie ein Schweizer Konto mit Steuervermeidung, da möchte man bitte keine Unterstellung hören, es ist einfach sozial angemessen, wahrt die Form und erhält das gute Zusammenleben unterschiedlicher Klassen. Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass die CDU und ihre Kanzlerin solche Ausnahmen, zumal sie wirklich zufällig, nachvollziehbar und sozialverträglich sind, als Nachbesserung ins Gesetz einzubringen bereit sind, auf dass es wieder mehr ein Vermietergesetz werden möchte. Denken sie doch einfach an den armen Herrn von P. auf dem Weg ins Hinterhaus, durch den Dienstboteneingang,