Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Ein Debakel – die Uraufführung von “La Sigmar Ladrone”

Unsere SPD befindet sich in einem katastrophalen Zustand
Sigmar Gabriel im Jahr 2009

Es ist alles andere als ein Zufall, dass das existierende Opernrepertoire voll von gewitzten, charmanten und beliebten Dienern und ähnlichen Vertretern der Unterschicht ist. Das bekannteste Beispiel dafür ist die kleine Oper „La Serva Padrona“ von Giovanni Battista Pergolesi, die eigentlich nur ein Pausenfüller der heute nicht mehr gespielten Opera Seria „Il prigionier superbo“ gedacht war. 1733 war die Dienerin als Herrin noch eine Art Unterschichtenklamauk, in dem eine zynische Magd ihren alten Herrn mit allerlei Tricks in die Ehe treibt – heute gilt das Stück als Symbol für den Aufstieg des Bürgertums, selbst wenn dasselbe heute dem Reinigungspersonal genauso fern wie vor dreihundert Jahren ist. Aber egal, das Bürgertum begehrte damals gegen die Ständeordnung auf und die Komponisten lieferten die passenden Figuren.

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So hat Don Giovanni seinen Leporello, Don Alfonso in Cosi fan tutte seine Despina, der Barbier von Sevilla sogar die Hauptrolle in den gleichnamigen Opern, und im Publikum sassen die Aufklärer wie Rousseau oder Diderot und fanden es ganz fantastisch, wenn ein Figaro sagte, er werde seinem Herrn zum Tanze aufspielen. Wagner und Verdi hatten es dagegen nicht so mit rebellischen Nebenfiguren, und so kommt es, dass auch weiterhin Mozart, Rossini, Pergolesi und in letzter Zeit auch neu entdeckte Frühwerke von Händel das Bild des geschickten Aufsteigers in den besseren Kreisen prägen: Witzig, ideologiefrei, mit hoher Intelligenz und Verständnis für die Ansprüche aller Schichten ausgerüstet, und eine oftmalige Dickleibigkeit mit Charme und Liebenswürdigkeit überspielend. Schaut her, sagen alle diese Opern, der Diener ist zwar kein makelloses Geschöpf, aber die Umstände machen ihn so, und er hat, wenn man ihn lässt, aufgrund seiner Erfahrungen durchaus die Fähigkeit, sich zum Guten und Richtigen zu entwickeln, während der Adel in seinen starren Rollen verharrt.

Um so erstaunlicher finde ich es, dass das aktuell multimedial zur Aufführung kommende Stück „La Sigmar Ladrone“ zu deutsch „Der Gabriel als Parteichef“ so gar nicht in diese inzwischen ehrwürdige Stilrichtung passen will. Selbstreferenziell macht sich darin der aus Goslar stammende Capo einer Laienspielertruppe namens Societa Porcheria Damnata, kurz SPD, zum Thema und führt vor, wie man eben diese Truppe mit schlecht intonierten Arien nicht gut aussehen lässt, während im Hintergrund alles in die Brüche geht, die Kulissen fallen und dahinter morsche Bretter zum Vorschein kommen, und das Publikum als Teil der Vorführung zu den Ausgängen drängt. Noch nie mochte der Gabriel allein ein Opernhaus füllen, seit er als Diener eines Don Gerhardo damit beauftragt wurde, Lustspiele für das niedrige – sic – Sachsen zu verwalten, wo man ihn bald mit Schimpf und Schande verjagte. Nachdem aber alle anderen Impressarios der Gruppe beim Publikum keine Gnade fanden, ist er nun oben angekommen. Zu den bekannteren Nummern dieses Knöde Tenors der letzten Zeit gehörte die Arie „Ich bin nur als Privatmann hier / und füttere das braune Tier / mit sanftem Wort und mit Nicken / meine Partei, die kann sich – fügen“ mit dem Dresdner Ensemble Postmodern der Pegida, während seine eigene Truppe offensichtlich Probleme hatte, dem schnellen Ein-Achtel-Takt zu folgen.

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Ebenso erstaunlich war das Duett mit Primadonna Angela mit dem Text „Wir stehen hier und weichen / dem Zwang zur Maut gar nie / nur über unserer Parteien Leichen / heben wir die Hand für sie“, das sein Ende in einem fulminanten Terzett mit mit einem anderen Laiensänger namens Ministro Dobrindt fand: „wir fügen uns dem Zwange / und machen freudig mit / und halten hin die Wange / in die der Horsti tritt“. Auch hier gelang es der Compania des Gabriel nicht, das brillierende Plaudite zu treffen, und der Kritiker kann nicht umhin sich zu wundern, warum sie letztlich doch mürrisch einstimmten. Das stupendiert um so mehr beim Auftritt des grossen Räuberchores von der anderen Seite des Atlantiks, der die Mitglieder und Freunde der Societa Porcheria Damnata ausplündert, mit Hilfe von Schiedsgerichten entrechtet und mit Chlorhühner oral vergewaltigt. Es ist eine wahrhaft schockierende Szene, die in einer Opera Buffo ihresgleichen sucht und überhaupt nicht dazu angetan ist, Sympathien für die Hauptperson dieses Stückes zu entwickeln. In der Gesprächkreisarie lässt Gabriel Verständnis für das Treiben erkennen „In Knechtschaft habe ich ein Volk geführt / mit Bebels Werken gar geheizt / ich weiss genau, was mir gebührt / Schröders Profit mich reizt“.

Zum dramatischen Höhepunkt jedoch geriet eine Szene, die wirklich mehr an „Iwan den Schrecklichen“ denn an „Figaros Hochzeit“ erinnerte. Gabriels Ziehsohn Maas hatte sich monatelang als Wahrer der Bürgerrechte und Freund des Volkes gegeben und sich selbstkritisch geweigert, es ohne Grund auszuforschen und zu bespitzeln: „Wir haben die Verfassung / geschändet und gebeugt / dann vor Gericht verloren / und deshalb sehr bereut.“ Offensichtlich gefiel Gabriel der daraufhin aufkommende Applaus – zum ersten Mal überhaupt – nicht, so dass er Maas in der Verräterarie anging: „Dann nenne anders unsre Spitzel / Grundrechte gelten dem Sozen nicht / ich hau Dich wie ein Schnitzel / fügst Du Dich nicht, du Wicht“. Worauf Maas antwortete „Mein Rückgrat ist gebrochen / wie es mein Gott befahl / noch stets ist die Partei gekrochen / schleimig wie Aal“ – und tatsächlich einen neuen Titel für das mehrfach abgesetzt Spitzeldrama erfand. Nunmehr dürfen die Büttel des Opernhauses also alle Taschen im Foyer nach Lust und Laune überprüfen und festhalten, wer mit wem kritische Gedanken äussert – natürlich nur für den Fall schwerster Verbrechen wie Anzünden des Theaters, Abschreiben von Notenheften oder das heimtückische Verüben von Witzen über Gesangsgruppen, die nach Jahrzehnten des Verlierens immer noch nicht in der Lage sind, die alte, korrupte Garde durch Sänger zu ersetzen, die wieder mehr Leute in die Opernhäuser ziehen könnten.

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Es stellt sich die Frage, was der Regisseurs mit diesem „Apocalypse Now“ unter den sozialen Dienstbotenstücken bezweckt, und wann hier eigentlich einmal die gesellschaftliche Notwendigkeit des Aufstiegs speziell dieser Unterschichten an die Spitze nachvollziehbar begründet wird. Was immer man hört, ist nicht die pfiffige Klugheit des Figaro, sondern nur das herumscheuchende Tsit Tsit von Pergolesis Dienerin, die bei genauerer Betrachtung alle schlechten Eigenschaften der Gosse mit der Hybris des Adels verbindet. Der Protagonist ist nicht mehr ideologiefrei, sondern prinzipienlos, er ist nicht wendig und gewitzt, sondern kriecherisch und unehrlich, und sein Ziel ist nicht die Freiheit, sondern eine alternativlose Despotie über seine Schaupieltruppe. Er ist durch und durch ein Verräter. Während Figaro noch von sich behaupten kann „Man ruft, man seufzt nach mir, will mich bald dort, bald hier!“ kann sich der Rezensent angesichts ähnlicher Sozialschauspiele in Spanien, Italien und Griechenland des Eindrucks nicht erwehren, dass den Gabriel zwar wirklich alle bald wünschen werden – aber nur zum Teufel.

In einem Opernbetrieb, der alle vier Jahre kurzfristig nicht von Firmenspenden und der Kulturmafia, sondern allein von der Gunst des Publikums bestimmt wird, sind das keine besonders guten Voraussetzungen für weitere Akte in diesem Schauspiel. Gabriel kann bis dahin nicht von der Bühne vertrieben werden, und wird fraglos weiter den Kindern im Publikum erklären, warum es besser ist, Lehrer in Goslar als solche dort zu belassen. Warum aber ein Publikum, das Chöre wie „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ gewohnt ist, nun Lobgesänge auf staatliche Repression, Abbau von Bürgerrechten und Unterjochung nach den Wünschen der Wirtschaft anhören soll, ist dem Rezensenten nicht ganz klar.

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Es sei denn, er hätte ich bei der Übertragung getäuscht und das ist gar keine Oper, sondern Realpolitik. Aber da würde mam so einen Typen doch nie so weit kommen lassen, eine Volkspartei vor den Wand zu fahren.

Glaube ich zumindest.