Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Das Jubiläum der Kriegstreiber

Warm, sonnig, leicht bewölkt bei 29 Grad
Das aktuelle Wetter in Valeggio

Es gibt in italienischen Städten keine Via Valeggio, selbst wenn der Name schön klingt. Valeggio steht für einen peinlichen Moment der italienischen Geschichte. Der Ort am Mincio, dem Ausfluss des Gardasees, und an der Grenze zwischen Venetien und der Lombardei gelegen, wechselte früher oft den Besitzer. Mal gehörte er zu Verona, mal zu Mantua, mal begehrten ihn die Visconti in Mailand und dann, bis zur Abschaffung ihrer Republik unter Napoleon, die Venezianer. Danach kam er zu Österreich. Im dritten sardischen Krieg des Jahres 1866 überquerten hier italienische Truppen den Mincio, um dann gleich bei Costazza vernichtend geschlagen und über den Fluss zurück getrieben zu werden. Gleichwohl kam Valeggio nach dem Krieg auf dem Verhandlungsweg zu Italien. Das war nicht ruhmreich, und kein Grund für eine Via Valeggio.

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Nur eine Tagesreise weiter nördlich verblieb dann auch die Grenze zu Österreich bis zum ersten Weltkrieg. Aber fast fünfzig Jahre herrschte hier Frieden, und man lebte nicht schlecht am Rand des Königreichs Italien. Das Land ist fruchtbar, hier gedeiht der beste Risottoreis, das Klima ist besser als in der Po-Ebene, der Handel mit den Ländern des Nordens führte oft hier vorbei, und bei klarem Wetter sieht man hier die Berge rund um Trient, in denen Österreich und Italien in der Friedenszeit unüberwindlich wirkende Sperrwerke erbauten. Si vis pacem, para bellum. Am 23. Mai 1915 erklärte der italienische König dem österreichischen Kaiser den Krieg. Die Bevölkerung in Italien war daran eher desinteressiert, und die Truppen aus den Südtiroler Bergen standen damals im Ersten Weltkrieg auf dem Balkan, wo sie entgegen ihrer eigentlichen Qualitäten als Infanterie verheizt wurden.

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Nachdenklich will man den Tag hundert Jahre später begehen, sagen italienische Politiker, aber trotzdem ist es hier eine hoch emotionale Sache. Die Gemeinde begeht justament an diesem Tag den grossen und weit über die Grenzen der Region bekannten Antikmarkt, und neben den Ständen sind überall Lautsprecher angebracht, aus denen patriotisches Liedgut der Zeit ertönt. Darunter gehen Touristen ihren Geschäften und Einheimische dem Herumschauen nach: Auch heute herrscht Krise in Italien. Nicht militärisch wie beim reichlich misslungenen Kriegsbeginn, als wenige Südtiroler Milizen die Italiener aufhielten. Die Krise ist finanziell, die Banken sind marode und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Valeggio lebt eigentlich ganz gut vom Tourismus, gerade an Tagen wie diesem, aber auch hier haben Geschäfte zu gemacht. Und davor stehen Lautsprecher, und Chöre singen, wie fein doch das Leben als Alpini sei.

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Valeggio ist heute nicht gross und war es früher erst recht nicht, und trotzdem hat es einhundertsiebzig Kriegstote zu beklagen. Militärhistoriker sagen das so einfach: Das Gelände, das sich weiter nördlich erhebt, begünstigte die Verteidiger. Was sie unerwähnt lassen, was vermutlich zum Beruf des Militärhistorikers gehört, und dazu, dass Männerchöre patriotische Lieder singen, ist der Umstand, dass das Gelände die Angreifer benachteiligte. Etwa, weil die Ausrüstung mit Stahlhelmen höchst unzureichend war, im Gestein der Berge die Errichtung von schützenden Stellungen nur schlecht gelingen will, und weil jeder Einschlag einer Granate das Gestein in tödliche oder schwerst verletzende Splitter verwandelte. Einige italienische Futuristen wie Gabriele d´Annunzio schätzten die Überlegenheit der Maschinen über den Menschen, aber Valeggio gedenkt an diesem Tag der Opfer.

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Neben der Kirche steht das Denkmal der Ragazzi del ’99. Dieses Denkmal erzählt viel über Italien, denn es ist bei aller heldenhaften Pose des vorwärts stürmenden Soldaten, in einer Hand die Granate und in der anderen das Gewehr, stümperhaft und plump ausgeführt. Heute hängt dort ein frischer Kranz, aber mit diesen Ragazzi hat es eine besondere Bewandtnis: Das ist der Jahrgang, der gerade 18 Jahre alt geworden war, als er von der Schulbank weg eingezogen und ohne ausreichende Ausbildung an die Front geschickt wurde. Es war die italienische Version von „Im Westen nichts Neues“, und es waren diese Jungen, die dann bei der Schlacht von Karfreit, als die Mittelmächte in die Offensive gingen, besonders schwere Verluste hinnehmen mussten, was eine verharmlosende Umschreibung für vergast, zerfetzt und aufgerieben ist. Es gehört irgendwie dazu, dass man besonders schlimmen Ereignissen besonderen Heldenmut zuspricht, und so steht eben etwas abseits vom Trubel dieses bröckelnde Denkmal. Seit ich es kenne – und die Region ist für mich fast so etwas wie eine dritte Heimat, ich kenne es also schon etwas länger – ist vorne am Gewehr mit einem rostigen Draht ein Küchenmesser als Bajonett befestigt.

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Es gibt eine Geschichte von Don Camillo und Peppone, die nicht in den Filmen auftaucht. Da geht es um den Feiertag von Vittoro Veneto, zum Ende des Krieges. Dann verschwindet Peppone immer aus dem kleinen Ort am Po. Die Geschichte ist der Schlüssel zu seinem gewalttätigen Charakter: Peppone gehört zu diesem Jahrgang und wurde durch den Krieg um seine Jugend betrogen. Er ist, so würde man das heute sagen, von den Ereignissen traumatisiert, wie es auch Don Camillo ist, der den grossen Krieg als Sanitäter erlebte. Das haben beide erkennbar nicht überwunden, wie es das ganze Land nicht überwunden hat, und in Folge des katastrophalen Krieges dann gleich in die Mussolini-Diktatur rutschte. Für die Antifaschisten Don Camillo und Peppone ist das das nächste Unglück, das bis zum Ende des nächsten Krieges andauern wird. Die beiden prügeln sich nicht, weil sie gewalttätig sind. Sie sind Ragazzi del ’99, sie müssen beide ganz langsam, wie sie es dann auch tun, mit ihrem Trauma zurück in ein normales Leben finden. Und das erklärt vielleicht auch, warum das Andenken an diese betrogene Generation nicht so leicht ist, selbst wenn heute viele Männer mit den Alpinihüten durch den Ort laufen.

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Das ist eine andere Generation, die zwar formal noch in der Tradition der alten Truppe steht, aber so gut wie keiner von denen hat noch in einem Krieg gekämpft. Irgendwann hat dann vermutlich auch der Verantwortliche für die Beschallung seine Aufgabe vergessen und die CD nicht mehr neu gestartet. Nur die Fahnen weisen dann noch auf den besonderen Tag hin, und nicht einmal das tun sie weiter nördlich in Südtirol: Dort werden die Fahnen Italiens erst gar nicht ausgepackt. Man weigert sich dort, diesen Tag festlich zu begehen, und weil hier gerade Wahlkampf ist, dürfen sich die Südtiroler deshalb dumme Sprüche der rechten Parteien anhören. Wegen so einem Fetzen Stoff. Manche haben so etwas wirklich an den Ständen ausgelegt, und wer will, kann auch etwas Mordgerät kaufen. Oder aber einen Degen der Zeit, der zu einem Aschenbecher umgeformt wurde.

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Es ist nicht so leicht mit dem Patriotismus, wenn die heldenhafte Musik aus Boxen und Geräten kommt, die in China gefertigt wurden, und grosse Firmen in Mantua und Vicenza die Produktion nach Rumänien verlagern. Es ist nicht so leicht mit einem Krieg, der von militärischen Hassardeuren unter absurd hohen Verlusten knapp gewonnen wurde, und um den späteren Preis einer neuen Diktatur. Es bleiben hundertsiebzig Tote zurück, die zu betrauern sind, gestorben da drüben in den Bergen beim Schiessen auf andere arme Teufel, die sie vielleicht sogar kannten: Das hier ist eine Grenzregion, das Castello steht auf der ersten kleinen Erhebung der Alpen, das verbindet die Menschen öfters, als es trennt.

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Das ist, wie gesagt, meine dritte Heimat und wenn hier das Ende des zweitem Weltkriegs gefeiert wird, ist mehr los. Das ist dann wirklich ein Freudenfest, da muss keiner Boxen aufstellen und den Antikmarkt seltsam beschallen. Da wird dann gefeiert, dass von da an Frieden herrschte, Verständigung, und vor ein paar Jahren auch noch Europäische Einheit, die vor dem Beginn der Sparzwänge ganz gut klang. Dieser Jahrestag dagegen gehört dem Gedenken. Nächstes Wochenende ist Kommunalwahl, da wird man dann sehen, wie viele hier für die Lega Nord stimmen, die Europa und seinen Zwängen den neuen Krieg erklärt hat.

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Ich kaufe ein Rennrad von Grandis, einer feinen Edelschmiede aus Verona, die es noch gibt, während so viele andere Marken längst dem Importdruck aus Fernost zum Opfer gefallen sind. Ob das etwas bedeutet, weiss ich nicht. Es ist ein schönes Stück einer dritten Heimat, die ich mag, und als der Händler sagt, der Preis sei non trattabile, zahle ich ihn halt. Nachgeben ist manchmal gar nicht so schlecht und wohin das Beharren auf den eigenen, einzig richtigen Standpunkt führt, sieht man ja nicht nur bei alten, sondern auch bei neuen Kriegstreibern und ihren Ideologien. Der Kriegstreiber d´Annunzio schimmelt in seiner Gruft drüben am Gardasee, die hundertsiebzig liegen in Kriegsgräbern zwischen dem Ortler und dem Isonzo, und ich fände es fein, wenn Europa wieder etwas weniger Streit und Ausverkauf und den Eindruck einer Zwangsverwaltung bedeuten würde.