Stützen der Gesellschaft

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Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Der schönste Biergarten und das obszönste Wort der Welt

It is a proposed global initiative for population reduction which will, in a few decades, lead to a worldwide male population of roughly one to ten percent.
Die arme Bloggerin und Feministin Femitheist Divine über Männer

Habt ihr etwas von denen gemerkt?, frage ich die Bedienung unten im Strandbad, als sie das dick käsebestreute Gemüsepflanzerl bringt. Naaah, sagt die Bedienung, nix, goa nix. Alle sind hier, wie sie immer hier sind, und ich bin ja auch hier. Nichts also hat man davon gemerkt, dass über dem Nordufer des Sees ein Biergarten aufgemacht hat, der seinesgleichen sucht. Vornehm, gediegen, modern und von einem bundesweit bekannten Gastronomen eingerichtet. Ein Biergarten der Superlative. Ein Biergarten, dessen Neu- und Wiedereröffnung bundesweites Thema in den Medien war, mit Presserummel und Pre-Opening für die Prominenz. Mit Erzeugergemeinschaft für die regionale Küche. Herrlich muss es doch sein, da oben zu sitzen, auf den See zu schauen und lokale Spezialitäten zu verspeisen. Aber nix merkt die Bedienung hier unten am Strandbad.

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Nix ist auch die Antwort beim wie immer rappelüberfüllten Francesco, auf italienisch „NOOOnonononoNoooh, niente“. Nichts ist die Antwort beim Konditor, beim Bräustüberl, und oben ist Ostin, wo man zwar nicht so eine schöne Aussicht hat, aber preislich gehoben durchaus mit dem Biergarten des Münchner Gastronomen mithalten kann. Wobei, er ist ja kein Fremdling, denn einerseits soll dieses München gerade mal 40 Kilometer entfernt sein, und zum anderen hat er auch hier ein Haus. Zumindest in Teilzeit ist er also auch einer von uns und hat ebenfalls darunter gelitten, als der alte Biergarten geschlossen wurde, weil der Käufer an dieser Stelle, kurz vor Beginn der Finanzkrise, ein Luxushotel für Ausländer und Teilzeitmigranten errichten wollte. Was nach einem Aufstand der Talbürger und einer höchstrichterlichen Entscheidung verhindert wurde. So ist das eben in Bayern: Was dem Berliner sein liebgewordener Drogensumpf des Görli ist, wo er aktive Integration und Deutschkurse durch Verhandlungen über Haschischpreise mit Migranten betreibt, ist in Bayern halt der Biergarten. Solche Biotope der Lebensart lässt man sich nicht einfach nehmen.

Das Luxusressort also durfte nicht gebaut werden, und ohne andere Ideen bröckelte das Gut über dem See langsam vor sich hin. Dörnröschenschlaf nannten es die Medien und eine Schande für das Tal die Bürger. Die Familie des Besitzers bekam andere Sorgen, und für den normal spätsterblichen Millionär gibt es ja auch noch andere schöne Biergärten, in die man sich setzen kann. Oder man bringt sein Sach selbst mit und setzt sich an den See: Nur wenn man am verlassenen Gut und der schönsten Aussicht vorbei fuhr, gab es da diesen leichten Stich. Ein Juwel könnte es sein, dieses Gut mit dem traumhaften Blick, hinter den Gittern und dem Schild, auf dem „Geschlossen“ steht.

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Das hat auch der Münchner Gastronom so empfunden, mit der Idee einer Wiedereröffnung bei den Besitzern vorgesprochen und den Zuschlag bekommen. Das Konzept mit Restaurant oben und Biergarten unten klang gut, und man hat sich wirklich, wirklich Mühe gegeben. Alles wurde renoviert, umgebaut, verschönert und modernisiert, und die Preise sind so, dass man sich das am Tegernsee, wo die Millionärsquote so hoch wie die Hartz-IV-Quote in Berlin ist, auch leisten kann. Alle Millionäre wollten diesen Biergarten wieder haben. Jetzt ist er da und die Millionäre sitzen weiterhin beim Francecso, lassen den Bentley vor dem Strandbad stehen, bevölkern unter dem Gut den Yachtclub und nehmen den Hugo aus der Dose und loben die Pommes, die sie mit ihren Kindern verzehren und die, wie der Apfelstrudel, wirklich gut sind, wenn sie aus dem Bistrowagen gereicht werden: Eigentlich darf ich hier gar nicht erzählen, wie die Millionäre leben, das passt gar nicht zu den landläufigen Vorstellungen. Die sitzen dann einfach auf Klappstühlen und schauen.

Droben im Biergarten kann man sich nur wundern, wo denn die Gäste bleiben. Ein jeder weiss doch, dass er offen ist, und deshalb habe ich ein paar der hier landläufigen Millionäre gefragt: Warum geht ihr da nicht hin? Die Antwort war mir eigentlich schon vorher klar, weil es mir genauso ging: Das ist nichts für unsereins, sagten sie, das ist mehr was für

und dann sagten sie es, das schmutzige Wort, das garstige, das obszöne

Münchner.

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Ich war natürlich auch dort und habe mir das angeschaut, und es stimmt. Die ganze Anlage ist so, wie sich ein zackiger, nassforsch oktoberfestfreudiger Münchner mit norddeutschem Migrationshintergrund und Meike-Catherine auf dem Beifahrersitz vermutlich einen Biergarten in einer reichen Region vorstellt. Mit einem gepflasterten, kostenpflichtigen Parkplatz, mit einem von aussen schlecht einsehbaren Restaurant, mit sicher nett gemeinten Dekostücken des Landlebens, die alt wirken sollen, mit einem funkelnden Lichtermeer über dem See. Alles ist hochwertig und gediegen und der ideale Rahmen für eine Modenschau der Kleidermanufaktur Habsburg. Man käme sich darunter mit seiner alten, speckigen Hirschlederhose vom Wimmer in Lienz ein wenig unpassend vor, wie so ein lebendiges Dekostück. Es sieht nicht so aus, als dürfte man da die handgestrickten Socken in der Hitze herunterrollen. Was soll man auch von Millionären erwarten, für die auch nur die Sonne scheint. Wenn sie auf einer Holzbank vor ihrer Bierflasche sitzen, und darunter das Wasser an ihr Bootshaus gluckst, zu dem noch ein Anwesen im Tal gehört. Das ist die Reihenfolge hier. Sonne → Bank → Bier → Seewasser → Bootshaus → Villa → Tal. Hinter dem Tal ist die Welt zu Ende, und das Gerücht hält sich hartknäckig, dass hinter Rosenheim die Mangfall, die sich aus dem Tegernsee ergiesst, über den Rand der flachen Erde rund um das Tal ins Weltall stürzt.

Das Auftreten des Münchners da oben im neuen Biergarten nun könnte beweisen, dass diese talmenschenzentrische Weltsicht nicht ganz richtig ist und da draussen auch noch andere Reiche und Millionäre existieren. Befürchtet hat man das schon länger, denn die Süddeutsche Zeitung behauptet von sich, in München gedruckt und nicht vom türkischen Händler mit seinem Moped erstellt zu werden – den nämlich kennt hier jeder, aber diese Leute da im Impressum, was sollen die sein? Man weiss auch von der globalen Flüchtlingskrise, und dass bei den Nobelhotels Leute absteigen, deren Nummernschilder man nicht zuordnen kann und die da offensichtlich wohnen müssen, weil sie sich hier nichts leisten können. Die Welt da draussen ist, sollte sie wirklich existieren, kompliziert und obendrein geschleckt und gestylt und da oben dürfte wohl auch nicht das Hemd aus der Hose hängen. Was sind das überhaupt für Leute, die da hinfahren müssen und nicht einfach laufen können? Sicher sehr Fremde.

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Dereinst, wenn Faschisten, Stalinisten und/oder Feministen die Weltrevolution gemacht haben, wird man uns fraglos ohne Unterschiede mit den Münchnern erst vor das Tribunal und dann an die Kirchhofsmauer stellen, hinter der sich bei uns übrigens ein Barockkleinod erhebt, und das wird ein Trost sein, weil bis dahin hunderte von Generationen von Faschisten, Stalinisten und/oder Feministen in Berlin aus dieser Welt gehen mussten, ohne noch einmal so ein hübsches Kircherl zu sehen. Wir werden dann ohne akzeptable, sondern allenfalls vegane und lactosefreie Henkersmahlzeit einen hohen Preis zahlen, mit unserem Leben und dem Umstand, dass man uns mit den Reichen aus München verwechselt, die Habsburg kaufen und uns auf den Waldfesten mit dem Versuch des Tanzens auf dem Tisch belästigen. Totalitäre, die aus Berlin die Welt sehen, beziehen sich allein auf den Reichtum, gar so, als ob das in einer Welt, in der jeder relativ wohlhabend ist, irgendetwas bedeuten würde. Zwischen St. Quirin und Tegernsee fährt doch ein jeder langsam, egal ob Bentley, Ferrari oder abgeschabter SLK. Darum geht es nicht.

Es geht darum, dass da oben in unserem alten Biergarten jetzt Leute sitzen, die so tun, als sei die Welt hinter dem Tal nicht vorbei, die auf ihre Mobiltelephone schauen und von einer ganz anderen Welt künden, in der sie morgen wieder im Büro und nicht am See sind. Denen hat man das so gebaut. Aber wir wissen, dass unten die Pommes auch schmecken und die Sonne uns auch noch scheint, wenn die längst wieder die Nachteile der Klimaanlagen erleben, weil es in München 9 Grad heisser als am kühlen, schattigen See ist. Beides prägt für das Leben. Millionen sind nur gespeicherte Zahlen auf dem Konto. Heute morgen waren zwei Fesselballone über der Alm vor meinem Fenster, hoch oben in blauer Bergsommerluft, und ganz leise weckten mich die Kuhglocken. Das ist etwas ganz anderes als der Weckdienst, der einen Münchner zum Flughafen scheucht. Den Unterschied merken die da oben im Biergarten, und es wäre mir auch ganz recht, wenn sich das bis zum Beginn der Weltrevolution herumsprechen würde. Für die Aktivistin ist es egal, ob sie von einem Vermieter eines Investors aus München oder vom Tegernsee gequält wird. Aber für uns sind die Unterschiede wirklich wichtig.

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