Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Wenn Sylt bei Hamburg im Meer versinkt

Lasst es wie einen Unfall aussehen.

Also, mir geht es gut.

Weil ich anspruchslos und Historiker bin. Als Historiker wird man entweder anspruchslos oder verzweifelt angesichts der Geschichte, und ich habe mich dazu entschlossen, einfach nichts mehr zu erwarten. Meine fatalistische Weltgleichung lautet, dass der Geist des Menschen in den Spitzen zwar oft geschärft wird und einen Fortschritt zeitigt, der Abstand der gelebten Realität jedoch immer gleich weit von den Möglichkeiten entfernt ist. Mit diesem Modell kann man Dark Ages überstehen und wird nicht in Epochen der angeblichen Aufklärung wahnsinnig angesichts der verbleibenden Schrecknisse. Ich erwarte mir von der Politik überhaupt nichts, ausser dass die ihre Fehler erst erkennt, wenn sie völlig unumkehrbar sind, von der Atomenergie über Migration bis zum Umstand, dass wir unsere eigene Kleiderindustrie aufgeben und uns mehrheitlich in Lumpen aus Bangladesch hüllen, und Plastikschuhe aus chinesischen Pressen für angemessen halten. Wir leben in der Epoche des grössten Reichtums, könnten uns Brokat und Seide des Rokoko leisten, und sehen schlimmer aus als dessen Sauhirten.

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Wie man sieht – ich halte zumindest das Kuhhirtenniveau mit Loden und Hirschhornknöpfen, immerhin. Trotzdem tue ich mir schwer, grössere Katastrophen zu benennen, die Weltgemeinschaft, Politik, EU und Wirtschaft rechtzeitig erkannt und mit klugen Programmen schnell behoben haben. Die Wiedervereinigung war und ist holprig und hat uns nicht vor Berlin geschützt, und der Ostblock bröckelt immer noch kriegerisch vor sich hin, wir hatten New Economy. HartzIV und Finanzkrise, das Projekt der Europäischen Gemeinschaft verkommt zu einer Mischung aus Protektoraten und Absetzbewegungen, und immer noch treten Figuren wie ich auf, die fordern, das Land doch besser zu zerschlagen und wenigstens den Reichshauptslum Berlin an die Russen zu verkaufen. Und da stellt sich natürlich die Frage: Wenn wir schon an solchen kleinen Problemen scheitern – wie sollen wir dann erst den globalen Klimawandel stoppen.

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Es gibt schliesslich ganz unterschiedliche Interessen, seien es die chinesischen Exporte oder die Bevölkerungspolitik in Afrika, der grüne Golfrasen in Kalifornien oder die Meeresküstenbewohner irgendwo da oben nördlich des Mains. Ich habe heute den wohlwollenden Test eines Automobils meiner dummen, kleinen Heimatstadt an der Donau gelesen, und der behauptet, von diesen Benzinfressern würden wir noch viele verkaufen, und damit indirekt auch die städtische Elite bereichern. Mein Eindruck ist, dass man sich dagegen grundlegend entscheiden müsste: Will man solche Autos und all die ähnlichen Entwicklungen der Verschwendung, oder will man ein Klima, das sich nicht mehr allzu sehr ändert?

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Weil: Natürlich ändert sich etwas. Ich muss nur in meinen Garten schauen. Die Rosen haben erst wirklich sehr schön geblüht, wegen der relativ milden Wintersaisonen – und jetzt sind sie teilweise schon gelb, obwohl ich gegossen habe. Sogar hier oben, auf 790 Meter über dem Meer, war es zu heiß. Der Tegernsee war bacherlwarm, was er als recht tief eingeschnittener Bergsee sonst nicht ist. Sogar im ansonsten bitterkalten Achensee konnte man baden. Das Licht an manchen Tagen war surreal. Der letzte vergleichbare Sommer war 2003, und dazwischen hatten wir auch noch ein Jahrhunderthochwasser, dessen Spuren man noch immer sieht. Die Wetterextreme nehmen deutlich zu. Es ist so trocken, dass man die Felswände wegen der Steinschlaggefahr weiter hinten besser meidet – so man wirklich auf den Berg geht. Dafür war es eigentlich deutlich zu warm. Obwohl es bei uns tagsüber gut 9 Grad kälter als in München war.

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Irgendwer meinte, wir wären die erste Generation, die den Klimawandel spürt und die letzte, die ihn noch aufhalten könnte, aber nach meiner bescheidenen Meinung werden wir das natürlich nicht tun. Man stirbt ja nicht sofort, sondern, und da kommen wir zum eigentlichen Thema: Später. Meine Generation ist beim Blick auf den Rentenbescheid so deprimiert, dass sie sich über dieses „Später“ keine besonderen Illusionen macht und ohnehin glaubt, dass mittelfristig die Euthanasie allein aus Gründen der Finanzierbarkeit kommen wird. Möglich ist laut meiner fatalistischen Weltengleichung im Alter alles, bezahlbar nur wenig.

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Das muss nicht sein, wenn der natürliche Tod früher kommt. Und es ist offensichtlich beim Blick in die von Hitze und Ozon rot angelaufenen Gesichter meiner Besucher, dass Sommer wie dieser ihren Beitrag dazu leisten. Ich finde das keinesfalls gut oder richtig, allein, es wird halt so kommen, weil wir nichts unternehmen. Manchmal wird es dann sehr heiß, dann steigt die Sterblichkeit, und bis das seinen Weg in die Statistik und die Schlagzeilen findet, ist es ohnehin schon wieder Winter und alle jammern über die hohen Heizkosten. Das ist, wie so oft in der menschlichen Geschichte, so eine Art natürlicher Regelkreislauf: Wir machen die Erde heisser, haben schönere Sommer, nur eben im Durchschnitt nicht so lang, weil die Leute weiter unten früher sterben. Statistisch betrachtet. Aber die Statistik bringt ja auch keinen von der Zigarette weg, oder hin und wieder auf das Rad, oder auch nur dazu, am Berg etwas anderes als Turnschuhe anzuziehen. Insgesamt kann es also sein, dass die Menschen in den Niederungen schneller hinweggerafft werden, aber gleichzeitig auch mehr schöne Tage haben.

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Ausser sie wohnen in Hamburg. Dann haben sie Taifune und werden weggeschwemmt. Das Phänomen – dem Freibier ähnlich, nur mit Nordseewasser – heisst übrigens „Mandränke“ und passiert da öfters, aber der Mensch gewöhnt sich bekanntlich an alles. Bei uns im Oberland ist das natürlich anders, weil es eben deutlich kühler ist, und die Thermik für einen Luftaustausch mit den Bergen sorgt. Theoretisch heisst das, dass wir länger leben würden, was wir übrigens ohnehin schon tun, weil die Luft gut und die körperliche Belastung ohne Arbeit nicht hoch ist. Stress kennt man nur, wenn die Lederhose zum Leonhardiritt nicht fertig wird. Allerdings habe ich diesen Extremsommer ausprobiert, und die Erfahrung zeigt, dass auch für uns die Risiken steigen: Erhöhter Alkoholkonsum im Biergarten, spätabendliche Radtouren in die Berge, die in der Finsternis an steilen Rinnen unschön enden können, deutlich mehr Badeunfälle und auch mehr Verkehrsunfälle, weil mehr Menschen in die Berge kommen. Und dann mangels Unterkunft auch wieder fahren. Und alle gefährden natürlich die Einheimischen. Angesichts all der Schadmünchner gibt es also noch nicht einmal eine Garantie dafür, dass unsereins wirklich am Bierkrug, an der Schweinshaxe oder auf dem Weg ins Söllbachtal an einem unbeweglichen Fleckvieh vom Schicksal ereilt wird, weshalb mein Vorschlag der Folgende ist:

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Wir lassen die Münchner mit ihren Autos nicht mehr rein. Das ist erstens gut für das Klima, zweitens gut für das ozonbelastete München, drittens gut für die dort nicht so überhitzten alten Menschen, viertens gut für die Münchner, die sich bewegen, fünftens gut für die geschonten Berge, für die ihnen dann die Ausdauer nach drei Stunden in der sengenden Hitze fehlt, und sechstens natürlich auch gut für uns. Es ist eine Weltverbesserung, wie sie dem Menschen noch immer gefallen hat und sie ihm auch stets wünschenswert erschien, weshalb es dann oft ganz schnell mit der Durchsetzung geht: Eine kleine. lokale Aktion, die einem selbst zum Vorteil gereicht und vielen anderen durchaus das Leben vermiest – aber eben mit einer guten Begründung, die sicher auch die Zustimmung der Süddeutschen Zeitung finden wird. Wir machen es im globalen Umfang mit der Klimaerwärmung, wir sollten das auch im kleinen Rahmen einer nachhaltigen Umweltpolitik im Tal derer schaffen, die sich jede Pflege und Medizin leisten können, und steinalt werden. Diese Alten werden auch gern als erbaulicher Beweis herhalten, dass die Klimakatastrophe schon irgendwie schlimm ist, aber der Untergang von Sylt 2022 war sicher nur eine Verkettung unglücklicher Umstände und man sieht doch, wie andernorts die Menschen immer noch bis ins hohe Alter so kerngesund sind, dass sie erst nach er 7. Mass am Steuer ihres Porsche selig entschlummern.

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Ich bin Fatalist. Aber diese beruhigende Argumentation traue ich der Menschheit schon noch zu.