Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Clanstrukturen schaffen das, da sind sie ganz fest davon überzeugt

Der heißeste Platz der Hölle ist für jene bestimmt, die in Zeiten der Krise neutral bleiben.
Dante

Ich bin nach den Qualen in Staggia Senese, einem kleinen Ort zwischen den bekannten Sehenswürdigkeiten Siena, Florenz und San Gimignano. Gleich neben der Burg, in einem kleinen, in die Stadtmauer hinein gebauten Palästchen. Man könnte auch sagen, ich habe hier etwas Abstand von dem, was in Deutschland vor sich geht. Denn bis zu meiner Heimat sind es gute achthundert Kilometer und dann nochmal achthundert Kilometer bis nach Berlin, wo die Regierung nur Parolen zu bieten hat, weil sie sich nicht mehr traut, der Bevölkerung mitzuteilen, von wie vielen Menschen das Land gerade bestürmt wird – oder auch nur zuzugeben, dass sie die Zahlen selbst schwer abschätzen kann, weil sie in der Staatskrise die Kontrolle verloren hat. Italiener kennen diese Politik des emotionalisierten Versagens von Silvio Berlusconi, aber der machte abnorme Schulden nur für das eigene Klientel, für den grossen Clan seiner Wähler, und vorgestern bin ich von Staggia

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nach Siena gefahren. Siena ist da auch nicht besser. Jahrzehntelang mästete sich die rot regierte Stadt an den Profiten der Bank Monte dei Paschi. Und weil die Bank bei der Belohnung ihres Clans zu grosszügig war und nur mit Notkrediten und einem Ausverkauf das Überleben schaffte, ist sie ein weiteres, schönes Beispiel dafür, dass Politik, die sich an Interessen von Clanstrukturen orientiert, heutzutage in unserer globalisierten Welt schnell scheitern kann. Das ist allgemein bekannt, die Italiener zahlen mit der fortdauernden Finanzkrise einen hohen Preis dafür, den wir Deutschen ihnen diktieren. In Siena will man die Problematik der Clans natürlich nicht glauben, basiert die Stadt doch traditionell auf den Contraden, die das Leben bestimmen. Am Montag etwa hat die Contrada della Selve, die um den Dom beheimatet ist, ihre traditionellen Freunde zur Siegesfeier vor dem Baptisterium eingeladen, und die Stühle wurden gerade abgeräumt.

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So ist das eben in Siena. Ist man in eine Contrada hineingeboren, hat man deren Symbol am Haus zu zeigen. Man bekommt die Vorstellungen der Alten mit und gibt sie weiter, heiratet gern innerhalb der Contrada oder unter den Verbündeten, prügelt sich manchmal mit feindlichen Contraden, versucht mit allen Mitteln das Pferderennen zu gewinnen, und wenn die Kinder dann am helllichten Tag mit Trommeln und Flaggen Lärm in der Stadt machen, dann ist es eben das Hausrecht des Clans. Vielleicht nicht legal, aber man nimmt sich das Recht eben heraus, wie sich auch die Bank manches zugunsten ihrer Leute geleistet hat. Ich bin Bayer, auch wir haben eine Landesbank mit einem milliardenteuren Fehlkauf und Trachtenumzüge und Hallodris in den Nachbardörfern – ich kann das alles verstehen. Ausserdem entstamme ich selbst einem Clan und dass ich stante pede ein hier benötigtes Attest bekam, liegt auch ein klein wenig an den guten Kontakten innerhalb des Familienverbandes.

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Ich schreibe oft darüber, wie bei uns immer noch Clanstrukturen für Reichtum und Einfluss sorgen. Wer einen guten Clan hat, will selten auf ihn verzichten. Der Unterschied zu Italien ist, dass sich der deutsche Staat sehr wohl an diese Clans herangewagt und sie allgemein gültigen Gesetzen unterworfen hat. Das hat von der Aufklärung an recht lang gedauert, es war ein opferreicher Weg, aber der Staat hat sich am Ende deutlich durchgesetzt. Es gibt natürlich immer noch Clans, aber sie halten sich meist an die Gesetze. Diese daraus entstehende Berechenbarkeit des Staates und seiner Organe war wichtig für den Aufstieg der deutschen Wirtschaft und die Zufriedenheit der Bevölkerung, es ist die Grundlage für die Gleichberechtigung aller Menschen, und garantiert, dass niemand mehr so einfach wegen seiner sexuellen oder moralischen Vorlieben ausgegrenzt werden kann, nur weil Clans anderer Ansicht sind.

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Italien dagegen setzt den Clan über alles, angefangen bei meinen Freunden über die Contraden bis zu gekauften Wahlen und mafiösen Strukturen. Man ist nie man selbst, man ist immer Teil einer grösseren Struktur. Das muss nicht negativ sein, viele Menschen hier schätzen die Geborgenheit in einem sozialen System, das der chaotische italienische Staat zu stellen nicht in der Lage ist. Schwache Staaten und starke Clans bedingen einander. Würde ich hier Werbung für einen mit mir verwandten Abgeordneten machen, würde man mich feuern. In Italien wäre so eine Werbung immer noch die Garantie für einen guten Medienposten. Ich lebe gern in Italien, aber die deutschen Gesetze und ihre Durchsetzung sind mir lieber. Gewesen.

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Denn wir sind gerade dabei, die historisch sehr erfolgreiche Unterjochung der Clans aufzugeben. Wir fangen an, Clans gewähren zu lassen, und ihr Verhalten hinzunehmen, auch wenn es unseren Grundregeln widerspricht. Da gab es nämlich gerade diese Massenschlägerei in Hamburg zwischen Afghanen und Albanern wegen der Benutzung der Sanitäranlagen in einer Flüchtlingsunterkunft. Es sieht so aus, als hätten albanische Kreise, Gruppen, Clans versucht, sich für die Benutzung bezahlen zu lassen. Das war übrigens im deutschen Mittelalter nichts Ungewöhnliches, da konnte man sich von der Herrschaft gegen Geld entsprechende Privilegien für Fäkaliengeschäfte einräumen lassen und von anderen Zwangsgebühren verlangen, als wäre man ARD und ZDF, und sich jahrhundertelang mit Zünften an die Rechte klammern. Das jedoch haben wir radikal geändert, und wenn jetzt Albaner Gebühren für Sanitäranlagen kassieren wollen, die der Staat betreibt und finanziert – dann ist das eben ein typisches Clanverhalten, das seine Ziele über das Gemeinwohl stellt. Für ein paar lumpige Euro wird das getan, und dafür werden dann Dutzende zusammengerufen, um sich mit anderen zu prügeln. Der Hamburger Senat assistiert wohlwollend, indem er ein Gesetz zur Beschlagnahmung von Privateigentum auch für die Prügelnden beschliesst.

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Am Abend des darauf folgenden Tages steht dann in der Prantlhausener Zeitung ein beschwichtigender Beitrag über die Asyllobby, die sagen darf, das seien nur Einzelfälle. Und in der Zeit schreibt eine wunderbare Aktivistin, dass man mal wieder über den Rassismus in Deutschland reden muss. Das pikante Detail eines Clans, der sich Rechte einfach nimmt und verwertet, wird dagegen nicht debattiert. Man lässt das unter den Tisch fallen. Das regt offensichtlich niemanden so richtig auf, und der Gedanke, welche Taten so ein Clan zu tun bereit ist, wenn es um deutlich mehr geht, wird nicht weiter gesponnen. Frau Merkel sagt am gleichen Abend, wir würden das schaffen, während in den Lagern Zustände wie in Neapel und Agrigent herrschen, und die Beteiligten bis auf drei Festnahmen selbstredend dort bleiben, wenn die Lage wieder beruhigt ist, bis zum nächsten Mal. Das ist in den meisten Unterkünften so. Ab und zu werden Rädelsführer verhaftet. Und die Diskussion geht allein darum, ob man die Clans, die sich gebildet haben, getrennt unterbringen soll, damit sie wie die Sieneser Contraden ihre eigene Welt aufbauen, mit eigenen Regeln und dem Verlangen, für sich mit fraglos hoher Gewaltbereitschaft das Beste herauszuholen.

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Dieses staatlich sanktionierte Aufteilen ist wie die Gewalt eine ausgesprochen vormoderne Strategie. So kann man eine mittelalterliche Stadt organisieren und nur, wenn man Glück hat und die doofen Franzosen ausgerechnet die Hugenotten und dämliche Reichsstädte in Franken die Juden vertreiben, als Landesherr von besonderen Siedlungen profitieren. Allerdings ist mir historisch kein Fall bekannt, in dem man sich rührend um Personen kümmerte, die Sanitäranlagen des Staates für den eigenen Profit missbrauchten. Privatisierung öffentlicher Einrichtungen sind seit jeher Anlässe für Revolten, von den korrupten Räten im mittelalterlichen Siena über die Adligen und Steuerpächter der Französischen Revolution bis zu unseren Konflikten über Sozialwohnungsbau, Energieversorger und Schiedsgerichte des TTIP. Nur wenn so eine Privatisierung des Rechts in einer Flüchtlingsunterkunft passiert, wird es als Einzelfall in Willkommenskultur ersäuft.

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Natürlich ist nicht jeder Clan schlecht. Mein Clan zum Beispiel war sehr fortschrittlich und erlaubte den Angehörigen bereits im vorletzten Jahrhundert, sich ohne Zwänge der Eltern selbst zu verwirklichen. In einer ethnisch und religiös geprägten Umwelt, in der andere Clans erheblich restriktivere Vorschriften durchsetzen wollten, war dieser Familienverband eine Hilfe, anders zu sein. Das hat sich glücklicherweise geändert und ist nicht mehr nötig, denn der Staat garantiert die Freiheit des Einzelnen. Es ist ein Erfolgsmodell, das funktioniert, solange der Staat es durchsetzt. Massenschlägereien verfeindeter Clans, die das Recht und die Vorschriften in die eigene Hand nehmen, sind das absolute Gegenteil. Wenn Dutzende mit Eisenstangen entlang ihrer Herkunft wegen erpressten Zahlungen aufeinander losgehen, dann sind das keine Traumatisierten, die unter den traurigen Zuständen des deutschen Asylverfahrens und der Enge leiden. Das sind Clans, und wenn man ihre Mitglieder integrieren will, muss man die Strukturen rücksichtslos zerschlagen, wenn sie sich über das Gesetz erheben wollen.

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Oder man lebt damit und akzeptiert, dass es so bleibt. San Gimignano, Siena und Florenz sind schöne Beispiele dafür, dass die Clans einander über Jahrhunderte ergebnisoffen und alternativlos die Kopfe einschlagen konnten – bis dann die Medici kamen, in Florenz eine Diktatur errichteten und im mittlerweile verarmten San Gimignano und im von Bankenpleiten erschütterten Siena gnadenlos aufräumten. Davor betrachtete man die Clans als unvermeidliche Erscheinung, mit denen man leben musste. Manchmal waren traumatisierte Guelfen auf der Flucht, und manchmal unterdrückte Ghibellinen, bevor sie irgendwo unterkamen und neue Probleme für die italienischen Städte bereiteten. Später sanken sie zu marodierenden Söldnern herab, die jedem dienten, bis aus dem Italien der Renaissance ein zersplitterter Kampfplatz der europäischen Grossmächte wurde. An den Spätfolgen der dieser ungeklärten Machtfrage zwischen Staat und Clans leidet Italien bis heute, wie auch die meisten Länder, aus denen Menschen kommen, um bei uns Asyl zu beantragen.

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Ich persönlich glaube nicht, dass man ohne die Klärung der Machtfrage Integration betreiben kann, Und ich glaube gleichzeitig nicht, dass die heillos überforderte deutsche Regierung mit ihren aus der Rente zurückgeholten Polizisten die Machtfrage stellen kann. Die Clans, das zeigen die rücksichtslosen Massenschlägereien, erkennen das Gewaltmonopol nicht an. Und der Rechtsstaat der Moderne, der schon die Kontrolle über seine Grenzen aufgegeben hat, ist kein gleichwertiger Gegner für mittelalterlich brutal agierende Partikularinteressen. Schön ist es gerade in der Toskana. Schön und warm, und der kommende deutsche Winter mit seinen vollen Lagern und eine jede Verantwortung zurückweisenden Kanzlerin scheint unendlich fern zu sein.