Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Wir schaffen das soziale Abhängen

There is no such thing as society.
Margaret Thatcher

Dieser Beitrag wird sehr unerquickliche und wenig sensible Aussagen über Menschen enthalten, die das nicht verdient haben. Um wenigstens ein klein wenig Gerechtigkeit walten zu lassen, möchte ich hier sagen, dass ich auf meiner Reise nach Italien Venedig zwar bezaubernd fand, aber wirklich tief beeindruckt haben mich drei Gebäude in Padua: Die Scrovegni-Kapelle mit den Fresken von Giotto, die Eremitanikirche mit den Fresken von Andrea Mantegna, dem ich eigentlich einen eigenen Beitrag widmen müsste – und der Salon des Palazzo della Ragione, in dem in Padua Recht und Gerechtigkeit gesprochen wurde. Vor 700 Jahren also sagte man hier: Lasst uns das oberste Stockwerk unserer Loggia zu einem einzigen Raum machen, 82 Meter lang und 27 Meter breit, und anschliessend bauen wir einen Schiffsrumpf der gleichen Grösse, den wir umgedreht als Dach darüber setzen. Das war jene Epoche, die wir als „Mittelalter“ bezeichnen, und ich habe ja schon einiges an moderner Architektur gesehen – aber dieser Salon ist auch unserer ärmlichen, kleinen und sozial bewegten Epoche weit voraus.

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Wenn ich nicht gerecht bin, dann wenigstens ehrlich: Ich habe hysterisch gekichert, als ich eintrat. Ich werde von nun an keine Immobilienanzeigen mehr lesen dürfen, denn so dort ein „grosszügiges Loft“ angeboten wird, werde ich an diesen Salon denken und mir das Leben aus dem Leib lachen. Das hier ist ein grosszügiges Loft. Alles andere sind Industrierestlöcher für arme Leute, die sich vielleicht mal Reprokunstabzüge leisten können, aber nicht die Giotto-Schule für ein paar Jahre, um die Mauern von oben bis unten auszumalen. Giottos Fresken sind ein Jahrhundert später einem Brand zum Opfer gefallen, die neue Ausmalung ist nicht mehr ganz so bedeutend – aber das hier ist echter Wille zur Grandezza, zur Repräsentation, zur Darstellung der eigenen Potenz, und nicht übergrosse Wohnküche mit Modenamen „Loft“.

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Kurz, das Glump ist zweimal teuer, pflegte meine Grossmutter zu sagen, und angesichts des Salons muss man ihr fraglos recht geben. Aber auch sonst haben sich die Preise inzwischen verdoppelt: In meiner fernen Heimatstadt etwa. Seitdem ich für die FAZ schreibe, gab es da eine sensationelle Preisentwicklung bei Wohnbauten, die diese Stadt auf Platz 7 der teuersten deutschen Städte gebracht hat. Deshalb ist sie gerade in den Medien, und deshalb geniesse ich Italien in vollen Zügen: Ich tue nichts, und trotzdem wird das Parkett unter meinem Sofa Tag für Tag teurer. Das – und das Wissen, dass historisch-repräsentative Bausubstanz in bester Altstadtlage nicht reproduzierbar ist – ist die solide Grundlage für ein gutes Gefühl. Getan habe ich dafür wenig, das gebe ich zu, aber so ist es nun mal: Die einen freuen sich über solche Berichte zur Preisentwicklung, und andere ergreift das nackte Entsetzen.

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Fast alle Medien schreiben nämlich darüber, als sei das eine Naturkatastrophe. Meine Grossmutter sagte übrigens auch, dass selten ein Schaden ist, wo kein Nutzen dabei ist, und so ist es auch hier: Den Eigentümer freut es. Aber Journalisten sind nur in Ausnahmefällen die Hausmeister hinter barocken Mauern. Meist sind sie jung, flexibel, überall einsetzbar und binden sich nicht an feste Orte. Statt dessen mieten sie erst mal. Das kann für sie unangenehm teuer werden, oder für andere angenehm lukrativ. Beim Verfassen solcher Berichte erkennen sie zweifellos, dass die Preisentwicklung ihrer Einkommensentwicklung in Windeseile entläuft. Und dass die Mieten ebenfalls steigen werden, ist nicht weniger zwangsläufig als eine zu Tal donnernde Lawine. Der Wunsch nach Vergrösserung, gar nach einem eigenen Haus wird angesichts der expoldierenen Kosten nur schwer aus eigener Kraft umsetzbar sein: Deshalb ist es für sie eine Katastrophe.

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Mitleid… naja, das ist so eine Sache. Ich tue mir damit schwer. Mieter sind in der Kronkolonie von Frau Merkel eine Gruppe, der die Politik jeden Wunsch von den Augen abliest, und nicht wie in Italien die sozial Abgehängten, die jene Volksvertreter nicht bezahlen. Die günstige Situation der deutschen Mieter war ein historischer Sonderweg und gehörte zum deutschen Sozialstaat. „Eigentum verpflichtet“ steht im Grundgesetz, in Italien denkt man dagegen „Kein Eigentum vernichtet“. Deutschland hatte zum sozialen Wohnen viele weitere staatliche Wohltaten, die nur wenige andere Staaten kennen. Wer in Deutschland krank war, wurde gesund gepflegt, aber in Italien ist der Arzt teuer, und die Medikamente sind dafür billig. In Deutschland gab es Arbeitslosengeld und in Italien Hunger. In Deutschland gibt es Rente und in Italien 200-Euro-Scheine unter dem Teppich. In Deutschland kann man mieten, weil der Staat alle Risiken auffängt. In Italien lässt einen der Staat krepieren, Entmietungen sind hier gnadenlos: Daher kaufen die Italiener nach Möglichkeit Immobilien, sind weniger flexibel, haben zwangsweise mehr Vermögen, sind aber auch sozial wenig mobil, achten bei der Wahl der Geschlechtspartner auf das Vermögen, und haben eine ganze Pornogattung mit Sex unter Reichen geschaffen. Deutsche machen tausend Auslandspraktika, stören sich nicht an Sex in Mietwohnungen, schauen amerikanische Serien, sind heute hier und morgen da und übermorgen völlig überrascht, wenn sie mit ihren drei nie benutzten Töpfen am neuen Ort keine bezahlbare Wohnung mehr finden, und fragen bei Facebook nach kleinen Zimmern.

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Nach einem Winter in einer kalte WG stellen sie mit Bronchitis auf einen Arzttermin wartend fest, dass sich nicht nur die Preise und der Aufwand für das Wohnen italienischen Verhältnissen annähern, sondern auch der Sozialstaat. Pflege, Zusatzrente und Zahnersatz werden berechnet, und Kuraufenthalte werden reduziert. Gegenüber dem Rentensystem herrscht das Letzte, was in diesem Land noch gesund ist: Das Misstrauen. Dass die Regierung versucht, die Mieten niedrig zu halten, ist nicht menschenfreundlich. Sie versucht nur, den Sozialabbau dort zu verhindern, wo sie selbst für die Folgen nicht aufkommen muss. Aber auch die Wohnungen, die entnervte Vermieter veräussern, ändern nichts an der generellen Entwicklung: Gegen den Rückzug des Staates hilft nur der Aufbau einer eigenen, sicheren Heimat. Und das treibt die Preise in die Höhe.

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Für die schwierige Suche nach Wohnfreuden garantiert übrigens Frau Merkel persönlich. Mit dem immer noch ungebremsten Zuzug von Migranten, von denen viele Flüchtlinge, aber sehr viel mehr kaum abschiebbar sind, werden dringend neue Wohnungen benötigt. Das Bauhauptgewerbe könnte für diesen Zweck völlig ausgebucht werden, ohne in der Lage zu sein, mit der Zuwanderung Schritt zu halten. Das sind enorme Kosten, die auf den Staat zukommen. Dafür muss er Bauland ausweisen, und weil weder Land noch Maschinen vom Himmel fallen und Planungsverfahren zudem lang dauern, wird auf der anderen Seite der Neubau normaler Wohnungen deutlich zurückgehen müssen. Das wird man erst spüren, wenn die aktuellen Bauvorhaben abgeschlossen sind, das staatliche Bauprogramm beginnt und Ressourcen in Beschlag nimmt: „Wenn Ihr es merkt, ist es zu spät“ ist nun mal ein Grundprinzip der Durchsetzung alternativloser Politik. Und es stimmt: Man kann nicht erwarten, dass über eine Million Menschen dauerhaft in Turnhallen wohnen.

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Dann werden Käufer vor allem auf Bestandsimmobilien zurückgreifen müssen. Die sind teuer, aber der neue Mietmarkt wird mitunter so aussehen, dass man die Eingeborenen für die Integration als eine Art Moderatorenstab in die neu gebauten Wohnreaktormaschinen einführen möchte, auf dass die Prozesse zwischen Syrern, Afghanen und Menschen aus Subsaharastaaten nicht überkritisch werden. Ich stimme hier mit Soziologen in warmen Univeritätsbüros vollkommen überein: Das ist, von oben betrachtet, sehr sinnvoll und zu begrüssen, wenn andere dazu eingeladen werden, die Wohntheorien von Le Corbusier erneut und im nationalen Rahmen zu überprüfen. Wenn ich aber sehe, wie sich jetzt schon rotgrün bewegte Neuköllner aufregen, nur weil auf ihrem Spielplatz Tempelhofer Feld Refugeewillkommen gelebt werden soll, wage ich die Vorhersage, dass der Trend zum Kaufghetto mit Security stark sein wird. Durchgentrifizierte Eigentumsviertel sind auch für das junge, linksliberale Bürgertum die Garantie dafür, dass globale Entwicklungen woanders mit freundlichem Gesicht zwangsweise Wohnungen gestellt bekommen und bleiben. Möglicherweise zieht es die Kaufwilligen sogar in der Provinz, in der die Preissteigerung moderat ausfällt, und die die Flüchtlinge meiden.

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Kleinere Städte wie etwa Padua. Es ist wirklich hübsch hier, und gar nicht so teuer. Man muss nehmen, was man kriegen kann, oder man bleibt in den grossen Städten und hofft, dass die Preisentwicklung nicht so schlimm wird. Dass man nicht zerrieben wird zwischen jenen, die kaufen und sich abschotten, und den Verbleibenden, mit denen man um die niedrigste Miete konkurrieren muss. Der Staat wird einem dabei kaum helfen. Die Zeiten, da jeder Wünsche vorbringen und Forderungen stellen konnten, sind in der Epoche der Alternativlosigkeit vorbei. Die Politik spricht von Opfern, die für die grosse Aufgabe zu leisten sind. Sie nimmt Opfer in jeder Form, und wer wenig Steuern opfert, bringt vielleicht ein auf 9m² reduziertes Dasein in der Wohnzelle dar. Die Autoren, die Facharbeiterzuzug bejubelten, reden jetzt von neuem Bauen mit reduzierten Ansprüchen: Das wird sicher kein Palazzo sein. Man sollte diese Texthelden an der Integrationsfront diesmal ernst nehmen. Bei den Facharbeitern lagen sie falsch, aber bei den Opfern liegen sie richtig.

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Dafür hatte man dafür aber vorher auch viele Freiheiten. Die Freiheit, einen jungen Man für verrückt zu erklären, weil er ein Jobangebot in Berlin ausschlug und lieber nach Hause zurück ging, um sich um das alte, grosse Haus zu kümmern. Wie kann man sich nur so anketten, sagten sie sich in ihren damals noch spottbilligen Mietwohnungen, wo sie sich stets neu erfinden können, bis zu dem Tag, da sie von den Umständen neu erfunden werden. Ich dagegen würde als Mieter in Berlin nicht alt werden wollen, schon gar nicht im Winter, wenn über Padua auch die Sonne scheint und ich ohne längeres Sinnieren überhaupt nicht verstehe, was an den Preissteigerungen in Deutschland schlecht sein soll. Es gibt bei jeder Revolution wenige Gewinner und viele Verlierer. Das hat man den Leuten an den Gesamtschulen in NRW doch hoffentlich erklärt.