Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Im Klimahinterhof der kleinen, deutschen Trumps

Wer die Habsucht beseitigen will, muss ihre Mutter beseitigen, die Verschwendung.
Cicero

Als guter Deutscher hätte ich mich auch beinahe hingestellt, und hätte etwas Übles zu Trump gesagt, einfach, weil es eine gute Gelegenheit ist, um ausfällig zu werden. In Deutschland sollte man seine Meinung dezent formulieren, wenn ein Afghane wiederkommen und Deutsche umbringen will – es könnte schließlich auch sein, dass er ein ehrlicher Anhänger der hochnobelsten ARD-Kampagne SagsmirinsGesicht ist. Aber wenn es darum geht, Trump den Tod zu wünschen. Das ist – wenn schon nicht in den USA, so doch zumindest in Hamburg – tauglich für das Cover eines Magazins.

Man darf also seinen Minusgefühlen nunmehr öffentlich Raum geben, weil Trump jenes Pariser Abkommen gekündigt hat, das bei seiner Einführung vielen als fauler Kompromiss zugunsten von Obamas Wirtschaftspolitik galt und heute, dank Trumps Absage, zum Rettungsplan für den ganzen Planeten aufgewertet wird. Es ist eine phantastische Gelegenheit, ungestraft jede nur denkbare Hatespeech im Netz zu verbreiten, ohne dass ein Zensurminister Heiko Maas sein Netzwerkdurchsetzungsgesetz verschärfen würde. Natürlich könnte man sich an der Stelle auch über den fortgesetzten Skandal der deutschen und europäischen Regierungen aufregen, die den Handel mit Verschmutzungszertifikaten auch weiterhin erlauben, oder über die Fangquoten, die weniger Fische in dank Parisabkommen weniger erwärmtem Wasser hinterlassen. Wir haben da übrigens auch einen milliardenteuren Atomskandal in Asse und reissen ein Dorf für Braunkohle ab, aber wenn so ein symbolträchtiger Mann so etwas Symbolträchtiges macht, muss man doch auch mitmachen… keine störende Debatte über die Frage, ob unser Verpacken der Häuser in Dämmstoff sinnvoll ist…

Ich hätte auch gern zur Festigung meines guten ökologischen Rufes mitgemacht, aber mich hat der ganz banale Bedarf nach einem dynamobetriebenen und damit umweltfreundlichen Rücklicht zur Werkstätte meines Vertrauens geführt, die sozial engagiert alte Räder, die andere entsorgen, auf- und verwertet. Ich bin dort natürlich mit dem Rad hingefahren, denn ich fahre gern und viel Rad, und es ist gesund. Ich sehe keinen Anlass, etwas Technisches neu zu kaufen, wenn ich es auch gebraucht bekommen kann: Technisches hat heute die unerfreuliche Eigenschaft, nach zwei, drei neuen Generationen wertlos zu sein. Mit iPhone4 wird man in Schulen gemobt, meine Panasonic G5, mit der ich in Italien gearbeitet habe, gibt es gebraucht zum Preis einer Taschenknipse. Jedenfalls, mir wurde in der Werkstatt gesagt, ich sollte doch mal hinten schauen, ob ich da etwas finde.

“Hinten” ist ein Hinterhof, und da sind gerade Räder frisch angekommen. Zwei Institutionen haben Ernst gemacht und Unbewegtes erst mit Bapperln versehen, die darauf hinweisen, dass Unbenutztes dort nicht sein darf: Eine städtische Tiefgarage und ein Studentenwohnheim wollten das nicht mehr. Die Bapperl klebten an den Rädern, vergilbten, blieben vor Ort, weil offensichtlich noch nicht mal jemand die Räder stehlen wollte, und wurden jedes Jahr um neue Bapperl erweitert. 2014, 2015, 2016 – 2017 machten sie dann ernst, und so sind die Räder jetzt hier gelandet.

Es sind viele, viele Reifen sind platt, aber bei weitem nicht abgefahren: Schaut man genauer hin, erkennt man mehr schlechte Pflege als echten Verschleiss. Es regiert nicht der Tod durch Benutzung, sondern das langsame Wegdämmern in Schmutz, Rost und Vergessen. Es sind Räder dabei, die weder schlecht noch billig waren, und deren Ketten kaum je die Ritzel umschlossen: Gekauft, nicht verwendet, vielleicht dem Sohn zum Studium mitgegeben, keinen Platz mehr im Umzugswagen gefunden, zurückgelassen. Das hier ist nicht einmal mehr die Wegwerfgesellschaft. Es ist die Besitzzurücklassgesellschaft, die sich nicht belasten will.

Die wenigsten Räder sind hier wirklich alt. Die meisten sind in den letzten 20 Jahren entstanden, und das neuere Wundermaterial Aluminium ist dabei, Stahlrahmen im Schrottcontainer weit hinter sich zu lassen. Peugeot, Staiger, Hercules und Heidemann steht nur noch selten auf den Rohren, statt dessen englische Begriffe, die Dynamik und Fortschritt symbolisieren. Es sind Versprechen von leichter Mobilität durch neue Technik, aber die Besitzer haben das nur sehr begrenzt in der Realität versucht. Und so stehen die Räder nun hier und warten darauf, ob sich die Reparatur noch lohnt, oder das Dasein nach wenigen Kilometern in jener Vernichtung endet, die man heute als Recycling bezeichnet.

Wobei man betonen muss, dass die gefahrenen Kilometer nicht alles an Bewegung sind, das so ein Rad erlebt. Bis ein Rad heute bei uns steht, sind die Einzelteile oft schon um die ganze Erde gereist. Eisen und Aluminium kommen beispielsweise aus Australien und Afrika. Guinea etwa spielt bei Bauxit eine grosse Rolle. Dort wird der Rohstoff mit immensem Energieaufwand zu Aluminium verarbeitet, weiter zu den Rohrherstellern wie Alcoa in den USA oder Reynolds in England transportiert, mit neuem Energieaufwand neu legiert und gezogen, von da aus nach China gebracht, wo man daraus Rahmen schweisst, und oft ohne grosse Rücksicht auf die Umwelt lackiert: Hersteller gaben früher offen zu, dass die niedrigeren Umweltstandards ein Kostenvorteil sind. Dazu kommen dann Komponenten aus Japan oder Malaysia, und am Ende wird das alles in riesige Kartonagen verpackt, die wir hier benötigen, damit der Restmüll nach seiner Sortierung auch in den Anlagen ordentlich verbrennt. Fast jeder Transport wird mit jenen Ozeanfrachtern unternommen, die besonders schädlich für das Klima sind.

So ist das heute. Früher kamen deutsche Räder bis zur letzten Schraube aus Regionen wie Nürnberg oder Bielefeld, andere aus  St Etienne oder Leeds, Mailand oder Vicenza, heute dominiert Fernost. Aluminium verbraucht weitaus mehr Ressourcen als Stahl, aber trotzdem kauft der umweltbewusste Deutsche Räder aus Fernost, stellt sie in den Keller und fährt dann, weil der Wechsel der Kette oder die Reparatur eines Schlauchen zu stressig ist, doch lieber mit dem Auto. Für die Umwelt hat man schließlich das Rad gekauft, das ist auch schon etwas.

Es ist mit diesem, sehr speziell deutschen Umweltgedanken genau so, wie Trump das sagt: Er hat eine enorme Reichtums- und Arbeitsplatzumverteilung nach Fernost zur Folge. Und, schlimmer noch, er sorgt für die Zerstörung der Umwelt in Afrika und Asien, und obendrein für eine massive Schädigung des Klimas. Die Emissionen, die die Herstellung dieser Schrotträder auf dem Hinterhof in die Atmosphäre geblasen hat, müssten die Besitzer erst gegen die Vergleichsgrösse Verkehr mit Verbrennung von Öl erstrampeln. Tun sie es nicht, geht das Geld eben sinnlos nach Fernost und zum kleinen Teil nach Afrika. Wo man die halbwegs günstigen Preise für Konsumgüter erwirtschaftet, indem man sich nicht sonderlich um Naturschutz und Arbeitnehmerrechte und Demokratie und all das, was wir wohlfeil gegen Trump zu verteidigen gedenken, scheren muss.

Nach meiner bescheidenen Meinung ist der Hass auf Trump auch dem Umstand geschuldet, dass er offen so rücksichtslos ist, wie es viele seiner Kritiker nach Weglassung der menschlichen Bekenntnisse sind. Studenten, die grünste der grünen Gruppen, lassen die Räder ungenutzt zurück, in dem sie lokal anders denken, als sie lokal handeln. Bei uns packt man zwar die Häuser in Styropor, um Heizkosten zu sparen, aber man kauft sich auch alle paar Jahre eine neue Sitzgarnitur aus China, wenn es für deren Vorgänger wieder eine Abwrackprämie gibt. Man klagt über verdächtige Software bei Audi und war vermutlich länger nicht mehr auf Deutschlands Autobahnen, wo man mit 170 gut mitschwimmen kann und nur alle 30 Sekunden von der linken Spur gescheucht wird, wenn die bei 250 abgeriegelten, tonnenschweren SUVs die kleinen Katrins, Cems, Jürgens und Claudias an Bord haben und ganz dringend nach Hause müssen. Wir wollen das, wir brauchen das, es ist unsere Art des Trumpismus. Fahrradleichen pflastern unseren Weg, wenn wir statt im multikulturellen Marxloh doch lieber Urlaub in der knallschwarzen Bergwelt machen, oder in Berlin Bier trinken, das 700 km weiter südlich am Tegernsee gebraut und mit dem LKW gebracht wurde. Und dann twittern wir auf dem neueste iPhone gegen Trump.

Das passende Rücklicht habe ich nicht gefunden, aber ein nur leicht angerostetes DiamondBack DBAxis aus Stahl von True Temper aus God’s own Country. Es hat kaum benutzte Originalreifen und originale Bremsbeläge und kostete, damals, 1991, immense 2800DM, und wurde laut Bapperl im Münchner Süden gekauft . Das hat in den letzten Jahren jemand draußen vergessen, so unbenutzt verrostet, wie es ist. Man kann nicht alle retten, aber das hier habe ich gerettet – und dann gleich ein wenig geschraubt, so dass inzwischen jede Empörung über Trump und wie der die Welt zugrunde richtet, schon ihren Ausdruck gefunden hat. Ich komme viel zu spät für den Aufschrei. Nebenbei habe ich mir auch überlegt, was das für Leute bei uns sind, und dass statt der Aufplusterei im Netz und in den Medien vielleicht mehr bewirkt wäre, wenn jeder in den Keller ginge, sein Rad aufpumpte, es zu reparieren lernte, und sich fest vornähme, mit gutem Beispiel der eigenen Empörung voran zu radeln.

Vielleicht schüttelt es bei der Gelegenheit auch das Gehirn zurecht, und der ein oder andere erinnert sich daran, dass die heutige Klimavorkämpferin der freien Welt im Kanzleramt noch vor ein paar Monaten TTIP und die Aufweichung vieler Standards zugunsten der amerikanischen Wirtschaft befürwortet hat. Vor einem Jahr titelte noch die Süddeutsche Zeitung “Klimapolitik – Mit TTIP zerstören Merkel und Obama ihr eigenes Werk”. So war das, bevor Trump TTIP scheitern liess. Es scheint, manche historischen Fakten werden im Archiv so vergessen, wie andere ihre Räder in den Garagen vergessen.