Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Einige erquickliche Gedanken über Miete und Leibeigenschaft

Wer koa Haus hod, dem ko da Wind koan Ziagl vom Dachl wahn
Bayerische Volksweisheit

Natürlich habe ich, wie viele andere, erhebliche Probleme, eine Partei zu finden, die meine Wünsche als Volksmacht im Parlament vertritt. So bin ich bekanntlich der historisch durchaus berechtigten Ansicht, dass Leibeigenschaft erheblich besser als ihr Ruf war. Sie wäre auch heute in Zeiten von Individualverkehrverdammung, Akademikerschwemme mit Berliner Abitur und naturferner Lebensmittelerzeugung eine gute Alternative zum bestehenden System der Knechtschaft durch multinationale Arbeitgeber, welche zudem, so behauptet die SPD, Frauen 21% weniger bezahlen. Das ganze Problem entstand erst mit der Aufhebung der Leibeigenschaft im 19. Jahrhundert. Davor lebten die meisten Deutschen extremst bio, wohnten naturnah und kümmerten sich wenig um iPhones und Minis. Statt dessen war die abgasfreie Sense in der Hand, und Prestige wurde durch den mit Handarbeit gefüllten und nachhaltigen Brautschrank ausgedrückt. Miete in der heute bekannten Form gab es nur in den Städten – auf dem Land wies der Herr dem Bauern den Hof und der Bauer dem Vorfahren des Akademikers die Ecke im Stall zu, und jeder war zufrieden.

Miete als soziales Brennpunktthema ist eine Folge von Verstädterung und des Aufkommens einer reichen Oberschicht, die nicht mehr für sich selbst, sondern für andere Gebäude zur Verfügung stellte. Die Phase von 1800 bis 1960 war von einer massiven Landflucht und Raumnot in den Städten geprägt, die teilweise mit der sog. Wohnungszwangswirtschaft und Zwangszuweisungen ebenso erbittert wie erfolglos bekämpft wurde: Wohnraum in der Stadt war und ist bis heute zumindest in prosperierenden Gegenden teuer. Dass der Zuzug zusammen mit dem knappen Gut die Preise treibt, der mobile und nicht an die Scholle gebundene Mieter also selbst die Ursache seiner Wohnkosten ist, wird gemeinhin in der historischen Forschung nicht bestritten. Nur heute meinen Politiker und Soziologen, dass es ganz anders sein müsste. Dafür gibt es zwei gesetzliche Lösungen. Die eine ist die jüngst gescheiterte Mietpreisbremse.

Die andere, Sie haben es sicher schon erraten, wäre die Wiedereinführung der Leibeigenschaft, mit der man nicht mehr den Mietpreis, sondern die bedarfsgerechte Verteilung der Menschen im Land regulieren könnte. Der positive Nebeneffekt wäre übrigens auch eine Verminderung der Zahl jener, die sich um Wohnungen in den Städten bemühen. Das würde erfreulicherweise zwar nicht die Mieten und das Sozialniveau angesehener Familien senken, aber die Menge der Anfragenden reduzieren. Als Vermieter würde man weniger beschimpft werden, wenn man sich den besten Mieter heraus sucht, die Stimmung wäre besser, und es gäbe genug Leute, die nach alter Väter Sitte wieder Wurst und Brot mit dem Handkarren auf den Markt brächten, was obendrein den Feinstaub reduziert. Sie sehen also, das Scheitern der Politik beim Dieselskandal und der Mietpreisbremse – in beiden Fällen war die SPD übrigens in Form von Aufsichtsräten bzw. Ministern beteiligt – zieht zwingend eine Wiedereinführung der gesteuerten Verteilung der Menschen zum grösseren Wohle des Landes nach sich.

Eben: Die Leibeigenschaft. Aber noch nicht einmal die Grünen als feudalistisch-urbane Verbots- und Kommandopartei sind für diesen naturnahen Ansatz zu haben. Dabei ist das Projekt alles andere als utopisch: Früher wie heute gibt es zwei Arten von Menschen auf dieser Welt, die Besitzenden und die anderen, und schon bei der Leibeigenschaft war es so, dass die Besitzer von Grund, Boden und Geld ihre Mittel den anderen zur Bewirtschaftung überließen, und sie nicht bei der gottgefälligen Arbeit störten. Wie wichtig echter Besitz an Immobilien war, ist in Deutschland leider etwas vergessen, weil man sich lange der Vorstellung hingegeben hat, Zersiedlung mit Villenvierteln im Grünen und sozialem Wohnungsbau in weniger guten Ecken könnte das ausgleichen. Und in einer schrumpfenden Gesellschaft spiele das Thema Wohnraum ohnehin keine Rolle mehr – also warum kaufen, sich verschulden und abrackern, wenn man die Scheinfreiheit des Mietens geniessen kann.

Das waren, man muss es so sagen, falsche Einschätzungen. Wirklich frei wird man über die Schrecken Ereignisse der Merkelepoche sicher erst in 20, 30 oder 100 Jahren reden können, aber die letzten 10 Jahre haben alles verändert.

Deutschland ist der grosse Gewinner der Finanzkrise, erreicht teilweise Vollbeschäftigung, und zieht aus ganz Europa Menschen an, die bei uns mit ungeliebten Arbeiten mehr als Lehrer in Bulgarien oder Akademiker in Italien verdienen.

Die Deutschen selbst verdienen recht gut, und die Wohnung und der hochbegabte Nachwuchs haben beim Prestige das Auto längst überflügelt. Heute wird soziale Schicht vor allem durch Wohnlagen, Kinderzimmer und Quadratmeter ausgedrückt. Deshalb werden Immobilien beim Kauf begehrter und teurer.

Gewinne müssen erwirtschaftet werden – trotz Umweltschutzauflagen, Bodenpreisen und Entstehungskosten von 3000€/m² oder mehr. Der übliche Schlüssel besagt, dass die Entstehungskosten nach 12, spätestens 15 Jahren durch die Miete wieder eingenommen werden sollten – ansonsten lohnt sich das einfach nicht. Das bedeutet, die Miete sollte mindestens bei 15-20€/m² im Monat liegen. Daher wird vor allem im Luxussegment oder in kleine, aber teure Businessapartments mit bis zu 25m² investiert – politisch ist Letzteres durchaus von der SPD gewollt.

Wir haben also einen Mietwohnungsbau und ein Hochpreissegment, das vor allem jene Gutverdienenden im Auge hat, die sich hohe Mieten leisten können. Wir haben eine kaufende, besitzende oder erbende Oberschicht, die jeden Quadratmeter für sich selbst in Anspruch nimmt – das ist übrigens die Hälfte der Bevölkerung. Diese beiden Gruppen belegen zusammen deutlich mehr als die Hälfte der Wohnflächen, und zwar nicht nur kurzfristig, sondern auf viele Jahre und Jahrzehnte. Um den Rest des Marktes, auf dem sich private und öffentliche Vermieter tummeln und den Politiker gern als “bezahlbaren Wohnraum” bezeichnen, streiten sich also deutsche Nichteigentümer, EU-Einwanderer und, wegen der Grenzöffnung, Migranten.

2015 behaupteten die gleichen Politiker, Aktivistem und Journalisten, die heute von “bezahlbarem Wohnraum” sprechen, dass das Land eine Million Zuwanderer verkrafte. Das sei, als ob 80 in einer Kneipe seien und noch einer käme dazu. Das Bild war, auf den Wohnungsmarkt übertragen, falsch. 50 sitzen in einem Lokal, das ihnen selbst behört. 10 weitere sitzen in einem Lokal, das sich auf sie spezialisiert hat. Der Eine dagegen kommt in eine daneben liegende Kneipe, in der schon 20 Stühle besetzt sind, wie auch 5 Barhocker, und im Eingang warten noch ein Italiener, eine Spanierin und ein Bulgare auf einen Platz – während der Kneipenbesitzer schon dabei ist, die Kneipe zugunsten des Luxuslokals zu verkleinern, weil er dort mehr verdient.

Und der eine, der dazu kommt, würde auch noch gerne seine Familie nachholen. Beim Lokal der Besitzer – zu denen auch die Politiker, Eigentümer der Medien und viele Profiteure der Rundfunkzwangsabgaben gehören – merkt man von diesem Drama nichts, und kann weiter sagen, dass nur einer in die Kneipe kam. In der Kneipe dagegen tritt der Staat auf und garantiert dem neu Ankommenden die Bezahlung für einen Platz, und wenn es auch nur ein halber Barhocker auf dem Weg zum Klo ist. Und so kommt es dann, dass für die Wartenden im dunklen Eck noch teure, halbe Barhocker aufgestellt werden, und ein paar Kneipenbesucher gegen ihren eigentlichen Willen ins Luxusrestaurant umziehen müssen. Die Kosten für den Umbau werden auf alle Kneipenbesucher umgelegt. Es redet sich leicht über gemeinsame Kneipen, wenn man selbst gar nicht darin verkehrt, und vielleicht auch noch von den steigenden Kosten in den anderen Lokalen profitiert. Ich zum Beispiel sollte hier auf gar keinen Fall sagen, dass die Zuwanderung von einer Million Menschen, die nichts kaufen und im Topsegment mieten können, aber ihre Miete vom Staat garantiert bekommen, im Niedrigsegment des Marktes neben der natürlichen Gentrifizierung für massive Verwerfungen sorgt. Einfach, weil die Neuankömmlinge auf einen Markt treffen, in dem sie von privaten Vermietern eher selten akzeptiert werden, und mit allen anderen, die nicht viel zahlen können, um die wenigen verfügbaren Wohnungen kämpfen. Ich gehöre bei dieser unbegrenzten Zuwanderung in das untere Segment des Mietmarkts – unfreiwillig und gegen meine verfassungskonformen Sichtweisen zu Migration und Asylrecht .- zu den Profiteuren.

Nicht, weil ich in schlechten Regionen vermiete. Sondern weil auf dem Mietmarkt wegen Überbelegung der unteren Kategorie alle erfolglos Wohnungssuchenden zwangsweise im mittleren oder oberen Segment des Marktes landen, und dort für Konkurrenz sorgen. Als Vermieter wiederum will man auf keinen Fall Mieter, die nur unterschreiben, weil es hier billiger als woanders ist. Wer gute Mieter will, darf nicht zu billig vermieten. Das ist ein eherner Grundsatz des Geschäfts – und dieser Grundsatz hat dann auch spielend leicht die Mietpreisbremse aus den Angeln gehoben. Und selbst mit Mietpreisbremse würde man als Vermieter im Zweifelsfall die deutschen Doppelverdiener, die geräumig leben wollen, gegenüber allen anderen Gruppen bevorzugen. Diese Gruppe, die sich dank Miepreisbremse grössere Wohnungen günstig leisten könnten, wären die eigentlichen Gewinner gewesen. Nur ändert eine Mietpreisbremse überhaupt nichts am Umstand, dass bei massiv steigender Mietbevölkerung, gleichzeitiger Gentrifizierung und schwindendem Angebot Verwerfungen auftreten. Und zwar genau dort, wo es der Abgeordnete mit Zweitwohnung in Berlin-Mitte und die hochbezahlte ARD-Kommentatorin mit ihren hehren Ansprüchen an die Menschlichkeit nicht merken.

Ich habe nicht die geringsten Zweifel, dass man dereinst die Wohnungsnot in Deutschland und das Versagen der Politik auf eine Stufe mit den Zuständen im New York und London des späten 19. Jahrhunderts stellen wird. Einwanderung ohne Wohnraum verursachte nun einmal Hell’s Kitchen und das Londoner East End, ohne dass man davon auf Long Island oder in einem Herrenhaus viel gemerkt hätte. Dass es bei uns nicht so kommen würde, wurde versprochen, als man von Zahnärzten und Facharbeitern fabulierte, die aufstiegswilig und sogar besser als die Deutschen ausgebildet seien – diese Hoffnung hat sich, höflich gesagt, noch nicht umfassend bewahrheitet, und so lange die Menschen aus welchem Grunde auch immer im Land sind, sind sie Teil des Wohnungsmarktes, seiner Preisentwicklung, der Profiteure und jener Politiker, die diese Entwicklung sehenden Auges verursacht haben. Man kann Grenzen aufgeben, weil sie vorher existierten – aber keine Tür einer Wohnung öffnen, die noch nicht gebaut ist.

Wie oben schon gesagt: Leibeigenschaft könnte die Lage etwas entlasten und den ein oder anderen einer sinnstiftenden Betätigung in naturnaher Umgebung zuführen, und das ewige Jammern, man wüsste nicht, was man aus seinem Leben machen sollte, wäre dann auch vorbei. Die Geschichte der Leibeigenschaft, wenn ich das so erwähnen darf, kennt keine Massenzuwanderung in die Abhängigkeit und auch keine Quarterlifecrisis jenseits von Hungersnöten, und zeigt obendrein, wie man jene Klassenkämpfe über Jahrhunderte hinweg befrieden kann, die uns auf dem Wohnungsmarkt momentan in neuem Gewande gegenüber treten.