Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Die Partei des kleineren Übels

Ich bin der Jesus Christus der Politik.
Silvio Berlusconi

Ich trage feine, schwarze Norwegerschuhe von Ricchetti aus Parma, ein Hemd meiner Schneiderin in der Altstadt von Mantua, ein hellgraues Cashmeresakko aus Tuch der F.lli Cerutti, und eine von der letzten Reise mitgebrachte Krawatte der Cravattificio di Siena – und darauf, sehr zu meinem Ärger, einen Zahnpastafleck, der entstand, weil meine Begleitung fünf Minuten zu früh klingelte und ich mit der Kombination von Zahnreinigung, Sprung zur Sprechanlage und „ÜchgommglüchDroiminudn“ hineinrufen erheblich überfordert war. Dafür wurden Krawatten von den Kroaten ursprünglich erfunden: Als Latz, damit beim Massaker kein Blut auf die Kleidung spritzt. Aber im Konzert stört das.

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Dass ich verunziert bin, fällt mir allerdings erst in der ersten Hälfte des Konzerts bei Faure auf. In der Pause entschuldige ich mich für einen Moment und restauriere mein Aussehen an einem Ort mit fliessendem Wasser. Dergestalt wieder sozial akzeptabel, gehe ich zurück durch die Scharen der Konzertbesucher, und bekomme unabsichtlich Gesprächsfetzen mit, die sich diesmal nicht mit dem Umstand beschäftigen, dass die Pianistin des Trios Hosen trug: Also das mit der Ukraine …. Wenn in Libyen wirklich so viel warten…. diese Beitragserhöhung der Krankenkasse… die Russen werden uns noch…. ich halte die Eurokrise ja immer noch für gefährlich… die Doris meinte gestern, dass Zwangseinquartierungen kommen… die Katalanen sind die nächsten… die AfD ist da doch das kleinere Übel… Vor zwei Jahren war das Hauptthema der Umstand, dass die Plätze in der Tiefgarage viel zu klein für die Autos geworden sind, heute hat sich der Blick geweitet: Nichts von dem, was zu sehen ist, ist schön. Und oft vernehme ich, dass man gar keine gute Lösung haben will. Man wäre ja schon glücklich, wenn es ein kleineres Übel gäbe.

Und nachdem an diesem Tag bekannt wurde, dass die SPD unter Gabriel für manche inzwischen ein grösseres Übel als die AfD ist, scheint diese Meinung nicht nur bei den besseren Kreisen verbreitet zu sein – obwohl die AfD selbst genug neues Übel in ihren Programmen stehen hat. Und da ist mir schlagartig eingefallen, was dieses Land jetzt braucht, um die Zukunft zu bestehen:

Die Partei des Kleineren Übels PKÜ

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Eine Partei, die wirklich nur einen einzigen, aber überall, auf allen Feldern anwendbaren Zweck verfolgt: Das kleinere Übel zu sein. Das fängt schon sichtbar bei der Führung an, die fotogen etwas hübscher als Merkel, Gabriel und Seehofer sein sollte. Als Parteilogo nehmen wir historisch gebildet und im Sinne des, wie manche so schön sagen “christlich-jüdischen Abendlandes“ Pontius Pilatus, Jesus und Barabbas. Das zeigt dann auch, dass wir es todernst meinen. Und wenn dann wieder ein Politiker davon spricht, dass uns eine historische Aufgabe erwartet, fordert die PKÜ sofort und nachdrücklich statt dessen gegenwärtige Zugaben. Sieht ein Politiker eine Bewährungsprobe auf das Volk zukommen, fällt ihm die PKÜ sogleich in den Rücken und weist darauf hin, dass das Bewährte keinerlei Probe nötig hat. Will einer die Herausforderungen der Zukunft angehen, weisen wir vehement darauf hin, dass wir selbst aber auch Forderungen an diese Zukunft haben und diese Einseitigkeit nun wirklich nicht sein kann. Das politische Deutschland ist aktuell mit seinen Phrasen ein williges Opfer, das um solche verbalen Prügel der PKÜ bettelt.

Wer uns auf etwas einschwören will, dem teilen wir mit, dass ihm unser guter Name reichen muss. Wenn einer höhere Investitionen verlangt, fordern wir höhere Rendite. Es gibt kein Feld, in dem nicht jemand Wünsche hat, die andere unterstützen sollen: Wir treten dafür ein, dass es so schlimm nicht werden darf. Das tun andere bei ihren Lieblingsthemen zwar auch, aber die PKÜ macht es immer und überall und setzt sich so nicht dem Vorwurf aus, sie sei links- oder rechtsextrem. Sie ist nur beim Übel extrem und weist stets darauf hin, dass es angenehmere Varianten und Optionen gibt. Um dem Vorwurf des Populismus zu entgehen, verpflichten sich die Mitglieder der PKÜ dazu, hin und wieder auch wirklich kleinere Übel vorzuschlagen, die auch etwas schmerzen können. Es kann aber nicht angehen, dass andere das grosse Übel monopolartig unter sich aufteilen und das kleine Bioübel aus regionaler Produktion benachteiligt wird. Natürlich ist auch das kleine Übel ein Übel, aber auch davon kann die Gesellschaft profitieren. Die PKÜ überzeugt mit brutaler Ehrlichkeit und hat nichts zu verbergen – das muss nur das grosse Übel tun.

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Ihre minderüblen Würdenträger lassen sich zwar von Lobbyisten fördern, zahlen aber den Aperitif und das Dessert selbst – das ist mehr als die Pommes von Frau Merkel in Brüssel. Alle akademischen Grade sind alle bei Amtsantritt abzulegen, dem Schatzmeister wird vor jeder Reise in die Schweiz ein Sparschwein um den Hals gehängt, in die freundliche Finanzhelfer auch etwas für die Armen in Afrika stecken müssen. Unter dem grossen Übel ist jede Menge Gestaltungsspielraum, das die PKÜ nutzen kann: Sollte eine andere Partei nachziehen und ebenfalls ein etwas kleineres Übel fordern, sagt die PKÜ, dass ihre Forderung Erfolg hatte, und wenn andere so leicht zu überzeugen sind, muss da noch mehr geben: Es wird immer ein Übel geben, das man unterbieten kann.

Natürlich wird die PKÜ auch auf das Problem der Finanzierung ihres kleineren Übels stossen. Dabei wird sie sich am ganz grossen Übel schadlos halten und es zugunsten ihrer Wähler plündern. Besonders übel sind soziale Experimentalbrennpunkte wie Bremen und Berlin, die sich ihre Vorstellungen anderweitig bezahlen lassen. Die PKÜ steht auf dem Standpunkt, dass die anderen Parteien, deren grosses Übel man bekämpft, auch Wähler haben, die für dieses grosse Übel stimmen. Daher wird die PKÜ dafür sorgen, dass diese Wähler auch die Folgen zu spüren bekommen. Das ist ganz im Sinne einer echten Verantwortungsdemokratie, die klar ein kleineres Übel als die Verschwendungssucht durch den Bundesfinanzausgleich ist. So wäre die Unterkunftsfrage für Asylbewerber sofort gelöst, wenn jeder Wähler von CDU, Grünen, PDS und der letzte sozialdemokratische Wähler, ein gewisser Herr Stegner aus Niedersachsen der norddeutschen Polarregion gesetzlich dazu verpflichtet werden, ihre sozialen Parteiideale tatsächlich auch mit der Abgabe von Wohnraum zu leben. Jeder, der im Bereich Umwelt und Flächenversiegelung sowie Stadtplanung tätig ist und dort um das Gemeinwohl kämpft, wird bestätigen, dass das Zusammenrüchen willkommensfreudiger Menschen das kleinere Übel im Vergleich zum Neubau sozialer Brennpunkte ist. Ich bin mir sicher, dass diese Verantwortungsdemokratie Linke wie Rechte sofort erkennen lässt, wie nah sie innerlich doch der PKÜ – und damit letztlich auch sich selbst – stehen. Damit wird die PKÜ auch helfen, die Spaltung in unserer Gesellschaft – ein grosses Übel, an dem die anderen Schuld sind – zu überwinden. Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass die PKÜ nach dem Ende der Sanktionen gegen den Iran dortselbst weitreichende Weitergabemöglichkeiten nach Russland erlaubt, was fraglos das kleinere und profitablere Elend als die bislang geltenden Sanktionen sind.

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Deutschland hat in dieser Hinsicht bislang keine besonders ausgeprägte Tradition, wie etwa das glanzvolle Edwardianische Zeitalter Englands oder die schönen Tage Italiens unter den völlig zu Unrecht geschmähten Borgias und Berlusconis. Auch das ist ein grosses Übel, das es zu beseitigen gälte, wobei wir uns verpflichten, nur Bung Bung statt Bunga Bunga zu machen. Was letztlich das grosse und das kleinere Übel ist, kann man jeden Tag neu ideologiefrei und prinzipienlos definieren. Das klingt weitaus schlimmer, als es de facto ist: Die bessere Gesellschaft war schon immer ideologiefrei und prinzipienlos, wenn es um ihre eigenen Vorteile ging. Und auch, wenn andere keine Gelegenheit haben, Schuhe von Ricchetti zu tragen und Debussy zu lauschen, so könnten sie zumindest dieses Ideal von uns lernen. Charakter, seien wir ehrlich, ist wie Religion Privatsache und hat in der Politik nichts verloren. Ob ich selbst von einer PKÜ beherrscht werden möchte, weiss ich nicht. Aber es wäre schön, wenn es so eine honorige und ihre Ideale auslebende PKÜ als Drohinstrument statt der üblen AfD gäbe, an der sich die Etablierten wundscheuern und leiden – weil sie die Vorschläge bringt, die für andere nicht jene moralisch gute Dimension haben, die man braucht, um wahrhaft grosses Übel anzurichten. Man sah ja leider an den Piraten, was aus radikal pragmatischen Ideen wird, wenn Idealisten wie Ponader etwas zu melden haben. Das darf der PKÜ nicht passieren: Ideologiefrei – amoralisch – prinzipienlos. Das braucht dieses Land.

Der Fleck ist inzwischen sehr gut aus der Krawatte gegangen.