Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Unter Mistamseln und Dreckspatzen

A Sau bleibt a Sau, a wanns bei de Pfeadl afd Weid kimmt

Man kann nicht sagen, dass deutsche Medien im Jahr 2016 auf die obligatorische Geschichte zur Herbergssuche iu unserer Zeit verzichtet haben. 2015 machte man das im Zeichen der Migrationskrise unisono mit Flüchtlingen, 2016 dagegen wurde die transnationale Herbergssuche des Anis Amri thematisiert, die bekanntlich vor den Toren Mailands zu Ende ging. Vor diesem Hintergrund war das Thema schon belegt, und viele Kollegen fürchteten sich danach, über die Feiertage nach Hause zu fahren, und dort Meinungen zu hören, die ihnen nicht passen. Deshalb waren migrationsfreundliche Medien dieses Jahr voll mit Geschichten von Frauen, die sich am Bestseller “Rückkehr nach Reims” von Didier Eribon ein Beispiel nahmen und ihrer Vorahnung Ausdruck verliehen, daheim werde alles ganz schrecklich und die Verwandten würden Dinge sagen, für die man ihnen leider nicht Ex-Stasiletten, Schwesigs selbstgebaute NGO und antideutsche Antifa an den Hals hetzen kann, wie sie es sonst tun.

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Nun ist das mit dem Kopistenhandwerk immer so eine Sache: Eribons Buch ist wirklich gut, es ist dick, nachdenklich, geht in die Tiefe und hat dem Autor sicher ein angenehmes Vermögen beschert. Er hat es gewagt, genau hinzuschauen, niemand verurteilt, und ein Buch vorgelegt, das auch von verfeindeten politischen Lagern mit Erkenntnisgewinn gelesen werden kann. Wenn man sich so mit seiner Familie auseinander setzt, können einem die direkten Folgen vergleichsweise egal sein: Die Familie kann mit dieser behutsamen Analyse vermutlich gut umgehen, weil niemand explizit vorgeführt wurde. Sollte sich doch jemand aufregen, hat man es sich aber nur mit einer einzigen Person verdorben: Familien können solche Konflikte überdecken und schliessen, und Eribon wurde sicher gut bezahlt, wenn er in Talkshows auftrat. Als Thomas Mann es sich in prekärer finanzieller Lage mit den Buddenbrooks in seinen Lübecker Kreisen verscherzte, dauerte es mit dem Vergeben lang, ebenso hatte er zuerst Ärger mit Davos wegen des Zauberbergs: Hier heilte die Zeit alle Wunden. Bei Eribon kam die gesellschaftliche Anerkennung deutlich schneller.

Es ist also schick, sich mit nicht sonderlich akzeptierten Vorstellungen in der eigenen Sippe zu beschäftigen, mit einem leichten Grusel vor dem, was einem erst gar nicht erzählt wird, weil den in die grossen Städte entflohenen Kindern nicht sonderlich getraut wird. Wer weiss schon, ob sie in den Medien dann nicht über holocaustleugnende Tanten borderlinen, damit sie im Chor der Familienklageweiber dem Publikum besonders auffallen. Ausserdem darf ich einer feministischen Aktivistin, die bei der Prantlhausener Zeitung Männer routiniert hinterfragt, durchaus glauben, wenn sie zum schönsten Fest des Jahres den Aufruf verbreitet, gerade jetzt den Lieben mit ihrer Ideologie das Fest zu ruinieren. Das ist wie im Feminismus wie in jedem anderen Totalitarismus: Wer schon die eigene Sippe ideologisch bekämpft, wird auch keine Skrupel haben, andere der eigenen Heilsvorstellung zu opfern.

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Nun habe ich natürlich auch meine eigenen Heilsvorstellungen. Im Gegensatz zur Prantlhauserin sind sie jedoch nicht eine Erwartung des Heils für alle Menschen – wie ordinär – sondern selbstverständlich exklusiv. Meine Heilsvorstellung hat im Kern einen reichen und gebildeten Clan mit üppigen Besitztümern, der es beizeiten versteht, das Vermögen peu a peu an die eigenen Leute zu geben, und zwar so, dass der Staat nichts davon bekommt. Hier eine Wohnung, da ein Aktienpaket – schenken kann man legal einiges, was den Kindern später hilft, an der Spitze der Besitzpyramide zu bleiben. Der Median des Besitzes deutscher Haushalte – nicht Einzelpersonen! – liegt bei traurigen 60.000 Euro. Da will man nicht hin. Meine Heilsvorstellung liegt weit darüber, und ich denke gar nicht daran, irgendwelche Leser oder gar Kollegen zu bekehren: Es geht hier ganz allein um mein Heil, und das ist auf dieser Welt nur sehr begrenzt verfügbar.

Das ist auch der Grund, warum Sie, was lebendige oder im guten Andenken befindliche Verwandte angeht, von mir immer nur das Beste hören werden. Sie dürfen wissen, dass die bsuffa Kohlamone zu meinen Vorfahren gehörte, aber das gehört nach über 150 Jahren schon zum städtischen Legendenschatz. Ausserdem war Kohlenhandel damals durchaus ehrbar, und der Zuspruch zum Alkohol hätte sie zu einer echten Protofeministin ihrer Zeit gemacht, wenn sie nicht immer so gut gelaunt gewesen wäre. Sie dürfen wissen, dass mein Großvater mit dem Drilling zu Silvester den Nachbarn den Kamin vom Haus schoss, aber die Löcher sind längst verschwunden, und als Jäger hat man seine Privilegien. Sie dürfen auch wissen, dass manches Tier – angeblich überfahren – bei ihm auf dem Rücksitz lag, denn die Grenzen zwischen Jagdbesitzer und Wilddieb sind wie die Grenzen der Reviere volatil und das hier ist Bayern, da trägt es zum Ruhme der Familie bei. Die Beimischungen der familiären Bäckerei, die ihr Vermögen mit einem Exklusivvertrag bei einem verschwenderischen Militärbauvorhaben machte, sind auch verjährt, und so effektiv war damals die Kakerlakenbekämpfung im Mehltrog einfach nicht, dafür war das alles bio. Im Grossen und Ganzen jedoch wird mein Clan Ihnen immer als die prunkvolle Fassade erscheinen, die uns behagt – der Rest geht Sie gar nichts an.

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Denn ich will es mir mit niemandem verscherzen. Wenn ich anfangen würde, hier überkritisch und ohne Nachsicht über meine Familie so herzuziehen, wie es andere in Zeitungen und Internet tun, würde sich manch Gesicht verhärten. Einige würden sich fragen, wen man da mit Gunstbeweisen überhäufte, und ob es nicht besser wäre, die Tierheime der Region zu bedenken. Ich habe mindestens drei Einlassungen gelesen, da dachte ich mir das, was uns anerzogen wurde: Enterben. Unbedingt sofort enterben. Wer auch nur andeutungsweise die eigene Familie für das eigenen Vorankommen in einer derartig unterschichtigen Betätigung wie Medien diskreditiert, weil es zu einem anständigen Dasein nicht reicht: Enterben. Sofort. Total, Keine Gnade. Familie über alles. Bis es so weit ist: Gegendiskreditieren, indem die anderen Kinder mit Geschenken überhäuft werden, und das indiskrete Luder, das gescherte, 5 Jahre alte Schnapspralinen bekommt – wenn es dann wieder in seiner selbst gewählten Slum sitzt, werden die anderen mit Aktienpaketen bevorzugt, still und diskret, das geht ganz schnell bei uns, da hat der Clan viele Generationen Erfahrungen. Solidarität und Zuneigung sind keine Einbahnstrasse. Wer den Ruf einer Familie so wenig schätzt, dass er ihn für ein paar lumpige Euro oder Lacher bei Twitter verhökert, kann auch nicht mit weiterer Zuneigung rechnen. Das gilt schon bei untreuen Freunden – bei Familie dagegen ist strikteste Anwendung zwingend.

Wenn man sich schon über Leute und Familie aufregen will, dann nimmt man dafür anderer Leute soziale Missgeschicke. Verkommene Töchter, die ihre eigene Familie Medien bundesweit diskreditieren, sind hier ein ideales Opfer, um es am festlich geschmückten Tisch zu schlachten, und das habe ich natürlich auch prompt gemacht und Fälle – alle mit Namen und Hintergründen ihrer kriselnden Arbeitgeber – bei uns genannt. Außerdem habe ich es nicht bei der Beschreibung belassen – das wäre langweilig – sondern auch noch eine Theorie des Kulturkreises abgeleitet. Wir alle sind uns einig, dass man das nicht tut, wenn man nicht ernsthafte familienfinanzielle Folgen erdulden will. Kein Mensch von Anstand und Ehre würde das tun. Sollte es aber anders sein, muss es Gründe geben. Bei der Person könnte es sich um ein alternativ- und in der Folge charakterloses Einzelkind handeln, das tun kann, was es will, weil es ohnehin erben wird. Es könnte sich aber auch um jemanden handeln, die nichts zu verlieren hat, weil die Familie ebenfalls nichts hat. Dann sind solche Texte immer noch undankbar, aber kein finanzielles Risiko. Oder die Erziehung hat einfach versagt. Dann war es keine gute Familie.

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Man kann es also verstehen und angesichts der Ursachen, doch, wirklich, entschuldigen. Es gibt solche Familien. Das ist die Realität. Es ist möglich, die Familie öffentlich an den Pranger zu stellen. Aber Kontakt mit den betreffenden Personen würde ich mir gut überlegen. Ich sage nicht, dass unsereins im Umgang ganz anspruchslos und frei von allen Erwartungen ist – das sicher nicht, einen bis heute geldig wirksamen, juristisch aber verjährten Halsabschneider sollten Sie zwengs der Tradition schon in der Familie gehabt haben. Aber über die Familie sagen wir stets nur das Beste, und so soll es immer sein. Wer dagegen die eigenen Leute ausrichtet und anderen zum Frass vorwirft, wer bei Twitter verspricht, das eigene Blut zu belästigen – nun. Solche Leute haben keine Loyalität mit ihrem eigenen Ursprung. Es wäre daher erstaunlich, wenn sie die Loyalität im Umgang mit anderen entwickeln würden. Wer schon die eigenen Leute ausrichtet, wird bei Firmen, Geschäftspartnern, Freunden, Gatten und Kindern auch nicht zwingend diskreter sein. Früher achtete man beim Tee genau darauf, was jemand an Tratsch über seine Verwandten für einen billigen Lacher verbreitete, und sorgte dafür, dass solche liederlichen Frauenzimmer alte, einsame Jungfern blieben. Heute haben sie Twitter, und die Scheidungsquote ist hoch.

Wenn Sie aber das Herz einer steinreichen Schwiegermutter erobern wollen, nehmen Sie solche Auswüchse als Geschenk und beschweren Sie sich über solche illoyalen Leute, so wie ich das tue. Das Unglück anderer Häuser ist in unserem Heilsplan viel amüsanter als die eigene Gicht, kostenlos und, wenn man es geschickt und mit dem nötigen, bedauernden Kopfschütteln vorträgt, Ausweis vorzüglicher Seelenbildung. Ganz leise dürfen Sie dann auch mal “a so a Mistamsel, a gscheade” sagen, da sind wir nicht so, wir wissen als Dreckspatzen, wie das unter Mistamseln so ist, wir hören und erzählen viel davon, gerade jetzt um die Feiertage, und schütteln den Kopf, also nein, wirklich, wie können sie nur.