Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Holm geht, und das Land gehört euch nicht

Angriffe auf Hassbrenner wie Schupelius sind so als Akt antifaschistischer Notwehr zu sehen.
Bekennerschreiben bei Indymedia

Am Samstag gab es zwei wichtige Ereignisse. Zuerst einmal habe ich mein Auto und mich selbst bewegt. Denn vor einiger Zeit hat eine bekannte Figur der Berliner Antifa versucht, mich über einen Anwalt abmahnen zu lassen. Das ging schief, aber sie hat seitdem natürlich meine private Adresse. Inzwischen ist diese Person hofiertes Mitglied der Linken in Berlin, macht Migrations- und auch Wohnpolitik, und hat regional mit Aktionen in beiden Bereichen einige Bekanntheit erlangt. Sie ist mit Mitgliedern der Antifa befreundet, von denen eines juristisch nicht so gut wie ich beraten ist, und deshalb einschlägig verurteilt wurde. Darunter sind auch Leute, die einen Brandanschlag auf das Auto des Journalisten Gunnar Schupelius vor fast drei Jahren höhnisch kommentierten. Dazu gibt es ein Bekennerschreiben aus der autonomen Szene bei Indymedia. Schupelius wird dabei besonders seine kritische Haltung zur Migrationspolitik und sein Bericht über Gentrifizierungsgegner zur Last gelegt. Naja, und nun ist es halt so, dass ich zwar für eine sehr grosszügige, aber klar geregelte Migration bin, und als ausgesprochen netter Vermieter gelte. Aber ich kritisiere natürlich die Politik der offenen Grenzen von Frau Merkel und ich mache Witze über Gentrifizierungskritiker.

holea

Vor allem aber, und das ist das zweite wichtige Ereignis, habe ich den ersten Beitrag über das Antifa- und Hausbesetzer-Idol Andrej Holm und seine Vergangenheit bei der Stasi geschrieben, und damit die Lawine ausgelöst, die am Samstag zur Forderung seiner Entlassung durch den regierenden Bürgermeister führte, und ihn jetzt das Amt des Staatssekretärs kostet, und vielleicht sogar die R2G-Koalition scheitern lässt. Ich bekomme deshalb gerade einiges an bedrohlichen Nachrichten, und da ist es ganz nett, in einer der bestgesicherten Ecken der Republik zu leben, mit der Polizeizentrale in 30 Sekunden Blaulichtentfernung, Videoüberwachung, Sicherheitsdiensten und Gerichten, die die Antifa schon aus ihren Niederlagen beim G8-Gipfel in Garmisch kennt, und zwar knüppeldick. Trotzdem habe ich mich entschieden, mein Auto mit einem lieben Mitmenschen zu füllen und einen Ausflug zu machen. Wir diskutieren hier noch, ob Leute, denen schon die läppischen Berliner Mieten zu teuer sind, sich eine Bahnfahrkarte hierher für die angebliche “Notwehr” leisten können, aber wie auch immer: Wir leben in schlimmen und, um es höflich zu sagen, interessanten Zeiten. Heute brennen auch Rechtsextremisten Autos von Sozialdemokraten ab, SPD-Werber machen Kampagnen gegen Andersdenkende, man freut sich über den Tod eines Menschen (Die sich Freuende hat sich entschuldigt, Link deshalb entfernt).

holei

Dabei geht leider auch so manches unter, und deshalb möchte ich noch einmal dezidiert erklären, warum kein Brandanschlag der Welt Holm mehr retten konnte: Schuld ist die Partei, die ihn unbedingt aufstellen wollte, und ihn inzwischen trotz seines begrenzten und manchmal fragwürdig-autonomen Werks als einen der “anerkanntesten Stadtforscher der Republik“ bezeichnet – meines Erachtens eine dezente Überschätzung für einen normalen Unimitarbeiter mit Privatblog. Am Donnerstag hat Holm seiner Universität eine Erklärung zukommen lassen, um die falschen Angaben zu seiner Tätigkeit für die Stasi zu erklären. Am Freitag hat sich Holm bei den Opfern der Stasi entschuldigt, und dann gleich wieder eingedroschen auf jene, denen er “Diffamierungen“ unterstellt – kann schon sein, dass er damit auch mich meint. Das war nach meinen Informationen aber auch nicht wirklich die Demut, die man sich bei der SPD erhofft hatte. Gleichzeitig stellte sich die Linke, Landesverband Berlin, erneut hinter Holm. Und formulierte, obwohl sie die Regierung Berlins wissentlich in diese Situation gebracht hatte, auch noch eine drastische Forderung an den Senat:

holee

Gestern hat Andrej Holm auch seine Stellungnahme gegenüber der Humboldt-Universität zu Berlin abgegeben, die ein arbeitsrechtliches Prüfverfahren angesichts der Debatte um den Personalfragebogen, den er bei seiner Einstellung im Jahr 2005 ausgefüllt hatte, durchführt. Der Ausgang dieses Verfahrens kann jedoch nicht die politische Entscheidung des Berliner Senats ersetzen. Gerade weil dieses Verfahren noch einige Zeit in Anspruch nehmen kann, setzen wir uns dafür ein, zeitnah eine politische Entscheidung zu treffen. Es ist aus unserer Sicht dringend nötig, als Regierung eine klare politische Rückendeckung für Andrej Holm zu signalisieren, damit wir uns endlich den Fragen widmen können, für die wir angetreten sind und die der Senat mit seinem 100-Tage-Programm konkretisiert hat: für ein solidarisches, nachhaltiges und weltoffenes Berlin.

holed

Der Landesverband eines Juniorkoalitionspartners fordert vor der Bewertung der HU von der Stadtregierung einen Persilschein für Holm. Der Senat, und hier eher die Opfer der SED-Diktatur SPD und das Bündnis90 der Grünen, hätten mit so einer Erklärung erneut zu Hammer und Sichel kriechen müssen. Sollte sich die HU gegen Holm entscheiden, wäre es den beiden Parteien noch schwerer gefallen, den Staatssekretär nach der Vorab-Solidarität zu feuern. Der regierende Bürgermeister Müller stand damit vor der Wahl, sich entweder mit den neuen Begehrlichkeiten des Partners herumzuärgern, oder sie und Holms wenig kooperative Einlassungen zum Anlass zu nehmen, der Linken, wie man das in Bayern so schön sagt, das Standgas einzustellen. Die Linke wollte die Entscheidung, sie hat in der Sache alle Warnungen missachtet, jetzt übertrat sie die rote Linie im Glauben, sich die erneute Demütigung ihrer Partner leisten zu können. Wenn Müller sich hier nicht gegen die Stasi-Relativierer der Linken durchgesetzt hätte, wäre es mit seinem Ansehen vorbei gewesen. Es ging um eine Machtdemonstration und um klare Zeichen, wie die Linke in einer Mischung aus Stasiflausch und Härte die Andersdenkenden und die Stadt zu beherrschen gedenkt, und sie ist dabei zu weit gegangen. Statt der Internationalen muss sie jetzt das Misericordia singen. Der Ärger der Holmverehrer, die nichts anderes als einen Endsieg der Weltrevolution erwartet hatten, sucht sich Ventile, und dazu gehöre ich persönlich, wie ich Zuschriften entnehmen kann, natürlich auch.

holeg

Allerdings bin ich unterwegs und nicht zufrieden. Das wollte ich nicht. Als ich meinen Beitrag schrieb, dachte ich: Naja, so grössenwahnsinnig sind nicht mal Berliner Linken, die werden ihn halt lautlos zurückziehen und als Berater wieder einstellen. Das haben sie nicht gemacht, und seitdem freue ich mich auf 2017 mit Andrej Holm. Wie sich ein Antifakrimineller auf die Randale freut, denn wir beide hoffen natürlich, dass das muffige, verklebte und erstarrte System damit aufgebrochen wird, und die Situation eskaliert. Es wäre schon gewesen, wenn Holm zum Aushängeschild einer neuen, linken Alternative für Deutschland geworden wäre. Ich hätte das gern gesehen. Natürlich funktioniert jemand wie Holm nur in Berlin und anderen Favelaregionen der BRD. Dort nimmt man ihm auch seine Vergangenheit nicht übel. Da zieht der radical Schick, da kommt der Klassenstandpunkt gut an, die Bezüge zur autonomen Szene wirken auf eine sexy Art abenteuerlich. Nun aber fährt Don Cattivo nicht ganz einsam durch die Nacht, er hat im Dezember die Stasisache aufgebracht, jetzt rast Don Cattivo im Benz in den Süden, so viel Schurkendasein tut ihn nicht ermüden – und ich trage dabei einen bayerischen Trachtenmantel und einen Gebirgsschützenhut, ein Vermieter- und Oligarchenpresseklischee wie aus dem Bilderbuch des Neuen Deutschland.

holef

Auch Holm steht idealtypisch für eine sehr klare, linke Haltung im Lebenslauf. Stasi. Hausbesetzung, Demonstrationen, Universitätsjob, radikale Einstellung, Mieterrechte. Das passt. Und diese Haltung steht dann eben für R2G im Bund und trifft auf Leute wie mich, die qua Geburt und Herkunft jeder Form von leistungsloser Transferbereicherung höchst aufgeschlossen gegenüber stehen – wirklich, ich kann das gut verstehen, eigentlich ist Holm auch nur ein besserer Sohn der Nomenclatura, nur in DDR-Rot statt in Bayerisch-Schwarz. Holm trifft aber bei uns auch auf Menschen mit Realschulabschluss, Lehre, nachgeholtes Abitur, Meisterprüfung, erstes Kind mit 26, zweites mit 28, Frau in einem Sozialberuf, Kredit mit 31, Grundstückkauf und Hausbau bis 33, zwei Katzen, zwei Autos, Kinder im Gymnasium, abbezahltem Kredit, Kredite für die Wohnungen der Kinder, wenn sie studieren. Er trifft auf Leute, die nie vom Staat abhängig sein wollten und die in Gemeinschaften leben, in denen der Denunziant der grösste Lump ist. Holm kann gern kommen und den Menschen erklären, wie es ist, sich etwas zu nehmen, was man sich nicht erarbeitet hat. Holm kann sich hier gerne in einen Pfarrgemeindesaal setzen, auf einen Stuhl, den der örtliche Schreiner in seiner Freizeit gemacht hat, und uns einmal sagen, wie das ist mit der Gerechtigkeit. Seine ganzen Freunde, die von der Uni direkt in die Politik sind, nie einen Tag in einer Fabrik standen und staatlich finanziert von einem gschlamperten Verhältnis ins nächste fallen. als wären die führende Repräsentanten der AfD oder CSU, sie sollen nur kommen, ich hole sie auch gern ab.

holeb

Sie sollen zu uns kommen und und sagen, wie sie Solidarität leben, und warum ihre Wähler in Berlin es nicht hinbekommnen, am Morgen um 6 ihre Gehwege vom Schnee zu befreien, was wir hier alle tun. Ich will, dass sein Chef, der Lederer, hier seine LBGT-Bevorzugungsprojekte in der bankrotten Stadt mal denen erklärt, die einfach ihre Kinder erziehen und mit dem Bundesfinanzausgleich die staatliche Förderung der drogenverseuchten und auf private Profite abzielenden Berliner Clubkultur finanzieren. Und Holms Förderin und Chefin Katrin Lompscher, SED-Mitglied seit Anno 81, kann ich gern eine wirklich nette Leiterin einer Seniorengruppe vorstellen, die dafür sorgt, dass bei uns die alten Frauen nicht wochenlang tot, vergessen und linkssolidarisch vor dem laufenden Fernseher liegen. Die ganzen Umverteilungsfreunde und Eigentumsverächter, sie können gern zu uns kommen und uns erklären, wieso wir Verständnis für Stasi-Mitarbeiter und Hausbesetzer haben sollen, und warum man es nicht mit der Videoüberwachung übertreiben soll, wenn vom urbanen Sozialismus unbeleckte Unterschichten mit ihrem Klassenbewusstsein andere Treppen runtertreten, ausrauben und anzünden. Sie sollen uns sagen, warum man akzeptieren muss, wenn Anhänger dieser Ideologie randalieren und Polizisten gezielt verletzen, warum die Drogenmafia im Park ein Partner ist, und warum im direkten Vergleich die Leute bei uns als reaktionäre Kleinbürger gelten, die den weltanschaulichen Zielen im Weg stehen. In der Ideologie der Holms, der Kippings und der Lederers und derjenigen, die denken, sie hätten ein Recht auf Notwehr gegen Autoren wie mich, sind diese Menschen, sobald sie ihre Weltsicht formulieren, genau das, was es zu überwinden gilt. Die Linke möchte die privaten Profitinteressen der Mieter gegen die privaten Profitinteressen der Vermieter stärken, sie steht für einen Sozialstaat, in dem Partikularinteressen der eigenen Klientel massiv gehätschelt und andere ganz im Sinne des Klassenkampfes als das Schlechte, Böse, zu Bekämpfende vorgeführt werden – so böse, dass auch der Holm und Antifas legitime Bündnispartner sind. Das ist Klassenkampf.

holec

Diese Auseinandersetzung ist, da bin ich mit Holm einer Meinung, absolut überfällig. Man hätte man mit dem prominenten Stadtforscher Holm und seinem Klassenstandpunkt bei uns ganz vorzüglich machen können. Schluss mit dem Gerede von Gleichheit und Brüderlichkeit, Ausgleich und Verständnis. Klassenkampf, wie es sich gehört, mit harten Gegensätzen und unvereinbaren Positionen. Ein Klassenkampf, bei dem man sich mit dem Gegner beschäftigen muss, um zu überleben. Ich hätte mich gefreut, wenn die Linke ihren Holm raus aus der Stadt zu uns aufs Land geschickt hätte, um uns zu bekehren. Andrej Holm, promoviert mit einem Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung, erklärt Bandarbeitern und Nebenerwerbslandwirten in Niederbayern ihre soziale Frage. Das wird mindestens so lustig, als wenn ich nach Berlin fahre und Hartz4-Beziehern erkläre, dass angeborener Reichtum auch ihre Probleme lösen kann. Deutschland braucht wieder scharfe Debatten, Polemiken und ideologische Angriffe gegen gefestigt geglaubte Territorien. Und wenn Holm es schon von der diktatorischen Stasi bis zur richtigen, sozialen Seite der Berliner Mietenpolitik wechselte, dann machen wir ihn hier vielleicht auch noch katholisch.