Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Fahrverbote als Turbodiesel der Gentrifizierung

Ha bel mentir chi vien da lontano.

Also wissen Sie, nur unter uns gesagt, es gibt schon gute Argumente für Fahrverbote in den Innenstädten. Es ist zwar bigott, die nicht hier Wohnenden auszusperren und sich selbst von den anderen mit Diesel-LKWs die Versorgungsgüter bringen zu lassen, die man braucht. Aber abgesehen davon bin ich jetzt nicht wirklich ein Feind von Fahrverboten. Die pure Existenz radzerstörender Unterschichten stört mich beispielsweise deutlich mehr, während ich wie alle Menschen von Stand an einem Vermögenszuwachs interessiert bin – nur das garantiert mir, dass ich nicht wirklich einer geregelten Arbeit nachgehen muss. Ausserdem wohne ich selbst in Altstädten, und dort liegt auch günstig die ein oder andere Immobilie, die mein Dasein erleichtert.

Unsere Klassengesellschaft und ihre Parteien wollen es nun mal so, dass neben Hochgestellten wie unsereins, wir verstehen uns da, nicht wahr, auch noch weniger Glückliche existieren, die noch wirklich arbeiten müssen, um Sinne von Verwaltung, Vertrieb und Produktion und nicht nur in Form von staatsfinanzierten Genderprangern. Diese arbeitenden Leute sind diejenigen, die den Reichtum des Landes schaffen, und damit sie besonders viel Reichtum schaffen, wollte es die Politik, dass sie flexibel und anpassungsfreudig sind, und wenig Kosten verursachen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, weitere Strecken zwischen Wohnort und Arbeitsstätte zu pendeln: Nur das erlaubt der Wirtschaft, kostengünstige Cluster mit kurzen Wegen anzulegen, ohne dass abgelegene Regionen massiv benachteiligt werden. Früher konnte jeder Dorfschmied ein Hufeisen fertigen und jede Bauer ein Fohlen aus dem Pferdeleib ziehen, während die Dümmsten die Schweine hüteten. Heute gibt es neben Autofabriken und Krankenhäusern auch noch Stiftungen für den Kampf gegen Rechts. Damit die Nachfahren von Bauern, Handwerkern und sozial Minderbemittelten nicht alle in die Städte ziehen, gibt es für die einen kostengünstiges Pendeln mit Dieselautos, und für die anderen Internet.

Es geht nicht anders. Sehen Sie, unsere grössten Liegenschaften sind in einem Zentrum des Abgasskandals, und wer hier arbeitet und nicht nur als grüner Musiklehrer, der weiss, dass hier die Maschinen den Takt vorgeben. Wenn der Einsetzer für den hinteren rechten Kotflügel nicht kommt, stockt der Produktionsablauf, und es muss Ersatz her. Kommt der Ersatz aber wie der erste Mann aus dem gleichen unzugänglichen Kaff zwischen der Stadt und dem Altmühltal, und würde ihn ein Fahrverbot aufhalten, hätte die Firma ein Problem. Ein gewisser Krankheitsstand ist finanzierbar, ein generelles Fahrverbot hätte für die Produktion unabsehbare Folgen. Und wer mir sagt, man könnte mit dem Rad fahren, den lade ich ein, mit mir bei 36 Grad mal die semialpine Steigung von Gungolding nach Hofstellen zu radeln, wie ich das letzte Woche gemacht habe: Wer danach noch 8 Stunden am Band Kotflügelwuchten überlebt, mit dem rede ich gern über diese umweltfreundliche Option. Für die anderen pflücke ich Blumen auf den Feldern und lasse sie mit Genesungswünschen auf die Intensivstation bringen, oder ich schreibe einen freundlichen Nachruf mit nur ganz wenig satirischen Spitzen.

Führende EKD-Ratsmitglieder, Journalisten, Politiker, Berufsempörte: Ich kann wirklich nur jeden einladen, die öffentlichen Verkehrsmittel im ländlichen Raum nach dem Kahlschlag bei den Zugverbindungen auszuprobieren. Der grün Bewegte mag das, weil sein Radweg im Altmühltal die ehemalige, aufgelassene Eisenbahnstrecke ist. Aber wer hier lebt und als Kind ins städtische Gymnasium musste, aus einem Kaff wie Zandt, der hatte mit 15 seine aufgebohrte 50er Enduro und mit 16 den Roller, damit der Schulweg nicht mehr anderthalb Stunden, sondern nur noch 30 Minuten dauerte. Man akzeptierte die Motorisierung als Preis für die begrenzte Verstädterung und die Bereitschaft, draußen im Grünen zu siedeln. Man hat das so nachdrücklich gefördert, dass die Altstädte in den 60er Jahren verslumten, und als ich Ende der 80er Jahre die angemessene Vorstadtvilla am See verliess, um wieder im alten Stadthaus zu wohnen, galt ich als Exot. Ich galt auch als Exot, weil ich im Sommer mit dem Rad die 80 Kilometer von München nach Hause fuhr. Heute darf ich mich daher, wenn man sich meinen zweisitzigen 3,5Liter V6 und die 40 echten Glühbirnen in den Kronleuchter wegdenkt, als grünen Vorreiter bezeichnen. Heute lebt man wieder in der Altstadt. Das Cabrio steht vandalensicher in der Tiefgarage und mit dem E-Bike geht es auf dem Wochenmarkt, wo die Bergpfirsiche aus Fernost ganz frisch sind.

Zumindest in Städten wie meinen, die schon weitgehend durchgentrifiziert sind. Wer hier rechtzeitig kaufte, kann sich nun über satte und de facto wertlose Buchgewinne seiner Immobilie freuen, und so mancher machte damit sein Glück. Besonders, und nun muss ich etwas über meine Drittheimat Mantua erzählen, wenn er in einer Region mit Fahrverbot lebt. In Mantua haben wir das nämlich unter der Bezeichnung ZTL, Zona Traffico limitata. Ich habe zur ZTL den schönsten Weg entlang des Sees mit dem Rad, mich stört das überhaupt nicht. Aber wer innerhalb der ZTL kaufte, erlebte etwas Bemerkenswertes: Während die Immobilienpreise in Mantua während der Finanzkrise sanken, blieben sie in der ZTL auf einem respektablen Niveau. Grund ist die lebenswerte Altstadt, die Städter hinein lässt uns alle anderen zwingt, draußen zu bleiben: Denn wer jetzt in der Stadt arbeitet, für den ist es mit der ZTL deutlich besser, auch in der Stadt zu wohnen. Wer drinnen wohnt, darf drinnen und draußen fahren, wie er will. Wer draußen wohnt, darf das nicht. In Italien macht man sich darüber keine Illusionen: Die ZTL ist ein Privileg für die Stadtbewohner, sie haben Parkplätze und dürfen fahren, und die anderen müssen schauen, wo sie bleiben.

Die deutschen Kollegen der schreibenden Zunft meinen bei ihren Beiträgen über solche Projekte zu erkennen, dass Innenstädte wie Mantua, Bergamo oder Ferrara lebenswert sind und aufblühen. Sie zeigen Bilder wie aus dem Modemagazin von wohlgekleideten Damen, die auf dem Rad durch die Sommerluft zwischen den Palästen dahin gleiten und sich im Cafe mit Freundinnen treffen, ohne dass ein Auto die Konversation stören würde. Wenn die Autoren wollten, könnten sie auch einen Vergleich mit Brescia ziehen, wo es keine ZTL gibt, die Stadt an schönsten Plätzen vollgepackt ist, und in der westlichen Altstadt tatsächlich noch Sanierungsbedarf erkennbar wäre, würde man sich dort unter die herumlungernden, finsteren Gestalten wagen. Da haben sie fraglos recht.

Sobald eine ZTL eingerichtet wird, gibt es einen guten Grund mehr, in den Innenstädten zu wohnen, und einen guten Grund weniger, draußen zu sein: Ärzte, leitende Beamte, Geschäftsbesitzer und reiche, gut angezogene Damen wie aus dem Modemagazin erwerben dann herzlos grosse, repräsentative Wohnungen, auf deren Fläche früher zwei Familien hausten. Auch sorgen Firmen dafür, dass für wichtige Mitarbeiter nahe der Zentralen ausreichend Wohnraum aufgekauft und vermittelt wird. Und wie sich jeder nördlich und südlich der Alpen vorstellen kann: Das geht nur, wenn dieser neuen, schönen, gut aussehenden und von deutschen Medien als “Altstadt-Flair” gelobten Schicht mit ihren Kosmetikhändlern mit Refugee-Soli-Seife nach Damaszener Art Platz gemacht wird, viel Platz, jeder nur denkbare Platz. Die Innenstadt von Mantua ist sagenhaft schön, das Leben ist entspannt, die Menschen sind erfreulich, aber weiter draußen finden sich auch Regionen, die weniger Entspannte in unerfreulichen Lebensbedingungen aufnehmen.

Oder anders gesagt: Fahrverbote in Innenstädten sind der V8-7,5Liter-Turbodiesel ohne Abgasreinigung für die Gentrifizierung. Denn es wird immer zu viele Reiche geben, die zu ihrem Arbeitsplatz müssen und sich keiner Beschränkung unterwerfen wollen, und dazu muss man in der ZTL wohnen. Oder, was schon jetzt die Realität in München ist: In der Stadt eine Zweitwohnung haben. Und so ziemlich die ersten, die jeder Vermieter mit Hirn und wenig Gewissen dann auf die Strasse setzen würden, wären die Kollegen der wirklich im Niedergang begriffenen schreibenden Zunft, oder linke Amateurpolitiker, die überhaupt nicht begreifen, was die Folgen ihrer – und nicht zwingend meiner – Vorstellungen sein werden. Wer es sich wie die grünen Bio-Gentrifizierer leisten kann, wohnt innerstädtisch. Wer arbeiten muss, wohnt so nah wie möglich beim Arbeitgeber. Wer keine Arbeit hat, wird zwangsweise umgesiedelt – dorthin, wo seine Existenz nicht dem Wohlergehen der Wirtschaft im Weg ist. Man schickte früher auch die Schweinehüter in die Wälder. Und je größer die Einkommensunterschiede sind, desto brutaler wird das durchgezogen.

Meine Kollegen sehen die schicken Mütter und Anzugträger auf Rädern, oder Gruppen lachender Mädchen, die aus dem Lyzeum kommen und Louis-Vuitton-Taschen in den Radkörben haben. Sie sehen die kleine Salumeria am Eck und nebenan die Vintage-Schmuckhändlerin und denken, na also, geht doch, Autos raus und es wird schön. Schön wird es, reich wird es, Kunden für solche Geschäfte gibt es, weil die Reichen hier leben. Menschen, die auf dem Niveau meiner Kollegen leben, leben ganz sicher nicht hier. Für die gibt es Blocks hinter Citadella, Blocks bei den Raffinerien auf der anderen Seite des Sees, Blocks bei den riesigen, autogerechten Einkaufszentren, wo man seine Waren selbst vor den Scanner halten muss, weil wieder Arbeitskräfte eingespart werden. Dort draußen vor der Stadt, wo man sich ein Auto leisten muss, weil man sich das schöne Leben in der ZTL nicht leisten kann. Die Kinder können in der Stadt zwar Albertis Dom zeichnen, aber sich kaum nebenan im Cafe einen Eistee leisten.

Kurz, meine deutschen, grünen Kollegen loben heute die italienischen Innenstädte als Modell für Deutschland genauso ignorant und ohne jede Bereitschaft, die Nachteile zu erkennen, wie ihre benzinadrigen Kollegen von den Autoseiten vor 10 Jahren noch den Diesel hochgeschrieben haben. Sie tun das, weil das, was sie sehen, hübsch ist, und sie sich selbst gern darin sehen würden, so wie der Autotester sich gern im vom Hersteller gestellten SUV sah. Ich sehe diese Kollegen in Zeiten der deutschen ZTL ganz sicher nicht auf dem Rad in Schwabing oder Kreuzberg, sondern mehr im Bus Richtung des nächsten S-Bahn-Anschluss bei Petershausen oder Marzahn. Wo halt diejenigen landen, deren Anwesenheit für profitable oder unverzichtbare Dienste nicht nötig ist.

Man kann den Weg zur Arbeit natürlich zu einer Frage von Existenz und Prestige machen. Es tangiert mich nicht, der ich in der Altstadt lebe, und auch keine ältere Dame in ihrer Villa draußen im Westviertel, die mit dem Rad entlang der Donau kommen kann. Es betrifft die arbeitende Schicht in ihrer ganzen Daseinsplanung, die dann schwieriger wird, und die sich neu orientieren und umsiedeln muss. Es gibt in Italien, wenn ich das als Kenner und nicht nur Hinfahrer und Träumer berichten darf, auch noch andere Ansätze: Turin zum Beispiel hat unter der Bürgermeisterin des Movimento 5 Stelle im letzten Winter deutlich vergünstigte E-Bikes zum Mieten angeboten, und dafür auch eine vernünftige Infrastruktur aufgebaut. Das entspannt die Situation an den besonders schadstoffträchtigen Tagen, ohne dass man für einen Grenzwert in ein paar Messstationen an ein paar Tagen mit Inversionswetterlage gleich die ganzen unproduktiven und ärmeren Schichten für immer in die Steppe deportiert.

Also, ich habe nichts gegen Fahrverbote in der Innenstadt, wirklich, und so hässlich und unlebenswert ist eine WG im Plattenbau in Königswusterhausen jetzt auch nicht.