Stützen der Gesellschaft

Stützen der Gesellschaft

Leben, Bildung, Torten und sozialunverträgliches Spätableben unter Stuck und Kronleuchtern.

Eigenfussfetischismus in der Migrationskrise

Fälle nicht den Baum, der Dir Schatten spendet.
Arabisches Sprichwort

Heute kam, gross, schwer und schwarz umrandet, eine Belle-Epoque-Schönheit. Um meine Sammlung nicht unermesslich wuchern zu lassen und den Fokus auf Portraits des Rokoko zu halten, habe sich eiserne Gesetze gegen den Kauf solcher Gemälde, und die waren in diesem Fall so hart wie geschmolzener Stahl. Ausserdem habe ich auch das eiserne Gesetz, gedankenschwere, schwarzböse und grosse Anklagen in Form von Mails und Kommentaren nicht zu beachten. Aber wenn man schon mal das eine Gesetz bricht, kann man auch das andere ignorieren. Zumal da gerade ein wichtiger Punkt genannt wird, auch wenn es eigentlich um diesen und jenen migrationsideologiekritischen Beitrag ging.

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Der Autor der Anklage gegen mich also schrieb, ich fasse es zusammen.

Du greislicha Hodalump, was bildest Du Dir eigentlich ein, eine Meinung zu verbreiten über andere, die nicht wie Du in vorteilhafte Bedingungen geboren wurden und nun gramgebeugt ihren Anteil an der Waffenexportnation Deutschland – dieses miese Stück Dreck – einfordern. Du solltest mehr Empathie zeigen angesichts derer, die sich durch den Balkan schleppen, gerade Du, der Du doch selbst nicht auf eigenen Füssen stehen kannst.

Dreistes Gschwer Das mit den eigenen Füssen stand da wirklich so drin. Ich könnte nun antworten, dass ich auf dem Balkan war und weiss, dass dort die zu Fuss zurückgelegten Strecken der Flüchtlinge nicht sonderlich weit sind, und vor allem auf Bus und Bahn zurückgegriffen wird, seitdem alle Nationen die Menschen durchschleusen. Offen gesagt halte ich diese Bilder, die wir von in Decken gehüllten Wanderern in eiskalter Landschaft vorgeführt bekommen, nicht für vollkommen repräsentativ, um es höflich zu formulieren – nur ist mir natürlich auch bewusst, dass solche Anklagen gegen mich nie derartig wütend wären, würden Zeit, Prantlhausener Zeitung und Spiegel Buskonvois in landschaftlich reizvoller Atmosphäre zeigen. Aber ich muss natürlich zugeben, dass die Aussage mit den eigenen Füssen nicht völlig von der Hand zu weisen ist. Offen gesagt ist es noch viel schlimmer: Ich habe es erst gar nicht versucht.

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Warum auch? Bessere Kreise sind bessere Kreise, weil das Leben dort erheblich besser ist, und das wiederum hat viel mit der gegenseitigen Unterstützung der Familienmitglieder, Freunde und Verpflichteten zu tun. Um es an einem kleinen Beispiel zu illustrieren: Letzthin kam das Gespräch auf Immobilien in Leipzig und Goldkäufe. Solche Angebote kommen bei uns öfters mal rein; wenn Sie am Tegernsee wohnen, wissen Sie, dass die Papiertonnen voll mit solchen imposanten Druckerzeugnissen sind. Da sieht man dann im Konzertverein den P., den Vater der E., und lässt das vorliegende Angebot ganz dezent in das Gespräch einfliessen. Der P. ist als pensionierter Bankchef zufällig Experte in solchen Dingen, und so hat man eine ehrliche, von Geschäftsinteressen unberührte Einschätzung. Das geht so bei rechtlichen Fragen, bei der Beschaffung eines klassischen Automobils bei der Hochzeit, beim Brennholz, bei der Katzenpflege im Urlaub, bei der Vermittlung von Mietwohnungen unter der Hand – ich kenne das nicht anders. Ich weiss gar nicht, was ein Branchenbuch ist. Man kennt sich, die Eltern kannten sich schliesslich auch schon, und Grössväter gingen zusammen jagen.

Ich empfinde deshalb uneingeschränkte Hochachtung vor der R., die vor fünf Jahren den drastisch schlechten Berufsaussichten in einem abgelegenen Dorf der nördlichen Toskana davongelaufen ist, und sich nach der Zwischenstation als Kellnerin in einem Restaurant prächtig macht – zuerst mit Pastaficio und jetzt mit einem eigenen Lokal. Dafür arbeitet sie immer, wenn sie nicht schläft. Ich erschaudere in Ehrfurcht vor einer sehr geschätzten Bekannten, die nach zwei gescheiterten Beziehungen ohne jede Hilfe zwei prächtige Kinder erzieht und dafür Konventionen mit Füssen tritt. Es freut mich, wenn Bekannte eigene Wohnungen ersparen und Vermögen bilden. Aber es hat mich halt keiner gefragt, ob ich irgendetwas davon selbst tun wollen würde. Niemand in meinem Umfeld wurde aufgefordert, Folgen kaputter Beziehungen allein zu schultern. Die Bekannten, die nach Italien gingen, konnten sich darauf verlassen, dass die Eltern schon die richtigen Vorsorgen trafen.

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Und würde man etwas in der Art versuchen, würden einem erst alle für den Unternehmergeist und den Wagemut gratulieren, einen hochleben lassen und dann überlegen, welche Gründe man anführen könnte, damit der Gelobte das besser doch nicht macht. Man wird schliesslich im Heilsplan der Klasse an der Stelle, an der man ist, benötigt. Würde ich etwa zum Strelizienzüchten nach Madeira auswandern, wäre das System nicht im Mindesten beglückt, keinen Ansprechpartner für Medienfragen mehr zu haben. Ein überregional schreibender Autor ist eine feine Ergänzung für eine regionale Cosa Nostra Gesellschaft, die froh ist, wenn ihre Sorgen und Nöte von der viel zu hohen Steuer bis zum baldigen Weiterwandern der Migration in die Regionen des ungebrochenen Willkommens wie Berlin-Kreuzberg und Hamburg-Speicherstadt gehört werden. Auf eigenen Füssen stehen ist fraglos eine Tugend und verdient Respekt. Aber das System hier will auch seinen Respekt und erkauft ihn mit der Annehmlichkeit, nicht an der vordersten Front durch die Stacheldrahtverhaue des Existenzkampfs robben zu müssen.

Und an dieser Stelle kommt auch unsere westliche Kultur und Kunstgeschichte ins Spiel. Wir sehen heute, dass Menschen selbst nach grösster Gefahr, auf Lesbos angekommen, das Mobiltelephon zücken und Selfies machen. Das ist heute technisch möglich, aber das Bürgertum bevorzugte lange Zeit immer noch das Portrait in Öl auf Leinwand. Bilder wie jenes, dessen Details wir hier betrachten, entstehen aus dem Willen, Schönheit zu konservieren, aber auch aus dem Wunsch nach sozialer Distinktion. So liessen sich die Gonzaga von Mantegna in die Camera degli Sposi malen, so lachen die Mitglieder der Familie Pisani aus der Hand von Tiepolo von der Decke ihrer Villa, so hat man es bis weit ins letzte Jahrhundert gehalten. Das ist teuer. Das kann sich niemand leisten, den die Eltern mit 20 vor die Tür setzen und sagen, er solle auf eigenen Füssen stehen, die Miete selbst zahlen und eigenes Vermögen erwirtschaften. Jedes Gemälde junger Schönheit ist auch die Geschichte von Eltern, die dafür ein kleines Vermögen investierten. Wann immer den Kunstsinnigen bei seinen von den Eltern finanzierten Grand Tours durch Europa also ein junger Mensch aus dem Bilderrahmen anlächelt, entsteht eine Verbindung der sozialen Prägung über Jahrhunderte hinweg. Das ist unser Platz in der Kulturgeschichte, von der alle zehren. Das ist wahrhaft sozial. Das können nur wir, und wir tun es mit Hingabe. Wer dagegen auf eigenen Füssen stehen musste, hatte früher andere Sorgen und heute wenigstens ein Selfiehandy.

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Und er hat – bislang noch – soziale und von der Allgemeinheit finanzierte Absicherung, die das „auf eigenen Füssen stehen“ im Vergleich zu früheren Epochen mit Verhungern und Pockentod deutlich relativiert – nicht ganz zufällig werden wir gerade Zeugen einer Migration mit mindestens 60 Prozent reinem Invasionswunsch in dieses System. Es könnte also durchaus sein, dass der Anspruch, sich wirklich alles selbst zu erarbeiten, ohne jede Hilfe und getrieben vom stahlharten Willen, den man gern den Reichen abverlangen würde, weiter unten gar nicht so eng gesehen wird. Vielleicht hat man sich dort auch nur so an den Staat und seine Freundlichkeiten gewöhnt, wie unsereins an die klassenspezifischen Privilegien. Es ist nicht so, dass ich das verurteilen würde. Es ist lediglich so, dass ich ohne falsches Schamgefühl gekaufte Bilder aufhänge und Maler bewundere, weil ich das nicht könnte. So wie ich jene bewundere, die wirklich und wahrhaftig auf eigenen Füssen stehen, was ich ebenso nicht könnte.

Aber trotzdem fände ich es nett, wenn man sich auch mal in meine Lage versetzen könnte – unsereins muss schon in den Konzertverein, in Museen und bald wieder nach Italien. Da ist zum Stehen auf eigenen Füssen einfach keine Zeit.